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Winter? Keine Chance in Australien.

Was macht das Klima in Australien? Während BRIGITTE WOMAN-Mitarbeiterin Julica Jungehülsing sogar mit dicker Fleecejacke noch friert, behaupten die Leute in Sydney, bei ihnen gäbe es keinen Winter. Ein Fall von kollektivem Selbstbetrug?

Es ist kalt. Rattenkalt. Fluchen dürfen in meiner Wahlheimat leider nur Männer in breitkrempigen Hüten, aber ich muss sagen, dass ich bei sechs Grad verdammt friere. Ich sehe förmlich, wie sich im fernen Deutschland die Augenbrauen heben: "Na und? Ist doch völlig okay um die Jahreszeit. Und überhaupt: Ihr habt da unten doch gar keinen richtigen Winter." Stimmt.

Sydneysider sind Winterverleugner!

In Sydney gibt es keinen Winter. Es gibt nur Sommer und die Jahreszeit, in der er vorbei ist. Jedenfalls haben niedrige Temperaturen keinen Einfluss auf Alltag oder Verhalten. Sydneysider sind Winterverleugner, erst recht, wenn sie Häuser bauen. Isoverglasung? Doppelfenster? Nie gehört. Australiens größte Stadt besteht aus Sommerhäusern. Die sind luftig, haben viele Fenster und – keine Heizungen. Bei mir zu Hause pfeift der Westwind durch Türspalten, Fensterritzen und Ventilationsziegel.

Auch im Winter wird gebadet

Gestern Abend hat er die Kerzen auf dem Tisch ausgeblasen! Nein, ich wohne nicht in einer Abbruchbude, sondern in einem normalen Altbau im Stadtteil Bondi Beach. Zurzeit ist in dieser Gegend der Pazifik mit seinen 16 Grad der molligste Aufenthaltsort. Denn natürlich gehen "wir Australier" auch in den Monaten zwischen dem letzten und dem nächsten Sommer baden.

Gern in den "Bondi Icebergs", einen Meerwasserpool, der seinen Namen einem Ritual zum Saisonauftakt verdankt. Heroisch und vergnügt springen die Badenden am ersten Maisonntag in das mit Party-Eis gekühlte Becken. Als Beweis, dass sie niedrige Temperaturen nicht schocken. Ich sitze derweil in Wollpulli, Schal und dicken Socken vor der offenen Backofentür meines Gasherds.

Wer braucht schon Heizungen bei dem Klima in Australien?

Nicht ganz so gesund vermutlich, aber wärmer. Sicher: Auch Sydneysider könnten theoretisch ihre Apartments mit Zentralheizungen ausrüsten. Sie könnten Ölöfen installieren und all die zugigen Ritzen isolieren. Machen sie aber nicht, oder wenn, dann halbherzig. Lieber kaufen sie im Baumarkt Heißluftgebläse auf Rollen. Einer dieser Apparate wärmt neuerdings meine Füße. Er erinnert mich an die Heizschlange, die früher über Omas Waschtisch glühte, und saugt 1000-Watt-Schübe aus der Steckdose. Muss derlei Energiemissbrauch eigentlich sein?

Ich will doch keine hässlichen Öfen in der Wohnung haben!

Ich frage meine Nachbarin Chris. "Heizungen lohnen hier einfach nicht", sagt sie. "Und außerdem will ich für die paar kühlen Wochen doch nicht zwölf Monate lang hässliche Öfen in meiner Wohnung haben." Mir ist allerdings aufgefallen, dass Chris gerade ungewöhnlich viele Überstunden macht. Vermutlich hockt sie so gern im Büro, weil sich dort die Klimaanlage auf "warm" stellen lässt. Aber das kann sie natürlich nicht zugeben.

Aussies frieren nicht.

Aussies frieren nämlich nicht. Es sind die frostgeprüften Neu-Einwanderer von der Nordhalbkugel, die jammern. Während die Kinder in Sydney in Uniformen mit Söckchen und Shorts oder Faltenrock zur Schule laufen, trotten Deutsche und Dänen im Lagen-Look aus Polar-Fleece oder Wolle herum und studieren Last-Minute-Angebote nach Bali. Wahrscheinlich weil wir unter Gänsedaunenoberbetten aufgewachsen sind.

Eisfinger auf der Grillparty

Der Australier hingegen ist Pionier, hart gesotten und lädt zur Gartenparty ein. Kein Scherz. Chris liebt Feiern unter Sternen – vor allem an ihrem Geburtstag im Juni. Also treten wir hinterm Haus von einem Bein aufs andere und halten uns mit steifen Fingern an unseren Sektgläsern fest. Sterne sehen wir übrigens nicht, denn bei einem heftigen Schauer musste unsere Gastgeberin Plastikplanen spannen. Zum Glück gehen die Kohlen fürs Barbecue nicht aus.

Lieber ausgehen statt frieren

Am nächsten Wochenende lade ich meinen (ebenfalls zuweilen frierenden, weil nur zu 80 Prozent australischen) Mann ein und gehe auswärts essen. Sollen doch andere unsere Gänsehaut vertreiben.

Das Thai-Restaurant ist rappelvoll. Bestens, menschliche Nähe hilft ja auch! Zudem grillen vier mobile Öfen den vorderen Teil des Lokals. "You like extra hot?", fragt die Kellnerin und meint vermutlich das Curry. "Yes, please", nicke ich eifrig. Endlich jemand, der mich versteht. Hier will ich bleiben, hier taue ich auf. Allerdings nur halbseitig. Während rechts die Heizer glühen, stehen links die Türen offen. Eine eisige Brise bläst über unsere Teller. Ein Versehen ist der Frischluftwahn nicht. Die Türen sind schlicht offen, weil sie immer offen sind in Sydney. Die klare Meeresbrise – ist doch herrlich!

Trotz Kälte bleiben die Türen offen

Mit kalten Nasen trotten wir heim, vorbei an weit geöffneten Lokaltüren. Vor der Weinbar bedient meine Lieblingskellnerin Sophie die draußen sitzenden Gäste. Sie trägt an diesem Abend zwischen Sommerende und Sommeranfang, was sie immer trägt: ein schulterfreies Trägerhemd über kurzem Rock. Nur ihre nackten Beine stecken in plumpen Fellstiefeln. Ein Zugeständnis an die Witterung? Sophie, 29 Jahre alt und in fünfter Generation Australierin, wird doch nicht frieren? "Nie", lacht sie, die so genannten Ugg-Boots seien ein reines Mode- Statement. "Cool, oder?" Dann gibt sie zu: "Heute sind sie allerdings echt nützlich. Und oft kann ich sie ja nicht tragen."

Winter? Eine Unterbrechung der Wärme.

Wie recht sie hat. Am nächsten Mittag klettert das Thermometer auf 19 Grad. Ich packe die Fleecejacke weg und reiße die Fenster auf. Es ist der kürzeste Tag im Jahr, der Himmel blau und die Luft lau. Winter, sinniere ich in die Sonne blinzelnd, gibt es in Sydney ja eigentlich kaum... Na ja, wenigstens keinen richtigen. Eben eher kurze Perioden der Wärmeunterbrechung. Und für die lohnen Heizkörper ja nun wirklich nicht.

Text: Julica Jungehülsing Foto: iStockphoto

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