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"Kind nicht als letzte Chance sehen"

Anne ist 45 Jahre alt, Single und möchte ein Kind aus dem Ausland adoptieren. Miriam Yung Min Stein zu unserem Fall - sie wurde als Baby in einem Pappkarton ausgesetzt und wuchs bei Adoptiveltern in Osnabrück auf.

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BRIGITTE-woman.de: Sie wurden in Südkorea geboren und von deutschen Eltern adoptiert. Was fühlen Sie, wenn Sie Annes Fall lesen?

Miriam Stein: Eine Auslandsadoption sollte man nie als Entwicklungshilfe oder gar als Rettungsaktion sehen. Aber das steht bei Anne auch nicht im Vordergrund. Trotzdem halte ich die Idee die Auslandsadoption als letzte Chance zu sehen, wenn es mit einem eigenen Kind nicht klappt, für sehr schwierig.

BRIGITTE-woman.de: Warum finden Sie das schwierig?

Miriam Stein: Damit führt man eine Art Rangliste für Wunschkinder ein. Den ersten Platz belegt das eigene Kind und dann, wenn das nicht in Erfüllung geht, kann man immer noch eins adoptieren. Das adoptierte Kind wird eine Notlösung, was unterbewusst in Problemsituationen immer Thema werden könnte. Wird Anne sich jemals fragen: Hätte sich mein eigenes Kind auch so verhalten? Wäre es auch so schwierig geworden? Liegt sein Verhalten in seinen Genen? Das sehe ich kritisch. Es sollte immer zuerst um das Wohl und die Zukunft des Kindes gehen, vor allem bei verlassenen Kindern und Waisenkindern. Mit einer Adoption kann man nicht den eigenen Kinderwunsch kompensieren.

BRIGITTE-woman.de: Falls sich Anne für ein Kind entscheidet: Was sollte sie aus Ihrer Sicht bedenken?

Miriam Stein: Anne sollte sich von herkömmlichen Familienstrukturen und Formen trennen, denn ihre Familie würde diesen Maßstäben nicht entsprechen. Sie sollte darauf gefasst sein, dass ein älteres Kind eventuell Bindungsprobleme mitbringt und diese nur sehr schwer abbauen kann. Aber das ist nur die eine Seite. Wichtig ist auch, dass diese Kinder ein Stück alte Heimat mit ins neue Leben bringen dürfen. Daher sollte sich Anne intensiv mit der Kultur beschäftigen und eventuelle Vorurteile abbauen. Ich habe selbst lange mit Bindungsproblemen gekämpft, sowohl bei Personen als auch bei Wohnorten. Erst eine Reise in mein Geburtsland half mir diese Rastlosigkeit abzubauen und ein eigenes, inneres Urvertrauen aufzubauen.

Miriam Yung Min Stein hat ihre Erfahrungen im Buch "Berlin, Seoul, Berlin - Eine Reise zu mir selbst" aufgeschrieben (Krüger Verlag).

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Interview: Bianka Echtermeyer Foto: Miriam Stein

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