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Wir sind Familienernährerinnen!

Wir sind Familienernährerinnen!
© Woweries/Corbis
Dass Partner die Rollen tauschen, ist immer noch ungewohnt. Doch wie klappt das Modell der Familienernährerinnen?

Wenn Tatjana Schleicher morgens die Tür hinter sich zuzieht und zur Arbeit geht, kann sie sicher sein: Zu Hause läuft alles. Die Kinder Fine und Linus, sechs und drei Jahre alt, sind verlässlich und liebevoll betreut, sie bekommen ein leckeres, gesundes Mittagessen, und wenn Tatjana Schleicher zurückkommt, ist alles Nötige eingekauft und die Hausarbeit größtenteils erledigt - dafür sorgt ihr Mann.

Seit zwei Jahren ist die 41-jährige Lehrerin die Hauptverdienerin in der Familie, ihr Mann Christian, gelernter Elektroingenieur, kümmert sich um die Kinder und den Haushalt und betreut zusätzlich stundenweise mehrere Tageskinder. Heute könnten sich die beiden den gemeinsamen Alltag kaum noch anders vorstellen. Dabei war der Rollentausch gar nicht geplant, "das hat sich so ergeben", sagt Tatjana Schleicher.

Christian Schleicher, heute 40, war als Projektleiter gut bezahlt, dabei aber unzufrieden: Statt ein Team zu führen, hätte er lieber wie am Anfang seiner Laufbahn selbst handwerklich und technisch gearbeitet. Doch das war in seiner Position nicht möglich. Hinzu kamen Arbeitswege von rund 120 Kilometern täglich. Christian Schleicher bekam seine Familie kaum zu sehen; zu Hause musste sich seine Frau um alles kümmern.

Um den Spagat zwischen Familie und Beruf schaffen zu können, hatte Tatjana Schleicher ihre wöchentliche Arbeitsstundenzahl als Lehrerin nach und nach auf ein Drittel reduziert. Der Stress und das Gefühl der Zerrissenheit waren geblieben. "Es muss sich etwas ändern", das war beiden bewusst, und sie beschlossen, die Aufgaben neu zu verteilen: Christian Schleicher arbeitete auch nur noch Teilzeit - und merkte schnell, wie gut es ihm tat, mehr Zeit für die Kinder zu haben. "Im Grunde ist mein Mann ein häuslicher Typ", sagt Tatjana Schleicher. "Er liebt es, zu kochen und mit den Kindern zu spielen, und er bügelt sogar gern." Eine befreundete Nachbarin schlug Christian Schleicher vor, seinen Job aufzugeben, Kinder und Haushalt ganz zu übernehmen und nebenbei als Tagesvater zu arbeiten. Er fand die Idee gleich gut - vorausgesetzt, seine Frau wäre bereit, wieder auf eine volle Stelle aufzustocken, so dass das Familieneinkommen gesichert wäre. Sie war "am Anfang skeptisch, ob ich das packe", erinnert sie sich. Doch dann beschloss sie, sie wolle es "einfach mal probieren" mit der Vollzeitarbeit, was in ihrem Beruf in der Regel problemlos möglich ist.

Der Rollentausch hat mehr Lebensqualität gebracht

Heute sind beide froh darüber, den Schritt getan zu haben: Er ist mit Begeisterung Hausmann und Tagesvater. Für sie ist es eine Wohltat, sich nicht mehr abhetzen zu müssen, um alles zu schaffen, sondern konzentriert arbeiten zu können, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob die Kinder gut versorgt sind und die Wäsche gewaschen ist. "Der Rollentausch hat uns als Familie viel Lebensqualität gebracht", sagt Tatjana Schleicher.

Sie kümmert sich um das Geld, er vor allem um Kinder und Haushalt: Das ist längst keine Ausnahme mehr. Knapp ein Fünftel der Mehrpersonenhaushalte wird heute überwiegend von Frauen finanziert. Nicht alle Familienernährerinnen haben sich wie Tatjana Schleicher aus eigenem Antrieb dafür entschieden. Viele sind alleinerziehend oder müssen für ihren Mann "mitverdienen", weil er seine Stelle verloren hat.

Nicht immer sind alle zufrieden

Carla Bornemann (Name geändert) fühlte sich irgendwann gefangen in der Rolle der Ernährerin. Doch zunächst gefiel der heute 47-Jährigen die Vorstellung, ein neues Familienmodell zu leben. "Anfangs waren wir beide stolz, zu den Ersten zu gehören, die diesen Rollenwechsel tatsächlich praktizierten", erinnert sie sich. Als sie ihren späteren Mann Robert (Name geändert) vor 15 Jahren kennen lernte, arbeitete die promovierte Juristin in einer angesehenen Kölner Großkanzlei. Der Kulturwissenschaftler hatte einen gut bezahlten Job bei einem jungen Internet-Unternehmen. Während der Pleitewelle in Frühjahr 2000, die unter dem Begriff "Dotcom-Krise" bekannt geworden ist, verlor Robert Bornemann, damals 35 Jahre alt, wie so viele andere seine Stelle. Er beschloss, sich mit einer Software für Online-Kunstauktionen selbständig zu machen. Ob und wann diese Idee etwas einbringen würde, war ungewiss. Für Carla Bornemann änderte das nichts an ihren Gefühlen für Robert und an ihrer Überzeugung: Mit diesem Mann will ich einmal Kinder haben.

Die beiden zogen in eine gemeinsame Wohnung, Robert Bornemann richtete sich dort ein Büro ein. Nach einem guten Jahr bekam das Paar, inzwischen verheiratet, seine erste Tochter, weitere 15 Monate später die zweite. Carla Bornemann verdiente jetzt den Lebensunterhalt für die ganze Familie allein. Ihr Mann hatte es übernommen, sich zu Hause um Kinder und Haushalt zu kümmern, während er versuchte, sein Geschäft zum Laufen zu bringen.

Ein im Prinzip praktikables Modell, das im Alltag der Bornemanns aber nicht funktionierte: Zwar kam stundenweise eine Putzhilfe, frisches Obst und Gemüse wurden vom Biobauernhof geliefert, doch Carla Bornemann war zu Hause ständig damit beschäftigt, Liegengebliebenes zu erledigen: die Spülmaschine ausräumen, den Flur wischen, Obst schnippeln für die Kinder.

Eine Erfahrung, die viele Familienernährerinnen machen müssen: Trotz Rollentausch ändert sich an der Aufgabenverteilung im Privaten nichts oder nur wenig. Die Frau ist nicht bloß Hauptverdienerin, auch die Hausarbeit ist vor allem ihre Aufgabe. "Ich fühlte mich zunehmend gestresst", sagt Carla Bornemann - und schildert eine typische Szene an einem Samstagnachmittag im Sommer: Er hat es sich im Garten auf der Liege bequem gemacht, während sie wie so oft die Wäsche aufhängt. "Weißt du, ich bin ganz schön kaputt von der Woche - du könntest ruhig mit anfassen!", ruft sie gereizt über die Schulter. Doch ihr Mann schüttelt nur verständnislos den Kopf: "Wieso lässt du die Wäsche nicht liegen? Du bist rastlos und kannst einfach nicht zur Ruhe kommen!" Und liest weiter in seiner Zeitung.

Familienernährerin und gleichzeitig Hausfrau

Carla Bornemann kocht innerlich vor Wut, versucht aber, ruhig zu bleiben. Spricht davon, wie wichtig ihre Arbeitskraft für die Familie sei. Appelliert an ihn, mehr Hausarbeit zu übernehmen, "sonst klappe ich noch zusammen und falle aus". Er hält dagegen, was er tagtäglich leiste, "aber das siehst du natürlich nicht", und dass seine Firma auch deshalb nicht in Schwung komme, weil er zu wenig Zeit dafür habe. "Dann hör doch auf damit und übernimm den Haushalt ganz", schlägt sie vor. Er protestiert. "Dann sieh zu, dass du endlich Geld reinbekommst mit deiner Firma", sagt sie zornig.

Je weniger beide Partner mit den stereotypen Rollenbildern verschmolzen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Modell gelingt.

Ein Streit, wie es noch viele gab zwischen den beiden. Eine Paartherapie brachte für kurze Zeit Besserung. Doch als Carla Bornemann angeboten wurde, Partnerin in der Kanzlei zu werden, brach der Konflikt wieder auf. Sie forderte mehr Unterstützung, er weigerte sich und klammerte sich nur noch mehr an seine Geschäftsidee. Weitere zehn Jahre vergingen, bis Robert Bornemann sich eingestand, dass er mit seiner Firma nie in die schwarzen Zahlen kommen würde. Als er gleich das nächste wahrscheinlich ebenso brotlose Projekt in Angriff nahm, hatte Carla Bornemann genug: Sie zog den Schlussstrich und trennte sich von ihrem Mann.

Was unterscheidet die Schleichers, bei denen ebenfalls die Frau das Geld nach Hause bringt, von den Bornemanns? Warum ist ein Paar gescheitert, das andere zufrieden? "Je weniger beide Partner mit den stereotypen Rollenbildern verschmolzen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Modell gelingt", sagt der Hamburger Psychotherapeut Oskar Holzberg. "Am besten ist, wenn beide den Rollentausch als gemeinsames Projekt ansehen. Dazu gehört, die Leistung des anderen anzuerkennen." Das allein genügt aber nicht, auch Familie, Freunde, Bekannte müssen umdenken, das Umfeld muss offen sein für bisher ungewohnte Lebensformen: Die Bornemanns waren in ihrer teuren Wohngegend, in der verheiratete Frauen "von Beruf Gattin" zu sein haben, geradezu Exoten.

Beide müssen offen über ihre Rollen sprechen

"Kinder und Haushalt" als derzeitige Hauptbeschäftigung für einen Mann? Undenkbar in so einer Umgebung. Aber nicht nur dort. Bettina Reinhardt (Name geändert) spürt täglich, wie ihr Mann darunter leidet, ein deutlich geringeres kommen als sie zu haben. Die 50-jährige Altenpflegerin bekommt etwa 2500 Euro netto im Monat, ihr Mann Emil als Lagerist nur 700 Euro. Das finanzielle Ungleichgewicht ist oft Gesprächsthema bei den Reinhardts. Als sie sich kennen lernten, verdienten die beiden monatlich etwa dasselbe. Bettina Reinhardt war Arzthelferin, Emil Reinhardt Fahrer bei einer Firma. Das Paar heiratete, bekam zwei Kinder. Bettina Reinhardt arbeitete weiter und begann mit Ende 30 ihre berufsbegleitende Ausbildung zur examinierten Pflegekraft. Ihr Mann, zu der Zeit arbeitslos, verfolgte ihre Entwicklung ohne viel Anteilnahme, kümmerte sich aber klaglos um die Kinder und den Haushalt - "eine Selbstverständlichkeit", findet Bettina Reinhardt. Zwar hat der 51-Jährige wieder eine Stelle, doch Bettina Reinhardt sieht sein Gehalt eher als "Taschengeld". Sie ist nach wie vor die Hauptverdienerin, bezahlt Wohnung, Leben, das Studium der Kinder, gemeinsame Reisen. Das zu akzeptieren fällt ihrem Mann schwer, aber er spricht selten darüber. "Wahrscheinlich fühlt er sich schwach und gekränkt", analysiert Psychotherapeut Holzberg. "Dieses Empfinden würde sich noch weiter verstärken, wenn er seine Kränkung eingestehen würde. Und er fürchtet auch, dann die Achtung und Liebe seiner Partnerin zu verlieren. Dass sie ihn gar nicht mehr wertschätzen kann. Also schweigt er. Und kann sich wenigstens darin stark fühlen, so viel auszuhalten. Das ist natürlich eine tragische Sackgasse."

Bettina Reinhardt hat sich mit diesem Verhalten ihres Mannes arrangiert, genauso wie mit der Tatsache, dass sie netto dreieinhalbmal so viel verdient wie er - und dass er in all den Jahren nie den Versuch gemacht hat, beruflich aufzuholen, etwa durch eine Weiterbildung. "Dafür unterstützt er mich sonst sehr viel", sagt sie. Und wahrscheinlich ist ihr das gemeinsame Leben inzwischen sehr recht so, wie es ist. "Ich bin stolz auf das, was ich geschafft habe", sagt sie und lächelt.

Text: Sabine Hoffmann

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