Anzeige

Wie gelingt ein glückliches Leben?

Wie gelingt ein glückliches Leben?
© jarts / photocase.com
Als Kind ist Glück schon über einen Huckepack-Ritt auf Papas Schultern. Das Erwachsenwerden dagegen bringt einige schmerzliche Erfahrungen mit sich. Erst in der zweiten Lebenshälfte gelingt vielen ein glückliches Leben.

Wenn sie zurückdenkt an die letzten 30 Jahre, kriecht aus ihren Mundwinkeln ein kleines Lächeln. Es huscht blitzschnell übers Gesicht, so als wundere sie sich selbst, dass sie lächeln muss, wenn sie an all die Erlebnisse denkt. Sie hat fast nicht mehr daran geglaubt, dass es ihr mal passieren würde, mit 60 Jahren sagen zu können: "Ich bin wirklich glücklich." Dafür gab es zu viele Tiefschläge in Edith Heiderichs Leben. Erst das uneheliche Kind, das sie als Predigertochter in einem Schweizer Bergdorf bekam, dann der Ehemann, der sie schlug, die Trennung mit 40, bei der sie das gemeinsame Hotel aufgab, Neuanfang in der Großstadt, und danach wurde ihr Sohn, ein Zürcher Banker, drogenabhängig. "Zum Glück bin ich ein Stehaufmännchen", sagt sie in diesem heiteren Schweizer Tonfall, und irgendwie hat sie das Gefühl, erst durch all die Verzweiflung heute zu wissen, wie sich Glück überhaupt anfühlt.

Edith Heiderich ist keine Ausnahme, sondern eher ganz typisch. Neuere Studien belegen, dass viele Menschen erst mit 50 oder 60 Jahren das Gefühl haben, zufrieden und glücklich zu sein. Genauer: Unser Glücksgefühl steigt besonders zwischen 40 und 60 rasant an. Je mehr wir erlebt und durchgestanden haben, je größer die Kinder sind und je weniger Stress wir uns im Beruf machen, desto zufriedener und gelassener werden wir, bestätigen Glücksforscher. "Jetzt hab ich das Gefühl, dass ich auf der Sonnenseite lebe", sagt Edith Heiderich, weil sich doch noch alles zum Guten wendete. Alle Probleme, die sie heute hat, sind so unbedeutend im Vergleich zu damals. "Es geht mir gut, ich habe inzwischen zwei wunderbare Enkel, muss nicht mehr so viel arbeiten und kann Freude weitergeben." Das ist für sie die Hauptsache.

Ein glückliches Leben abseits der Großstadt

Unser Leben ist wie ein überdimensionales Versuchslabor, mit 20 und 30 probieren wir viel aus, scheitern immer wieder, denken trotzdem, wir hätten alle Möglichkeiten. Stück für Stück sortieren wir dann, worauf es ankommt. "Es ist wie im Sport: Du weißt plötzlich, wann du die Big Points machen kannst", sagt Christine Neumann, 57. Bei ihr war es so. "Als ich in meinen 30ern war, hab ich darüber nicht nachgedacht, wollte nur leben, was das Zeug hielt. Heute bin ich viel glücklicher als früher. Ich habe Ruhe gefunden und eine Basis, aus der ich Kraft schöpfe." Die braucht sie auch, schließlich versucht sie täglich, Familie, zwei Kinder, Beruf und Hobbys unter einen Hut zu bringen. "Dabei funktioniert das Leben ja nicht wirklich, irgendwer hat immer Sorgen. Das Leben besteht aus Veränderung - wer sich nicht verändert, lebt nicht."

Auch unser Glücksgefühl ändert sich über die Jahre. Bei den meisten sieht die klassische Glücks- oder Zufriedenheitskurve etwa so aus: Als Kinder sind wir glücklich, freuen uns über ein paar Bonbons oder über einen Huckepack-Ritt. Beim Erwachsenwerden nimmt das Glücksgefühl dann ab. Wir kämpfen um unseren Platz und unsere Meinung, sind gekränkt, weil der erste Schwarm nichts von uns wissen will, fühlen uns unsicher, weil Beruf und Zukunft ein einziges großes Fragezeichen sind. Danach, zwischen 30 und 50, gehen wir unser Leben zwar am aktivsten an, inklusive Beruf, Partnerschaften und Familiengründung, tatsächlich aber empfinden viele, besonders Frauen, diese Phase als Dauerbelastung. "Das war Stress, schließlich kannst du nicht jedes Mal die Flinte ins Korn werfen. Du musst dich fragen, was du aushalten kannst", sagt Christine heute. Die Verantwortung zwischen 30 und 50 ist groß, eine falsche Entscheidung gefährdet plötzlich mehr als die eigene Existenz, und viele Ziele gehen eben nicht in Erfüllung. In dieser Zeit haben wir unser Zufriedenheitstief.

Erst danach klettert die Glückskurve steil aufwärts. Aber was macht uns eigentlich glücklich, was ist überhaupt Glück? Nur ein Gefühl, das wir spüren, mehr nicht. Oder, wie Alfred Bellebaum, emeritierter Soziologieprofessor und Gründer des Instituts für Glücksforschung in Vallendar bei Bonn, es ausdrückt: "Glück ist das, was Menschen darunter verstehen. Punkt." Und zwar jeder für sich. "Wenn man ein Tief hatte und es überwunden hat, das ist Glück", sagt Edith Heiderich überzeugt, wenn sie zurückdenkt.

Für andere, wie Werner Weissaur, fängt es schon viel früher an. Für den 53-jährigen Multisportler, der von Beruf EDV-Spezialist ist, bedeutet es: "Mit meinem Hund Benny spazieren gehen, den Körper beim Joggen auspumpen und abends in der Badewanne liegen." Oft unterschätzen wir die kleinen Freuden wie "nette Nachbarn" oder "ein gutes Tennismatch". Doch gerade sie bewirken, dass unser Glücksniveau beständig einen kleinen Satz nach oben macht. Wer von sich sagen kann, "ich bin Augenblicksgenießer", geht schon den ersten Schritt zum Glück. Petra Finsterle, 53, ist so eine. Eine, die beim Rühren so weit in den Duft einer heißen Schokolade eintaucht, dass sie darüber das Reden vergisst. Eigentlich diskutiert sie gern und viel, deshalb hat sie den politischen Debattierclub "Club Voltaire" in München gegründet und müsste sich eigentlich ständig drüber ärgern, dass vom "linken Spektrum" im CSU-Land Bayern trotzdem nie die Rede ist. Tut sie aber nicht. Stattdessen organisiert sie musikreiche Vortragsabende und schwärmt, "dass jeder Abend ein kleines Fest ist. Manchmal bin ich wie ein Huhn, das sich freut, wenn es wieder ein besonders schönes Ei gelegt hat".

Nicht so viel über Zweifel nachdenken

Der auffälligste Zug an glücklichen Menschen: Sie reden so oft über schöne Momente, übers Gelingen. Verschwenden weniger Zeit an Zweifel, obwohl viele von ihnen schon mal in der Sackgasse gelandet sind, den Neuanfang gewagt haben. Warum auch zweifeln? Das bremst nur den Elan, findet Christine Neumann. "Ich bin Optimistin. Wenn ich morgens losfahre, singe ich, bis ich bei der Arbeit ankomme." Alle vier Glücklichen haben die negativen Seiten des Lebens gesehen, sahen Eltern krank werden und Freunde sterben. Sie haben erlebt, dass es immer noch schlimmer kommen kann, deswegen regt sie eine Arthrose im Knie nicht so auf. Und sie wissen, dass Jammern keine Lösung ist. "Wir haben unglaubich viel Kraft in uns. Der Mensch gibt nicht so schnell auf", sagt Edith Heiderich.

Auch von Werner Weissaur hätten wenige gedacht, dass er mal glücklich würde. Er verlor früh seine Eltern, musste sich den Lebensunterhalt durch Gelegenheitsjobs selbst verdienen, studierte. "Seitdem habe ich das Gefühl, ich schaffe alles, was ich mir vornehme." Er hat den festen Willen zum Glück. Den Schlüssel dafür gibt es genauso wenig wie "das richtige Leben". Aber wir spüren ganz genau, wann wir glücklich und vor allem: unglücklich sind. Genau dieser inneren Stimme sollten wir folgen.

"Mit 20 hab ich mir eingeredet, ich könnte allein leben", sagt Christine Neumann kopfschüttelnd. Sie wollte frei sein, wanderte in die USA aus und suchte dort ihr Glück. In ihrem zweiten Mann hat sie es dann gefunden und lebt heute in einem Nest bei Bamberg - im Hauptberuf Förstersfrau, mit Nebenbeschäftigungen als Mutter, als Betreuerin im Altersheim und als Sporttrainerin für Mütter und Jugendliche in der Gemeinde. "Rainer ist mein Glück. Er ist meine Basis, das andere sind die Beigaben", sagt sie. Nach 30 Jahren Ehe weiß sie, dass sie sich voll auf ihn verlassen kann und der Rest dann schon irgendwie klappt. Manche Sehnsüchte und Wünsche erfüllen sich eben erst im Alter.

Partner, Freunde und Kinder sind unsere zentrale Glücksquelle, wenn wir "um die 50" sind. Aber nicht die einzige. Edith Heiderich hatte all das und trotzdem das Gefühl, dass ihr ein Stück zum Glück fehlte. "Es ging mir gut. Aber immer nur Golf spielen, das konnte es nicht sein." Da beschloss sie - stark religiös motiviert -, ihre Kraft als ehrenamtliche Helferin einzusetzen. In einer Stiftung organisiert sie nun Herztransplantationen, betreut außerdem Sozialwaisen. "Wenn ich nicht verheiratet wäre, wäre ich in Bukarest im Kinderheim. Vielleicht muss man erst unglücklich sein, um Freude an Menschen weiterzugeben, denen es nicht gut geht." Sie ist ganz sicher, dass sie etwas zurückbekommen wird. Das gibt ihr Zuversicht.

Helfen ist ein Lebensinhalt, der wirklich glücklich macht, bestätigen Psychologen. Religiöse und die, die "Sinn suchen im Handeln", sind zufriedener als andere. Aber es müssen nicht immer gute Taten sein. Manche finden ihre Erfüllung darin, sich einfach auszuleben und zu genießen, so wie Werner Weissaur. "Für mich bedeutet Sinn, zu machen, wozu ich Lust habe." Gern wäre der EDV-Lehrer nur noch Weltenbummler. Geht aber nicht, wer sollte dann das Webportal für Nachhilfe organisieren, an dem er arbeitet, und wie soll er dann neue Sprachen lernen? Englisch, Französisch und Russisch kann er schon, auch ein Philosophie-Fernstudium will der Elektrotechniker noch durchziehen. "Ich hab so viele Ideen, ich könnt ständig was Neues anfangen!"

Glück bedeutet Wahlfreiheit zu haben

Einem Kursteilnehmer die Programmiersprache beibringen, einem Kind zur Herzoperation verhelfen oder mit der Tochter zum HipHop-Tanzkurs gehen... Glück ist, sich von all den Möglichkeiten die auszusuchen, mit der wir uns am wohlsten fühlen. Petra Finsterle drückt das so aus: "Glück hat immer was mit Freiheit zu tun." Mit Wahlfreiheit, mit Handlungsfreiheit. Glück ist auch, Pläne zu schmieden, denn schon das beflügelt, selbst wenn sie nicht immer in Erfüllung gehen. Mit 50 setzen wir uns - anders als mit 20 - realistischere und weniger widersprüchliche Ziele. Vor allem ist Glück eine Grundeinstellung, die man trainieren kann. Mit Optimismus zum Beispiel: Wer sich oft an schöne Momente erinnert und die schlechten als Chance sieht, wer sich über Kleinigkeiten freut und sich Freunde oder Beschäftigungen sucht, der hat eine gute Chance, sein Glück zu finden - das ganz große. Denn glückliche Menschen sind laut Studien nicht nur kreativer, liebenswerter, hilfsbereiter, sondern auch erfolgreicher und gesünder, sie leben genau deshalb im Schnitt sieben Jahre länger. Werner Weissaur drückt es so aus: "Glück ist, so zu leben, wie ich es tue."

Glücksforschung

  • Mit zunehmendem Erwachsenenalter steigt unsere Glückskurve. Menschen um die 65 sind die zufriedensten. Erst ab 85 flacht die Kurve wieder ab.
  • Mit Geld und tatsächlicher Gesundheit hat das persönliche Glück überraschend wenig zu tun. Beides fällt nur ins Gewicht, wenn davon so wenig vorhanden ist, dass jemand um Leben und Existenz bangt.
  • Zu den wichtigen Glücksfaktoren gehören soziale Kontakte: Partner, Kinder, gute Freunde. Extrovertierte Menschen sind glücklicher als andere. Und: Aus ausgeglichenen Teenagern werden später die glücklichsten Erwachsenen.
Text: Nadine Oberhuber Foto: Photocase

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel