Anzeige

... und tanzen fröhlich aus der Reihe

Wenn eine sagt, was sie denkt, und sich nimmt, was sie will, ist das eine Provokation. Die einen finden es wunderbar, die anderen grässlich, beobachtet Milena Moser.

Es war einer der Höhepunkte meines Lebens als Schriftstellerin: Auf der Frankfurter Buchmesse saß ich in einem improvisierten Fernsehstudio vor dem Spiegel am Schminktisch und wartete darauf, dass meine Nase kameratauglich überpudert wurde. Auf dem Klappstuhl links neben mir eine dunkelhaarige Frau, die ich nicht kannte, die aber so schön war, dass ich sie kaum anschauen konnte. Dann wurde Alice Schwarzer hereingeführt und rechts von mir platziert. Sie wusste sofort, wer auf der anderen Seite saß: Uschi Obermaier! Das wilde Leben! In Person!

Die beiden Frauen begrüßten sich über meinen Kopf hinweg, redeten ein bisschen, nichts Aufregendes. "Wie geht es so?" Ich saß ganz still. Ich wünschte mir, die Zeit würde stillstehen. Die Fäden, die diese beiden außergewöhnlichen Frauen über meinen Kopf hinweg spannen, bildeten ein feines Netz der Großartigkeit über mir, ein Zelt, das mich mit einschloss. Ich wagte kaum zu atmen.

Schwarzer und Obermaier - für viele die pure Provokation

Dann trat die Maskenbildnerin dazu und zerriss die feinen Fäden mit ihrer Puderquaste. Der Moment war vorüber. Und später, als ich wieder zu Hause war und diese schöne Anekdote erzählen wollte, verstand sie niemand - schon gar nicht meine Freundinnen. Dass ich, zwischen diesen Frauen sitzend, glücklich war, einfach, weil es sie gibt. Niemand außer mir schien Alice Schwarzer und Uschi Obermaier, diese beiden auf so unterschiedliche Weise einmaligen Frauen, uneingeschränkt toll zu finden.

image

Mann, die nervt! Das, was ich als magischen Moment wahrgenommen hatte, wurde in der Nacherzählung zu einem kleinen. Alice und Uschi - zwei Frauen, die, um es mal ganz vorsichtig auszudrücken, polarisieren. Die keinen kaltlassen. Die man wunderbar oder grässlich findet, dazwischen nichts. Wie auch, um nur einige zu nennen, Veronica Ferres, Verona Pooth, Hillary Clinton, Heidi Klum oder Angelina Jolie. Die Liste wird - zum Glück, finde ich - täglich länger. Je öfter ein Name genannt wird, desto öfter provoziert er auch gereizte Reaktionen. Mit wachsender Bedeutung steigt der Nervfaktor. Jüngere Beispiele sind Charlotte Roche, Alexandra Maria Lara, Nina Hoss, Sahra Wagenknecht.

Frauen, die, sobald sie an Bedeutung gewinnen, auch vermehrt zum Widerspruch reizen. Je mehr Frauen sich trauen, desto weniger ist ihnen allgemeine Anerkennung sicher. Anders gesagt: Brave Mädchen polarisieren nicht. Das wird gern als feministisches Problem interpretiert, in Wahrheit sind es aber vor allem Frauen, die es nicht mögen, wenn andere Frauen aus der Reihe tanzen. Über Alice Schwarzer wurde in der so betitelten "kritischen Biografie" von Bascha Mika sogar wörtlich geschrieben, man hätte sie eben "rechtzeitig zurück in die Reihe stellen sollen". Die Reihe. Welche Reihe? Die Reihe, in der wir stehen, wir anderen. Die wir nichts in der Größenordnung von Alice Schwarzer (oder Uschi Obermaier oder. . . ) angezettelt haben.

Obwohl wir uns gern einbilden, wir könnten es auch. Könnten die Welt bewegen, wenn wir nur etwas mehr Zeit hätten oder Geld oder die richtigen Schuhe. Doch eigentlich sind wir ganz froh, wenn andere für uns übernehmen, was wir uns nicht trauen, was uns zu anstrengend ist, zu gefährlich, zu groß. Wir brauchen diese Frauen, und dass wir sie brauchen, verzeihen wir ihnen nicht ganz. Ja, sie sollen Großes leisten, aber sie sollen dabei bitte schön so tun, als seien sie genauso wie wir. Damit wir uns umgekehrt einbilden können, wir seien wie sie, wir könnten auch, was sie können.

image

Um diese Illusion aufrechtzuerhalten, verlangen wir von Angelina Jolie, dass sie ihren Kindern regelmäßige Mahlzeiten zubereitet und überhaupt ein anständiges Zuhause bietet. Uschi Obermaiers Brüste sollen bitte schön der Schwerkraft genauso erliegen wie unsere eigenen auch. Frau Pooth werfen wir vor, dass sie der peinliche Niedergang ihres Mannes nicht in die Knie zwingt, und auch Frau Ferres könnte bescheidener sein. Oder wenigstens mal den Mund halten, einfach einmal den Mund halten. Und Heidi Klum soll uns mit ihrem Wandschrank-Sex mit Seal verschonen. Viel lieber würden wir von ihr hören, dass sie das Eheleben manchmal ziemlich anstrengend findet. Genau wie wir auch.

Ja, wir brauchen Frauen als Vorbilder, Frauen in Machtpositionen und am glamourösen Sternenhimmel, Frauen mit Visionen, Frauen, die die Welt verändern - aber sie sollen sich bitte nichts drauf einbilden. Sie sollen mindestens so tun, als tanzten sie mit uns noch mit. In der Reihe.

Komisch: An männliche Ikonen und Visionäre stellen wir viel weniger Ansprüche. Vor allem den einen nicht: bei allem, was sie tun, auch noch nett zu sein. Pablo Picasso war ein Frauenverschleißer? Martin Scorsese brüllt gern auf dem Set rum? Egal. Es ist ihre Leistung, die zählt, ihr Beitrag. So einfach machen wir Frauen es einander nicht. Was Alice Schwarzer, um bei dem dankbaren Beispiel zu bleiben, vor allem vorgeworfen wird, ist, dass sie nicht nett ist. Nicht einmal zu anderen Frauen. Skandal!

Männliche Machtmenschen müssen nicht nett sein

Würde man von männlichen Machtmenschen erwarten, dass sie große Visionen entwickeln, ohne auch nur einen Funken Größenwahn an den Tag zu legen? Dass sie die Macht ergreifen, ohne sie zu genießen? Dass sie führen und trotzdem immer nett sind? Nein.

image

Die strengsten Maßstäbe, das ist bekannt, legen Frauen an sich selbst an. Und weil die Grenzen zwischen Frauen durchlässig sind und leicht verschwimmen, machen wir keinen Unterschied zwischen uns und anderen Frauen. Deshalb bestehen wir so sehr darauf, dass unsere Freundinnen gleich denken, gleich fühlen, gleich leben wie wir. In dieser Gleichheit finden wir die Bestätigung, dass unser Leben richtig ist. Dass unsere Entscheidungen die richtigen sind. Deshalb beurteilen wir die Handlungen und Äußerungen prominenter Frauen so streng und so genau, als ginge es um unser eigenes Leben. Den unerfüllbaren Anspruch, abzuheben und gleichzeitig auf dem Boden zu bleiben, Großes zu leisten, ohne dabei aufzufallen, in der Reihe zu stehen und aus ihr zu tanzen, stellen wir an uns, an unser Leben. An diesem Anspruch scheitern wir oft.

Dass andere Frauen es wagen, sich einfach so über ihn hinwegzusetzen, die Fesseln, die uns am Boden halten, nicht nur abzuschütteln, sondern nicht einmal zu spüren, das macht uns fertig. Und deshalb reagieren wir so heftig auf diese Frauen. Brigitte Roser, Diplompsychologin und Unternehmensberaterin, hat eine interessante Theorie dazu. In ihrem Buch "Das Ende der Ausreden" beschreibt sie die Eigenschaften, die uns an anderen besonders nerven, als unseren "Schatten". Als eine Seite von uns, die wir nicht ausleben und die uns also fehlt.

"Statt das, was der andere tut und was uns provoziert, zu verdammen, können wir es als Frage an uns begreifen: Könnten wir das Positive dessen, was uns nervt, selbst leben, und würde uns das gut stehen?", gibt sie in einem BRIGITTE WOMAN-Gespräch (Heft 9/2007) zu bedenken. "Wenn uns einer nervt, der uns arrogant erscheint - wäre mehr Selbstbewusstsein nicht gut für uns? Wenn uns eine Frau irritiert, die ihre Weiblichkeit ausspielt - warum gestatten wir uns selbst das eigentlich nicht, und wäre es nicht hilfreich, es zu tun? Abwerten und sich aufregen hindern uns daran, unser eigenes Handlungsrepertoire zu erweitern." Anders ausgedrückt: Die Frauen, über die wir uns am meisten aufregen, die haben genau das, was uns fehlt.

Natürlich unterziehen wir nicht nur die Prominenz unserer genauen Inspektion. Die Rektorin der zur "besten" gewählten Schule der Schweiz gab in einem Interview zu, für ihren Mann und ihre drei immerhin fast erwachsenen Kinder weder zu putzen, noch einzukaufen, noch zu kochen. "Sie sehen, ich delegiere!" Diese Aussage löste mehr Protest aus als die etwas fragwürdige Rangliste der Schulen.

image

Oder die Unbekannte, deren Verhalten neulich vor dem Supermarkt in meinem Dorf diskutiert wurde. Genau konnte ich ihr Vergehen nicht rekonstruieren, obwohl ich ziemlich lange bei den Einkaufswagen stehen blieb und so tat, als suche ich etwas in meiner Tasche. Schließlich verstand ich: Die Abwesende, die so heftig Diskutierte, hat ihre Kinder zum Mittagstisch in der Schule angemeldet, obwohl sie nicht berufstätig ist. Damit sie mehr Zeit für sich hat. Zeit für sich? Statt für die Kinder zu kochen? Wo gibt es denn so was? Wo hat man so etwas schon gehört?

Da könnte ja jede kommen. Darauf läuft es meist hinaus. Aber es stimmt nicht. Eben nicht. Man muss sich schon was trauen. Man muss etwas wollen. Was immer es ist - einen ungestörten Tagesablauf, eine eigene Zeitschrift, mit dem Kopf eine gläserne Decke durchstoßen, zu den 500 reichsten Bürgern gehören oder seinen Namen auf einem Filmplakat lesen, und zwar in den größtmöglichen Buchstaben - man muss es mehr wollen als alles andere. Mehr noch, als geliebt zu werden.

Frauen, die polarisieren: Ich mag sie meistens. Denn ich bin sie von klein auf gewohnt. Meine Mutter ist auch so eine. Sie lässt, bis heute, keinen kalt. Entweder man findet sie großartig oder unmöglich. Das war kein leichtes Training. Als Kind habe ich mir oft gewünscht, sie wäre anders, sie wäre so wie die anderen. Eine Mutter, die sich im Hintergrund hält, die man nicht wahrnimmt.

Es macht Spaß, aus der Reihe zu tanzen

Wenn sie in unserem kleinen, aber wohlhabenden Vorort die Gemeindeversammlung stürmte und die Anwesenden (nicht zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte) der Korruption beschuldigte. Wenn sie sich auf einem Gartenfest mit einem lokalen Industriellen anlegte, der in seinem Betrieb auf den Toiletten einen Zeitschalter eingebaut hatte, damit die Arbeiterinnen nicht zu lange dem Arbeitsplatz fernblieben.

Es macht Spaß, aus der Reihe zu tanzen

image

Das fand meine Mutter unmenschlich, und das sagte sie ihm auch. Und zwar laut. Sie stritt sich so heftig mit dem Mann, dass sie schließlich von der Party gewiesen wurde. Ich folgte ihr in großem - räumlichem und zeitlichem - Abstand, als könnte ich so die Verbindung zwischen uns kappen.

Ich wünschte mir damals, der weiche Rasen unter meinen Füßen würde sich auftun und mich verschlucken. Ich wünschte mir in diesem Moment zu sterben. Nie mehr zur Schule gehen zu müssen - die Tochter des Industriellen ging in meine Klasse. Ein paar Jahre später sah ich die Dinge anders. Verstand ich meine Mutter. Ich war sogar stolz auf sie.

Vielleicht deshalb habe ich eine große Affinität zu so genannten schwierigen Frauen. Jeder Couleur. Ob sie durch flammendes politisches Engagement oder skrupellose Selbstvermarktung auffallen: Ich mag Frauen, die aus der Reihe tanzen. Ich weiß aber auch, wie anstrengend ihr Leben ist, wie einsam manchmal. Ich weiß, dass sie oft gern in die Reihe zurücktreten, in ihr verschwinden würden. Wenn sie nur könnten. Ich weiß auch, wie bequem man in der Reihe steht und wie verlockend es doch ist, aus ihr zu tanzen. Mit ganz kleinen Schritten erst mal, mit sachten Drehungen, nach rechts, nach links, die Zehen vorschieben, doch, das macht Spaß.

Zum Weiterlesen: Brigitte Roser: Das Ende der Ausreden. BRGITTE-Buch im Diana Verlag, 350 S., 16,95 Euro

Mehr über die Autorin Milena Moser

Text: Milena Moser Fotos: Ivo Mayr

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel