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Verliebt im Alter Die Schmetterlinge flattern wieder

Verliebt
© Kovalchuk Oleksandr / Shutterstock
Wieder verliebt im Alter? Sie fand doch ihr ausgelatschtes Single-Leben wunderbar. Sie konnte sich kaum vorstellen, noch einen Mann zu küssen, ihn zu begehren. Bis jetzt.

Meine Freundinnen und ich sind fast alle Singles. Mit den Jahren sind wir härter geworden, als wir je sein wollten. Nicht infrage kommende Männer haben bei uns keine Chance, dafür geht es uns zu gut ohne sie. Teile unserer Weiblichkeit sind endgültig weggesteckt, zum Beispiel der Wunsch nach Anlehnung und Schutz, aber auch unsere eigene Zärtlichkeit.

Statt darüber zu jammern, teilen wir unsere Sorgen und Bücher, helfen einander beruflich weiter und privat aus. Viele von uns tragen im Bett ausgeblichene T-Shirts mit Löchern auf, während das duftige Nachthemd seit Jahren nur Schrankluft schnuppert. Die eigenen Brüste gucken wir kaum noch an, aber bevor wir ausgehen, machen wir uns so schön wie sonst nie. Fürs Selbstbewusstsein, sagen wir. Und nun das: Ich besuche mit Freunden eine Podiumsdiskussion. Kurz vor Beginn balanciere ich meine Kaffeetasse nach draußen, um zu rauchen. Ich presse Tasche und Jacke an mich, da höre ich einen Mann rufen: "Das ist ja prima, dass man hier gleich Kaffee bekommt!" Eine Hand greift nach meiner Tasse, ich schaue auf und blicke in die schönsten Augen der Welt. Ich glaube, ich habe gestottert, dass kein Zucker im Kaffee sei. Ich glaube, er hat geantwortet, das sei ihm egal.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll und rede nur dummes Zeug.

Wir standen uns nur kurz gegenüber, dieser große, gut aussehende Mann und ich. Es reichte, um zu erfassen, dass ich ihn hundert Jahre kannte, dass er Tiefe hatte, warmherzig war, witzig auch noch, selbstbewusst und stark. Gleichzeitig war er mir völlig fremd. Da weiß man dann auf einmal nicht mehr, welchen Ton man anschlagen soll, und redet nur noch dummes Zeug. Er sagte, er müsse jetzt leider rein, rief mir nur noch zu, dass ihm nichts lieber wäre, als auch die Zigarette mit mir zu teilen, dann verschwand er im Saal. Als ich wenig später folgte, saß er als Moderator mitten auf dem Podium. Auf Moderatoren ruhen tausend Augen, und alle anderen hatten mehr mit ihm zu tun als ich. Ich konnte mich wahrhaftig nicht zu ihm gesellen und die Unterhaltung aufnehmen, die ich zwischen uns für die einzig richtige gehalten hätte. Mit einiger Mühe entzog ich mich seiner Anziehung und plauderte mit den Freunden.

Ich wusste aber in jeder Sekunde, wo er ging und stand, registrierte sein Bäuchlein, das schütter werdende Haar und wie er einem Journalisten elegant formulierte Statements ins Mikro sprach. Ich sah auch seine müden Momente. Bevor er aufbrach, kam er zu mir und verabschiedete sich, herzlich und mit routinierter Höflichkeit. Ich wünschte ihm in demselben Ton einen schönen Tag. Genauso gut hätte ich ihn küssen können. Dann war er weg.

Es tut mir keine Sekunde leid, ihm begegnet zu sein.

Nur ein Mal sprach ich noch von der Begegnung, auf der Rückfahrt mit den Freunden. Von ihnen erfuhr ich, dass er seit Jahrzehnten verheiratet ist. "Alles klar", sagte ich mit einem Lächeln. "Ich denke nicht mehr dran. Ich freue mich bloß ein bisschen." Ich freute mich über meine absurde Gewissheit, dass ich diesen Mann auf der Stelle geheiratet hätte. Ich gebe zu, dass noch zwei Tage lang wehmütige Gefühle durch mein Herz wankten. Aber ich bin alt genug, um nicht mehr haben zu müssen, was sich nicht von selbst ergibt. Aus Erfahrung weiß ich, dass ein Gefühl, das man nicht nährt, schneller verdunstet. Ich suchte also nicht im Internet nach Fotos von ihm, schürfte nicht tiefer in meinem Herzen. Bloß nichts aufrühren, meine ausgelatschten Single-Schuhe passten ja wunderbar. Bald war ich wieder die Alte, mit den erprobten Frühstücksritualen, Freunden und Alltagsproblemen, und wenn ich ins Bett ging, fehlte mir kein Mann neben mir. Ich wäre besser nicht mitgefahren, als meine Freunde mich kurz darauf zu einer Ausstellungseröffnung einluden. Als ich aber erfuhr, dass dieser Mann sie moderieren würde, übernahm eine 15-Jährige in mir die Regie und sagte an meiner Stelle freudig zu. Sie wollte unbedingt ihren neuen Schwarm wiedersehen.

Der betrat am Abend die Galerie, sah mich unter den Gästen und steuerte sofort auf mich zu. Wie es geschehen konnte, dass ich ihn auf den Hals küsste und er meine Hand hielt, weiß ich nicht. Für mich war es die natürliche Art, einen Menschen zu begrüßen, der einem sehr nahesteht. In Bühnenlautstärke, als spräche er zu allen, erinnerte er an unser nettes Zusammentreffen neulich. Die weitere Kommunikation, die die Sache so beglückend schwerwiegend machte, lief auf anderen Ebenen ab, wortlos. Meine Hand ließ er erst los, als eine Dame zu uns trat. Den Rest des Abends musste er arbeiten, und nach dem Umtrunk sah ich ihn verschwinden. Diesmal war ich sicher, wir würden uns nie wiedertreffen. "Ich bin überhaupt nicht traurig", sagte ich im Auto forsch zu meinen Freunden. "Es tut mir keine Sekunde leid, ihm begegnet zu sein. Und er kann sich ja nicht wegen drei Sekunden Smalltalks von seiner Frau trennen."

Ich dachte schon, verliebt im Alter geht nicht mehr

Nur noch sehr selten stelle ich mir vor, wie anders mein Leben mit einem Mann sein könnte. Neid auf Paare bringt ja nicht weiter. Eine Handvoll kenne ich, die sich erst spät gefunden und die Reife haben, ihre Liebe über jede kleine Nickeligkeit zu stellen. Ich weiß nicht mal, ob ich diese Reife besitze. Ich weiß nur, dass ich beste Absichten hätte. Doch weil das allein nichts nützt, beschäftige ich mich damit nicht weiter. Dass dieser Mann mir eine Woche später eine Mail schrieb und ein witziges Foto mitschickte, hatte ich nicht erwartet. Ich konnte den ganzen Tag nicht aufhören zu lächeln und den nächsten auch nicht. Ich möchte bei ihm sein, dachte ich, sofort.

Natürlich habe ich ihm zurückgeschrieben, ziemlich frech, doch ohne eine Flanke aufzudecken. Ich dankte für den Gruß, grüßte zurück und wünschte alles Gute. Seine Antwort am folgenden Abend war kurz und sehr nett und hätte abschließend sein können, ein letztes Zuzwinkern, bevor uns das Leben wieder auseinandertrieb. Aber er stellte mir eine belanglose Frage. Er musste wissen, welches Signal er damit setzte, weil jede Frage eine Antwort nach sich zieht.

Mein sexuelles Wesen meldet sich mit Macht zurück.

Wer hätte gedacht, dass sich eine abgeklärte Frau mittleren Alters angesichts einer banalen Frage von einem Augenblick zum anderen in ein nervöses, blödes, verliebtes Bündel verwandeln kann? Mit Macht bahnt sich ein Verlangen seinen Weg, das ich in mir für abgestorben gehalten hatte. Es raubt mir die Atemluft und lässt mich glücklich ersticken. Ziemlich lange habe ich nicht mehr dämlich grinsend Musik gehört, aber jetzt kann ich mich auf nichts anderes konzentrieren. Habe ich nicht immer schon gewusst, dass meine Lebensgeschichte von einer großen Liebe gekrönt wird? Ich sehe dauernd seine schönen Augen über mir. Auf die Feuerwerke in meinem Innern habe ich keinen Einfluss. Meine Hände wollen streichelnd seinen Körper erfassen, ich möchte absurde Witze mit ihm machen. Nur der Umstand, dass es mitten in der Nacht ist, hält mich davon ab, sein Büro zu stürmen. Wie kriege ich diesen Wahnsinn bloß wieder eingezäunt?

Wo waren die Gefühle die ganze Zeit?

In meiner Antwortmail - wir sind immer noch per Sie - versuchte ich ihn spüren zu lassen, wer ich bin. Kein Spielzeug jedenfalls, keine Frau für eine Affäre, keine potenzielle Geliebte. Von meiner Sehnsucht schrieb ich nichts. Ich habe keine Ahnung, ob er sich je wieder bei mir meldet. Er ist ein kluger Mann, und es ist ernst. Er müsste eine wahnwitzige Entscheidung treffen. Mein letztes bisschen Verstand sagt mir, dass er das nicht tun wird.

Und trotzdem rufe ich stündlich meine E-Mails ab. In meinem Innern dreht ein klingelnder Glücksspielautomat durch. Mein sexuelles Wesen meldet sich mit aller Macht zurück. Denkt er an mich? Wie wäre es, ihm in die Augen zu schauen, ohne dass jemand in der Nähe ist? Ein Ozean aus Wärme schwappt über alle meine Sehnen und Knochen. Ich kann mir nicht erklären, wo in aller Welt ich diese erschütternden, glücklichen, butterweichen Gefühle so lange verborgen hatte. Ich werde sie zurückdrängen müssen. Aber es tut mir nicht leid, nicht einmal weh. Meinen Freundinnen versichere ich, dass ich in wenigen Tagen ganz bestimmt wieder die Alte bin.

Protokoll: Gabriele Bärtels

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