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Patchworkfamilie: Wenn andere in unser Leben platzen

Eine Patchworkfamilie ist spannend, bringt aber auch Probleme mit sich: Schwägerinnen, Stiefmütter, Enkel aus einer Patchworkfamilie gehören manchmal plötzlich zu unserer Familie - und wir sollen mit ihnen klarkommen. Mitglieder ein Patchworkfamilie berichten.

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"Sie ist immer noch ein bisschen geheimnisvoll" Rie, die Schwägerin von Brigitte Schelle, 50, kommt aus Japan

Meine Schwägerin kannte ich nur vom Hochzeitsfoto. Mein Bruder hatte ein paar Jahre in Tokio gelebt und dort auch geheiratet. Rie war klein, deutlich jünger als er, und beide strahlten so ein ruhiges Glück aus. Ich war sehr neugierig auf diese Frau aus dem fernen Japan.

Auf ihrer Hochzeitsreise kamen die beiden nach Deutschland, um anschließend mit uns Geschwistern und unseren Familien gemeinsam nach Venedig zu fahren. Ich fand Rie so sympathisch, dass ich ihr während einer Gondelfahrt ganz spontan einen meiner Ringe schenkte. Dieser Fruchtbarkeitsring hat in unserer Familie eine besondere Bedeutung: Meine Großmutter, die lange kinderlos war, bekam ihn geschenkt und hat ihn ihr Leben lang nicht mehr abgenommen. Nach ihrem Tod wurde er für jede Frau in der Familie nachgemacht. Für mich war klar: Rie gehört jetzt dazu!

Patchworkfamilie bedeutet auch, andere Sichtweisen zu entdecken

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Inzwischen leben sie und mein Bruder in Deutschland. Sie zogen mit ihrem ersten Kind zu unseren Eltern - für mich schwer nachvollziehbar, da es dort zwar getrennte Wohnungen gab, jedoch nur eine Küche und alle Mahlzeiten gemeinsam stattfanden. "Vielleicht erlebt sie diese Nähe anders als ich", dachte ich mir. Und wenn nicht, dann würde sich Rie aus Höflichkeit nie darüber beklagen. Tatsächlich macht es ihr bis heute nichts aus, ohne große Abgrenzung zu den Schwiegereltern zu leben.

Erst als das zweite Kind kam, wünschte sie sich einen größeren eigenen Bereich, um die Kleinen mit ihrem Bewegungsdrang nicht ständig aus Rücksicht auf die Großeltern im Zaum halten zu müssen. Daher freute sie sich sehr, als ich das Thema "getrennte Wohnungen" im Familienkreis ansprach. Keine zwei Wochen später war der Maurer da. Rie bittet mich nie um etwas, aber ich fühle, dass mein Rat willkommen ist. So ist sie immer noch ein wenig geheimnisvoll für mich. Und ich genieße ihre Ruhe und freue mich, wenn sie mich zur Begrüßung umarmt - obwohl das bei Japanern eigentlich verpönt ist.

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"Vier Enkelkinder auf einen Schlag" Hilde Weigl, 89, wurde ganz unerwartet noch einmal Oma

Als mein ältester Sohn sich neu verliebte, bekam ich vier neue Enkel gleichzeitig. Seine heutige Frau Kerstin brachte drei Jungs und ein Mädchen mit. Für mich ist das ein reicher Segen, denn jetzt habe ich insgesamt sogar 21 Enkelkinder. Und ich würde gern noch 50 Jahre leben, damit ich sehen kann, wie's mit allen weitergeht. Als die Kleinen von Kerstin zum ersten Mal zu Besuch kamen, waren sie ein bisschen wortkarg - aber das kann man verstehen: Da lernen sie jemanden neu kennen, und der soll mit ihnen verwandt sein?!

Neue Kinder sind ein Segen

Inzwischen haben wir ein gutes Verhältnis, was für meine Generation nicht unbedingt normal ist. Andere hätten vielleicht Vorbehalte gegen ihre Stiefenkel. Aber schließlich habe ich auch zweimal geheiratet und habe selbst zwei Stiefkinder. Ich rufe alle meine Enkel zu ihren Geburtstagen an. Selbstverständlich kommen sie auch zu Familienfeiern, und natürlich erzählte ich jedem, der meine Kinder kennt, auch von meinen neuen Enkeln. Wer kriegt schon vier auf einen Schlag?

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"Manchmal ist sie fast wie eine Tochter für mich" Mauro Marini, 28, hat seine jüngere Halbschwester wiedergefunden

Ich wusste lange nicht, dass mein Vater neben meiner Mutter mehrere Geliebte hatte. Als Kind dachte ich, sie seien Freundinnen der Familie. Eine von ihnen war Traudl. Sie arbeitete in einem Lokal meines Vaters, und ich, damals neun oder zehn, habe dann oft auf ihr Baby aufgepasst. Mit Tatjana ging ich auf den Spielplatz, wechselte ihre Windeln, brachte sie ins Bett. Irgendwann erfuhr ich, dass sie meine Halbschwester ist - das war schon sehr komisch. Da wurden mir zum ersten Mal unsere Familienverhältnisse bewusst. Als Tatjana drei war, starb mein Vater. Meine Mutter und ich zogen weg, und der Kontakt riss ab - bis Traudl vor zwei Jahren plötzlich anrief und mich einlud, sie zu besuchen. Ich zog meine beste Hose an, ein neues Hemd und braune Schuhe.

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Tatjana war inzwischen 13, ich hatte sie zehn Jahre nicht gesehen und wusste nicht mal mehr, welche Haarfarbe sie hat. Aber dann erkannte ich sie sofort: an den Gesichtszügen unseres Vaters. Ich habe "Hallo" gesagt und sie in den Arm genommen - das fühlte sich fremd und vertraut zugleich an. Ich dachte: "Ich kenne dich doch, ich habe dich ja ein bisschen mit großgezogen." Zuerst unterhielten wir uns, wie Fremde das tun: über den Beruf, über die Familie. Ich habe das Gefühl, für Tatjana Bruder und eine Art Vaterersatz zu sein. Als ihre Mutter einen Kreislaufzusammenbruch hatte, war ich der Erste, den sie angerufen hat. Das hat mich sehr gerührt.

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"Sie gehörte sofort dazu. Heute sind wir Freundinnen" Petra Schweißer, 50, hat eine Stiefmutter, die nur neun Jahre älter ist

Ich weiß noch genau, als mein Vater damals in der Tür stand und herumdruckste, als ich ihm einen Kaffee anbieten wollte. "Das ist gerade ein bisschen schlecht, unten wartet noch jemand im Auto", sagte er und nach kurzem Zögern, "meine neue Freundin." Nicht zu übersehen, wie unangenehm ihm das war. Dabei hatte ich damit überhaupt kein Problem. Meine Eltern hatten sich schon mehrmals getrennt, und ich war gerade in meine erste Wohnung gezogen. Dass er irgendwann mit einer neuen Frau auftauchen würde, war eigentlich selbstverständlich. Als sie dann in der Tür stand - etwas peinlich berührt -, war mir sofort klar: "Die gefällt mir."

Patchworkfamilie - es funktioniert auch ohne Stress

Ihr Alter war mir vollkommen egal, ich fand sie einfach nur sympathisch. Warum sollte ich ihr auch das Leben schwermachen? Wir waren ja alle erwachsen. Einmal, als meine beiden Töchter noch sehr klein waren, hatten wir uns alle drei eine schwere Grippe eingefangen - nichts ging mehr. Mein Mann konnte sich nicht freinehmen. Da haben sich Christa und mein Vater kurz entschlossen Urlaub genommen und sich um uns gekümmert. So war sie immer. Sie gehörte sofort dazu, ohne Wenn und Aber. Auch wenn es zwischen meinem Vater und mir mal gekracht hat, hat Christa sich immer toll verhalten, ihn sogar oft gedrängt, nicht so stur zu sein. Das konnte er nämlich ganz gut. Vor elf Jahren ist mein Vater gestorben. Aber an meiner Beziehung zu Christa hat das nichts geändert. Sie ist eine sehr gute Freundin geworden. Wir treffen uns regelmäßig, gehen ins Kino oder essen und können stundenlang reden. Wenn ich Probleme habe, kann ich immer zu ihr kommen. Das finde ich großartig.

Protokolle: Angelika Dietrich Fotos: Monica Menez

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