Anzeige

Jüngere Männer: Wo die Liebe hinfällt

"Jüngere Männer haben einen hohen Testosteronspiegel. Aber können sie das auch buchstabieren?" Wieso wir uns jetzt in Männer verlieben, die früher nicht infrage gekommen wären.

"Meine Güte, bitte nicht", dachte Marianne Hellwege*, als sie die weiße Rose in seinem knallroten Jackett, sein wildes schulterlanges Kraushaar, das schrottreife Auto sah, an dem ihre Kontaktanzeigenbekanntschaft lehnte, "der Mann ist ja eine einzige Peinlichkeit. Bloß weg hier!" Doch es war zu spät, er hatte sie erkannt und ging strahlend auf sie zu. "Sein Händedruck war angenehm fest", erinnert sich Marianne Hellwege, "auch seine Augen gefielen mir: Es waren braune Augen mit goldenen Sprengseln drin, und man sah ihnen an, dass er ein Mann mit viel Humor und Erfahrung war. Wir verbrachten einen lustigen Abend, und sein Kuss zum Abschied fühlte sich so gut und richtig an, dass ich über das orangefarbene gestopfte Loch an seinem Jackettärmel und die nackte Frau, die auf seinem Unterarm tätowiert war, großzügig hinwegsah. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich mich in so einen Mann verlieben könnte."

Verliebt in jüngere Männer

So fing sie an, die ungewöhnliche Beziehung zwischen dem 35-jährigen Friedhofsgärtner Wolfgang Blum* und der 16 Jahre älteren, männermäßig bis dahin sehr anspruchsvollen Chemielaborantin Marianne Hellwege. "Eigentlich gegen meinen Willen, denn eigentlich war mir Wolfgang peinlich. Er ist viel zu jung, sieht nicht besonders gut aus und hat wenig Geld. Außerdem hat er diesen breiten Hamburger Slang, den ich ein bisschen primitiv finde. Aber er strahlt so viel Witz und Lebensfreude aus, dass ich mich beim ersten Date mit ihm wohler gefühlt habe als in den letzten Jahren mit meinem Mann." Von ihm, einem gebildeten, gut aussehenden Notar, hatte sie sich getrennt, weil er sie so lieblos behandelt hatte, dass ihr Selbstwertgefühl zum Schluss "in einen Fingerhut" passte.

Als er ausgerechnet am Tag der Silberhochzeit zu einem Mandanten fliegen musste, reichte sie die Scheidung ein, auf die er beleidigend schnell, aber finanziell großzügig einging. In den ersten Wochen danach fühlte sie sich deshalb wie am Anfang einer schönen neuen Freiheit, doch dann war das Loch, in das sie fiel, größer und dunkler, als sie dachte. Natürlich war sie durch ihre Single-Freundinnen vorgewarnt, aber sie hatte nicht geahnt, wie sehr es sie dennoch kränken würde, dass sie für gleichaltrige und ältere Männer wie Luft schien. "Wie ein wandelndes abgelaufenes Verfallsdatum", sagt Marianne, "bis ich Wolfgang kennen lernte, einen jüngeren Mann, der mich, Ironie des Schicksals, sexy und begehrenswert findet. Wir passen wunderbar zusammen, obwohl er überhaupt nicht zu mir passt."

Mit zunehmendem Alter nehmen die erotischen Optionen ab. Männer werden knapp, zumindest die, die von Eltern, Freunden und Kollegen wohlgefällig als passend abgenickt werden. Bis Mitte dreißig, vierzig suchen wir, einer anthropologischen Prägung folgend, meistens Partner, die älter, klüger, größer und reicher sind als wir. Männer, die sich als Versorger eignen, für den Nestbau und zur Aufzucht der gemeinsamen Brut. Wir heiraten, weil alle aus der Clique heiraten, wir geraten in Brutzwang, wenn die ersten Babys purzeln. Doch wenn man älter wird, sagt BRIGITTE WOMAN-Psychologe Oskar Holzberg, wechselt man von "fremdbestimmter zu selbstbestimmter Anerkennung und kann dann auch gesellschaftlich 'Unpassenderes' annehmen". Es ist die Zeit für Männer, denen wir früher keinen zweiten Blick gegönnt hätten. Weil ihr Bildungsstand, ihr Gehaltskonto und ihr Geburtsdatum mit unseren bisherigen Vorstellungen von "passend" - oder "kompatibel", wie es im IT-Zeitalter heißt - nicht übereinstimmen. Männer, die jetzt auf einmal die einzig richtigen sind.

*Namen von der Redaktion geändert

"Es war verdammt schwer, Wolfgang in mein Leben zu integrieren", erinnert sich Marianne, "mein gesamtes Umfeld ist in eine kollektive Ohnmacht gefallen. Es fielen Worte wie: zweite Wahl, unter Wert, wo die Liebe hinfällt. Es war nicht leicht, plötzlich begafft und betuschelt zu werden. Wahrscheinlich war auch eine Prise Neid dabei. Mit Wolfgang in der Öffentlichkeit aufzutreten war wie ein Sprung vom Fünfmeterbrett. Angst, bevor man springt, Rausch und Stolz, wenn man es geschafft hat. Ich habe meine Werte überprüft und mich gefragt: Was ist wirklich wichtig? Dass andere mich gut finden oder dass ich mich gut fühle? Und mit Wolfgang fühle ich mich einfach gut."

Jüngere Männer gibt es nicht umsonst

Spätes Glück im Leben und in der Liebe gibt es nicht umsonst. Wer es bequem haben möchte, wer Angst vor Veränderungen oder davor hat, verlassen zu werden, findet es nicht. Die 52-jährige Krankenschwester Cornelia Busch* hat dieses Glück vor fünf Jahren gefunden, obwohl fast alle ihr davon abrieten. Sie war seit 21 Jahren mit einem freundlichen Mann verheiratet, der gut verdiente und mit dem sie ein Leben ohne Höhen und Tiefen, aber auch ohne Katastrophen führte. Ihre Kinder waren aus dem Gröbsten heraus, ihr Mann stand kurz vor der Frühpensionierung. "Mein Leben fühlte sich immer enger, immer kleiner an", sagt Conny, "ich brauchte neue Aufgaben, neue Horizonte. Anders ausgedrückt: Ich war nur noch unglücklich." War es Zufall oder Schicksal, dass sie beim eher beiläufigen Surfen im Internet den gleichaltrigen Flugzeugausrüster Achim Först* kennen lernte, sich ein Jahr später von ihrer Familie trennte und zu Achim zog? "Ich war einfach reif für ein neues Leben, ich musste weg", beschreibt Cornelia Busch die schwierigste Entscheidung ihres Lebens, die für Aufruhr und Chaos in ihrer Familie sorgte. Eltern und Geschwister waren entsetzt, ein Jahr lang herrschte absolute Funkstille. "Meine neue Partnerwahl stieß auf wenig Verständnis", sagt Conny, "ich war eine gut versorgte Gattin, die sich um Geld keine Sorgen machen musste. Jetzt arbeite ich wieder voll als Krankenschwester und weiß, dass meine Rente ein Witz sein wird. Achim ist kein Traumprinz. Mein Ex sah besser aus und hat mehr verdient als er. Auf viele wirkte Achim wie eine Verschlechterung. Doch Äußerlichkeiten können trügen, denn mit Achim ist mein Leben wieder spannend geworden. Mit 18 hab ich meinen Motorradführerschein gemacht, Achim hat seinen jetzt auch, bei jedem Wind und Wetter fahren wir beide durch die Landschaft. Wir kochen zusammen, der Haushalt geht fifty-fifty, wir sind richtig gute Partner."

Wer den Absprung in ein Leben mit neuen Regeln wagt, muss alles hinterfragen, was ihm früher in der Partnerwahl so wichtig war. Aussehen? Unwichtig, wir werden alle nicht schöner. Ist Bildung eine heilige Kuh? Vielleicht ist Herzensbildung viel wichtiger. "Ich hatte mal einen Lover, der hat vor seiner Ausbildung zum Heilpraktiker auf dem Bau gearbeitet", erzählt die 41-jährige Sozialarbeiterin Silke Pastorius*. "Und dass er Fremdwort- und Dativprobleme hatte und sich meinetwegen ein Fremdwörterlexikon anschaffte, fand ich süß." Nach dem Sex konnte Silke sich einen peinlichen Gedanken nicht verkneifen: Der Mann hat einen hohen Testosteronspiegel - aber kann er das auch buchstabieren? "Auf einer Kollegenparty sagte er fröhlich: 'Die Silke wohnt jetzt unterm Dach in der siebten Etagere.' Alle guckten betreten, und ich starb einen kleinen Tod. Aber dann legte er den Arm um mich und zeigte so klar, dass er verliebt war, so selbstbewusst, dass die anderen Ehemänner wie Stoffel wirkten. Falsches Fremdwort, aber echte Liebe, dachte ich und war total gerührt." Dass die Beziehung nicht hielt, lag daran, dass sie ihm nicht nach Neuseeland folgte, wo er eine Praxis aufmachen wollte.

Warum ist es oft so schwierig für uns, wenn unser Partner weniger Status, weniger Bildung und weniger Geld hat? Wenn unser Geld für zwei reicht, warum es nicht teilen mit dem Mann, den wir lieben?

"Es war anfangs ein Riesenproblem für mich, bei jedem Lokalbesuch zur Rechnung zu greifen", sagt die 49-jährige Hotelkauffrau Angela Wiechers*, die seit acht Jahren mit dem elf Jahre jüngeren, oft arbeitslosen Eventmanager Patrick Kretschmer* zusammenlebt, "ich fühlte mich wie eine Frau, die einen Callboy aushält, weil ich bis dahin nur mit Männern liiert war, die deutlich mehr verdient haben als ich. Automatisch habe ich Versorgt- mit Geliebtwerden gleichgesetzt. Bis mir klar wurde, dass diese Regeln nicht mehr in mein Leben passen. Ich bin stark genug, um mich nicht ausnutzen zu lassen und um nicht mehr versorgt werden zu müssen." Es ist nicht leicht, die alten Muster zu löschen. Sie haben sich jahrzehntelang eingebrannt. Sie sind hartnäckig. Klar, wir sind emanzipiert, wir verdienen unser eigenes Geld, wir reisen zum Mond und wechseln unsere Autoreifen ohne männliche Hilfe, aber privat, als Frau, sind viele von uns noch immer gern das Weibchen, sehnen uns nach dem starken Kerl mit der breiten Schulter, der uns das erlegte Bärenfell zu Füßen legt. Bei so einem Mann bleiben wir oft viel zu lange im "Ja, aber" stecken, auch wenn unser Bauch uns längst ein "Nichts wie weg hier" signalisiert. Wir sind nun mal Gewohnheitstierchen, Unbekanntes macht uns Angst.

Wenn eine Frau bewusst und mutig auf diese Muster verzichtet, vollzieht sie einen längst überfälligen emanzipatorischen Akt, sie zieht gleich mit den Männern, indem sie, genau wie diese, einen schwächeren/jüngeren/ärmeren Gefährten wählt, der keine Versorgungsansprüche erfüllen muss.

"Es hat Monate gedauert, bis ich keine Probleme mehr mit den erstaunten Blicken hatte, die uns jedes Mal trafen, wenn ich Patrick irgendwo vorstellte", gibt Angela Wiechers zu, "ja, er sieht jünger aus als ich, und optisch ist er Typ Späthippie, während ich mich gern elegant kleide. Er wird nie viel verdienen, sein Auto ist eine einzige Schrottbeule, bis 30 hat er in einer WG gewohnt. Aber er kocht gut, wir lachen viel, und ich habe unglaublichen Spaß im Bett mit ihm. Ich leiste mir einfach meinen ganz persönlichen Tabubruch."

*Namen von der Redaktion geändert

"Wenn wir älter werden, wissen wir, was wir brauchen, was wir können, und wir gönnen uns, was uns vorher fehlte", sagt Paar-Psychologe Oskar Holzberg. Wir sind gleichzeitig kompromissfähiger und kompromissunwilliger. Unser Partner muss deswegen nicht mehr alles sein, weil wir selbst schon so vieles sind. Auf jeden Fall so viel, um keine Kompromisse mehr zu leben, die sich lau und schal anfühlen.

Kürzlich war Angela mit Patrick auf einer Hochzeit. Ihr Ex-Mann, ein erfolgreicher Unternehmensberater, der sie vor zwölf Jahren - ganz das Klischee - wegen einer Jüngeren verlassen hatte, heiratete eine noch Jüngere. Da die Vorbeziehung nicht selten die nachfolgende Partnerwahl bestimmt, war es vielleicht zwangsläufig, dass bei Angela Wiechers auf einen erfolgreichen, treulosen Mann ein weniger erfolgreicher, aber zuverlässiger Mann folgte. "Es geschieht eine Abwendung von dem, was früher weh getan hat", sagt Psychologe Oskar Holzberg. Und manchmal gibt es eine späte, zuckersüße Rache.

"Mein Ex wusste nichts von Patrick, er hielt mich für einen frustrierten Single, es war deshalb ein diebisches Vergnügen für mich, ihm meinen neuen jungen Liebhaber vorzustellen. Und ihm später ein 'Gleiches Recht für alle, mein Lieber' ins Ohr zu flüstern. Hat einfach Spaß gemacht." Angela Wiechers denkt richtig gern an diese Situation zurück.

Wenn Frauen sich wirklich gleichberechtigt fühlen, dann kann die Liebe grenzenlos sein. Raus aus alten Abhängigkeiten! Weg von lästigen Rollenzuschreibungen! Den Rest unseres Lebens bestimmen wir selbst. Wir finden Glück in der Reduzierung von Glückserwartung, denn die Eier legende Wollmilchsau, den Mann, der alles hat, haben nur die wenigsten von uns gefunden. Und wenn, hat er viele von uns kurz nach der Petersilienhochzeit mit einer Jüngeren betrogen. Worauf also warten wir?

Man ist nicht auf der Welt, um eine aufgeräumte Wohnung zu hinterlassen, hat Elke Heidenreich einmal geschrieben. Sondern, um so glücklich wie möglich zu sein. "Denn nichts ist von Dauer", sagt Conny Busch, "die Liebe nicht, die Ehe nicht und vor allem das Leben nicht."

Text: Evelyn Holst Foto: Fotolia

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel