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Heutige Ziele von Rehas

Rehaziele nach Brustkrebs - darauf kommt es an: Frau in Reha
© Lopolo / Shutterstock
Nicht nur nach Brustkrebs wird zur Reha geraten, auch nach Gelenkersatz oder bei Depressionen ist sie üblich. Neuropsychologin Anke Menzel-Begemann über die heutigen Ziele eines Reha-Aufenthalts.

BRIGITTE WOMAN: Was hat sich in den vergangenen Jahren im Bereich Rehabilitation verändert?

ANKE MENZEL-BEGEMANN: Etwas ganz Wesentliches: Früher lag der Blick auf den Defiziten, auf Körperfunktionen, die beeinträchtigt waren. Heute liegt er darauf, Ressourcen zu finden. Dabei wird nicht nur die Ebene der Krankheit betrachtet, sondern auch die Infrastruktur der Patientin oder des Patienten im Alltag und die Persönlichkeit des Menschen: Ist er oder sie eher ein Kopf-in-den-Sand-Stecker oder ein Stehaufmännchen? Die Reha soll Menschen dazu befähigen, einen neuen Blick einzunehmen: Was kann ich noch, welche Möglichkeiten habe ich, was motiviert mich? Es geht also nicht zwingend um das Heilen und Gesundwerden – sondern darum, Menschen trotz ihrer Erkrankung Teilhabe zu ermöglichen. Wir wollen, dass sie beibehalten und wiedererlangen können, was ihnen wichtig ist.

Wie funktioniert das?

Indem die Patienten eine deutlich aktivere Rolle als früher haben. Man orientiert sich stärker an ihrem individuellen Lebenshintergrund und appelliert mehr an ihre Eigeninitiative und Verantwortung. Eine wichtige Grundlage dafür ist der Wille der Patienten, an der aktuellen persönlichen Situation zu arbeiten, den Behandlungsprozess mitzugestalten und die Angebote nicht nur passiv aufzunehmen, sondern sie in ihren Alltag zu übertragen – und zwar auch noch Monate nach der Entlassung. Deshalb ist es wichtig, dass die Menschen während einer Reha physisch und psychisch ausreichend belastbar sind. Und nicht alle sind das direkt nach dem Klinikaufenthalt. Wir stoßen eine Veränderungsbereitschaft an, durch Gespräche und Anwendungen. Dieser Prozess ist für manche allerdings nicht so schön.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ja, etwa das einer Patientin, die nach ihrer Verletzung nicht mehr so schnell und so klar im Kopf war wie zuvor, ihre kognitive Leistungsfähigkeit war geschwächt. Das ist übrigens auch nach einer Chemotherapie keine Seltenheit. Diese Patientin, die ihren Beruf mit Leidenschaft ausübte, kam in die Klinik mit den Worten: Spätestens in drei Wochen bin ich wieder im Job. Tatsächlich dauerte ihr Aufenthalt knapp vier Monate.

Bei dieser Patientin galt es, ihre hohe Arbeitsmotivation mit einer realistischen Einschätzung ihrer Leistungsfähigkeit in Einklang zu bringen. Wir mussten bei ihr eine Bereitschaft aufbauen, den Status von Arbeit und die Selbstdefinition über den Job zu hinterfragen und nach Möglichkeiten zu suchen, aus denen heraus sie Sinnhaftigkeit ohne Überforderung oder Leistungsdruck sehen konnte. Zum Beispiel ein stärkerer Fokus auf die Familie und Hobbys. Wohlgemerkt – diese Maßnahme sollte sie nicht aus der Berufstätigkeit herausholen; sondern ihr langfristig wieder eine möglichst gesunde und nachhaltige Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen.

Es geht also darum zu lernen, mit der Krankheit optimal umzugehen?

Ja, und das ist die Gesundheitsstrategie der Zukunft: Wir werden immer älter und bekommen Krankheiten, manchmal mehrere. Und wir müssen lernen, mit ihnen zu leben.

Wie wichtig ist es, sich ein Ziel zu setzen für die Zeit in der Reha-Klinik?

Das ist ungeheuer wichtig – und gar nicht immer so einfach. Denn es spielen die Interessen vieler Beteiligter hinein. Salopp ausgedrückt: Kommt jemand etwa zulasten der Rentenversicherung, ist eine Rückkehr zur Arbeit erwünscht. Die Reha-Klinik will gut dastehen, der Physiotherapeut möchte, dass die Patientin 50 Meter laufen kann, die Familie wünscht sie sich wieder so leistungsstark wie früher. Aber die Patientin selbst möchte vielleicht künftig alles ein bisschen langsamer angehen. Und genau das erst zu erkennen und dann zu erlernen sollte im Mittelpunkt stehen.

Was macht eine gute Reha-Klinik aus?

Untersuchungen zeigen: Das Wichtigste ist tatsächlich, dass alle Beteiligten Wert darauf legen, gemeinsam mit den Patienten und Patientinnen erreichbare Ziele zu formulieren, die zu den Menschen passen. Andere Kriterien sind, wie das Team in der Reha-Klinik miteinander arbeitet, wie vielseitig es aufgestellt ist und wie die Patienten und Patientinnen einbezogen werden. Außerdem hat ja nicht jeder dieselben Bedürfnisse, es geht also auch darum, ob die Angebote der Heterogenität der Patientinnen und Patienten entsprechen.

Wie wichtig ist eine schöne Umgebung?

Weniger, als man denken könnte. Das landschaftlich meist reizvolle Umfeld ist aus der Historie gewachsen. Aber natürlich ist es gut, wenn man sich wohlfühlt. Dabei spielen aber auch warme Farben in den Räumen, ein höflicher Umgang, eine Willkommenskultur eine Rolle. Was einer Klinik wichtig ist, kann man manchmal schon daran erkennen, wie sie sich auf ihrer Homepage präsentiert. Wenn möglich, würde ich aber immer hinfahren und hineingehen, bevor ich mich entscheide. Wer über eine Reha nachdenkt, sollte seine Ärzte nach Empfehlungen fragen und sich im Internet auf rehakliniken.de informieren. Im Antrag kann man dann eine kurze Begründung für die Wunschklinik angeben.

Zur Person:

PROF. DR. ANKE MENZEL-BEGEMANN, 46, lehrt an der Fachhochschule Münster

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