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Vandana Shiva Diese Frau will Indien retten

Sie wuchs zwischen Tigerbabys und Elefanten auf, ihre Hippie-Eltern ließen ihr alle Freiheiten. Das hat die Physikerin und Ökofeministin Vandana Shiva stark gemacht für einen lebenslangen Kampf.

Mit 15 hatte das Mädchen aus dem Wald die Bäume satt. Vandana Shiva, Bauerstochter aus dem Dehra-Dun-Tal am Fuße des Himalaya, wollte in die Disco. Nach Delhi. Die Abenteuer erleben, von denen die Freundinnen so schwärmten. Im Indien der 60er keine Selbstverständlichkeit. Schon gar nicht für ein Mädchen. Doch die Eltern, naturbegeisterte Akademiker mit Hippie-Idealen, packten die Tochter ins Auto, rumpelten über Schotterpisten nach Delhi, ließen sie eine Nacht durch die Bars ziehen.

Die Enttäuschung war groß. "Es war so langweilig!", ruft Vandana Shiva und bricht beim Gedanken an ihre erste und einzige Disco- Nacht in helles Lachen aus. "Meine Eltern waren erstaunt, dass ich so schnell wie möglich zurückwollte - in die Berge! Ich bin mit Tigerbabys groß geworden, habe auf Elefanten den Dschungel erkundet. Das ist aufregender als das wildeste Nachtleben!"

Seit fast 40 Jahren kämpft die bekannteste Umweltschützerin Indiens nun schon dafür, dass es auch so bleibt: dass die Berge ihrer Heimat ihren Zauber behalten.

Die Wahrheit hängt immer von der Perspektive derer ab, die nach ihr fragen

Die Waffen der 57-jährigen Physikerin: brisante Studien, internationale Kampagnen, mitreißende Reden. Ihre Gegner: multinationale Agrarkonzerne, die mit Gentechnik die Landwirtschaft industrialisieren wollen. Ihre Verbündeten: Kleinbauern, Artenschützer, Globalisierungsgegner und immer wieder - Frauen. Wieso gerade die? "Sie leiden am meisten unter der Umweltzerstörung", sagt Vandana Shiva. "Als Bergbauarbeiten die Quelle in meinem Tal versiegen ließen, waren es die Frauen, die beim Wasserholen weiter laufen mussten. Kommt es zu Katastrophen wie 1984 in Bhopal, wo Tausende starben, weil Pestizide aus einer Fabrik entströmten, dann werden die Opfer von Frauen gepflegt." Weil Vandana Shiva überzeugt ist, dass die ungleiche Lastenverteilung auch mit einer frauenfeindlichen Rollenverteilung zu tun hat, es also eine Verbindung von feministischen und ökologischen Zielen gibt, entwickelte sie aus ihren Beobachtungen sogar eine Theorie: den "Ökofeminismus". 1993 erhielt sie dafür den Alternativen Nobelpreis. "Für meine Arbeit", sagt sie und lächelt breit, "war das sehr hilfreich."

Wieso gerade die? "Sie leiden am meisten unter der Umweltzerstörung", sagt Vandana Shiva. "Als Bergbauarbeiten die Quelle in meinem Tal versiegen ließen, waren es die Frauen, die beim Wasserholen weiter laufen mussten. Kommt es zu Katastrophen wie 1984 in Bhopal, wo Tausende starben, weil Pestizide aus einer Fabrik entströmten, dann werden die Opfer von Frauen gepflegt." Weil Vandana Shiva überzeugt ist, dass die ungleiche Lastenverteilung auch mit einer frauenfeindlichen Rollenverteilung zu tun hat, es also eine Verbindung von feministischen und ökologischen Zielen gibt, entwickelte sie aus ihren Beobachtungen sogar eine Theorie: den "Ökofeminismus". 1993 erhielt sie dafür den Alternativen Nobelpreis. "Für meine Arbeit", sagt sie und lächelt breit, "war das sehr hilfreich."

Vandana Shiva lächelt oft, wenn sie spricht. Ihr rundes Gesicht knautscht sich dann zur freundlichen Teddybärschnute. Und sobald ihre Diskussionspartner zum Schluss kommen, die Frau im Sari sei ja ganz niedlich, als Gegnerin aber wohl nicht ernst zu nehmen, schlägt sie zu: feuert mit Zahlen, Fakten, Studienergebnissen. Dann wieder: Teddybärblick. Und der Saal tobt. Wie Anfang des Jahres in Bayern. 3500 Gentechnikgegner drängelten sich damals in einer Rosenheimer Halle, um der extra Angereisten zuzujubeln, als die in ihrer Rede mit dem Biotech- Riesen Monsanto ins Gericht ging. Zwei Monate später gab die Bundesregierung dem Druck der Demonstranten nach: Die Monsanto-Genmaissorte MON 810 wurde verboten. Eine Genkartoffel des BASF-Konzerns ließ man jedoch kurz darauf zu. War das nun Sieg oder Niederlage? Vandana Shiva lächelt wieder. Dann sagt sie diplomatisch: "Es war ein wichtiger Schritt."

Ihr Kampf ist mühsam, so ist sie es gewohnt. Denn es geht um nichts Geringeres als die Wahrheit, und auf die erheben ihre Gegner so vehement Anspruch wie sie. Genmanipulierte Pflanzen, sagen die Agrarkonzerne, hülfen, den Hunger der Welt zu stillen. Weil sie höhere Erträge brächten, Schädlingen besser trotzten. Studien bewiesen das. Auch ich habe Studien gemacht, entgegnet Vandana Shiva den Agrarriesen dann. Aber nicht auf Versuchsfeldern, sondern in den Dörfern, an die ihr Konzerne eure Saaten verkauft: Der Ertrag ist nicht höher. Dafür brauchen die Bauern nun mehr Wasser. Und sie werden von euch abhängig, weil sie immer neues Saatgut kaufen müssen. Seit ihr in Indien Genbaumwolle eingeführt habt, haben sich mehr als 100 000 Bauern umgebracht, weil sie bankrottgingen. Wieso verschweigt ihr das? Die Wahrheit, das hat Vandana Shiva schon früh gelernt, hängt immer von der Perspektive derer ab, die nach ihr fragen.

Als Schülerin bekam sie ein Begabtenstipendium, durfte Kurse in Harvard belegen, plante, Atomphysik zu studieren. Bis ihr eines Tages ihre Schwester, eine Ärztin, von den Folgen radioaktiver Strahlen auf den Menschen erzählte. "Ich fiel aus allen Wolken", erinnert sie sich. "Ich dachte, Wissenschaft bedeute, die ganze Wahrheit zu erfahren. Doch die dunkle Hälfte hatte man uns verschwiegen." Vandana Shiva begann, sich für diese dunkle Seite besonders zu interessieren. Statt in Atomphysik promovierte sie in Quantentheorie - und unterstützte in den Ferien die indischen Chipko-Frauen: Bäuerinnen, die sich an Bäume klammerten, um so zu verhindern, dass mit dem Wald auch das Wasser und der gute Boden verschwanden. "Wer die Natur zerstört", lernte Vandana Shiva von ihnen, "vernichtet seine Lebensgrundlage."

Vandana Shiva träumt von einer Erd-Demokratie

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Ihre Professorenstelle in Bangalore gab sie bald auf, um unabhängig zu forschen. Im Kuhstall der Mutter errichtete sie ein Labor, als Feldforscherinnen engagierte sie die Chipko-Frauen. Mit ihrer Hilfe untersuchte Vandana Shiva, was sie wirklich interessierte: die Folgen von Monokulturen und Gentechnik für Mensch und Umwelt. Fast jede dieser Studien sorgte international für Furore. Vandana Shiva wurde UN-Beraterin, nahm an internationalen Konferenzen teil. Auf einem dieser Treffen prophezeiten die Vertreter der wichtigsten Agrarkonzerne 1987 etwas damals Unvorstellbares: 2000 würde es nur noch eine Handvoll Saaten geben, die Patente darauf besäßen die Konzerne. "Hat man die Folgen für die Umwelt untersucht?", fragte Vandana Shiva. "Nein", hieß es. "Dafür ist keine Zeit." Vandana Shiva begriff, dass Forschen allein nicht mehr reichte. Mit Unterstützung von Brot für die Welt gründete sie 1991 Navdanya, eine Kooperative, die der Patentjagd der Konzerne Einhalt gebieten und die Bauern unabhängig machen sollte: Das Saatgut wurde fortan in selbst verwalteten Depots aufbewahrt und im Frühjahr wieder kostenlos an die Bauern verteilt. Es war der Beginn eines einzigartigen Großprojekts: 52 Saatbanken gibt es mittlerweile in Indien, mit den 500 dort gelagerten Sorten bestellen die Bauern ihre Felder - ohne Kunstdünger, Pestizide oder den Zukauf von Gensaaten.

Sooft es geht, besucht Vandana Shiva diese Felder. Sie wandert dann durch das Meer von Halmen, jeder einzelne von ihnen ein Symbol für den Triumph der Kleinen über die Großen. Es ist der Ort, sagt sie, an dem sie Kraft findet für ihren Alltag in Flugzeugen und Konferenzsälen. Ein klassisches Familienleben hatte darin nie Platz, ihr Ex-Mann "ging irgendwann seinen Weg", der Sohn ist jetzt erwachsen. Aber gehören die Menschen um einen herum, die Pflanzen und Tiere, nicht auch irgendwie zur Familie? "Erd-Demokratie" nennt Vandana Shiva ihr Konzept des gleichberechtigten Miteinanders aller Lebewesen. Selbst der Klimawandel ließe sich so verzögern, sagt sie, ihr zweiter machtvoller Gegner, der ebenfalls drohe, das Paradies ihrer Kindheit zu zerstören: durch schmelzende Gletscher, Fluten, Dürre. Doch Vandana Shiva lässt sich nicht einschüchtern. Mit den Bergbauern von Navdanya tüf- telt sie derzeit an Strategien, um das Überleben im Himalaya trotz aller Widrigkeiten zu ermöglichen, das Ökosystem zu erhalten. Es scheint, als mache Wissen um Wahrheit nicht nur Angst - sondern auch besonders viel Mut.

Zum Weiterlesen: Wie können wir die Welt für unsere Nachkommen erhalten? Diese Frage beschäftigt Vandana Shiva nicht nur als Ratsmitglied des World Future Council, der Konzepte für Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit entwickelt. Auch ihr neues Buch befasst sich mit dem Thema: "Leben ohne Erdöl. Eine Wirtschaft von unten gegen die Krise von oben" (19,50 Euro, Rotpunktverlag)

Text: Kristina Maroldt Credit: Getty Images

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