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Sturzbäche im Wohnzimmer

Sie zimmern sich Unterstände, dichten Fenster ab und gehen nur noch in Flipflops vor die Tür. Ganz Indien bereitet sich auf den Monsun vor - auch BRIGITTE WOMAN-Mitarbeiterin Swantje Strieder. Nur die Stadtverwaltung ist überaus erstaunt, dass die Regenzeit kommt - wie jedes Jahr.

Wart's nur ab, bald bricht er mit voller Wucht los", warnte Arun, unser indischer Hauswirt, und meinte damit den Monsun. "Wenn ihr nicht aufpasst, rauschen bald Sturzbäche durch euer Wohnzimmer!" Ich guckte ungläubig in den versmogten Himmel von Mumbai, aus dem fast neun Monate lang kein Tropfen mehr gefallen war. Die Sonne stach, kein Lüftchen wehte, der Indische Ozean vor unserer Haustür ruhte still. "Ach, so ein paar Schauer machen uns nichts aus. Bei uns in Hamburg regnet es gefühlte 300 Tage im Jahr", entgegnete ich locker. Als der große Regen dann wirklich losbrach, konnte ich die dramatische Wolkenfront nicht mal sehen: Arun hatte uns zuvor Vishnu, einen kleinen drahtigen Markisenbauer, aufgedrängt, der alle unsere Fenster zum Meer mit einer Art Wettersegel aus blauer Plastikfolie verbarrikadiert hatte. Vishnu konstruierte seltsame Regenabwehrgestelle aus Bambuspfählen und Backsteinen und vertäute die Sturmsegel an riesigen rostigen Nägeln.

Wenn ihr nicht aufpasst, rauschen bald Sturzbäche durch euer Wohnzimmer!

Monsun, Monsun. Jedes Jahr dieselbe Bescherung. In ganz Indien wird das Naturschauspiel mit Spannung und Freude erwartet. Denn der große Regen ist lebensnotwendig. Im dürregeplagten Hinterland gehen die Bauern auf Bittprozessionen, in einem Himalaya-Dorf sollen Frauen sich sogar nackt und mit schwarzer Farbe beschmiert in Trance getanzt haben, um den Hindu-Regengott zur Aktion zu ermutigen. Auch in unserer Nachbarschaft hat man sich vorbereitet. Die Fischer am Strand von Juhu zogen mit Girlanden geschmückte Boote an Land. Ganz hoch, wegen der zu erwartenden Springfluten. Unser Schuster, dessen Blechhütte über einem offenen Kanal liegt, verstärkte die Planken und baute sich ein Plastikvordach. Darunter sitzt er nun im Schneidersitz, näht, feilt, hämmert und kaut Betel, auch wenn die Abwässer unter seiner Behausung beängstigend steigen - stolz, als wohne er am Canal Grande.

Also, 1,1 Milliarden Inder sind vorbereitet - nur die Stadtverwaltung von Mumbai nicht. Sie verdrängt den Monsun wie einen lästigen Zahnarzttermin. Nach neun Monaten Trockenheit weiß sie wahrscheinlich nicht mehr, wie sich echte Monsun-Güsse in einer 18-Millionen-Stadt anfühlen. Wenn das Wasser aus der ungereinigten Kanalisation, die noch aus der englischen Kolonialzeit stammt, überläuft und hüfthoch in den Straßen steht. Wenn Autos fortgespült werden, Wohnungen volllaufen und sogar die roten Doppeldeckerbusse im Schlamm mannshoch einsinken. Mumbai ist nämlich nicht wie Rom auf sieben Hügeln, sondern auf sieben Sümpfen gebaut.

Der Chef des Katastrophenschutzamtes tönte zwar: "Diesmal sind wir vorbereitet." Das glaubte ihm aber niemand so richtig. Bei der großen Flutkatastrophe am 26. Juli 2005 waren über 400 Menschen ertrunken, viele von ihnen versanken im eigenen Auto auf dem Heimweg von der Arbeit. Und es wäre noch schlimmer gekommen, wenn sich nicht einige Slumbewohner beherzt in die Fluten gestürzt und ihre wohlhabenderen Mitbürger gerettet und mit heißem Tee und Keksen versorgt hätten.

Heute gehen wir in Shorts zum Diner.

Mein erster Monsunregen fiel an einem Donnerstag, nicht einmal besonders heftig, doch er traf mit starkem Hochwasser zusammen, das die Fluten des Indischen Ozeans landeinwärts drückte. Das setzte die Hauptstraße von Juhu, dem Viertel der Bollywoodstars, unter Wasser. Der Verkehr staute sich über Stunden, ich zog mir Flipflops an und watete zu meiner Bankfiliale. Vorbei an der Villa von Filmstar Amitabh Bachchan, die durch zeltartige Konstruktionen vor dem Regen geschützt war. Drinnen saß er im Trockenen, aber vor seiner Tür stand das Wasser kniehoch.

Am Freitag schiffte es den ganzen Tag. Zu viel für die Finanz- und Filmmetropole, immerhin die modernste Stadt Indiens. An den S-Bahnhöfen warteten zehntausende Pendler vergeblich: Die ohnehin chronisch überfüllten Züge blieben auf überfluteten Gleisen stecken, weil die Bahnverwaltung es versäumt hatte, die Siele an den Strecken von Müll und Plastik zu befreien. Ein frisch geteertes Stück Zufahrtsstraße am Highway krachte ein. Am schlimmsten war die Lage am Flughafen. Wegen schlechter Sicht wurde eine Startbahn geschlossen, denn Mumbai hat kein Bodenradar.

Der Monsun traf ins Schwarze - mitten ins städtische Katastrophenschutzamt

Samstags fegten orkanartige Böen die Regenmassen waagerecht gegen unsere Sturmsegel. Abends waren wir bei Nachbarn zum Abendessen eingeladen. Mein Mann und ich inspizierten kurz unseren Kleiderschrank. Aber nach einem Blick auf die Pfützen auf unserer Straße sagte ich: "Heute gehen wir in Shorts zum Diner." Unsere Freunde empfingen uns wie Helden aus einem Action-Film. Durchgekommen!

Am Sonntag gingen wir überhaupt nicht mehr raus. Der Monsun traf ins Schwarze: mitten ins städtische Katastrophenschutzamt. "Die Stadt kann sich nicht einmal selbst schützen", spottete die Tageszeitung "Times of India". Schon donnerstags hatte es in den sechsten Stock der Behörde hineingeregnet. Am Montag stand dann das Wasser bis zu den Knöcheln, Büromöbel waren zerstört, die Akten aufgeweicht. "Wir haben schon vor drei Tagen von dem Leck erfahren", so ein Beamter mit entwaffnender Ehrlichkeit, "aber der Herr Ingenieur war außer Haus, da wussten wir nicht, was wir tun sollten."

Dreimal sind wir nachts vor Schreck fast aus dem Bett gefallen, weil Vishnus Sturmsegel, die der Sturm losgerissen hatte, gegen die Fenster knallten. Ungehindert strömte der Regen durch die undichten Rahmen und Mauerritzen. "Leck im Schiff", sagte mein Mann stoisch und stapfte halbnackt auf den Balkon, um mit der Taschenlampe zwischen den Zähnen den Schaden zu reparieren, während ich innen mit Handtüchern aufwischte.

Langsam, nach zehn Wochen, sehne ich mich wieder nach Sonne, habe genug vom klammen Bettzeug, von Muff und Schimmel in den Schränken. Und von Flipflops als Abendschuhen. Gestern opferten Fischer Blumengirlanden und Kokosnüsse, damit der Regen aufhört und die Fische wieder anbeißen. Und heute schimmern erste zaghafte Sonnenstrahlen durch das Himmelsgrau.

Text: Swantje Strieder

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