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Qualität Man gönnt sich ja sonst nichts

Ein Mantel für 2.000 Euro - Wahnsinn? Nein, es ist sogar vernünftig, denn das edle Stück hat Stil und Qualität und ist absolut zeitlos geschnitten. Kennen wir alle, oder?

Es gibt sie wirklich, diese Glücksgriffe: T-Shirts zum Beispiel, die perfekt sitzen und auch nach fünf Jahren und x-mal gewaschen noch strahlen wie am ersten Tag, obwohl sie nur 15 Mark gekostet haben. Oder mein Lieblings-Blazer für 50 Euro, der jede Jeans bürofein adelt und mich auf allen Reisen treu begleitet, weil er weder beult noch knittert. Ungezählt aber sind meine Fehlkäufe, preiswerte Stücke, die eigentlich schon beim Anprobieren Falten werfen, sich aber erst zu Hause als definitiv untragbar herausstellen.

"Selber schuld", sagt meine Freundin Silvia, "wieso fällst du auch immer wieder auf dieses billige Zeug herein. Das kann man tragen, wenn man 12 ist. Spätestens ab 14 sollte man auf Qualität achten. Auch wenn’s etwas teurer ist."

Qualität findet man laut Silvia nur in anständigen Läden, und anständige Läden tragen die Namen von teueren Designern. Ohne Silvia hätte ich mich nie hineingetraut in solche Tempel der Coolness. Sie hat mir vor Jahren beigebracht, dass man sich in diesen klimatisierten Chrom-Glas-Teakholz-Schuppen genau so lässig "ein bisschen umschauen" kann wie bei Karstadt. Schneller geht es natürlich schon, denn ein anständiger Laden, der auf sich hält, präsentiert pro Saison selten mehr als zehn Teile, da sind Silvia und ich im Nu durch.

Qualität "Made in China"

Dank Silvias Führungsqualitäten halte ich inzwischen sogar weitgehend den strengen Blicken der Verkäuferinnen stand. Die Dominas, wie ich sie nenne, erkennen natürlich sofort, dass mein Jahreseinkommen nur knapp über ihrem liegt. "Aber verkaufen werden sie dir trotzdem was", meint Silvia stets aufmunternd, wenn eine ultrastrenge Herrin mich einzuschüchtern droht.

Zweimal im Jahr lasse ich mich von Silvia zu einem besonderen Stück aus einem anständigen Laden überreden. "Dieser Mantel zum Beispiel", insistierte sie damals, als wir uns beim italienischen Topdesigner die neue Herbstmode zeigen ließen, "dieser Mantel hat Stil und Qualität. Diesen Mantel, das schwöre ich dir, trägst du ewig. Der darf schon etwas teuerer sein!" Etwas teuerer bedeutete in diesem Fall knapp 2.000 Euro. Ich ließ mich überzeugen, von Silvia und von dem ungeheuer gut aussehenden Verkäufer, der zwar keinen Hehl daraus machte, dass ihn Frauen absolut kalt lassen, mir aber dennoch das deutliche Gefühl vermittelte, dass er schwach werden könnte bei Mädels, die diesen Mantel tragen.

Ich trug ihn vier Mal, dann begannen sich die Seitennähte aufzulösen und mit ihnen das eingenähte Schildchen, auf dem ich noch "Made in China" entziffern konnte. So viel zum Thema Qualität. Ich brachte das edle Stück zurück in den Laden, um mir von dem attraktiven Shop-Manager beteuern zu lassen, dass so etwas noch nie, aber absolut niemals vorgekommen sei, und dass der Mantel selbstverständlich umgehend in die Mailänder Zentrale geschickt und repariert werde. Bereits sechs Monate später konnte ich ihn wieder abholen, es war März und ohnehin Zeit fürs Sommershopping mit Silvia.

Bei der Reparatur war das gute Stück nur ein winziges bisschen enger geworden, höchstens vier Zentimeter, so dass ich es hinfort nicht mehr zuknöpfen konnte. Silvias einziger Kommentar: "So einen Mantel trüge man ohnehin nur offen." "Auch wenn man friert?" Derart banale Fragen beantwortet sie grundsätzlich nicht.

Der Mantel des Schweigens ruht übrigens auch auf einem dunkelblauen Kostüm, das ich mir auf ihren Rat hin für ein irrsinnig wichtiges Bewerbungsgespräch geleistet hatte. Es war ungefähr so teuer wie mein Gebrauchtwagen (nicht gerechnet die dazugehörige Bluse, die passenden Schuhe und Strümpfe), aber Silvia meinte, dieses Kostüm würde mich für eine leitende Funktion geradezu prädestinieren und außerdem brauche man so ein Kleidungsstück sowieso immer, es hielte selbstverständlich ewig, komme nie aus der Mode, undsoweiter.

Klassische Zweiteiler lassen sich notfalls auch einzeln kombinieren

Natürlich konnte sie nicht ahnen, dass ich zwei Monate später dank einer neuen Liebe und meiner daraus resultierenden Bewegungslust fünf Kilo abnehmen würde. Damit war ich zwar glücklich, aber definitiv zu dünn für das edle Kostüm. (Den Job übrigens bekam ich nicht, was aber, wie Silvia liebevoll anmerkte, unmöglich an meinem Outfit gelegen haben könne. Sie ist wirklich meine beste Freundin!)

Für die Sommersaison nahmen wir uns die französischen Couturiers vor. Der weiße Leinenanzug aus Paris stand mir wirklich verflixt gut, Silvia konnte sich gar nicht mehr beruhigen. "Was sind schon 1.500 Euro für ein klassisches Stück, das du jedes Jahr wieder anziehen kannst? Absolut zeitlos, dieser Suit. Den musst du dir gönnen!" Ich gönnte ihn mir. Ich trug ihn, als mich Silvia am ersten warmen Sommerabend ins Restaurant ihres Golfclubs einlud. Beim Einfädeln auf den Beifahrersitz ihres Cabrios wischte ich mit dem weißen Leinenhosenbein über eine Art schwarzer Schmiere, die laut Silvia an ihrem Auto noch nie, absolut niemals vorhanden gewesen sei. Bedauerlicherweise ließ sich das schwarze Zeug nicht mehr von der feinen Hose entfernen. Silvia tröstete mich damit, dass ich ja die Jacke des ehemaligen Zweiteilers auch zu anderen Hosen tragen könne.

Ich erstand in einem dieser Kaufhäuser, die Silvia niemals betreten würde, zwei pastell gestreifte Hosen, die mit dem Blazer optimal harmoniert hätten, wäre nicht das Revers der absolut zeitlosen Jacke mittlerweile fürchterlich aus der Mode gekommen. Das gute Stück wartet jetzt in meinem Schrank auf einen Sommer, in dem genau dieser Schnitt wieder en vogue sein wird. Vielleicht behält Silvia ja wenigstens in einem Punkt Recht: Dieses Stück werde ich sehr, sehr lange haben!

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