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Bin ich zu dick oder die Kleider zu klein?

Sie passte mal in Konfektionsgröße 38, heute greift sie zu XL. Verändert habe sich allerdings nicht ihre Figur, sondern die Kleidergrößen: Sie sind kleiner geworden, glaubt Autorin Nataly Bleuel.

Erinnern Sie sich an Playmobil? Mit diesen kleinen Plastikfiguren spielte ich als Kind Ritterburg, Polizei und Barbarendorf - und fand es super. Die Mutter meines Sandkastenfreunds kaufte ihm damals Play-BIG - und gab ihn damit dem Spott und Randfigurendasein preis. Play-BIG fand ich bescheuert: zu groß, zu unförmig und lang nicht so süß wie Playmobil. Man konnte keinesfalls gleichzeitig mit Play-BIG und Playmobil spielen. Das waren verschiedene Welten. Heute bin ich figurtechnisch selbst Play-BIG und damit zu groß zum Mitspielen. Und was sind Sie? Sollten Sie nicht wissen, aus welcher Play-Produktion Sie stammen, machen Sie mal den Test und versuchen, in einem trendigen Laden was zum Anziehen zu kaufen. Ein Playmobil kommt fröhlich und mit lauter schönen Klamotten nach Hause. Der Einkauf eines Play-BIG endet hingegen immer im Fiasko.

Shopping in einer angesagten Boutique: Ich schiebe T-Shirts, Spaghettiträger-Tops, Blusen und Hemdchen über die Stange, alle sehr hübsch. Bei näherer Betrachtung dann die Erkenntnis: Sie sind zu eng, zu klein, zu kurz. Ich schiele zu dem Schild über der Etage mit dem Hinweis, wo ich mich gerade befinde: Nein, ich bin nicht in der Kinderabteilung gelandet. Dann greife ich mir alle Teile mit der Auszeichnung XL und verschwinde in der Kabine.

Kleine Kleidung: Anfangs habe ich die Schuld bei mir gesucht

Ein Playmobil würde erhobenen Hauptes wieder heraustreten und mit der anprobierten Ware vor aller Leute Augen durch den Laden stolzieren. Ein Play-BIG allerdings gibt sich niemals diese Blöße. Ich verharre voller Entsetzen vor dem Kabinenspiegel. Prüfe noch mal die Konfektionsgröße. Starre noch mal in den Spiegel: Vielleicht doch Kinderabteilung? Falsches Größenschild eingenäht? Das Ding klemmt, zwickt, presst. Ich würde jeden Wettbewerb im Zeitraffer-Anprobieren gewinnen, so schnell ziehe ich Sachen an und wieder aus, immer hektischer, die Wangen immer röter, die Laune immer übler - auf der Suche nach dem einen Teil. Inzwischen lautet die Devise: Egal ob es gefällt, Hauptsache es passt. Nicht selten sind mir Tränen gekommen. Häufig habe ich einen grausigen Kartoffelsack gekauft. Aus Trotz. Und Verzweiflung.

Das Seltsame aber ist: Ich hatte mal Konfektionsgröße 38 und habe mich in den letzten Jahren kaum verändert. Eigentlich ist meine Figur die Gleiche wie früher - und doch fühle ich mich beim Kleiderkauf wie aus einer falschen Produktion: Zu groß, zu unförmig und lang nicht so schmal wie die Mädchen mit ihren Wespentaillen und Gazellenbeinchen. Ich passe nicht hinein in diese Welt, in ihre Höschen, Röckchen und Blüschen. Als ich zu groß wurde, als nichts mehr passte, habe ich die Schuld noch bei mir gesucht. Aber mittlerweile bin ich sicher, dass es die Kleider sind, die immer kleiner werden. Begonnen hat es, als das Girlie erfunden wurde und Frauen sich als Mädchen verkleideten. Alles begann zu schrumpfen und für das Dasein en miniature erfand man neue Größen, neben Small gab es nun Extra Small und XXS. Extra Large wurde absolut verpönt, denn XL wäre für ein cooles Geschäft geradezu imageschädigend.

Karl Lagerfeld als Avantgardist der Evolution

Großen Frauen ergeht es wie den hässlichen Schwestern von Aschenputtel: Sie müssten sich Körperteile absägen, um in die kleinen Teilchen reinzupassen. Karl Lagerfeld, der Couturier und Zyniker, hat genau das zum Konzept erklärt: Er mache Kleider nur noch bis Konfektionsgröße 38, weil seine Kundinnen entweder jung und schön, dünn oder reich genug seien, um sich vom Chirurgen auf die richtige Größe zurecht schnippeln zu lassen. Und wenn er selbst noch mehr abnehmen könnte ohne zu krepieren, dann würde er noch kleinere Größen schneidern. "Think thin" stand dementsprechend auch auf den T-Shirts bei einer seiner Modenschauen. Der Modemacher ist damit gewissermaßen die Avantgarde der Evolution, denn Biologen prophezeien, die Frau der Zukunft sehe aus wie Kate Moss: knabenhaft - keine Hüften, kaum Busen. Alles andere wäre aus Sicht der evolutionären Mutation überflüssiger Balast. Play-BIGs sind also ein anatomisches Auslaufmodell, das in vermeintlich hippen Läden schon jetzt selektiert wird.

Vielleicht geht es mir irgendwann wie den Dinosauriern und stehe später einmal im Museum für Naturkunde. Und kleine lebende Playmobil-Kinder zeigen zu mir hoch und rufen: "Mama, Mama, was ist denn daaas?" Und die nicht ganz so winzigen, aber auch ziemlich kleinen Playmobilmamas halten sich lachend ihre nicht vorhandenen Bäuche und sagen: "Das ist ein Play-BIG, mein Kind, die sind vor kurzem ausgestorben."

Text: Nataly Bleuel Foto: Getty Images

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