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Mystik und Magie auf Bali

Weiße Sandstrände und dichte Palmenhaine, stille Dörfer und wuselige Orte: Bali lässt die Sonne ins Herz. Die Insel im Indischen Ozean ist eine Komfortzone für Gäste - und für Götter.

Wayan besitzt einen Fernseher, der dem Einfluss von Dämonen und Göttern unterliegt. Was dazu führen könnte, dass sich die Technik gegen den Besitzer wendet. Um zu verhindern, dass sich sein Fernseher und andere Dinge gegen ihn richten, tut Wayan, was er kann. Er kratzt jede indonesische Rupiah zusammen und hält pro Jahr mindestens 50 Opferzeremonien - für Dinge, Tiere und Verwandte. So will er die Götter gnädig stimmen und die Dämonen ruhig stellen.

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Eigentlich besteht Wayans gesamtes Leben aus Schadensbegrenzung. Für seine Familie, über die Krankheit und Unglück kommen könnte. Für sein Taxi, dessen Motor verhext werden könnte. Für die Kühe, die verenden könnten. Und so opfert Wayan wieder und wieder: Mal sind es nur kunstvolle Gebilde aus gefärbtem Reis, Obst und Huhn, mal bringt er ein Tieropfer dar, und manches Mal muss er gar einen neuen Haustempel kaufen, zum Preis von umgerechnet fast 1000 Euro. Kosten, die Wayan und seine Frau an den Rand ihrer Existenz bringen. Trotzdem würden sie nie auf den Gedanken kommen, den Göttern, den Dämonen nicht mehr Respekt, Opfer und Versorgung entgegenzubringen. Denn das würde Unglück, Tod und Krankheit nach sich ziehen.

Himmlische Wesen waren die ganze Reise um mich herum. Ich kannte sie nicht, ich sah sie nicht, man erzählte mir nur von ihnen. Das auf eine Art und Weise, als seien sie direkt neben mir, vielleicht nicht in persona, aber doch als eine abstrakte ätherische Masse, deren Willen und Wünschen ich mich besser beugen sollte. Vielleicht ging ich durch sie hindurch und sie durch mich. Vielleicht gab es neben jenen Dingen, die ich sah und verstand, eine parallele Wirklichkeit. Diese Insel im Indischen Ozean, dieser Glaube, diese Zeremonien, sie waren ein Geheimnis. Und ich war hierhergekommen, um die Symbiose zwischen Religion und Kultur, das Zusammenleben von Menschen und Göttern zu ergründen.

Ich reiste nach Bali zu einer Zeit, als mein Land von einem grauen, kalten Himmel bedeckt war. Ich sehnte mich nach einem blauen Firmament ohne Endlichkeit. Doch als ich auf der Insel ankam, hatte ich für den Himmel zunächst keinen Blick. Wie eine Welle überflutete mich die Wahrnehmung von Grün. Üppig und grell, eine Kaskade von Tönen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Palmenhaine und Dschungel, dampfend vor Feuchtigkeit. Moos auf den Mauern, riesige Bäume in Gärten, deren Blüten betörend für Nase und Augen waren. Erst im Wasserspiegel der Reisfelder bemerkte ich das Himmelsblau. Es spannte sich über dieses Land wie ein Meer, und die Wolken waren die Wellenkämme.

Bali - Symbiose zwischen Religion und Kultur, zwischen Menschen und Göttern.

Als ich in Denpasar, der Hauptstadt im Süden der Insel, aus dem Flugzeug stieg, lächelten mir die Menschen zu, wie auch in den folgenden Tagen. Das Lächeln war meist geschenkt, selten, dass einer dafür etwas verkaufen wollte. Der Kopf schwamm von all dieser Freundlichkeit, dem Farbenspektakel, dem Geruch der Räucherstäbchen, mit deren Rauch die Essenzen der Opfergaben zu den Göttern geweht wurden.

Wayan und ich lernten uns eines Abends in Ubud kennen, Balis Künstlerstadt, in der ich gern bei einem Lemon-Squash in einem der Cafés saß und dem balinesisch- touristischen Gewusel zusah. Er fuhr mich in seinem Privattaxi von Ubud zurück in mein Hotel, ins "Bagus Jati". Ein Glücksfall für mich. Dieser kleine Mann, Ende 30, sah viel älter aus, wie einer, der eine große Last trägt. Als wir uns näher kannten, erzählte er mir, wie er sich schon als Kind sein Essen selbst verdienen musste, wie er zum mittellosen Erwachsenen wurde, und hätte er nicht in die gut situierte Familie seiner Frau eingeheiratet, wohl noch immer mittellos wäre.

Ich stellte ihm einige Fragen zum balinesischen Hinduismus, etwa danach, ob er die Götter wahrnehme oder ob sie lediglich eine Idee seien. Oh nein, sagte er, und ließ in abwehrender Handhaltung das Lenkrad los, woraufhin wir fast einen der vielen Straßenhunde überfahren hätten, keine Idee. "Ich erkläre dir alles, wenn du in mein Dorf kommst. Die Tempel, die Götter, die Sitten. Du musst verstehen: Wir kennen keine Trennung von Kultur und Religion", sagte er.

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Mein Hotel lag im tropischen Inselinneren auf einem Berg, gut zehn Kilometer nördlich von Ubud entfernt. Das "Bagus Jati" ist mehr ein Resort als ein Hotel. Die Gäste wohnen in reetgedeckten Häusern, sie schlafen unter einem Himmelbett mit Moskitonetz, und wer will, kann seine Tage mit Wellness füllen: mit Massagen, Kosmetik, Yoga oder im Spa. Wer will, kann einen Ausflug nach Ubud oder in die umliegenden Dörfer machen oder einfach in der Hotelanlage mit ihrem botanischen Garten bleiben.

Von dieser Bergwarte auf die Insel blicken und sie als grünes Dickicht in Erinnerung behalten, in dessen Niederungen am Abend die Affen kreischen, bei Nacht die Zikaden sägen und am Morgen ein hundertstimmiger Vogelchor singt.

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Von der Terrasse meines Ferienhauses sah ich die Sonne aufgehen, und ich ließ mir mein Essen servieren, jeden Morgen Reissuppe mit viel Knoblauch und abends Gado-Gado, ein Gemüse mit Erdnusssoße. Magere Katzen, riesige Libellen und leise vor sich hin quiekende Geckos leisteten mir dabei Gesellschaft.

Fuhr ich aber den Berg hinab, vorbei an den Dörfern der Holzschnitzer mit Schaukelpferden und Buddhaköpfen, war es aus mit der Stille. Ubud, die 8000-Einwohner- Stadt, die man einst aus diesem Dschungel herausschlug, ist lebhaft, bunt und laut. Nicht so laut wie die Urlaubszentren Kuta, Sanur und Nusa Dua im Inselsüden; Ubud gilt noch immer als Stadt der Künstler und Intellektuellen, ein balinesisches Worpswede sozusagen. Besonders am Abend, wenn die Touristen und die Einheimischen flanieren gehen, wenn die Tageshitze einer leichten Brise weicht und die lärmenden Souvenirhändler fort sind, zeigt sich Ubud von seiner Zauberseite: Jazzmusik, Straßenund Gamelan-Musik vermischen sich, der Duft multikultureller Küchen hängt in der Luft, und in der Halle des Königspalastes führen grazile Mädchen den Legong- Tanz auf. In allem ist noch immer der Hauch der frühen 40er Jahre spürbar, als der deutsche Künstler Walter Spies hier in seinem Haus Vicki Baum, Charlie Chaplin und andere Bali- Romantiker empfing.

Damals entstand der Zusatzname für Bali: Insel der Götter. Über 330 dieser himmlischen Wesen sollen auf dem etwa 5600 Quadratkilometer großen Eiland in mehr als 5000 Gebetsstätten gastieren. Oder wohnen? Wie in Appartements auf Zeit, so muss man sich das wohl vorstellen. Es gibt kleine und winzige Tempel, Tempel auf Reisfeldern, vor öffentlichen Gebäuden, an Straßenkreuzungen, vor dem Friseursalon. Es gibt riesige Tempel, mit moosbedeckten Mauern. Und in jedem Heiligtum sind die Götter gegenwärtig.

Laut Wayan gehört den Göttern die Insel, und die Bewohner haben die Aufgabe, ihnen das Leben komfortabel zu machen. Diese Fürsorge ist sichtbar in abertausenden von Palmblätter-Opferschälchen, in Sonnenschirmen und Tüchern an winzigen Schreinen, mit denen die Götter mal gewärmt, mal vor der Sonne beschützt werden.

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In Legenden und Kultursagen werden sie mystifiziert sowie in den Tänzen: Legong, Barong, Kecak, Feuertanz und vielen mehr. Und in der Gamelan-Musik, einer für Wissenschaftler hochanspruchsvollen Kunst, für meine Ohren nur ein ewiges Kling-Klong, vor dem es kein Entkommen gibt. Gamelan ist wie die Götter - überall.

wohnt unweit des "Bagus Jati" im "Bananendorf", das seinen Namen von den Stauden hat, die dort wachsen. Es ist eines der bezauberndsten Dörfer, die ich besuchte. Umrahmt vom Dschungel, die Tempel ein wenig verwahrlost, die Mauern der Gehöfte aus Lehm, und auf der Straße spielen Kinder mit Holzreifen.

Von seinen Göttern sprach Wayan wie von lieben Mitbewohnern. "Wir" sagte er, wenn er sich und die Götter seines Haustempels meinte. Was rührend klang aus dem Munde dieses Mannes, dessen sanftes Lächeln nie erstarb und der von der Macht seines Glaubens wie in einem eisernen Ring gehalten wurde. Wenn er sprach, dann geschah das mit einem gewichtigen Ernst, der jeden Widerspruch in mir erstickte. Natürlich war den balinesischen Göttern nicht mit europäischer Rationalität beizukommen.

Bali - einer für alle, alle für einen. Gegenseitige Verpflichtung ist hier Ehre.

Ich hatte mich die ersten Tage vorgewagt in die großen bekannten Tempel wie den Pura Besakih im Osten der Insel nördlich von Klungkung. Auf rund 1000 Meter Höhe und verteilt über mehrere Terrassen liegt diese größte und heiligste Tempelanlage Balis. Sie wurde über die Jahrhunderte an den Hängen des 3142 Meter hohen Vulkans Gunung Agung errichtet und besteht aus über 80 Einzeltempeln und Schreinen, deren architektonischer Reichtum zu üppig ist, um alles auf einmal wahrnehmen zu können. Die Pagoden, die spitzen Dächer, die Baldachine, die vielen mystischen und mythischen Figuren.

Wie betäubt war ich von der Pracht dieser verschachtelten Bauwerke, von der bunten Kleidung der Besucher, dem Gebetsraunen, den Blütenopfern, dem Weihrauch, dem triefenden Grün rundum. Inmitten dieser Üppigkeit saß ich und schaute - und hatte am Ende kein vollständiges Bild, sondern nur fliehende, ineinanderlaufende Sequenzen.

Erst unter der sanften Führung meines Begleiters Wayan wurden mir Segen und Lasten des Glaubens auf Bali klar. Von der Gemeinschaft sprach Wayan. Einer für alle, alle für einen. "Der Einzelne ist nichts." Wenn Wayan zum Beispiel viel Taxi fährt, pfl ückt der Nachbar seine Kaffeebohnen mit. Dafür pflückt Wayan an anderen Tagen den Kaffee des Nachbarn. Die gegenseitige Verpflichtung ist Ehrensache. Doch die enge Gemeinschaft birgt auch Risiken. "Das Opfern ist zu einem Konkurrenzkampf geworden. Jeder sieht auf seinen Nachbarn und versucht, noch größere Opfer zu bringen, noch mehr Zeremonien abzuhalten", klagt Wayan. Nun habe man im "Bananendorf" beschlossen, bescheidener zu werden und lieber in die Kinder zu investieren. "Die Leute verschulden sich. Als ich Kind war, hat meine Mutter oft geweint, weil sie nicht wusste, woher sie das Geld für die Zeremonien nehmen sollte. Ich konnte nur vier Jahre zur Schule gehen."

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Wayan schleppte mich von Tempel zu Tempel seines Dorfes, erklärte mir hinduistische Zeremonien von eins bis 227 (ja, so viele sollen es pro Jahr sein) und schleifte mich über seine Kaffeeplantage. Nach ein paar Stunden konnte ich endlich Tempel von Haus, Wischnu, den Gott des Erhalts, von Schiwa, dem Gott der Zerstörung, unterscheiden und auch die verschiedenen Balés, die kunstvoll geschnitzten und bedachten Sitzterrassen, ihren jeweiligen Zwecken zuordnen: eine zum Schlafen, eine zum Opfern, eine für die Alten, eine für die Jungen. Mir war heiß, weil ich von Wayan in traditionelle Tempelkleidung gehüllt wurde: obligatorischer Sarong, Tuch um die Hüften, langärmelige Bluse.

Um zu erfahren, wie ein Mensch leben muss, um das Wohlwollen der Götter zu erlangen, wollte ich einen Brahmanen treffen, einen Vertreter der höchsten gesellschaftlichen Kaste und der hinduistischen Gelehrtheit. Deshalb verließ ich meinen stillen Berg im Inselinneren. Auf den Reisfeldern hatte die Ernte begonnen, und Frauen mit großen, spitz zulaufenden Hüten beugten sich über die Halme und schnitten sie. Ein leichter Dunstschleier hing über der Szenerie, Palmenhaine streckten sich mit ausladenden Kronen, der Wind roch süß und würzig zugleich. Es war ein Augenblick, den ich gern in Plexiglas gegossen hätte. Ich durchfuhr die Hauptstadt Denpasar und landete schließlich in Sanur an der belebten Südküste. Hotels und Souvenirshops ignorierend, wand ich mich durch enge Gänge, bis ich endlich die Griya, das Gehöft des Priesters, fand.

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Ida Pedanda Ketut Sidemen gilt als intellektuelle Instanz. Im Lotussitz saß der Pedanda auf der Veranda, den Oberkörper nackt, den Mund fast ohne Zähne. Mir gelang der Schneidersitz nur mit Mühe. Ich hatte einen Ort der Reduziertheit erwartet, doch die Griya war so lebhaft wie alle anderen balinesischen Gehöfte. Kinder, Hunde und Frauen liefen herum, es wurde geredet, gekocht, gekichert, und in allem herrschte eine heitere Unordnung.

An einer Hauswand hing ein Bild des Pedanda aus jungen Tagen. Er trug eine Uniform. Ja, er sei einmal Soldat gewesen. Ob es denn so einfach ginge, von einem kriegerischen Beruf in die pazifistische Priesterrolle zu wechseln, fragte ich. Jeder könne Priester werden, wenn er nur den rechten Lebenswandel beherzige, sagte er. Ein Priester werde wiedergeboren, durch das Weiheritual stürbe er und mit ihm stürben alle Schlechtigkeit und Verfehlungen seines alten Lebens. Das Wichtigste für einen Priester sei, die Begierden in sich zum Schweigen zu bringen. Und das Wichtigste für einen einfachen Menschen?

"Wir müssen Gutes tun, anderen helfen. Die rechten Gedanken und die rechten Worte haben." Ich erzählte ihm von Wayan und seinen zahlreichen Opfern, und der Pedanda lachte. "Die Opfer sind nicht so wichtig. Das ist Kultur, Ritual. Ich sage den Leuten: Wenn du reich bist, opfere nicht wie ein Armer, und wenn du arm bist, opfere nicht wie ein Reicher."

Es gibt diese Reisen, die verändern, von denen kommt man zurück und findet sich nicht wieder zurecht in der eigenen Wirklichkeit. Bali war nicht so. Mich erinnernd an die Farben, die Gerüche, die Veranda-mit-Dschungelblick- Abende aber wurde mir klar: Gerade darum, um dieser stillen, bruchlosen Freundlichkeit willen, hatte es mir so gutgetan, mich warm und weich wieder in mein Land ziehen lassen. Dieses Wohlbefinden rechne ich allerdings den Menschen zu.

Tut mir leid, ihr Götter.

Reise-Info

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Eine 15-tägige Reise nach Bali, die sowohl Entspannung ermöglicht als auch zu den Highlights der balinesischen Kultur führt, bietet zum Beispiel der Spezialveranstalter Bawa Tours & Travel an (Ulmer Str. 3, 87700 Memmingen, Tel. 083 31/76 42 49, www.bawa.de). Übernachtet wird unter anderem im "Bagus Jati", das aus Ferienvillen für je zwei bis vier Gästen besteht (Preise pro Nacht ab ca. 140 Euro) und ein umfangreiches Wellness-Angebot hat www.bagusjati.com.

Reisezeit: Am besten zwischen März (zum balinesischen Neujahrsfest) und November bei Tages- temperaturen um 32 Grad. Von Dezember bis Februar ist Regenzeit.

Zum Weiterlesen:

Vicki Baum, "Liebe und Tod auf Bali" (525 S., 8,95 Euro, KiWi). Obwohl 1937 geschrieben, ist dieser Roman über die Vernichtung eines intakten Dorfs durch die holländischen Kolonialherren immer noch wegweisend für das Verständnis balinesischer Kultur.

Reiseführer, "Bali & Lombok" (288 S., 14,95 Euro, Dumont). Serviceorientiert, mit guter Karte und einer Fülle touristischer Infos und Hintergrundwissen.

Fotos: Rio Helmi Text: Andrea Jeska

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