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Dufte Jeans

Wie sich ein ständiger Begleiter über die Jahre in Herz und Erinnerung schleicht

Wir waren schon ziemlich verrückt, damals. Allein die Vorstellung, man müsste sich heute in neuen Jeans wieder in die Badewanne legen, um die Röhren hauteng an Po und Beine anzupassen . . . Klatschnass saß man da, hantierte umständlich mit Brausekopf und Bürste, um den Denim auf getragen zu trimmen. Vor der Tür dazu das Gemecker der Eltern, wie man dafür so viel Wasser verschwenden könne und wann das Bad denn endlich wieder frei wäre. Und wehe, man vergaß, hinterher die Emaille vom Blauton zu befreien!

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Längst erledigen Bimsstein und andere Marterinstrumente der Industrie die ehrliche Handarbeit und liefern Jeans gebleicht, stonewashed, gelöchert und zerfranst frei Regal. Was die Patina-Prozeduren von einst trotz nasskalter Erinnerung nostalgisch verklärt. Was hat diese Einweicharie für Vorteile mit sich gebracht! Den Neid der Mitschülerinnen und Pfiffe von den Jungs. Kaum denkbar auch, dass der nette Gerhard (sechs Jahre älter!!!) von nebenan sonst eine pubertierende Göre zur Spritztour auf seiner knallroten Vespa eingeladen hätte. Niemals! Wie hätte das vor seinen Kumpels im James-Dean-Look (Jeans mit Aufschlag, weißes TShirt, lässig den Kaugummi oder die Zigarette im Mund) gewirkt, hätte das Girl auf dem Rücksitz Bleyle-Hosen getragen. Aber mit den knallengen Levi's reichte es für eine Runde um den Block, mit wehendem Pferdeschwanz.

Solche Erfolgsstorys vergisst man nicht. Überhaupt, Jeans verleihen Flügel. Das weiß ich, seitdem ich sechs bin. Papa hat der finster blickende Parkwächter bei unserer ersten Italienreise auf dem überfüllten Campingplatz in Lignano-Sabbiadoro 1956 nicht eines Blickes gewürdigt. Aber als Mama dann hinging, hat er uns tatsächlich noch ein Zeltareal gegeben, weil "er noch nie eine Frau in ,Campinghosen' gesehen habe". So hießen die ersten Jeans für Frauen, die in Deutschland 1953 von Mustang auf den Markt gebracht wurden.

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Helden tragen Jeans. Das war schon immer so. Mein erster (vor Marlon Brando, Little Joe, Paul Newman, Robert Redford und - ganz aktuell - Jake Gyllenhaal, alle bekennende Blaumänner) war übrigens Robert Fuller in der Fernsehserie "Am Fuß der Blauen Berge". Er spielte den tollen dunkelhaarigen Jess und stiefelte natürlich in "Nietenhosen" über den Bildschirm. Klar, dass ich meine Mutter genervt habe, endlich Jeans tragen zu dürfen. Dabei war der erste Kontakt mit dem Stoff meiner Träume dann doch eher enttäuschend. Ganz schön steif waren die Dinger, aber da hatte ich den Dreh mit der Wanne auch noch nicht raus. Den hat mir meine Freundin Gudrun in der Mathestunde verraten. Die war in Sachen Aufklärung ohnehin einfach unschlagbar.

Für das erste Rolling- Stones-Konzert waren die Blauen sowieso Fan- Pflicht. Was Mick Jagger trägt, das rockt. Überhaupt - was wären all die Röhren von Elvis bis Bon Jovi ohne Röhren? Da fällt mir ein, wo ist eigentlich dieses megascharfe Plattencover abgeblieben, das Andy Warhol 1971 für das Stones-Album "Sticky Fingers" mit einer jeansumhüllten Hüfte dekorierte? Samt Reißverschluss und Eingriff!

Der Zip und der Stretch, was sind die inzwischen für ein eingespieltes Team! Vorbei der Kampf mit den Knöpfen in vorelastischen Zeiten. Wie hat man sich da, auf dem Boden liegend, abgemüht, die nach dem Waschen wieder mal eingelaufenen Jeans schließen zu können. Bauch einziehen, Luft anhalten und Knopf für Knopf durchfummeln, langsam wieder einatmen, vorsichtig den Bauch flappen lassen - und? Na bitte, geht doch!

Die schönsten - und ich hatte und habe viele! - Jeans, die ich jemals besaß, hat mir mein Vater übrigens in der Flower-Power-Zeit mal aus London mitgebracht. An das Label kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an den Schnitt: oben eng und unten mit gewaltigem Schlag. Bunte Blumen waren auch draufgestickt. Und dazu hatte Daddy noch einen breiten Gürtel in Lila (!) in der Carnaby Street erstanden. Das war natürlich der Hit!

Diese Hosen haben was mit Selbstbewusstsein zu tun. Man zieht sie an und fühlt sich gut, erwachsen, frei, sicher, geschützt, sexy. Was man eben gerade so braucht. Und das Tolle ist, das klappt auch mit dem Billiglabel und nicht nur mit all den teuren Designerjeans, die aus dem ehemaligen Goldgräberdress nun endgültig eine fashionable Klamotte gemacht haben. Jeans sind immer ein Statement.

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"Weltanschauung durch Jeans auszudrücken, wie man so oft versucht hat, uns weiszumachen, halte ich für Unsinn. Aber Jeans sind ein Pass für mehr oder weniger gewolltes Sichgehenlassen", hat Karl Lagerfeld mal gesagt. Das war 1995. Da wusste er noch nicht, dass er mal megadünn wird. Seine neue kalorienreduzierte Weltanschauung demonstriert er nun ständig mit engsten Jeans, die man fast schon als Beinmieder bezeichnen kann und die für alles andere stehen, nur nicht dafür, sich gehen zu lassen.

Das ist die blaue Magie. Sie holt jeden ein. Damit sie auch sicher wirkt, geben einige Jeansschneider ihren Marken noch einen anderen Stoff: Parfüm. Diesel gehört z. B. dazu. Und jetzt auch Mustang. Vielleicht hätten wir damals in Italien noch zwei Quadratmeter mehr Wiese bekommen, hätte Mama nicht nur die Campinghosen dieser Marke getragen, sondern auch noch den "pulsierenden Damenduft" aufgesprüht, der jetzt dasselbe Logo trägt wie ihre erste Jeans und nach Rhabarber, Rosen und Sandelholz riecht.

Text: Angelika Ricard Wolf Fotos: Getty Images (2), EMI

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