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"Ihr sollt Liebe säen"

"Oase des Friedens" heißt das Dorf, in dem die Jüdin Evi und der Palästinenser Eyas mit ihren drei Töchtern leben - der vielleicht der einzige Ort in Israel für sie.

Das Wunder geschah vor ein paar Wochen auf einem mickrigen Stück Wiese. Mitten in einem Dorf im Landesinneren, zwischen Tel Aviv und Hebron, Jerusalem und Gaza. Eyas Shbeta bückt sich, klaubt einen Korken aus dem Gras. "Tzuba", eine israelische Weinmarke eines Kibbuz ganz aus der Nähe. Er legt ihn seiner Frau Evi Guggenheim-Shbeta in die Hand, grinst. Es ist bloß ein normaler Korken und trotzdem ein Beweis. Dafür, dass die Liebe von Evi und Eyas geschafft hat, was Politiker seit gut 60 Jahren mehr oder minder engagiert versuchen. Dafür, dass Evi und Eyas Israelis und Palästinenser an einen Tisch bekommen haben, zumindest einige: den Bruder von Evi etwa, der als jüdischer Siedler im Westjordanland lebt, und Eyas' Eltern, deren Dörfer 1948 von jüdischen Truppen zerstört worden waren. Gemeinsam haben sie die Bat-Mizwa von Evi und Eyas' jüngster Tochter gefeiert, haben zusammen geredet und gelacht, gegessen und getrunken. Juden und Muslime, Kippa und Schleier, das erste Mal alle zusammen, seit Evi und Eyas verheiratet sind.

Eine Jüdin und ein Palästinenser? Eine schwierige Verbindung.

Sie leben in Neve Shalom/Wahat al-Salam. Ein Dorf mit zwei Namen, Hebräisch und Arabisch, und einer Bedeutung: "Oase des Friedens". Der Dominikanermönch Bruno Hussar hatte es 1972 auf einem ehemaligen Klostergelände gegründet. "Dort, wo keine Liebe ist", sagte Bruno Hussar, "sollt ihr Liebe säen." Palästinenser und Juden friedlich zusammen. Ein Ort wie geschaffen für Evi und Eyas und vielleicht der einzige Platz in Israel, wo das Paar seine Liebe leben kann.

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Evi Guggenheim-Shbeta, 54, ist Schweizer Jüdin. Eyas Shbeta, 52, ist Palästinenser aus Taibe. Sie eine emanzipierte Psychotherapeutin, mit Birkenstock und schickem Hosenanzug, mit vielen Lachfalten, die von einem guten Leben zeugen; immer geradeheraus und trotzdem nie verletzend. Er ein politischer Brummbär, der das Dorf managt, lakonisch, wachsam und stets darauf bedacht, die palästinensische Perspektive zu betonen. Mit Brillenband über bunt kariertem Hemd. Kurz nachdem die erste Intifada 1987 ausbricht und Palästinenser und Israelis gegeneinander in Stellung bringt, verloben sie sich. Seit 20 Jahren sind sie verheiratet. Eyas' Mutter glaubte, ihr Sohn habe den Verstand verloren, warf ihm vor, Schande über die Familie zu bringen. Und als die beiden schließlich heiraten, enterbt Evis Vater seine Tochter, nennt ihre Ehe widernatürlich.

Es gab viele Vorbehalte, auch eigene. Als sie etwa das erste Mal zusammen in Jerusalem ins Kino gehen, achtet Evi darauf, auf der Straße stets mehrere Schritte hinter Eyas zu bleiben, bittet ihn darum, nicht mit ihr zu sprechen, nicht einmal im dunklen Kinosaal. "Ich wusste, dass er sich schrecklich gedemütigt fühlen muss, aber ich war noch nicht bereit", sagt Evi. Mitten in einem jüdischen Viertel, zusammen mit einem Araber - das wollte sie nicht. "Heute sind wir ein ganz normales Paar."

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Evi zieht ihr Kinn hoch. Sie sieht aufmüpfig aus. Sie wünscht sich immer noch, dass ihre Ehe ein wenig an Selbstverständlichkeit gewinnt, alltäglich wird. Dreimal die Woche gehen sie gemeinsam walken. Sie spielen Tennis, suchen im Wald Pilze. "Ganz normal." Und sie weiß, dass sie mit Normalität provoziert. Es gibt genug, was dieses ungleiche Paar ungewöhnlich macht. Sie mag Hummus, den arabischen Kichererbsenbrei, er Raclette, mit Schweizer Käse. Sie hasst nichts mehr als Kaufhäuser, Eyas hat eine riesige Schuhsammlung. "Shoppen gehen wir mit unserem Vater", sagt Tochter Maï, 17. "Er liebt das." Und Eyas ist auch häufig der, der sauber macht. "Er kann das einfach besser." Natürlich ist da auch viel, worüber sie sich nicht einig sind und auch nicht einig werden. Auf welche Partys die Töchter dürfen etwa, ob Arafat schuld war am Erstarken der israelischen Rechten, ob Maï wirklich ein Nokia 6500 Slide braucht, ob sogar Saddam Hussein gute Seiten hatte.

Eyas sitzt auf dem Sofa, die Beine übereinandergeschlagen. Die Rollos sind heruntergelassen, die Klimaanlage brummt. Hebräische, arabische und deutsche Bücher stehen im Regal, durcheinander. Davor bunte Pappmaché- Puppen der Tochter, Fotos, Krimskrams.

"Während des zweiten Golfkriegs haben wir uns ziemlich gestritten", sagt Evi. Eyas legt seine Hand auf ihren Oberschenkel; nicht, um sie zu unterbrechen. Die Hand scheint vielmehr zu sagen: Ich gehöre zu dir, egal wie verschieden wir sind. "Ich fand es unerträglich, dass er mit Saddam Hussein sympathisiert, diesem Ungeheuer, diesem schrecklichen Tyrannen." Eyas verteidigt sich. "Ich habe nicht den Mann unterstützt, sondern das Symbol." Evi schaut Eyas herausfordernd in die Augen. "Aber als die irakischen Scuds auf Israel flogen, sind wir zusammen in den Bunker gerannt, haben uns aneinandergeklammert. Wir haben zusammen Angst gehabt."

Ihre Partnerschaft ist ein Konzept für das ganze Dorf

"Ich bin ich, und er ist er", sagt Evi. "Wir akzeptieren, dass wir unterschiedlich sind." So einfach? Unterschiede schlucken und fertig? Und wenn es doch Streit gibt? "Streit?" Eyas richtet sich ein wenig auf im Sofa. "Ich gehe dann schlafen." Dann schweigt er. Man komme, erklärt Evi, eben nicht immer überein. Aber so weit seien sie ohnehin nicht voneinander entfernt. Keiner von ihnen applaudiert, wenn Gaza bombardiert wird, genauso wenig, wenn sich in Jerusalem ein Selbstmordattentäter in die Luft jagt. Und natürlich nehmen sie auch Rücksicht aufeinander. Etwa beim Unabhängigkeitstag, an dem die Israelis die Gründung ihres Staates feiern. Bei den Palästinensern heißt dieser Tag al-Nakba, Tag der Katastrophe. "Früher bedeutete Jom haAtzmauth für mich: ausgehen, tanzen, trinken. Einfach nur glücklich sein", sagt Evi. "Das kann ich jetzt nicht mehr. Ich kenne Eyas und seine Eltern. Seine Eltern haben beide ihr Dorf, ihre Heimat verloren, beide wurden Flüchtlinge."

Das, was Evi und Eyas in der Partnerschaft leben, ist das Konzept für das ganze Dorf. Juden, Muslime und Christen leben hier gleichberechtigt nebeneinander. 27 israelische und 27 arabische Familien, davon etwa die Hälfte Christen, die andere Muslime. Die Warteliste ist lang. Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schule - überall sind jeweils ein jüdischer und ein arabischer Lehrer. Trotzdem sind Evi und Eyas das einzige gemischte Paar. "Brückenfamilie", nennt Evi das.

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Ihre Liebe ist mit dem Dorf groß geworden. Evi hatte gerade ihr Studium zu Ende gebracht, als sie in Neve Shalom zum ersten Mal auf Eyas trifft. Sie kam nach einem Reitunfall auf Krücken. Damals, vor 29 Jahren, zu der Friedenskonferenz. Er saß mit Vollbart und langem wallendem Haar schon in der Runde. Unwirsch, weil ihm das Friedensdorf zuwider, zu israelisch war. Eigentlich hatte er gar nicht mitkommen wollen, war überredet worden. Es war sehr heiß. Sie stand neben ihm. Er half ihr mit den Krücken. Sie sprachen. Er, schon damals wortkarg; sie fasziniert. Eyas schwitzte. Das Gespräch hakte. Und dann fasste sie Mut, holte Luft und blies ihm ins Gesicht. Frischluft. Ein Moment der Unsicherheit. Dann lächelte er. So ist ihre ganze Beziehung.

Immer wieder wagt der eine etwas, der andere wankt, weiß nicht, ob er mitmachen, was seine Rolle sein soll. Politik ist immer Teil ihres Lebens. Eyas leitet lange die Friedensschule in Neve Shalom, inzwischen ist er Bürgermeister. Evi arbeitet außerhalb in zwei psychiatrischen Kliniken. Als am 13. September 1993 die Osloer Verträge unterzeichnet werden, feiern alle Dorfbewohner ein großes Fest, sieben Jahre später beim Ausbruch der zweiten Intifada schließt aus Trauer die Friedensschule für einen Monat.

Die Ehe zwischen der Jüdin und dem Palästinenser verstehen viele nicht

Ist ihre Beziehung dem Auf und Ab der Politik nicht vollkommen ausgeliefert? Wieder lässt Eyas sich Zeit. "Im Islam heißt es, dass jeder, nachdem er gestorben ist, im Himmel noch mal vor die Wahl gestellt wird: Welche Frau willst du heiraten?" Eyas macht eine kleine Pause. "Ich würde dieselbe Frau noch mal heiraten." Er sagt das, ohne Evi dabei verliebt in die Augen zu schauen. Sie sagt: "Wir haben ja nicht aus Trotz oder Provokation geheiratet. Es ist keine politische Ehe. Es ist ganz einfach Liebe." Etwas, was viele nicht glauben und wahrhaben wollen. "Israelis, die zu Besuch kommen", sagt Evi "sind häufig skeptisch." Die Idee von Neve Shalom geht so sehr gegen das, was sie kennen und leben: Araber und Juden sind doch Feinde und müssen sich bekämpfen.

Evi vergleicht die Dorfgeschichte gern mit der Entwicklung einer Partnerschaft: "In der Anfangszeit nimmt man nur die Gemeinsamkeiten wahr und verdrängt alles, was entzweien könnte, bis man dann die Unterschiede erkennt. Ist die Liebe groß genug, überlebt das Paar, es wächst daran und entfaltet sich." Eyas sagt: "Dass Neve Shalom funktionieren würde, war viel klarer als unsere Beziehung. Zwischen uns war am Anfang nichts klar. Es ging hin und her, rauf und runter."

Inzwischen haben sie drei Töchter, die mehrsprachig aufwachsen. Familiensprache ist Hebräisch, mit Gästen sprechen sie Deutsch oder Englisch, mit ihrem Vater Arabisch, mit ihrer Mutter Schweizerdeutsch. Neben Maï sind da Nadine, 15, und Karin, 12. Keiner der Namen verrät, ob sie Israeli oder Palästinenserin ist. Im Judentum ist derjenige Jude, dessen Mutter jüdisch ist. Im Islam ist der Muslim, dessen Vater Muslim ist. Maï sagt, sie sei beides. "Viele Leute meinen: Das kann nicht sein, du musst dich entscheiden. Aber ich fi nde, ich kann beides leben." Sie zögert. "Ich kann ja eh nicht anders." Sie steht in der Küche, kocht Reis für gefüllte Weinblätter, ein Rezept ihrer arabischen Tante.

Keiner in der Familie ist religiös. Mit Religion ginge es nicht, meint Evi, das wäre zu kompliziert. Trotzdem gibt es Traditionen. Eben neulich das Fest auf der Wiese. Karin, die jüngste Tochter, feierte ihre Bat- Mizwa, eine Art jüdische Konfi rmation. Freunde, Leute aus dem Dorf, dazu Evis Familie und Eyas' Familie, insgesamt 140 Leute. Noch nie waren sie alle zusammengekommen. Evi zeigt ein Foto. Die verschleierte Mutter von Eyas hakt sich da bei Evis Mutter unter. Der Siedlerbruder von Evi steht lachend neben Eyas. "Ich bin so stolz auf dieses Fest", sagt Evi. "Am nächsten Morgen habe ich Eyas gesagt, wie toll ich das fand, dass er zugestimmt hatte, obwohl das Fest eigentlich ein jüdisches ist." Längst haben sich Eyas und Evi mit ihren Familien versöhnt.

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Heute steht im Wohnzimmer in Neve Shalom eine massive Truhe; ein Denkmal der Aussöhnung. Evis Eltern hatten sie sich damals zu ihrer Hochzeit gekauft, und als sie vor 13 Jahren es der Tochter gleichtaten und nach Israel auswanderten, brachten sie der ehemals enterbten Evi die Emmentaler Schranktruhe mit. "Es ist mein liebstes Stück", sagt Evi. "Ich weiß noch genau, wo sie damals in unserer Schweizer Wohnung stand. Ich kenne jedes Geheimfach. Früher war da immer die verbotene Schokolade drin."

Evis eigene Kinder sollen nicht erleben müssen, dass sich die Eltern gegen sie stellen. Die haben andere Herausforderungen, etwa dann, wenn Eyas und Evi zu keiner Übereinstimmung kommen. "Dann sagt er Ja und ich Nein oder umgekehrt", sagt Evi. "Meinen Kindern sage ich: Wenn du eine Erlaubnis für irgendetwas willst, brauchst du die Erlaubnis von beiden." Evi weiß, dass das pädagogisch nicht ideal ist. Eine gemeinsame Ansage würde es den Kindern sicher einfacher machen. "Aber sie kommen zurecht. Eine Sache, die sie wirklich mitgenommen haben, ist, dass die Welt komplex ist."

Von der Terrasse des Hauses, das sie vor 15 Jahren selbst geplant und gebaut haben, schweift der Blick weit ins fruchtbare Latruntal. An klaren Tagen kann man von hier das Meer sehen, die Skyline von Tel Aviv ahnen. Es ist ihr Traum, dieses Haus. "Hier kann ich mit gutem Gewissen leben", sagt Evi. "Hier weiß ich: Ich habe niemandem das Land weggenommen." Der einzige Baum, den sie beim Hausbau stehen gelassen haben, ist ein Urapfelbaum. Kirschgroße, ungenießbar saure Äpfelchen hängen jetzt dort im Garten. Erst durch Pfropfen und Veredeln könne man einen Birn- oder Apfelbaum gewinnen, sagt Evi.

"Theoretisch ist es sogar möglich, Birnen und Äpfel an einem Baum zu haben." Dieselben Wurzeln, derselbe Stamm, auf demselben Stück Land. Und da stehen sie, die Schweizer Jüdin und der palästinensische Araber, vor dem Urapfelbaum mitten im Heiligen Land. Ein Staat, zwei Völker, so wünschen sich Evi und Eyas Frieden in Nahost, ein großes Neve Shalom für das ganze Land. "Wenn unsere Liebe nach so langen Jahren noch intakt ist", sagt Evi, "dann deswegen, weil wir unsere Ursprünge und Identitäten gewahrt haben." Sie hat unterwegs Weinblätter gesammelt. "Nur die ganz jungen, hellgrünen sind gut." So hat sie es von ihrer arabischen Schwägerin gelernt. Er legt ihr zwei Finger in die andere Hand. Sie fächert die Weinblätter auf wie Spielkarten. Dann fächelt sie Eyas Luft zu.

Bruno Hussar: ein Ort für alle - Neve Shalom/ Wahat Al-Salam Der Dominikanermönch und Sohn jüdischer Eltern, Bruno Hussar, hatte einen Traum: einen Ort zu schaffen, an dem Juden, Muslime und Christen friedlich miteinander leben. Das Land, auf dem der Dominikanermönch 1972 das Friedensdorf gründete, gehört weder den Palästinensern noch den Israelis, sondern dem nahe gelegenen Kloster Latrun. Fünf Jahre später zogen die ersten Familien auf das 100 Hektar große Areal. Der Kindergarten und die Schule sind zweisprachig, denn die Kinder aus dem Dorf sollen Zugang zu beiden Kulturen haben. In der Friedensschule begegnen sich arabische und jüdische Jugendliche und Erwachsene aus ganz Israel in Kursen und Seminaren. Deren Ziel ist es, bei den Teilnehmern ein größeres Bewusstsein für den Konfl ikt und ihre eigene Rolle darin zu entwickeln. www.nswas.org

Zum Weiterlesen Evi Guggenheim Shbeta, Eyas Shbeta: "Oase des Friedens", Heyne, 8,95 Euro

Text: Georg Cadeggianni Fotos: Philipp Karl Moritz

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