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Sie sagt, sie braucht keinen Mann

Meine Mutter sagt, sie braucht keinen Mann. Sie sagt das schon seit zwanzig Jahren. Dabei könnte es doch so prakitsch sein. Eine Tochter begibt sich auf Partnersuche.

Sie kann alles allein. Lampen anbringen, Trockner reparieren, Mörtelsäcke aus Baumärkten tragen. Wir glauben ihr nicht. Und je älter meine Schwester und ich werden, desto häufiger fürchten wir, ihr könne etwas zustoßen und niemand sei da. Bilder wie in einem Albtraum, die sonst nur Eltern befallen, die sich Sorgen um ihre Kinder machen: meine Mutter, bewusstlos, überfallen, angefahren, ausgeraubt. Wenn wir ihr das sagen, sieht sie uns an, als seien wir reif für die Psychiatrie. Sie ist Krankenschwester, und das Letzte, was sie ertragen kann, ist Mitleid mit ihrer Person. Meine Mutter: 53 Jahre alt, 1,66 groß, dunkelhäutig, strahlendes Lächeln, Gang mit leichtem Hüftschwung, Kunstfan und Kochgenie, seit 20 Jahren von meinem Vater getrennt. Neulich habe ich es nicht mehr ausgehalten und sie bei einer Partnerschaftsagentur im Internet angemeldet. Sie hatte sich, na ja, verhalten darüber gefreut. Sie sagte: "Ach! Ist ja nett" - mit diesem angestrengten Unterton. Aber diesmal war mir das egal.

Manchmal fragen wir uns wirklich, warum wir unserer Mutter nicht glauben, dass sie allein glücklich ist. Warum können wir sie nicht in Frieden Single sein lassen? Warum rennen wir Scheidungskinder ständig mit diesem schlechten Gewissen herum?

Warum ist mir das so wichtig, dass Mutter keinen Mann hat?

Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden. Aber egal, unter welchen Umständen die Eltern sich getrennt haben, in vielen Fällen wünschen sich Scheidungskinder wieder einen Verbündeten für den verlassenen Elternteil. "Dieser Verkupplungswunsch entspringt dem Traum von einer heilen Welt", sagt Dr. Andreas Böhmelt, Psychotherapeut aus Münster. Er geht damit auf das größte Problem ein, das Scheidungskinder haben: Die Welt, in die sie geboren wurden, bekam Risse durch die Trennung, viele Scheidungskinder werden danach so etwas wie Alleskleber für die Sorgen der Eltern. Sie entwickeln ein sehr starkes Verantwortungsgefühl für den einsamen Elternteil und glauben, eine verloren gegangene Harmonie wieder herstellen zu müssen. "Manchmal sind sie Berater in jeder Lebenssituation - gleichzeitig Kind, Partner, Freund", sagt Böhmelt, "das kann sehr belastend sein. Es verschafft ihnen Erleichterung, wenn sie nicht mehr das Gefühl haben, die einzige enge Vertraute von Mutter oder Vater zu sein."

Diese Belastung ist der Hauptantrieb, die Eltern-Lücke zu füllen. Als unsere Mutter noch mit unserem Vater zusammen war, haben wir uns selten Sorgen gemacht. Im Gegenteil: Unser Vater war zuständig für Schürfwunden und verbogene Fahrradlenker. Unsere Mutter für zähe Diskussionen mit Nachbarsjungen, die uns danach nie mehr ärgerten. Es fühlte sich gut an, sich hinter ihnen zu verstecken.

Aber irgendwann fing ich an, darauf zu achten, dass meiner Mutter im Gedränge niemand auf die Füße trat. Vorausschauend, als gelte es, eine Schafherde vor Kojoten zu beschützen. Manchmal merke ich kaum, wenn ich wieder den nicht vorhandenen Partner oder ihre verstorbene Mutter gespielt habe. Der Impuls, einen Partner an ihre Seite zu organisieren, einen Schutzwall, ist jedenfalls viel stärker als für die Single- Freundin. Wie viele Scheidungskinder in Deutschland sich einen Mann für ihre Mutter wünschen, ist statistisch noch nicht erfasst. Aber ich bin nicht die Einzige. Eine meiner Freundinnen hat ihrer Mutter eine Katze geschenkt, weil sie dachte, sie sei sonst zu einsam.

Suche am Computer

Meine Mutter lebt in Hamburg, ich in Berlin. Und da sie keinen Computer besitzt, beantwortete sie mir die Psycho- und Bildertestfragen der Partnerschafts- Internetagentur am Telefon: "Sind Sie ein Morgenmuffel?"; "Wie gehen Sie mit Liebeskummer um?"; "Kreis oder Viereck, was finden Sie besser?"

Jeden Abend beschreibe ich ihr die Kandidaten, die sich auf ihre Anzeige melden: "Bauch, als hätte er eine Melone verschluckt" - "Schnauzer wie der Schlachter, bei dem du einkaufst" - "Nase wie dein Steuerberater".

Manchmal stehe ich nachts auf und checke ihre Mails, nur um zu sehen, ob wieder jemand abgesagt hat. Ich bin wütend auf Absager. Absagen lese ich ihr nie vor. Ich bin dann persönlich gekränkt. Aus welchem Grund er kein Interesse habe, habe ich "Bärchen" neulich zurückgemailt, ohne meine Mutter vorher zu fragen. Natürlich kam keine Antwort. Vielleicht ist meine Mutter einfach eine dieser Frauen, die partout keinen Typen haben wollen. 26 Prozent aller Frauen und 18 Prozent aller Männer in Deutschland leben heute ohne Partner. Das sind 8,6 Millionen alleinstehende und 2,2 Millionen alleinerziehende Frauen. Meine Mutter ist also nicht einmal eine große, merkwürdige oder eremitenhafte Ausnahme.

Vor acht Jahren hatten meine Schwester und ich wirklich einen Grund, uns nach einem Mann an ihrer Seite zu sehnen. Damals lag unsere Mutter eine Zeit lang im Krankenhaus. Wir machten uns Vorwürfe, dass nur wir, ein paar Verwandte und Freunde mit unseren Blumen an ihrem Bett standen. Niemand, der immer und ununterbrochen für sie da war, dem sie vertraute.

Vielleicht fing es damals an, dass wir glaubten, es sei endlich an der Zeit, dass jemand auf sie aufpasse. Für sie war es wichtig, dass wir nicht mit Hundeblick an ihrer Bettkante saßen, also taten wir so, als hätten wir alles im Griff. Die Rollen wechselten. Natürlich wäre es dann leichter gewesen, wenn jemand gesagt hätte: "Ist alles nicht so schlimm, eure Mama ist zäh!"

Plötzlich erinnerte sie sich an das Gefühl.

Von Jahr zu Jahr denken wir immer öfter an ihre Altersversorgung. Was für eine Horror-Vorstellung, sie irgendwann im Pflegeheim zu besuchen, wo sie vereinsamt und schlecht versorgt dahinsiecht. Und das nur, weil wir sie nicht selbst pflegen könnten, dadurch, dass wir in anderen Städten leben oder beruflich oft unterwegs sind.

Ein paar Wochen nach ihrer Entlassung schalteten meine Schwester und ich eine Kontaktanzeige im Stadtmagazin. Wir baten sie, wenigstens auf zwei Briefe zu reagieren. Rechneten aber nicht damit, dass sie darauf eingehen würde. Und dann überraschte sie uns. Es war Sommer, und ihr waren bei einem Spaziergang Pärchen begegnet, die den Wanderweg entlangschlenderten. Sie sah, wie sie sich eingehakt unterhielten. Und dann war es, als erinnere sie sich an etwas. Sie dachte daran, wie schön es wäre, jemanden zu haben. Jemanden, mit dem sie Kacheln fürs Bad aussuchen könnte, der ihr den Sack Blumenerde in den Kofferraum tragen würde. Als wir ihr damals von der Anzeige erzählten, muss sie gerade von diesem Spaziergang zurückgekommen sein. Denn sie sagte: "Ist gut."

Sie traf einen gut aussehenden Architekten. Er lud sie ein in ein nobles Restaurant, und sie sprachen über Kunst und Musik. Alles war angenehm. Bis er ihr tief in die Augen sah und aufzählte, welche Sexpraktiken er so mögen würde: knebeln, auspeitschen, anketten. Unsere Mutter stand auf, verabschiedete sich höflich und ging. "Psychopath", sagte sie und legte seinen Brief zu den Nieten. Das nächste Date war nicht besser. Ein Mann, der auf dem Foto dichtes, dunkles Haar hatte, erschien grauhaarig mit Halbglatze. Besonders befreiend fand er es, in den Wald zu gehen, um zu schreien. Wir beließen es also bei diesem ersten Versuch, unsere Mutter unter die Haube zu bringen. Sie war ohnehin schon genervt.

Trendforscher haben für die Lust am Single-Dasein eine einleuchtende Erklärung: Frauen können heute einfach zwischen sehr vielen Lebensstilen wählen. Vor allem Frauen, die gut ausgebildet sind, haben mehr Ansprüche an ihr Leben entwickelt. Ihr Mann sollte nicht nur romantisch und häuslich, sondern auch berufl ich mindestens auf ihrem Niveau arbeiten. Ältere Frauen, die keine oder schon erwachsene Kinder haben, sind nach einer Scheidung heute kein Opfer ihrer Lage mehr. Dafür ist das Freizeitangebot zu groß. Single- Reisen und Partnerbörsen können sie außerdem noch nutzen. Dinge, die meine Mutter wirklich glücklich machen, sind: Balkonpflanzen, ein Glas Grauburgunder, ihre DVD-Biografiensammlung, Porzellan, meine Schwester und ich. Das Problem ist: Frauen wie sie müssen sich nicht binden.

Soll ich aufgeben, einen Mann für meine Mutter zu suchen?

Uns hilft das aber nicht weiter. Für uns war dieser erste Kuppel-Fehlversuch ein harter Rückschlag. Die Sehnsucht nach der gefüllten Lücke blieb. Ein paar Jahre vergingen. Bis wir von der Partnerschaftsvermittlung im Internet erfuhren. Und unsere Mutter - tatsächlich - noch einmal auf einen Deal mit uns einging. Am Telefon hört sie nun geduldig zu, wenn ich ihr vorlese: "Diplomingenieur, 59, 3 Kinder, Trekkingund Ruderfan." - "Kann nicht still sitzen." - "Lehrer, 60, 1 Kind, Wandern, Jodeln." - "Durchgeknallt." - "Architekt, 55, Segeln, Reisen, Literatur." Schweigen. "Mama!", sage ich, "Er sieht nett aus!" Schweigen. "1,79 m, Gesicht und Strubbelkopf wie dieser Sänger, den du so magst - Art Garfunkel!" -"Ach Mäuschen, das war doch einmal."

Also ist wieder keiner da, der sie interessiert. Wieder keiner, der sie glücklich macht. Ich bin plötzlich sehr müde. Das Experiment, meine Mutter an den Mann zu bringen, scheitert langsam. Eigentlich müsste ich es jetzt lassen. Wenn es da nicht diese Heile-Welt-Sehnsucht in mir gäbe, die offenbar in fast jedem Scheidungskind steckt. Ich muss einfach weitermachen, es geht nicht anders. Vielleicht sollte ich es doch wieder mit einer altmodischen Kontaktanzeige versuchen. Ich glaube, wenn ich diesmal eine schreiben würde, dann würde ich so anfangen: Meine Mutter sagt, sie brauche keinen Mann . . .

Text: Andin TegenFoto: Getty Images

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