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Nur die Liebe fehlt

Franziska Wolffheim besucht den Hamburger Künstler Michael Sazarin. Ein paar Quadratmeter reichen ihm zum Leben. Er nennt das Freiheit. Beneidenswert, oder?

"Setzen Sie sich." Ich weiß nur nicht, wohin. An den Wänden lehnen überall Leinwände, die Fenster halb zugestellt, tausendundein Farbspritzer auf dem Boden, zig Farbdosen, Schummerlicht. Während ich noch stehe, schiebt mir Michael Sazarin einen Stuhl unter den Po. Er baut zwei Tischböcke auf, legt eine umgedrehte Leinwand darüber, stellt eine Kanne Jasmintee und Butterkuchen darauf ab. Es riecht nach Mandeln und Farbe. "Bedienen Sie sich!"

Seit 28 Jahren hat Sazarin sein Atelier im Hamburger Stadtteil St. Georg, Koppel 66. Eine ehemalige Maschinenfabrik, in der Werkstätten und Ateliers untergebracht sind. Man kann hier schöne Handtaschen und originellen Schmuck kaufen. Oder, ganz oben im zweiten Stock, ein Bild von Michael Sazarin.

Die Ein-Mann-Show beginnt. Der Künstler redet. Redet, redet, redet. Mit lauter Stimme, gestikuliert. Ich begreife, dass ich gar nichts fragen muss. Ich sitze einfach auf meinem Stuhl wie im Theater, höre und schaue ihm zu. Grauer Kinnbart, Stoppelhaare, freundliche Augen. Er trägt ein weißes Hemd - ohne bunte Spritzer. Hinter ihm seine Bilder, großflächig, farbig, hochexplosiv, geballte Energie. Action-Painting nennt Sazarin das. Was er jetzt macht, ist Action-Talking. Er wirkt so, als habe ihn jemand vor unserem Gespräch mit einem Drehschlüssel aufgezogen. Woher er seine Power nehme, frage ich den 65-Jährigen ein wenig beunruhigt. Ich bin 20 Jahre jünger und auch keine lahme Ente. In diesem Moment aber schon. "Von meiner Mutter geerbt", sagt er lässig. "Maria Sazarina, gebürtige Russin und seinerzeit berühmte Schauspielerin. Sogar mit Heinz Rühmann hat sie Filme gedreht." Er selbst müsse jedoch ein bisschen aufpassen. Hoher Blutdruck. Glaube ich sofort.

Der Kopf ist ein Affe, er springt, er erzählt dir heute dies, morgen das.

Sazarin ist kein Zauderer. Er hat viele Jobs gemacht in seinem Leben. Im Hamburger Hafen hat er Schiffszimmerer gelernt. Lebte jahrelang ärmlich bei einem Bauern, zur Untermiete in der Scheune. Arbeitete als Tischler, wäre fast Profiboxer geworden. Verbrachte ein paar Jahre in Amerika, weil ihn der Mythos reizte, Burt Lancaster, Kirk Douglas, große Autos und was einem jungen Naiven noch so zu Amerika einfällt.

Mit 30 fängt er an zu malen. Vorher nicht, da fehlte ihm der klare Blick. "Der Kopf ist ein Affe, er springt, er erzählt dir heute dies, morgen das. Man muss in sich hineinhorchen, was man wirklich will." Sazarin hat seitdem nicht mehr aufgehört zu malen. "Das Entscheidende ist das Durchhalten, daran scheitern die meisten." Von der Decke seines Ateliers hängt ein Sandsack. "Wenn ich frustriert bin, weil ich nichts verkaufe, boxe ich." Erst in den letzten Jahren habe er ein bisschen Erfolg. Er macht Ausstellungen, Sammler interessieren sich für seine Arbeiten, zwischen 7000 und 8000 Euro kostet ein großes Bild. "Nach wie vor verdiene ich keine Reichtümer, aber das stört mich nicht. Ich brauche fast nichts, und dadurch bin ich frei. Kommen Sie. Ich zeige Ihnen, wie ich wohne."

Sazarin steht auf. Ich folge ihm. In einer Ecke abgeteilt, auf ein paar Quadratmetern, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, alles in einem. Eine Kochplatte, Fernseher, Trimmrad, meterhohe Bücher- und Videostapel, hoffentlich knallt nichts auf mich herunter. Von der Decke hängt eine nackte Glühbirne. "Gemütlich, oder?" Ich zögere. "Keine Angst, mit Frauen bin ich durch, ich bringe keine mehr nach Hause. Schon den Farbgeruch kann ich niemandem zumuten. Früher war ich ein ziemlicher Reißer, aber jetzt ist es mit den Frauen vorbei." Eigentlich gibt es nichts, über das Sazarin nicht spricht. Anders als manche Künstler, die nur über ihre Kunst reden können. Schönheit, Verführung, Whisky, Sex, Motorräder, Meditation, er lässt nichts aus. Sein Sprechtempo ist mit der Zeit nicht langsamer geworden, eher im Gegenteil. Wenn ich ihm zuhöre, habe ich das Gefühl, mit ihm im Porsche durch sein Leben zu sausen. Dabei schlendern wir gerade durch sein Atelier.

Michael Sazarin kneift die Augen zusammen. "Ich mische die Techniken, arbeite mit Ölfarben, Wasser, Erde, klebe Elemente auf, reiße raus, wasche aus. Das ist kein Gekleckere, sondern gesteuerter Zufall. Das Dämmerlicht reicht mir, häufig male ich mit fast geschlossenen Augen. Kunst bildet niemals die Wirklichkeit ab, sondern ist eine Parallelwelt."

Für Michael Sazarin ist jedes Bild ein Kampf

In dieser Parallelwelt lebt er die meiste Zeit. Hasst Termine, sieht Freunde nur selten, Kinder hat er nicht, Eltern nicht mehr. Schottet sich ab in seinem Bunker der tausend Bilder. Und es sind sogar mehr. Arbeitet häufig an drei bis vier Leinwänden zugleich. Jedes Bild ein Kampf. "Ich habe dann einen Stier vor mir, einer gewinnt, er oder ich. Manchmal gewinnt das Bild, das heißt, ich kriege es nicht hin, dann muss ich es übermalen. Von zehn Bildern bleiben zwei auf der Strecke. Trotzdem bin ich dankbar, dass ich malen kann. Und danke Gott dafür, mehrmals am Tag."

Was fehlt in diesem Leben? Die Liebe, was sonst. Sazarin schleudert alle Energie in seine Bilder. "Das kann nicht jeder", sagt er. "Aber man gewöhnt sich an alles, auch an sich selbst."

Dieser Mann ist verrückt, denke ich, als ich mich von ihm verabschiede. Nein, ist er nicht. Eher etwas monoman. Aber ein freundlicher Monomane. Der daran denkt, Butterkuchen zu kaufen.

Als ich die Treppen hinuntergehe, an schönen Handtaschen und Ketten vorbei, habe ich noch seine Schlafkammer mit der nackten Glühbirne im Kopf. Keine Frage, das Leben von Michael Sazarin hat etwas Mönchisches. Und wie ein echter Mönch stellt Sazarin die Sinnfrage nicht, er hat sie für sich beantwortet. Viele würden ihn darum beneiden.

Mehr über den Hamburger Maler erfahren Sie auf www.sazarin.de

Text: Franziska Wolffheim Illustration: Rinah Lang

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