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Sex im Alter: Jetzt weiß ich, was ich will

Jenseits der 40 weiß man, was man will. Und nicht mehr will. Das gilt auch für die Liebe und den Sex im Alter. Das macht das Leben mal schwierig, mal einsam, aber auch glücklicher.
»Ich wünsche mir, die Sinnlichkeit des Alters zu erleben « Astrid Schulz, 49
»Ich wünsche mir, die Sinnlichkeit des Alters zu erleben « Astrid Schulz, 49
© Antonia Gern

Ich kann nichts machen gegen die Dellen an meinem Po", sagt Astrid Schulz, 49. Die Norddeutsche, die in London lebt und als Kostümbildnerin an der National English Opera arbeitet, schaut seit Kurzem kritisch auf ihren Körper. "Das begann, als ich auf einer Party einem gut aussehenden jüngeren Mann vorgestellt wurde, der einfach durch mich durchschaute. Als wäre ich Luft. Das war bitter."

Die attraktive Blondine war zuvor drei Jahre lang mit einem 20 Jahre jüngeren Wissenschaftler aus der Krebsforschung zusammen gewesen. Er konnte mit Frauen in seinem Alter nichts anfangen. "Sie seien alle langweilig, man könne mit ihnen keine Gespräche führen, sagte er immer wieder. Das war es, was uns zusammenhielt - unsere tiefen Gespräche und der gute Sex. Er war ja erst 25, als das mit uns anfing. Wir waren sehr verliebt."

Die Beziehung ging auseinander, weil die Familie ihres Freundes indischer Abstammung Enkel wollte. "Ich konnte keine Kinder mehr bekommen", sagt Astrid Schulz. "Ich habe um ihn gekämpft. Aber er ging, und ich blieb zurück mit meinem erschlafften Körper und meiner Müdigkeit, weil es keine anregenden Gespräche und keinen tollen Sex mehr gab."

Seither stellt Astrid alles auf den Prüfstand. Jüngst suchte sie zur Ausstattung einer modernen Oper für 15 Darsteller in der Londoner Innenstadt modische Kleidung. Die Klamotten schleppte sie selbst in großen Tüten zur Probe. "Da kam ich an meine Grenzen, ich habe nicht mehr die Energie der Jugend. Zum ersten Mal empfand ich Gebrechlichkeit, meine Knie taten fürchterlich weh." Trotz des Prestigeerfolgs saß sie abends zu Hause und war "völlig fertig". Das gab ihr zu denken.

"Ich will keinen jüngeren Mann mehr, aber einen, der auf meinem Level ist und mit dem ich meine Interessen teilen kann", erklärt Astrid Schulz. Und gibt zu: "Ich leide unter Minderwertigkeitskomplexen, seit die 50 näherrücken." Ein Schock ereilte sie, als sie neulich eine schicke Brille suchte und an eine Optikerin geriet, die murmelte, das Schicke sei doch nicht mehr so wichtig, wenn man älter werde. "Das ging mir durch und durch, denn ich sah immer jünger aus. Als ich mit 31 zum Studium nach England ging, war ich unsterblich! Mein erster Mann war neun Jahre jünger, ein anderer drei. Der Altersunterschied war kein großes Thema, da ich sehr aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhabe. Die Männer waren eifersüchtig, einige hatten es schwer damit, dass ich nicht angepasst war. Und im Bett war ich immer anspruchsvoll. Sex ist eine Sprache, und in der will ich mich mit meinen Partnern austauschen. Das hat nicht immer geklappt."

Und jetzt? Astrid seufzt. "Cellulite. Vibrator. Angst vor mangelnder Feuchtigkeit im Vaginalbereich. Gleitcreme. Sexuelle Frustration." Ihre letzte Affäre war ziemlich traurig. "Der Typ hat sofort seine Hände an mich gelegt. Der wollte nur schnell seinen Pimmel in mich reinstecken, weil er seine Erektion nicht lange halten konnte. Aber so geht man doch nicht mit dem Körper einer Frau um! Ich mag diese keusche Phase vor dem Sex: langsam auf den anderen zugehen, sich anschauen, die Erregung steigern.

Ist das jetzt vorbei?" Die Zukunft sieht Astrid nun düsterer, aber sie sei auch wählerischer. "Ich brauche nicht mehr so viel Sex wie vor Jahren. Ich suche nach einem Mann, mit dem ich gute Gespräche führen kann. Alles Weitere wird sich ergeben." Dumm sei nur, dass die Männer ihres Alters unter Druck stünden. "Sagt man nicht: 1000 Schuss, dann ist Schluss!? Ich habe schon einige kennen gelernt, die längst alles verballert haben." Astrids Wunsch: "Weiter Spaß am Leben haben." Ihr innigstes Verlangen: "Ich wünsche mir, die Sinnlichkeit des Alters zu erleben, aber die muss ich erst noch lernen", gesteht sie.

Ich habe stets mit Frauen gelebt

»Als vagabundierender Single gefalle ich mir nicht « Christian Wehse, 57
»Als vagabundierender Single gefalle ich mir nicht « Christian Wehse, 57
© Antonia Gern

Das sieht Christian Wehse, 57, anders. Basisgemütlich, fast stoisch fällt sein Rückblick aus: "Die Jahre vergingen, von Altern keine Spur." Den Pädagogen verschlug es ins Management. Erst eröffnete der gebürtige Bielefelder, der seit 1982 in Berlin lebt, ein Unternehmen mit 40 Köchen, die Gewerbetreibenden mobil Essen lieferten. Nach der Wende baute er die einstige DDR-"Pionierrepublik" am Brandenburger Werbellinsee mit bis zu 350 Mitarbeitern zum modernen Erholungspark um, ein Viele-Millionen-Projekt. Heute leitet Christian Wehse eine Baufirma und ist seit drei Jahrzehnten zum ersten Mal Single.

"Ich habe nie geheiratet, keine Kinder, aber stets mit Frauen gelebt", erzählt er. "Zwölf Jahre mit einer SPD-Bundestagsabgeordneten, bis sie mich mit einer Geliebten erwischte. Dann lange mit einer Ungarin, dazwischen mit anderen Frauen. Nun bin ich zum ersten Mal seit längerer Zeit allein. Dafür bin ich nicht geschaffen, denn ich bin ein Kümmerer. Das hat allen Frauen gefallen." Was er einem weiblichen Wesen an Respekt und Ehrerbietung, an Liebesenergien und Lust geben könnte, verpufft. Als er neulich mit einer sehr viel jüngeren Zeitgenossin anzubändeln suchte, wurde er ausgebootet. "Alles lief gut, wir kamen uns näher. Bis sie plötzlich sagte: Denk doch mal daran, wie alt du bist. Wir sollten das hier nicht vertiefen!"

Das bescherte Christian eine nachgeholte Midlife-Krise. "Ich spiele Tennis, war immer schlank." Nun sieht er auf einmal sein grau gesprenkeltes Lockenhaar im Spiegel, durch einen Reif gehalten, und benutzt eine Antifaltencreme. Dass er "zur Zeit keinen Sex" hat, befremdet ihn. Er fand immer Martin Luthers Regel gut: "In der Woche zwier, macht im Jahre 104, schadet weder dir noch ihr."

Christian hat ein "Institut für Lebensmut" gegründet. Erst mal mit sich als einzigem Mitglied, aber in Zukunft gern mit anderen zusammen. Er träumt vom Leben auf dem Land. "Ich ernähre mich ausgewogen, bewege mich viel und lebe gesund. Ich habe zwei Häuser, etwas Vermögen und bräuchte nicht mehr zu arbeiten. Ich kann mir einen hübschen Bauernhof für den Altenstand leisten. Aber als vagabundierender Single gefalle ich mir nicht. Ich wäre gern wieder mit einer Partnerin stationiert." Warum hat er die Frauen, mit denen er zusammen war, verlassen? "Na ja, sie waren irgendwann nicht mehr die, die ich einmal geliebt hatte." Er legt aber Wert darauf, dass alle, mit denen er einst Tisch und Bett geteilt hat, noch mit ihm befreundet sind.

Wie Lola, Christian Wehses aufregendste Liebe. Eine fünf Jahre ältere Berliner Ärztin, mit der er acht Jahre liiert war. Mit ihr ist er bis heute in ständigem Kontakt, wenn auch nicht in einer Beziehung. "Kein Sex mehr, das ist vorbei." Er trifft sie ein-, zweimal in der Woche, sie besuchen ihr Stammlokal nahe dem Kurfürstendamm, er fährt sie zum Golfplatz, sie begleitet ihn, wenn er Hemden und Hosen braucht. "Wir sind ein eingespieltes Team." Es dürfte an seinem phlegmatischen Temperament liegen, dass es mit der umtriebigen Medizinerin so gut geht. "Bei Lola gibt es keinen Alltag, da geht es jeden Abend auf die Rolle, und am Wochenende ist immer etwas los. Sie kann nicht stillsitzen, ich lass mich mitziehen. Danach muss ich mich über den Schlaf regenerieren."

Das Paradox: Beide verbringen viel Zeit miteinander. "Aber wir leiden unter unserem Alleinsein", so Christian. "Wir verstehen uns gut. Mein Prinzip war immer Offenheit und Ehrlichkeit, und Lola respektiert das. Obwohl sie manchmal doch noch eifersüchtig ist, sobald eine andere Frau ins Spiel kommt." Dabei hat Christian Wehse schon mit seinem "Geronto-Konzept" generös geplant: "Wenn ich mir den Bauernhof zulege, kann Lola mit rausziehen. Ist doch klar!" Gerontologie war einst Teil seiner Ausbildung. Wenn nicht alles ganz anders kommt. Denn Christian Wehse besucht nächtliche Partys, er will "Sex so lange wie der Playboy Rolf Eden, auch wenn pharmazeutisch aufgerüstet werden muss". Mit seinem Äußeren macht er Eindruck, "mein Zahnarzt hat eine goldene Nase an mir verdient". Probleme bereitet ihm allerdings sein zeitweiser Gedächtnisausfall. "Wir waren kürzlich in einem Musical, aber ich erinnere mich weder an Titel noch Inhalt. Das macht mir Angst." Nur bei Lola sei klar, dass sie, egal welche Frau noch seinen Weg kreuze, mit im Refugium Bauernhaus sein wird. "Das werde ich nicht vergessen."

»Was mir eklatant fehlt, ist das natürliche Paarungsverhalten « Emily Albers, 58
»Was mir eklatant fehlt, ist das natürliche Paarungsverhalten « Emily Albers, 58
© Antonia Gern

Die Weinakademikerin Emily Albers, 58, behauptet, mit dem Altern kein Problem zu haben. Nur mit Männern, die nicht mitaltern. Sie lebte lange mit einem Reederei-Fachmann in Hamburg zusammen, bis der sie verließ - wegen einer jüngeren Zypriotin, mit der er inzwischen verheiratet ist. Das kann Emily Albers nicht gut verknusen. Die Tochter von Auswanderern ist in Montevideo, Uruguay, geboren, ein Teil ihrer Familie lebt in Argentinien, und sie fährt jedes Jahr dorthin, "um sich zu spüren. Dort sind Frauen noch weiblich, es gibt eine klare Rollenverteilung, das macht alles einfacher", sagt sie. Und sie hätte längst verkuppelt werden können, will aber nicht wieder in Lateinamerika leben.

1958 kam sie nach Bremen, studierte in Hamburg und führt nun ihre eigene PR-Agentur, auf Weinvermittlung spezialisiert. "Was mir hier eklatant fehlt, ist das natürliche Paarungsverhalten der Leute im Süden. Wenn meine argentinischen Cousinen ein Fest feiern oder zu einem Essen einladen, überlegen sie genau, wen sie dazu bitten, wer neben wem sitzen soll. So habe ich schon manchen interessanten Mann kennen gelernt. Es kann etwas passieren, muss aber nicht. Alles geschieht in entspannter Atmosphäre."

Nur in Deutschland würden die Gelegenheiten geringer, klagt Emily. "Singlefrauen in meinem Alter sind abgeschrieben. In Hamburg gibt es keine Treffen von Menschen, zu denen Paare und Singles geladen werden. Paare bleiben lieber unter sich. Diese Menschen wollen ihren Lebensradius nicht erweitern. Ein Single mit seiner Variationsbreite bringt wohl Runde und Ruhe auseinander."

An ihrem Aussehen könne es nicht liegen, meint Emily Albers, dass sie keinen Anschluss mehr bekommt. "Ich bin sehr körperbewusst, das habe ich von meiner Mutter. Charme hat mit Haltung und Disziplin zu tun." Mit Yoga hält sie sich in Form, als Weinkennerin mit vielen Diplomen trinkt sie nie mehr Wein, als sie verträgt, "und ich habe gute Gene". Dem Fat-Talk von Frauen in ihrem Alter, bei dem die Schenkelstärke verglichen wird, meidet sie, und am Old-Talk nimmt sie nur teil, wenn sie von ihren Freundinnen dazu genötigt wird. "Ich habe keinen Bauch, keine Wülste, kaum Cellulite, und meine Stirnfalte ist kein tiefer Graben", freut sich Emily Albers. Aber: "Ich finde nicht den richtigen Mann!" Sie träumt von einem Gefährten, "der international bewandert ist, Sprachen beherrscht, mit mir reist, gutes Essen und Trinken mag, großzügig ist und jugendlichen Esprit versprüht".

Das ist eine enorme Erwartungshaltung. "Ja, ich weiß", knickt Emily ein. "Aber mein Vater war so, meine Eltern haben so gelebt. Sie sind meine großen Vorbilder." Sie gibt zu, mehr auf jüngere Männer als solche ihres Alters zu schauen. Vier Tage im Monat macht sie Weinverkostungen. "Die Männer im Kontor schauen mich an, flirten, selbst 20 Jahre jüngere. Aber nur auf der Sympathieebene. Es ist wohltuend zu erleben, dass ich nicht ganz abgehakt bin als Frau."

Emilys sexuelle Lust ist ungebrochen, aber sie teilt sie seit Jahren nicht mit einem Mann. "Vielleicht habe ich sie schon zur Gänze ausgekostet, und das war's dann", grübelt sie. Zehn Sekunden später: "Nein, das kann nicht sein!" Den Dating-Portal-Marathon will Emily aber nicht absolvieren. "Warum gibt es für Frauen und Männer wie mich keine Salons, in denen wir uns bei gelassener Stimmung kennen lernen können? Das wäre doch eine tolle Geschäftsidee!" Ihr bleibt nur die Hoffnung, sie nennt sie "sinnvolle Beharrlichkeit".

Interview: Die Berliner Schriftstellerin Iris Hanika, 50, über die Liebe beim Älterwerden

BRIGITTE WOMAN: Was ist der Unterschied bei Erotik und Sex zwischen jungen und älteren Menschen?

Iris Hanika: In der Jugend ist der Trieb brutale Natur, es läuft die Reproduktionsmaschinerie. Später, jenseits der 40, ist es das Kümmern. In der Jugend nur eine Nebenform der Liebe, wird es zur Hauptsache. Nicht nur für Frauen, auch für Männer.

In Ihrem Buch "Tanzen auf Beton"* schreiben Sie, beim Älterwerden verschwinde "der dumpfe, allgemein gerichtete Trieb, es geht jetzt nicht mehr um Sex an sich, sondern um die Verbindung mit einem bestimmten Menschen".

Der Mensch zählt mehr als der Sex. Und wenn kein Sex mehr stattfindet, erinnert man sich manchmal daran, dass es ihn gibt, aber ohne zu verzweifeln. Das ist dann nur so ein vorübergehender Gedanke während des Autofahrens und von derselben Wertigkeit wie der, schon lange keine Pizza mehr gegessen zu haben.

Sie schreiben Sätze in fast biblischer Sprache: "Alles, was man tut, um geliebt zu werden, ist umsonst getan. Indes ist alles, was man aus Liebe tut, wohlgetan und immerdar." Selbsttröstung?

Nein, Altersweisheit.

In Ihrem Buch ist die Einsamkeit der allgegenwärtige Makel beim Älterwerden.

Wir sind alle allein. Man kann bekanntlich auch in einer Ehe grotesk allein sein. Und wenn eine Beziehung zu Ende geht, ist man natürlich erst recht allein, weil der Versuch, es nicht mehr zu sein, gescheitert ist.

Wozu wollen Sie einen Mann?

Weil es nicht gut ist, allein zu sein. Wie die Bibel sagt: "Zwei sind besser als einer allein... Denn wenn sie hinfallen, richtet einer den anderen auf." Das ist lebensnotwendig, darum brauchen wir einen anderen an unserer Seite.

Und wenn es doch nicht klappt?

Man sollte niemals aufgeben. Sobald man beschlossen hat, herauszufinden, was es eigentlich ist, das einen beschwert, also beschlossen hat, die Verantwortung für sich zu übernehmen, geht's einem sofort besser. Das finde ich das eigentliche Wunder.

Iris Hanika: "Tanzen auf Beton" (167 S., 19 Euro, Droschl Verlag)

Text: Roland Mischke Fotos: Antonia Gern BRIGITTE woman 10/13

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