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Wenn Männer schwärmen

Sie müssen uns ja nicht gleich küssen, aber für viele Männer sind Frauen über 40 unsichtbar. Diese Männer bekennen sich zu ihrem Hang zu Frauen über 40.

Nicol Ljubic und Uki-Otoshi mit der weisen Maria

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Was würde wohl mein dreijähriger Sohn sagen, wenn er mich sehen könnte? Papa, was machst du da? Papa macht Purzelbäume, Papa macht Spagat - in Ansätzen. Papa fliegt beim Uki-Otoshi durch die Luft. Papa, hast du Aua gemacht?

Papa geht seit einigen Wochen zum Judo, weil er dort Maria kennen gelernt hat. Und in Marias Gegenwart macht er Sachen, die er sonst nicht macht, weil ihm nach Purzelbäumen in der Regel schlecht wird und beim Spagat die Mama einen Lachanfall bekäme. Maria hingegen lächelt und macht mir Mut. "Bei mir sah das am Anfang nicht anders aus", sagt sie. Das macht mich glücklich. Nicht nur, weil Maria einen schwarzen Gurt trägt und die Trainerin ist, sondern weil ich weiß, dass Maria weiß, wovon sie spricht. Sie ist eine besondere Frau. Keine 20, sondern Ende 40, kein glattes Gesicht, sondern eines, das haften bleibt, vor allem die Augen, deren Ruhe mich all die Hektik des Alltags vergessen lassen, Telefon, Kindergeschrei, Arbeit.

Wenn wir zum Aufwärmen unsere Runden drehen, dann läuft Maria vorneweg, und auch nach 15 Runden, wenn mein innerer Schweinehund längst fragt: Warum tust du dir das an? Warum sitzt du nicht zu Hause vor dem Fernseher?, läuft Maria so entspannt vorneweg, als käme sie gerade von einer Reiki-Massage. Papa, warum bist du so rot? Maria brüllt nicht herum, wie so viele Kampfsportler, bei ihr entstehen Ruhe und Konzentration dadurch, dass sie so leise spricht. Und ich halte manchmal die Luft an, um keines ihrer Worte zu verpassen. Dass wir vor jedem Fallen einatmen sollten, sagt sie, das sagt jeder Trainer, aber Maria erzählt von der Quetschung, die sie mal hatte, weil keine Luft in der Lunge war, und sie schildert den Schmerz so eindringlich und amüsant, dass ich seitdem sogar beim Treppensteigen tief einatme.

Es sind ihre Ruhe und ihre Kraft, die mich so faszinieren. Eine Kraft, die sie nicht mal demonstrieren muss, sie wirkt, ohne dass sie mich jemals kopfüber auf die Matte geworfen hätte. Es ist nicht die oberflächliche Kraft, die Männer so gern zur Schau stellen in Form von Muskeln oder körperlichem Kräftemessen; irgendwo tief in ihr, da hat sie eine kleine Schatulle, in der das Leben steckt: all die vielen Stunden Training, all die Hochs und Tiefs, die Erfahrungen, die sie mit den Jahren gemacht hat - daraus schöpft Maria die Ruhe und Kraft.

Und manchmal öffnet sie die Schatulle und lässt uns daran teilhaben. Dann gibt sie uns Ratschläge, zeigt uns mit einem kurzen Zug am Arm, wie schnell wir das Gleichgewicht verlieren, weil wir nicht richtig stehen oder mit den Gedanken woanders sind. Sie sagt: Du brauchst Geduld. Wer nicht warten kann, wird leer bleiben - und dann legt sie eine Hand auf die Stelle über dem Bauch, dort, wo sie ihre Schatulle hat. Maria hat gelebt, was sie sagt - und das unterscheidet sie von all den jungen Trainern, die einem die Techniken zeigen, die sie gelernt, aber vielleicht nicht immer verstanden haben.

Seit ich zweimal die Woche zu Maria gehe, erkläre ich meinem kleinen Sohn die Welt anders. Ich habe viel gelernt, zum Beispiel, dass "darum" keine Antwort ist auf "warum". Warum machst du Purzelbaum? Tja, mein Sohn, vielleicht weil ich etwas über das Leben lernen möchte. Und von wem könnte ich mehr lernen als von Maria?

Meine Freundin denkt, Maria sei Mitte 20, eine dieser jungen Hühner mit einem sexy Körper und langen blonden Haaren, nur weil ich mich hin und wieder nach ihnen umdrehe. Aber soll sie es ruhig glauben, dann fühlt sie sich sicher und muss nicht eifersüchtig sein.

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Nicol Ljubic, geboren 1971, lebt als freier Journalist und Autor in Berlin. Zuletzt erschienen: "Heimatroman oder wie mein Vater ein Deutscher wurde"

Hans-Ulrich Treichel und sein Faible für Königinnen im Alltag

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Es geschah während einer Lesung in einem Lübecker Gymnasium, wo ich meinen Roman "Menschenflug" vorstellte, in dem der knapp über 50-jährige Stephan nach Ägypten reist und dort eine deutsche Professorin und Ägyptologin kennen lernt, mit der er eine Affäre beginnt. Das wäre nichts Besonderes, wenn es sich bei der Professorin um eine 35-jährige oder auch 45-jährige Frau handeln würde. Stephans Geliebte aber ist um einiges älter als er, und dazu noch enorm attraktiv. Ein Sachverhalt, der die zuhörenden Schüler anscheinend verstörte, denn als ich die Passage las, in der sich herausstellte, dass es sich bei Stephans Geliebter um eine 60-Jährige handelt, ertönte ein schrilles "Iii . . . " aus den Schülerreihen.

Ich verstand den Schreckensschrei des Schülers. In jungen Jahren hätte ich wohl ähnlich reagiert. Die Frauen, die ich als junger oder jüngerer Mann attraktiv fand, waren entweder gleich alt oder jünger. Bis zu dem Tag, als ich selbst nicht mehr jung war. Dann änderte sich meine Wahrnehmung, und die Frauen, die mir gefielen, alterten nicht nur mit mir, sie überholten mich irgendwann. Ich begann, auch älteren Frauen nachzuschauen, und es konnte durchaus geschehen, dass ich nicht nur mit 38 eine 47-jährige, sondern auch mit 50 eine 60-jährige Frau ziemlich attraktiv finden konnte.

Wie soll das nur weitergehen, wo ich doch schon 56 bin? Schaue ich dann 65-jährigen oder 70-jährigen Frauen nach? Dabei geht mir bereits heute gelegentlich, wenn mir auf der Straße eine entsprechende Frau begegnet, der Gedanke durch den Kopf: Wie gut doch viele ältere Damen aussehen! Allerdings schäme ich mich immer ein bisschen für so einen Gedanken, ich habe ja schließlich keinen Mutter- beziehungsweise Großmutterkomplex oder irgendwelche inzestuösen Neigungen. Und ziemlich unmännlich komme ich mir dabei auch vor. Zumal mir die jungen Frauen natürlich nach wie vor gefallen . . .

Dass ich ältere Frauen auch attraktiv finde, bedeutet ja nicht, dass ich jüngere Frauen nicht attraktiv finde. Ich bemühe mich aber immer, mir das nicht anmerken zu lassen, um nicht diese Dirty-old-Man- Aura zu bekommen, wie sie manchen älteren Männern anhaftet und wovor man sich im letzten männlichen Lebensdrittel unbedingt hüten sollte.

Von solchen Gefahren einmal abgesehen, kann das männliche Älterwerden durchaus mit Vorteilen verbunden sein. Wozu eben auch die Tatsache gehört, dass die gesamte Welt der Frauen attraktiver wird. Ob man auch wirklich etwas davon hat, ist natürlich eine ganz andere Frage. Und ob dies sich eher einem veränderten männlichen Blick oder aber einer veränderten Weiblichkeit verdankt und gar ein Trend unserer Zeit ist, ebenfalls.

Wenn man sich so umschaut, könnte man es glauben. Allerorten attraktive 60-Jährige, zu deren ungekrönten Königinnen beispielsweise die 1945 geborene Queen-Darstellerin Helen Mirren zählt. Freilich kennen wir das Motiv der attraktiven und begehrten älteren Frau seit der Antike, und selbst bei den Bonobos, diesen sympathischen pansexuellen Menschenaffen, fühlen sich die Männchen durchaus zu älteren Weibchen hingezogen, auch wenn man nicht genau weiß, warum das so ist. Der entsetzte Schüler aus dem Lübecker Gymnasium jedenfalls wird es noch erleben, wenn er erst genügend Lebensjahre hinter sich gebracht hat: Eines Tages wird ihm eine grauhaarige Schönheit den Kopf verdrehen und ihm den vorlauten Schreckensschrei heimzahlen.

Und dann wird es ihm hoffentlich nicht so ergehen wie dem Akademischen Rat Stephan aus meinem Roman, der sich bei der Begegnung mit der begehrten älteren Frau als ein eher schwächelnder und erschöpfter Liebhaber erweist. Es ist nur zu hoffen, dass die Frau trotzdem etwas von der Begegnung gehabt hat. Denn was nützt der ganze neu entdeckte Sex-Appeal der älteren Frauen, wenn die Männer ihm am Ende nicht standhalten können.

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Hans-Ulrich Treichel, geboren 1952, schreibt Lyrik und Prosa und lehrt am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Zuletzt erschienen: der Roman "Menschenflug" und die Erzählung "Der Papst, den ich gekannt habe"

Frank Schulz und jene mondsüchtige Frauen, die Rose heißen

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Ich bin selbst nicht mehr der Jüngste, und sie ist mindestens zehn Jahre älter als ich. Wie sie heißt, weiß ich nicht. Wenn ich sie ein-, zweimal pro Jahr sehe, wechseln wir drei, vier Sätze miteinander. Nicht, dass ich mich überhaupt öfter zu ihr hingezogen fühle, doch ich denke sehr viel öfter an sie, als ich sie sehe, und dann wird es warm in meinem Sonnengeflecht. Dass dies auf Gegenseitigkeit beruhen könnte, kann ich mir, ohne jede Koketterie, absolut nicht vorstellen. Es spielt aber auch nicht die geringste Rolle für meine geheime kleine Leidenschaft.

Was ist das . . . ?! Kennen Sie Olympia Dukakis? Die erste Frau in meinem Leben, die diese schöne, fremde Art von Empfindung in mir auslöste. Ich war 31 und sie 57, als sie den Oscar für die beste Nebenrolle gewann - für die Figur der Rose Castorini in "Mondsüchtig", der Mutter der von Cher verkörperten Loretta. Alle Figuren des Films geistern auf ihre je eigene wunderbare Weise durch ein, zwei Brooklyner Vollmondnächte. Olympias Rose zum Beispiel (die übrigens, und zwar zu Recht, argwöhnt, ihr Mann gehe fremd) geht allein essen, beobachtet, wie eine junge Frau einem gesetzten Herrn eine Szene macht und dann verschwindet - und bittet ihn zu sich an den Tisch.

"Darf ich Sie was fragen?", fragt sie ihn, der auf der Altersskala ziemlich genau auf der Hälfte zwischen ihr und der soeben Geflüchteten liegen dürfte. "Nur zu." - "Warum sind Männer hinter Frauen her?" Der Mann überlegt und sagt, mit dem mimischen Äquivalent eines Schulterzuckens: "Die Nerven?" Rose aber antwortet: "Ich glaube, es kommt daher, dass sie den Tod fürchten." Die beiden, so heißt es in der Wikipedia- Inhaltsangabe, unterhalten sich äußerst angeregt, und wenn Rose es später ablehnt, den Professor noch in ihr Haus zu bitten, so fürchtet sie weniger um sein sittsames Betragen als vielmehr um ihr eigenes.

Was ist es, das diesen Herrn vom Mädchen zur älteren Dame überlaufen lässt? Der Charme der Herzensbildung, der Reiz der Reife, gar metaphysischer Eros? Oder bloß der Vollmond? Was den Professor zutiefst glaubwürdig macht, ist jedenfalls - Olympia Dukakis. Was für eine Frau.

Ob es Zufall ist, dass auch meine "Rose" aus Griechenland stammt? Ja, sie lebt (hoffentlich) noch immer dort, auf einem zypressenbewachsenen Hügel von Tsouknida, und bewirtet, zusammen mit ihrem Mann, ihre schlichte Taverne mit dem wundervollen Blick aufs Fanari-Tal. Ich habe kein Foto von ihr, es ist ein Jahr her, seit ich sie zuletzt sah, und aus der Erinnerung vermag ich nicht einmal zu sagen, ob sie füllig oder schlank ist; ich sehe nur ein einfaches dunkles Kleid. Aber ihren Kopf, ihr Gesicht könnte ich, wenn ich zeichnen könnte, aufs Getreueste wiedergeben: straff zurückgebundenes Haar in der Farbe von angelaufenem Silber, braun gebrannte Haut, fein gezeichnete Züge, ebenmäßig geordnete Zähne (einer davon golden), dunkle, ruhig funkelnde Augen, ein hell leuchtendes Lächeln . . . Und ihre Stimme - klassische Musik.

Was ist das . . . ?! Etwas, weswegen Freud vor Freude im Grab rotierte? Mitnichten. Was an ihr mich anzieht, hat weder mit dem Prinzip Mutter zu tun noch mit dem Prinzip Gattin oder Geliebte - aber durchaus mit dem Prinzip Frau. Mit dem weiblichen Charisma (warum sonst lässt ihr ebenso sympathischer Mann mein Sonnengefl echt eher kalt?). Nennen wir es die dritte Art der Liebe, eine wahrhaft reine, unabhängige Erwachsenenliebe, deren schönstes, vornehmstes Merkmal darin besteht, mehr, als den Tod zu fürchten, das Leben zu lieben.

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Frank Schulz, 1957 in Hagen bei Stade geboren, lebt als freier Schriftsteller in Hamburg. 2006 erschien der Roman "Das Ouzo-Orakel", der Abschlussband seiner "Hagener Trilogie" ("Kolks Blonde Bräute", 1991; "Morbus Fonticuli oder die Sehnsucht des Laien", 2001)

Texte: Nicol LLjubic, Hans-Ulrich Treichel, Frank Schulz Illustrationen: Tina Berning

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