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Vamp der Wissenschaft

Die Hirnforscherin Susan Greenfield ist die berühmteste und schrillste Wissenschaftlerin Großbritanniens. Mit ihren langen blonden Haaren, Armani-Jacken und Plateaustiefeln verstört die Oxford-Professorin viele männliche Kollegen. Die geadelte Neurologin spricht im Interview über Mode, Freunde und Feinde - und den Entertainment-Faktor in der Wissenschaft.

BRIGITTE WOMAN: Baroness Greenfield, die britischen Zeitungen nennen Sie den "Vamp der Wissenschaft". Sind Sie schon immer so aufgefallen?

Susan Greenfield: Promovierte Medizinerinnen sind schon lange nichts Ungewöhnliches mehr, aus diesem Grund wurden früher höchstens meine angesagten Stiefel bemerkt. Aber Professorinnen, die ein Labor mit einem großen Budget leiten, sind extrem selten, daher falle ich jetzt wegen meines Jobs auf.

BRIGITTE WOMAN: Letztes Jahr löste der - inzwischen zurückgetretene - Präsident der berühmten Harvard-Universität, Larry Summers, einen Riesenaufruhr aus, als er sagte, Frauen wären aus genetischen Gründen ungeeignet für die Forschung.

Susan Greenfield: Wir haben uns unterhalten. Das sagt er jetzt nicht mehr. Trotzdem bewegt sich bloß langsam etwas. Ich bin nur da, wo ich jetzt bin, weil ich keine Kinder habe.

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BRIGITTE WOMAN: Das klingt doch eindeutig nach Frauenfeindlichkeit im Wissenschaftsbetrieb.

Susan Greenfield: Der Sexismus ist immer noch da, wird aber nicht offen ausgesprochen. Wenn du einen gut dotierten Führungsjob nicht bekommst, weißt du nie, ob es daran liegt, dass du eine Frau bist. In den Labors dagegen lieben die Herren ihre Mitarbeiterinnen, wenn sie schön folgsam und fleißig sind und ihnen keine Konkurrenz machen. Oft sind die Frauen selbst schuld. Sie kämpfen nicht, und manche kichern sogar!

BRIGITTE WOMAN: Sie haben anscheinend nicht gekichert und nicht die Waffen gestreckt. In Großbritannien sind Sie ein Medienstar, unter anderem weil Sie über Hirnforschung so reden können, dass jeder es versteht. Neben Ihrem Lehrstuhl für Pharmakologie in Oxford leiten Sie die Royal Institution, deren einziger Zweck darin besteht, Wissenschaft für die Allgemeinheit verständlich zu machen.

Susan Greenfield: Ein Philosophieprofessor sagte mir einmal, ich müsse 15 Jahre lang seine Vorlesungen besuchen, um zu verstehen, was er macht. Ich dagegen kann meine Arbeit in fünf Minuten erklären.

BRIGITTE WOMAN: Versuchen Sie es doch bitte nicht in 300, sondern in 30 Sekunden.

Susan Greenfield: Ich lehre in Oxford und forsche an einer Heilmethode für Alzheimer und Parkinson. Ich leite die Royal Institution und das Oxford Centre for Science of the Mind - ein interdisziplinäres Projekt zur Erforschung des Bewusstseins. Außerdem schreibe ich Bücher und halte Vorträge.

BRIGITTE WOMAN: Ihre Vorträge sind spannend, voll von ungewöhnlichen Vergleichen...

Susan Greenfield: Ich stehe gern auf der Bühne und unterhalte die Menschen. Das habe ich von meiner Mutter. Sie war Tänzerin.

BRIGITTE WOMAN: ... dennoch ein ungewöhnlicher Ansatz.

Susan Greenfield: Die meisten Wissenschaftler sprechen ein unverständliches Kauderwelsch, leider. Schließlich wird Forschung zum Großteil aus Steuergeldern finanziert. Da ist es unsere Aufgabe, den Menschen zu erklären, was wir da tun! Wir müssen mit Lehrern reden, Politikern, den Leuten.

BRIGITTE WOMAN: Haben Sie nicht genau solche Projekte in Australien angestoßen, als Sie dort als wissenschaftliche Beraterin der Regierung arbeiteten?

Susan Greenfield: Ich war einige Monate "Thinker in Residence", klingt das nicht wunderbar? Wir haben unter anderem Forscher-Lehrer- Teams gebildet, um Kindern zu zeigen, was alles möglich ist, was für spannende Sachen in der Wissenschaft stattfinden. Hier in England traut sich kaum jemand, etwas Ungewöhnliches vorzuschlagen.

BRIGITTE WOMAN: Sie tun es und werden dafür abgestraft. Jedes Jahr nimmt die Royal Society, die wichtigste Wissenschaftsakademie Englands, Wissenschaftler als Fellows auf, die sich besonders um die Popularisierung der Wissenschaft verdient gemacht haben. Da gehören Sie eigentlich längst dazu. Es wurde bekannt, dass Sie jetzt auf der Liste stehen. Prompt haben einige Mitglieder gedroht auszutreten, sollten Sie, das "Weib im Minirock", zum Fellow ernannt werden. Die müssen Sie wirklich hassen.

Susan Greenfield: Hass hat nichts mit Logik zu tun. Wenn die Kerle einzelne Punkte meiner Forschung kritisieren würden, könnte ich das widerlegen, aber wo soll man bei so einer Pauschalkritik anfangen?

BRIGITTE WOMAN: Und Sie - verachten Sie Ihrerseits jetzt diese Kollegen?

Susan Greenfield: Ich werde keine Sekunde daran verschwenden, darüber nachzudenken, warum einige gehässige kleine Wichte mich nicht leiden können. Ich wünsche meinen Kritikern ein langes Leben, damit sie alle meine Erfolge miterleben können.

BRIGITTE WOMAN: Wenn Sie nun tatsächlich in die Royal Society aufgenommen würden, würden Sie es annehmen?

Susan Greenfield: Klar. Das ist eine große Ehre. Es ärgert mich nur, dass meine Kandidatur jetzt ein Politikum ist. Wenn sie mich aufnehmen, heißt es, es sei wegen all dieses Hickhacks, und wenn nicht, auch.

BRIGITTE WOMAN: Sie haben viele Feinde. Wie sieht es mit Freunden aus?

Susan Greenfield: Ich habe etwa zehn richtig gute Freunde. Wir würden alles füreinander tun. Mit John Stein, zum Beispiel, ebenfalls Hirnforscher in Oxford, bin ich seit 35 Jahren befreundet. Als der Ärger mit der Royal Society losging, hat er öffentlich gesagt, dass meine Forschung eben zu innovativ sei für die Greise der Society. Nun wird er wahrscheinlich nie zum Fellow.

BRIGITTE WOMAN: Haben Ihnen Ihr Stil und Outfit bei der Karriere nicht vielleicht auch geholfen?

Susan Greenfield: Schwer zu sagen, da es keine Kontrollgruppe schlecht angezogener Susan Greenfields gibt. Ich glaube, es gibt ein Mode-und-Make-up-Gen, und das habe ich. Andere haben dieses Gen nicht und sind trotzdem erfolgreich.

BRIGITTE WOMAN: In der Forschung vielleicht, aber Sie sind obendrein ein Medienstar.

Susan Greenfield: Das Auftreten ist wichtig, und das sollten alle Wissenschaftler beherrschen. Ich lade zum Beispiel immer wieder bedeutende Forscherinnen dazu ein, Vorträge vor Schülerinnen zu halten. Sie sollen sehen, dass Frauen erfolgreiche Wissenschaftlerinnen sein können. Hinterher werden Fragebögen ausgefüllt. Eine Kollegin war darunter, die offensichtlich Mode und Make-up völlig überflüssig fand, und die Mädchen schrieben alle: "Wenn man als Wissenschaftlerin so aussehen muss, ohne mich!"

BRIGITTE WOMAN: Da ging Ihr gut gemeintes Engagement wohl nach hinten los?

Susan Greenfield: Leider. Aber wenn ich nur Forscherinnen einlade, die aussehen wie Madonna, wäre die Liste ziemlich kurz.

BRIGITTE WOMAN: Sie haben für "Vogue" posiert, für das Klatschmagazin "Hello" und sich für den "Observer" zu Hause von Meisterköchen bekochen lassen. Sie wussten, dass Sie sich dadurch in der steifen Wissenschaftswelt Feinde machen würden.

Susan Greenfield: Es war an einem Wochenende. Ich hatte Zeit. Und es macht Spaß. Wenn etwas nicht gerade lebensgefährlich ist, sage ich meist Ja. Leider glauben jetzt einige Leute, sie könnten nun ungefragt mein Privatleben kommentieren.

BRIGITTE WOMAN: Sie erwähnten anfangs Ihre Mutter, eine Tänzerin. Ihr Vater war Elektriker. Hatten Sie jemals das Gefühl, intelligenter zu sein als Ihre Eltern?

Susan Greenfield: Oh nein! Obwohl meine Eltern beide die Schule schon mit 14 verlassen hatten, legten sie großen Wert auf Bildung. Alles, was mit der Schule zu tun hatte, wurde sehr unterstützt. Ich war gerade mal drei, als meine Mutter mir das Lesen beigebracht hat, auch weil wir für andere Dinge kein Geld hatten. Es war ein großes Glück für mich, dass wir so arm waren.

BRIGITTE WOMAN: Glück???

Susan Greenfield: Ich hatte Zeit, mich zu langweilen. Meine Eltern konnten sich die Geigen- und Tennisstunden nicht leisten, mit denen andere Kinder zugeschüttet werden. Wenn ein Kind sich langweilen darf, erfindet es eigene Spiele, fängt an zu zeichnen oder zu lesen. Wenn es immer beschäftigt wird, kann das Gehirn diese Fähigkeiten nicht entwickeln. Ich halte Langeweile für sehr wichtig. Meine Eltern haben mir alle Freiheit gelassen und mich sehr geliebt. Das ist wunderbar für das Selbstbewusstsein.

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BRIGITTE WOMAN: Sehen Sie Ihre Eltern oft?

Susan Greenfield: Ja! Dad ist 90, Mom ist 78. Wir haben letztes Silvester zusammen gefeiert, und sie hielten mich für spießig, als ich um vier ins Bett wollte. Sie sind beide sehr fit.

BRIGITTE WOMAN: Es gibt die Geschichte, dass die Philologie-Studentin Susan Greenfield einst im Büro des Oxforder Neurowissenschaftlers David Smith stand und sagte: "Ich will alles über das Gehirn lernen." Dann haben Sie ihm gesagt, er müsse eigentlich erforschen, wie das Bewusstsein entsteht.

Susan Greenfield: So unhöflich wäre ich nie! Obwohl, ich habe schon gesagt, dass ich alles über das Gehirn wissen wolle...

BRIGITTE WOMAN: Wie kamen Sie ausgerechnet darauf?

Susan Greenfield: Ich habe mich sehr für die großen philosophischen Fragen interessiert: Was ist das Bewusstsein? Wie frei ist unser Wille wirklich? Trotz des großen technologischen Fortschritts sind wir den Antworten auf diese Fragen kein Stück näher als die alten Griechen.

BRIGITTE WOMAN: Und da das Gehirn die Schaltzentrale des Menschen ist...

Susan Greenfield: ... müssen die Antworten darin versteckt sein. Wenn man diesen wabbeligen Klumpen in der Hand hält, kann man das kaum glauben. Das, was du später am Waschbecken unter den Fingernägeln rauspulst, könnte eine Erinnerung sein oder die Liebe für einen Menschen. Wir wissen so wenig.

BRIGITTE WOMAN: Sie waren damals weder ein Genie in Biologie, Chemie oder Physik, noch hatten Sie Ahnung von Hirnforschung.

Susan Greenfield: Ich wusste, ich würde viel nachholen müssen, fühlte mich aber gut gerüstet.

BRIGITTE WOMAN: Und das ging einfach so, ohne besondere Qualifikationen?

Susan Greenfield: Wenn du damals in Oxford die nötige Motivation mitbrachtest, ließ man dich erst mal machen. Wenn ich abends lieber in die Kneipe gegangen wäre, statt zehnmal so lange zu arbeiten wie alle anderen, wäre ich bald draußen gewesen.

BRIGITTE WOMAN: Sie arbeiten an einer Heilmethode für Alzheimer und Parkinson, haben zu diesem Zweck drei Biotechnologie-Start-ups gegründet und ein Gehirnmolekül patentieren lassen - ist das immer noch die Suche nach der Antwort darauf, was das Bewusstsein ist?

Susan Greenfield: Am Anfang wollte ich eigentlich nur erforschen, wie ein bestimmtes Enzym im Gehirn funktioniert, aber dann wurde mir klar, dass die besondere Rolle, die das Enzym bei der Zerstörung von Zellen spielt, auch auf Parkinson und Alzheimer angewendet werden kann. Daraus entwickelte sich eine größere Theorie. Daher auch das Patent.

BRIGITTE WOMAN: Von den großen philosophischen Fragen zum Patent. Ein ungewöhnlicher Weg.

Susan Greenfield: Zuerst war ich mir nicht sicher, wie ich die Philosophie in der Hirnforschung unterbringen sollte. Das war etwas fürs Wochenende. 1985 habe ich ein Buch herausgegeben, in dem sich Physiker, Psychologen, Hirnforscher, Linguisten und Philosophen mit dem Gehirn und dem Bewusstsein beschäftigen. "Mindwaves" ("Geistesströme", die Red.) hat damals ziemliches Aufsehen erregt, und mir wurde klar, dass ich doch beides machen kann. Seitdem schreibe ich am Wochenende Bücher. Letztes Jahr habe ich sogar Geld von der Templeton Foundation bekommen, um zu untersuchen, wie sich der Glaube auf das Bewusstsein auswirkt. Seitdem steht in der Zeitung, wir würden Muslime foltern!

BRIGITTE WOMAN: Du lieber Himmel!

Susan Greenfield: Es ist alles ganz harmlos. Wir untersuchen, ob im Gehirn religiöser Menschen bei Schmerz andere Prozesse ablaufen als bei Nichtgläubigen. Dazu zeigen wir Testpersonen Bilder mit religiösen Symbolen, während sie den Finger an einer Chilipaste reiben.

BRIGITTE WOMAN: Wie nah sind Sie einem Heilmittel gegen Alzheimer oder Parkinson?

Susan Greenfield: Das dauert noch, leider. Ich träume von einem Bluttest, der uns frühzeitig sagt, ob ein Mensch eine neurodegenerative Krankheit entwickelt. Bei Parkinson müssen etwa 80 Prozent der betroffenen Zellen sterben, ehe die Symptome auftreten. Wenn wir die Krankheit erkennen, wenn erst etwa 30 Prozent der Zellen betroffen sind, können wir sie behandeln, ehe die Symptome da sind. Parallel dazu müssen wir ein einfaches Medikament entwickeln, das verhindert, dass weitere Zellen sterben. So wird der Patient zwar nicht gesund, aber er bemerkt seine Krankheit kaum.

BRIGITTE WOMAN: Warum werden wir mit zunehmendem Alter vergesslicher?

Susan Greenfield: Weil wir zu viel von uns erwarten! Ein Fünfjähriger muss nicht die fällige Steuererklärung oder Omas Geburtstag im Kopf haben und wissen, was er letzten Dienstag gemacht hat. Wir lernen auch anders, wenn wir älter werden. Wir filtern jede neue Erfahrung durch alle vorherigen Erfahrungen hindurch und setzen sie in Bezug zueinander. Das dauert.

BRIGITTE WOMAN: Wie bewältigen Sie persönlich Ihr riesiges Arbeitspensum?

Susan Greenfield: Da ich meinen Mann verlassen habe, kann ich frei über meine Zeit verfügen. Ich koche nicht. Ich finde es entspannend, Bücher zu schreiben, da ich dabei allein bin. Denn unter der Woche bin ich darauf angewiesen, dass andere Menschen meine Ideen umsetzen. Und ich habe Vivian. An meine Assistentin kann ich fast alles delegieren.

BRIGITTE WOMAN: Etwa auch das Einkaufen? Sie haben drei Kleiderschränke, höre ich, der Inhalt sortiert nach elegant, leger und Schnäppchen...

Susan Greenfield: Oh nein, das schaffe ich schon selbst. Am Wochenende mache ich oft das, was wir "Retail Therapy" nennen...

BRIGITTE WOMAN: Shoppen für die Seele.

Susan Greenfield: Das Shopping-Gen habe ich auch. Den H&M-Rock hier habe ich kürzlich für zehn Pfund erwischt, das Hemd ist von GAP, etwa fünf Pfund.

BRIGITTE WOMAN: Sie tragen auch gern Armani-Mode?

Susan Greenfield: In diesem Winter war ein Armani-Mantel meine große Investition! Sonst mag ich Louis Vuitton und Vivienne Westwood. Da die Bond Street mit ihren Designerläden gleich um die Ecke ist, kombiniere ich jetzt Armani-Blazer mit 15-Pfund-Röcken. Perfekt!

Zur Person

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Susan Adele Greenfield wurde 1950 in London geboren. In Oxford studierte sie Klassische Philologie und Mathematik, promovierte dann in Pharmakologie im Bereich Neurowissenschaften. Seit sie 1994 die vom Fernsehen übertragene Weihnachtsvorlesung der Royal Institution hielt, ist sie ein Medienstar. Zweck dieses 200 Jahre alten Lehr- und Forschungszentrums ist es, Wissenschaft für die Allgemeinheit verständlich zu machen. 1996 wurde sie in Oxford zur Professorin für Pharmakologie berufen, seit 1998 ist sie die erste Direktorin der Royal Institution und pendelt seitdem zwischen London und Oxford. Seit dem Jahr 2000 sitzt die zur Baroness geadelte Wissenschaftlerin im britischen Oberhaus. Susan Greenfield ist Autorin mehrerer Bestseller über Hirnforschung, entwickelt und moderiert Doku-Serien für die BBC. Sie war zwölf Jahre lang mit dem Oxford-Chemieprofessor und Millionär Peter Atkins verheiratet, bis sich die "Beckhams der Wissenschaft" 2003 trennten.

Interview: Meike Bruhns Fotos: Ulrike Leyers, privat (1)

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