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Für eine neue Freundin ist immer Zeit

Für eine neue Freundin ist immer Zeit
© Maxplay photographer/shutterstock
Wir müssen nicht einsam sein, um uns nach ihr zu sehnen: einer tollen Frau zum Lachen und Träumen. Denn für eine neue Freundin ist immer Platz in unserem Leben.

Zehn Wochen kannten wir uns nun schon. Wir hatten zusammen getagt, uns gegenseitig über die Schultern geschaut, zusammen über komische Sätze gelacht. Heute würde der letzte Tag sein. Das Entwicklungsprojekt, für das mich eine Zeitung kurzzeitig engagiert hatte, endete vorerst. Ich wollte die reizende und tolle Frau, mit der ich in den letzten zwei Monaten viel Zeit verbracht hatte, unbedingt noch fragen: "Wir trinken doch sicher mal einen kleinen Kaffee?" Und in meinem Kopf fühlte sich diese Frage so ungelenk und fordernd an, als würde ich ihr sagen wollen: "Willst du mit mir gehen?"

Es ist ein seltsames Geständnis, aber ich muss mich dazu bekennen: Ich suche wirklich eine neue Freundin. Ich bin sehr glücklich verheiratet; ich habe eine fantastische Schwester in der Stadt und zwei großartige Freundinnen, die aber beide mehr als 800 Kilometer entfernt leben (die eine in Hamburg, die andere in London). Was mir abgeht, ist das tolle Mädchen, mit dem ich in albernen amerikanischen Komödien glucksen kann. Mit dem ich am Kneipentresen bei läuterndem Klatsch auf einem Barhocker hängen möchte. Das innerhalb einer halben Stunde bereit ist, wahlweise im Park mit mir zu picknicken, mögliche Trübsal bei einem heißen Tee mit leichten Worten und großen Augen wegzufächern oder im Super-Sale über schlechte Designerware zu lästern.

Freundschaft funktioniert am besten unter vier Augen

Manchmal trifft es mich echt hart festzustellen, da ist keine, zu der ich sagen kann: Ich komm mal schnell ein halbes Stündchen rüber und erzähl dir was, was sich schlecht am Hörer besprechen lässt und was weder Mann, Kinder noch andere in der Familie etwas angeht. Oder ich koche dir eine Suppe, weil es dir gerade dreckig geht. Kaufe für dich ein. Freundschaft funktioniert unter vier Augen, von Angesicht zu Angesicht. Freundschaftsforscher wissen, dass E-Mail und Telefon oft nicht genügend Wärme und Empathie herstellen können. Ihr Credo: sich treffen, sooft es geht. Es geht nicht nur mir so. Jüngst erst schlug die Londoner "Sunday Times" Alarm und beschrieb das Phänomen einer neuen Einsamkeit: "Obwohl wir im Zeitalter des sozialen Networkings leben, sind wir alle heute einsamer als je zuvor." Die Anonymität von Großstädten, der ständige Wechsel von Job wie Partner und der Alltagsstress zerschlagen heute mehr denn je die Chancen, einen echten guten Kumpel ein paar Straßen weiter zu finden. Die Tristesse ereilt nicht bloß Singles: Auch in vielen Ehen fehlt - neben Kindern, Arbeit und ein bisschen Zweisamkeit - die Gelegenheit, mit jemandem auszubüchsen, ein Bier zu schlürfen, Dampf abzulassen.

Eine neue Freundin ist verdammt schwer zu finden

So eine ist es, die mir abgeht. An Freitagabenden, an verregneten Sonntagnachmittagen. Und sie ist heute verdammt schwer zu finden. Es ist schon lange nicht mehr so, dass man (wie einst zu Teenager-Zeiten) gleichsam wie in einem großen Fischschwarm schwimmt und plötzlich glücklich erkennt, oh, da schwimmt ja eine synchron an deiner Seite. Ob man Mütter in Kindergärten, spannende Charaktere im Crashkurs für Web-Design oder eben neue Kolleginnen sichtet, jenseits der 40 ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass einem eine tolle Frau einfach so ins Netz geht. Längst sind wir alle Schwergewichte der großen Gefühle, und doch tun wir uns überhaupt nicht leicht, zarte Bande zu Gleichgesinnten oder Schwestern im Geiste zu knüpfen. Woran liegt das?

Vielleicht ist diese Überfrachtung daran schuld, das sich die meisten nur so zäh und zögerlich auf Nähe einlassen. Aber ohne geht es nicht. Bekannte sind keine Freunde. Ein enges Band entsteht nur dann, wenn man sich einander öffnet. Gemeint ist kein schneller Seelenstriptease, sondern eine behutsame Preisgabe der inneren Koordinaten. Ich habe genügend Frauen getroffen, die sich davor geziert haben, einige, zu denen ich offensichtlich dann doch einfach nicht passte, und manche taugten nach einigem durchaus schmerzlichem Hin und Her einfach nicht als gute Freundin. Natürlich traf ich auch solche, die nett waren, die aber mich nicht berauschten. Kurz: Terminkalender waren zu voll, Vorstellungen zu streng, Anlehnen uncool, ein stiller Spaziergang möglicherweise banal.

Das Buhlen um eine neue Freundin ist wie das Buhlen um einen Mann

Freundschaft ist heute ein kostbares Gut: In Zeiten von auseinanderfallenden Familien ist sie begehrt wie Gold. Wissenschaftler und Ratgeber werden nicht müde, das Lob der beglückenden Bekanntschaft zu singen. Vermutlich wird ihr Wert deshalb wie eine überteuerte Aktie gehandelt. Alle glauben, sie haben zu müssen, alles darunter ist wenig attraktiv. Das macht sie zu einer luxuriösen Ware, die nicht einfach mal um die Ecke zu erstehen ist. Wer leer ausgeht, fühlt sich arm und schal. Aber selten versuchen wir, Freundschaft etwas günstiger zu erstehen - also leichtfertiger, spielerischer nach ihr zu jagen. Die "Süddeutsche Zeitung" stellte kürzlich fest, dass die ursprüngliche Idee von wahrer Freundschaft, also die Sympathie zwischen zwei Menschen, "wahrscheinlich eine ähnlich überhöhte und schwer erfüllbare Idee wie die Vorstellung der unsterblichen Liebe" sein könnte.

Bis mir eines Tages schwante: Das schmerzt ja fast wie eine Art Liebeskummer. Und dieses Buhlen um formidable Mädchen, das ist ja vergleichbar mit dem Herzkram, den man aus seinen Männergeschichten kennt. Warum ruft die mich nicht einmal an, warum geht die immer nur mit anderen einen Kaffee trinken? Und: Bin ich vielleicht selbst viel zu sperrig, zu wählerisch? Manche, weiß ich, sind sowieso ausgebucht, diese strahlenden, scheinbar unkomplizierten Sweethearts, die stets von einem Pulk anderer Frauen umschwirrt werden. Und jede glaubt, von diesem blonden Frohsinn würde etwas auf sie abfärben. Ich werde mich da nicht in die Schlange stellen, sondern mir selbst eine suchen - mit der ich unter den Tisch fallen kann. Ich habe Augenblicke erlebt, in denen ich am liebsten eine wildfremde Frau angesprochen hätte, weil sie so frech, so eigen, so bereichernd wirkte.

An einem Flughafen fiel mir einmal eine in einem langen Kleid auf, mit festen Stiefeln und wildem Haar. Sie war klein und sah sehr robust aus. Ich hielt sie für eine Russin und dachte mir, die hätte ich gern zur Freundin. Kein Wort habe ich mit ihr getauscht. Aber auch zu Hause, im eigenen Viertel des Lebens, lässt sich nicht mal eben so locker anbandeln mit einer bestrickenden Kandidatin. Jaap Denissen, Professor für Persönlichkeitsentwicklung an der Berliner Humboldt-Universität, erklärte kürzlich dem Magazin "Psychologie heute" das Dilemma: "Man muss sich mit vielen Leuten treffen, damit es klickt. Man muss ähnlich vorgehen wie bei der Partnersuche und sollte den Kreis der Möglichkeiten groß halten, um die Trefferquote zu erhöhen." Das hat mich erstaunt und bestätigt.

Wieso nicht einfach eine Unbekannte ansprechen?

Keiner will zugeben, dass er auf der Suche ist. Bloß, wenn mir eine gut gefällt, ergreift mich wilde Schüchternheit. Und ich stehe ganz befangen vor ihr. Ist eine zweite Verabredung drin? Gehe ich ihr auf die Nerven? Habe ich zu oft einfach nur freundlich genickt? Kann sie mich spannend finden? Ich gehöre zur Spezies der Abwartenden. Die erst lange schauen - geht da vielleicht was? Bin eine Zauderin, die vorsichtig abwägt, ob die andere vielleicht ein Faible für mich haben könnte. Das ist nicht immer leicht zu erkennen. Es sagt schließlich keiner von uns beiden irgendwann "Ich liebe dich". Es ist ein leises Tasten danach, ob man sich auf Dauer gegenseitig die Seelen wärmen und an den Ohren ziehen möchte. Unsere Leben sind schließlich voll gepackt mit wenig Kapazität und viel Gewohnheit. Sich spät auf einen neuen Freund einzulassen raubt Zeit und kann alte Überzeugungen über den Haufen werfen. Es wird Diskussionen geben, es könnten Dinge vorkommen, die einem auf die Nerven fallen. Manchmal habe ich das Gefühl, darauf haben viele irgendwann keine Lust mehr, oder es fehlt ihnen der Mumm.

Vielleicht geht es mir selbst so. Irgendwann muss man schließlich Farbe bekennen, von seinen Leichen im Keller erzählen. Auch will keiner zugeben, dass er auf der Suche ist. Niemand findet es in Zeiten der Totalvernetzung prickelnd, zuzugeben, dass diese Flanke offen ist. Sicher macht auch mich das scheu. Trotzdem träume ich davon, witzige fremde Frauen auf eine Cola einzuladen, sie nach dem Buch zu fragen, das sie gerade in der U-Bahn lesen. Ein amerikanischer Forscher empfahl einmal, zu mindestens einem unbekannten Menschen pro Tag Kontakt aufzunehmen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Eine Maßnahme, die das Leben verlängern würde, wie er meinte. Längst ist erwiesen, dass gesellige Menschen eine stärkere Immunabwehr haben.

Wer sich öfter einsam fühlt, strapaziert Herz und Gefäße, neigt zu Depressionen. Es wäre völlig vermessen, zu behaupten, dass ich mich vor einem Herzinfarkt fürchte. Aber ich spüre in diesen Momenten des Alleinseins, in denen ich gern mit einer Zwiebeln schneiden würde, während im Radio alter Dixie dudelt und ich ihr meine Leidenschaft für Ewan McGregor gestehe, dass es in meinem Leben eine Leerstelle gibt. Ich glaube, ich werde jetzt mal vor die Tür gehen und nach einer tollen Frau Ausschau halten. Vielleicht kenne ich sie längst und habe bisher nur nicht gewagt, sie anzusprechen.

Text: Katja Nele Bode

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