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Ist Schönsein wirklich schöner?

Frau mit Krone vor pinkem Hintergrund
© Roman Samborskyi / Shutterstock
Eine Schönheit zu sein, kann von Nachteil sein. Denn weniger Attraktive führen das bessere Leben. Das glauben Sie nicht? Dann warten Sie mal ab, bis Sie älter werden!

Damals vor 30 Jahren waren es dunkle und eifersüchtige Momente, als Sabine völlig unbeachtet an der Bar saß, während ihre beste Freundin Gitti, wie sie 18, neben ihr genau die aufdringlichen Verehrer abwimmelte, die Sabine selbst gern abgeschleppt hätte. "Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, Gitti nicht den Hals umzudrehen", sagt sie, "das Einzige, was mich getröstet hat, waren ihre superschlechten Zeugnisse."

Wer von uns kennt es nicht, dieses unbehagliche Gefühl, sich neben einer deutlich schöneren Frau wie ausgelöscht zu fühlen, mit Neid und Ohnmacht zu kämpfen, wenn man die kleine graue Wolke am Rande eines schillernden Regenbogens ist. Ja, es ist schwierig, diesen großen Unterschied auszuhalten. Eine Freundin, die dicke, rot glänzende Locken lässig hinters Ohr streicht, während man selbst seine Fusselhaare auf Fülle bürstet, die mit 50 Jahren noch naturschlank ist, während man sich zwischen strenger Diät und frustig-schwitziger Dauerstrampelei auf dem Crosstrainer nicht entscheiden kann. Die jeden Raum, den sie betritt, sofort zum Schwingen bringt, während man sich die Kehle heiser brüllt, damit der Kellner einen endlich bezahlen lässt. Das Leben ist so ungerecht!

Aller Glanz und Glamour scheint der Schönheit zuzufliegen

Schöne Frauen werden als Babys öfter gestreichelt, sind in der Schule Lehrers Liebling, und wenn sie groß sind, werden sie entweder "Germany's next Topmodel" oder sind bereits mit 30 zweimal so lukrativ geschieden, dass sie nur noch Orchideen züchten, schöne Kunstwerke sammeln, sich auf jeden Fall nur noch zum Spaß betätigen müssen. Aller Glanz und Glamour im Leben, so scheint es, fliegt schönen Frauen wie Blütenstaub zu, während wir, die weniger Schönen, für alles kämpfen müssen. Um Männer, um Jobs, ums Beachtetwerden. Um die Krümel, die von der Sahnetorte übrig bleiben, auf die unsere schöne Freundin keinen Appetit mehr hat.

Ein Grund, sich vor Neid grün zu ärgern, mit einem bösen Schicksal zu hadern, jeden Kontakt mit optisch begünstigteren Frauen zu meiden wie der Vampir den Sonnenschein? Ganz im Gegenteil, gerade weil wir nur mittelmäßig bis okay aussehen, haben wir langfristig die weitaus besseren Karten. Weil wir Kampfgeist entfalten müssen, Kraft, Power und Kreativität. Und da wir uns nicht auf unsere optische Strahlkraft verlassen können, entwickeln wir Alternativen - überzeugen Chefs mit Biss und Kreativität, verführen Männer mit Witz und Gutzuhörenkönnen, wenn schöne Frauen sich gelangweilt abwenden und ihre French Nails polieren. Kluge Männer wissen das zu schätzen, und auf die dummen können wir gut verzichten.

Okay, die Angelina Jolies unter uns bekommen mehr Aufmerksamkeit, müssen keine verdreckten Reifen wechseln und haben vermutlich noch nie eine Bierkiste geschleppt. Schönheit, so die Psychologin Heide Gerdts, ist ein sicherer Verstärker für eine "narzisstische Zufuhr", sie signalisiert Selbstwert, sie bestätigt.

Aber gerade in ihrer Sicherheit lauert die Gefahr. Schöne Frauen erliegen natürlich oft der Versuchung, sich auf ihrer Schönheit auszuruhen, die entspannt-faule Nummer zu leben. Weil es einfach leichter ist, nur als Augenweide dazustehen und sich bewundern zu lassen, als sich anzustrengen, zu schwitzen und vielleicht zu scheitern. Aber nur so entwickeln wir ja einen Charakter, der uns auch in die späteren Jahre trägt, der uns in Würde altern lässt.

Denn hier wird die Natur ja wieder gerecht, jede von uns wird jeden Tag einen Tag älter, wir alle verknittern, bei uns allen legt sich dieser fiese Fettkringel um die Taille, und egal, wie wir mit Sport und Diät dagegen ankämpfen, so wie mit 20, 30 oder auch 40 sehen wir ab 50 alle nicht mehr aus. Und genau dann ist es eine Frage der Persönlichkeit und der optischen Fallhöhe, wie gut wir diesen Verlust verkraften. Jetzt sind wir alle für unser Gesicht verantwortlich bzw. für das, was wir bisher im Leben erreicht haben. Ob wir wie Gitti vom Geld unserer Exmänner leben oder wie Sabine glücklich verheiratet sind und zwei Kinder haben. "Gitti sucht immer noch nach dem perfekten Mann", sagt Sabine, "während ich zum Glück rechtzeitig begriffen habe, dass Martin auch im Dunkeln nicht mit George Clooney verwechselt wird, aber der richtige Partner für mein Leben ist. Im Grunde bin ich heilfroh, dass ich nie das Rote Meer geteilt habe."

Wer sich auf seiner Schönheit ausruht, wird das Alter verfluchen

Denn das ist ja der Fluch der Schönheit - sie brennt so hell, sie macht so trügerisch sicher und manchmal selbstgefällig, dass der Schock und die Verzweiflung, wenn sie aufhört, viel größer sind als bei Frauen, die sich nie auf ihrer Optik ausruhen konnten.

Iris, 51, die als Hannelore- Elsner-Double durchginge, hat es bis Ende 40 genossen, dieses sekundenlange Atemanhalten der Männer, wenn sie vor ihnen stand, diese erotische Macht, die sie für selbstverständlich hielt. Bis Iris, kurz vor ihrem 50. Geburtstag, eine Reifenpanne hatte, ein Auto heranwinkte und wie gewohnt den Fahrer (männlich, attraktiv, ihr Alter) mit Augenaufschlag um Hilfe bat. "ADAC anrufen oder sich selbst die Fingerchen schmutzig machen", meinte der und fuhr weiter. Ein Schock. "Diese Sicherheit, durch mein Aussehen alles zu erreichen, war weg, und das hat mich stark verunsichert. Ich habe mir fest vorgenommen, nicht mehr so selbstverliebt zu sein, und war erstaunt, wie schwer mir das gefallen ist." Aber selbst wenn sich eine schöne Frau tatsächlich einmal in andere Bereiche vorwagt, Gehirnchirurgin werden oder den Regenwald retten möchte, rufen wir im Chor: "Moment mal! Hier gehörst du nicht hin! Hier sind wir! Mach uns diesen Platz nicht auch noch streitig!"

Schöne Frauen, die nicht bloß schön sein wollen, stecken häufig fest zwischen der Stutenbissigkeit anderer Frauen und der Reduzierung aufs Lustsubjekt durch Männer. Die sie, wenn sie nicht nur schön, sondern auch noch Professorinnen für Biochemie sind, bis zur Impotenz verschrecken können. Während wir also in fast jede Rolle schlüpfen können, die uns Spaß macht, bleibt die Schöne festgeklemmt in ihrer makellosen Perfektion, bewundert, beneidet und oft sehr einsam. Natürlich ist keine von uns begeistert, im "ungünstigen" Licht des Badezimmerspiegels die ersten Falten zu entdecken, in alten Jeans nicht mehr atmen können, genau die Männerpfiffe aus der Baugrube zu vermissen, die uns früher so nervten, aber wir haben anderes, auf das wir zurückgreifen können. Freundinnen zum Beispiel, denen es genauso geht. Humor, um trotzdem drüber zu lachen. Wie sagt man so richtig? Schöne Frauen sind eine kurze Weile lang gut, gute Frauen dagegen ein Leben lang schön.

Text: Evelyn Holst

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