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Nur Mut!

Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, trifft das zuerst die Frauen. Viele sind das längst gewohnt. Und können deshalb auch die aktuelle Krise bewältigen.

Das letzte Jahr hatte es in sich: In den USA platzte eine Blase, in Europa wurden Schirme über Banken aufgestellt und Care-Pakete für die Konjunktur geschnürt. Verstört hörte ich den Experten zu und lernte, was ich tun sollte: Ruhe bewahren, vertrauen, mich zugleich warm anziehen und konsumieren gehen zur Rettung der Nation. Der Weltuntergang stand vor der Tür.

Zur gleichen Zeit, ein paar Türen weiter, hatte sich der Weltuntergang schon häuslich eingerichtet. Svenja, die Tochter meiner Freundin, war mit den Nerven am Ende. Seit ihr Sohn im Kindergarten war, arbeitete sie halbtags. In ihrem Beruf als Dekorateurin fand die 35-Jährige keine Stelle, also jobbte sie bei einem Textil-Discounter: Regale einräumen, Kasse bedienen, putzen. Ihr Lohn reichte gerade für die Gebühren des Kindergartens. Ihre Chefin mobbte sie, wo es nur ging. Svenja biss die Zähne zusammen. Ihr Mann schlug vor, sie solle kündigen, irgendwie würden sie mit seinem Gehalt über die Runden kommen. Aber Svenja wollte arbeiten und eigenes Geld verdienen. Sie klammerte sich an den verhassten Job, weil sie Angst hatte, keinen anderen zu bekommen. Sie traute sich nicht zu, etwas Neues zu lernen. Nachts malte sie sich aus, was passieren würde, wenn die Wirtschaftskrise noch schlimmer und ihr Mann arbeitslos würde. Und jeder Blick in die Zeitungen bestätigte die Vorzeichen der Apokalypse. Kein Ausweg nirgendwo.

"Ich finde es spannend!"

In der Krise wächst die Angst

In jeder Krise steckt eine Chance. Auf diesen Satz habe ich keine Lust mehr.

Auch zur gleichen Zeit, noch ein paar Türen weiter, erreichte der Schrecken eine weitere Freundin. Sie saß in ihrer Bank und musste die beginnende Kernschmelze ihrer Altersvorsorge schwarz auf weiß anschauen. Ihre, wie sie dachte, harmlosen, stabilen Wertpapiere waren bereits bedrohlich geschrumpelt. Seitdem sieht sie noch nicht schwarz, aber ziemlich grau in die Zukunft.

In jeder Krise steckt eine Chance. Auf diesen Satz habe ich gerade gar keine Lust mehr. Ich suche nach einer zeitgemäßen Orientierung und schaue bei Maischbergerwillplasbergillner zu. Ich lerne: Das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr Richtung null gehen.

1,35 Millionen Menschen können nicht mehr von ihrem Arbeitslohn leben, sondern brauchen zusätzlich staatliche Unterstützung. Bis 2010 haben wir mindestens 700.000 Arbeitslose mehr. Wo soll das alles enden? Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, was bei uns gerade wieder anfängt. In Krisenzeiten wächst die Angst, die Angst frisst den Mut auf, ohne Mut fühlt man sich ohnmächtig, die Ohnmacht macht neue Angst, da kann man nichts machen, so ist das eben. Ach was.

Es gab Krisenzeiten, in denen wirklich alles am Ende war, aber keiner hat gejammert. Die Frauen haben die Trümmer beiseitegeräumt und die Wirtschaft angekurbelt. Dann sollten die Frauen wieder zurück an den Herd, wollten sie aber nicht. Sie haben die Krise mit ihren Männern im trauten Heim überstanden und das Recht auf eigene Berufstätigkeit und qualifizierte Ausbildung erkämpft.

Der Mut, gegen Widerstände zu kämpfen, bröckelt.

Heute sind Mädchen die besseren Schülerinnen und Frauen nicht mehr nur in traditionell weiblichen Berufen unterwegs. Und damit in den oberen Etagen der Wirtschaft nicht nur Männer das Sagen haben, gibt es inzwischen auch eine Initiative "Frauen in die Aufsichtsräte". Davon hätten unsere Mütter nicht mal geträumt. Aber der Mut, gegen Widerstände zu kämpfen, bröckelt. Kinder und Karriere - nahezu aussichtslos. Teilzeitarbeit und Führungsposition - geht nicht. Mehr Lohn oder Gehalt fordern - unmöglich in diesen Zeiten. Ein Risiko wagen, neue Ideen ausprobieren - doch nicht in fortgeschrittenem Alter. Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung hat errechnet: Auf drei Viertel aller Stellenausschreibungen bewerben sich Frauen und Männer über 50 Jahre schon gar nicht mehr. So war das schon vor der Krise.

Und jetzt? Macht sich Pessimismus breit. Man sollte meinen, das sei ein unangenehmes Gefühl. Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), beobachtet genau das Gegenteil: "Ich komme aus der Schweiz, einem ungeheuer reichen Land, und dennoch neigen die Leute dazu, eher das Schlechte zu sehen. Ich stelle mir vor, mitten in Zürich würde es plötzlich Goldtaler vom Himmel regnen. Würden sich die Leute freuen? Nein. Das Erste, was wir wohl hören würden, wäre: Da kann sich doch jemand verletzen."

Wer mit dem Schlimmsten rechnet, ist alarmiert. Das ist keine dumme Strategie, um angemessen handeln zu können. Häufiger allerdings fühlt man sich gelähmt und handelt gar nicht mehr. Die Zukunft erscheint bedrohlich. Das Vertraute wird sich verändern. Und Veränderung ist anstrengend. Auch deshalb, weil man bei den ersten Schritten nicht weiß, ob, wie und an welchem Ziel genau man landen wird.

So ging es einer Frau, die ich vor Kurzem kennen gelernt habe, Architektin von Beruf. Nach Jahren im Ausland kehrte sie mit ihren beiden kleinen Söhnen nach Berlin zurück. Als Architektin bekam sie nur schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs. Zwischendurch jobbte sie bei einer Spedition und in einem Call-Center. Mit über 50 meldete sie sich kurz entschlossen als arbeitssuchend und bekam bald eine Stelle als Bürokraft, wenn auch nur befristet. Zurzeit ist sie - mit einem glänzenden Zeugnis ihres ehemaligen Chefs - wieder auf Arbeitssuche. Und zuversichtlich, dass sie auch diesmal etwas findet.

Wir sollten geduldig mit dem inneren Angsthasen sein.

Manche Frauen, mit denen ich während der Arbeit an diesem Text gesprochen habe, haben schon mehrmals erlebt, dass es immer noch schlimmer kommen kann. Eine 57-Jährige aus Thüringen zum Beispiel, Mutter von acht Kindern, geschieden. Gleich nach der Wende verlor sie ihren Job. Ihren Mut ließ sie sich nicht nehmen und arbeitete, wann immer sich die Gelegenheit bot. Ob als Näherin in Heimarbeit oder als Ein-Euro-Jobberin. Heute ist sie Zimmermädchen - in einem Team von Frauen, die wie sie selbst aus ganz anderen Berufen kommen, sich untereinander gut verstehen und aus der Situation das Beste machen.

Vielleicht sollten wir in Zeiten des Schwarzsehens öfter mit Menschen reden, die das Verzagen überwinden konnten. Zuhören, was ihnen Mut gemacht hat. Überlegen, was wir brauchen, um etwas zu wagen. Uns nicht einschüchtern lassen vor Bewunderung: So viel Kraft hätte ich nie. Das denkt jeder am Anfang. Dem Gedanken "Das geht doch sowieso nicht" Redeverbot erteilen. Geduldig mit dem inneren Angsthasen sein. Aber immer wieder herausfinden, was uns wichtig ist, egal, was andere sagen. Und am Abend nach einem miesen oder gelungenen Tag ein bisschen Amerikanisch sprechen: Yes, we can and yes, we do. Kann man natürlich auch auf Deutsch oder Türkisch oder Sächsisch sagen. As you like.

Text: Regina Kramer Fotos: Andreas Fromm, Max Lautenschläger, Maria Dorner, Hartmuth Bühler, Albert Schmidt, Thorsten Wulff, Joerg Lantelme

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