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Nicht reich, aber glücklich

Theater spielen, malen, Romane schreiben: Kreative Berufe machen selten reich, dafür aber glücklicher. Diese fünf Frauen sagen: "Wir können nicht anders."

Warum gibt eine Frau ihr gesamtes Vermögen für ein Theaterspiel aus? Warum malt eine Bilder, die niemand kaufen will, und quält sich eine andere beim Schreiben? Und warum lohnt es sich, für Lieder zu kämpfen, die nur für den Augenblick existieren? Die Künstlerinnen, um die es hier geht, haben einen triftigen Grund für ihre Unvernunft: Sie können nicht anders. Sie würden Magenschmerzen bekommen, innerlich vertrocknen, sich selbst hassen, wenn sie nicht das tun könnten, wofür sie brennen: Mit anderen Künstlern oder auch ganz allein eine Welt erschaffen. Mit Worten die Sinne für die Wirklichkeit schärfen. Mit einem Pinselstrich den Zwängen des Alltags entfliehen. Oder mit der eigenen Stimme Teil eines Universums werden. Nur Kinder und Liebende gehen so bedingungslos einer Sache nach. Eins ist gewiss: Ohne sie wäre die Welt so trist wie eine Börsentabelle.

Langer Atem oder erstickte Stimme

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Marion Martienzen 56, Jazz-Sängerin

Einmal ging sie als Salat auf die Bühne. In einem giftgrünen Gewand und mit einem Kopfsalat als Hut, ein paar Blätter hingen ihr in die Stirn. Und dann sang sie, kraftvoll und zart zugleich, den alten Ray-Charles-Song "It's not easy being green". Dieser Humor ist typisch für die Schauspielerin und Sängerin Marion Martienzen. Sie kann umwerfend aussehen mit ihren dunklen Haaren und kirschrot geschminkten Lippen. Manchmal schmeißt sie sich in einen Glitzerfummel wie bei ihren Auftritten in dem Gesangsduo "Just the two of us". Aber so richtig ernst nimmt sie sich dabei nicht. "Das sind Verkleidungen. Es macht mir ungeheuren Spaß, dieses Unbedingt-sexy-sein-Wollen zu durchbrechen." Vielleicht schützt sie der Humor auch davor, sich mit ihren Jazz-Idolen zu messen. "Ich hab ja nie hart für den Gesang gearbeitet", sagt sie. Bis heute kann sie keine Noten lesen und beim Singen nicht richtig atmen. Manchmal, sagt sie, habe sie nach einer Zeile keine Luft mehr. "Dann muss ich mich irgendwo festhalten, sonst kippe ich um."

Sie hat fast 40 Jahre Bühnen- und Stimmerfahrung. Ihre Eltern waren Schauspieler, ließen die kleine Marion die Synchronstimme des Mädchens Scout in "Wer die Nachtigall stört" sprechen. Mit 16 dann Schauspielschule in London, mit 20 das erste Engagement am Theater. Doch ihr Gesangstalent hat sie lange Zeit unterschätzt. Sie war Anfang 40, als sie am Schauspielhaus in Hamburg eine Rolle bekam, die ihr Leben ändern sollte. Das Stück hieß "Sekretärinnen", und darin wurde nur gesungen. Es folgten weitere "Liederabende". Auf einmal hatte Marion Martienzen Fans, die nur ins Theater gingen, um ihre Interpretation von Aretha Franklins "Respect" zu hören. Würden sie auch noch kommen, wenn sie Jazz-Klassiker auf Deutsch singen würde?

Monatelang hatte sie an den Liedtexten gearbeitet. Irgendwann waren 22 Stücke fertig. Und dann rief tatsächlich das große Plattenlabel Universal bei ihr an. Man wolle ein paar Showcases mit ihr veranstalten. Kann sie singen, sich bewegen, sich "presenten"? Kann sie. Die Clubs waren voll. Doch am Ende blies Universal unerwartet alles ab.

Andere würden jetzt vielleicht aufgeben. Das erste Album mit 56? "Jetzt erst recht", sagt Marion Martienzen. Sie hat einen langen Atem gebraucht, um zu begreifen: "Es geht mir nicht um Anerkennung und Geld, sondern darum, ein Teil der Musik zu sein, die ich schon mein Leben lang liebe." Auch wenn ihr manchmal die Luft wegbleibt, beim Singen, sagt sie, sei sie "einfach glücklich". Man kann das sehen.

Freiheit oder Frust

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Franziska Sperr 60, Schriftstellerin

Ein schöner Satz kann sie tagelang glücklich machen. Dann läuft sie trällernd durch das Haus am Starnberger See. Alles fließt, jede Formulierung sitzt auf Anhieb. Für solche Tage, sagt Franziska Sperr, lohnen sich die anderen, diese Tage, an denen ihr nichts gelingt. Da tippt sie etwas, löscht es wieder. So geht es hin und her. "Ich muss dann aufpassen, nicht alles zu verwerfen."

Und doch hat sie es genau so gewollt. Hat den sicheren Job als Pressesprecherin im Münchner Kulturreferat an den Nagel gehängt, um mit Anfang 50 als Schriftstellerin noch mal neu anzufangen. Dabei hätte die Familie ihr festes Gehalt gut gebrauchen können. Sohn und Tochter studieren in Berlin. Und ihr Mann, der Philosoph und Autor Johano Strasser, ist schließlich auch Freiberufler. Doch er sagte damals: "Mach das, du bekommst sonst Magenschmerzen!"

Ich kann alles erschaffen - oder nichts

Zwei Bücher hat sie seitdem veröffentlicht. Der Erzählband "Stumm vor Glück" (2005) handelt von mausgrauen Männern oder frustrierten Ehefrauen, all jenen Zu-kurz-Gekommenen dieser Welt, die auch einen Zipfel vom Glück abbekommen wollen. Die Kritiker sind begeistert. Trotzdem muss sie für ihr nächstes Buch kämpfen. Zehn Verlage lehnen es ab. Sie gibt nicht auf. 2008 erscheint ihr Romandebüt "Das Revier der Amsel" über zwei ungleiche Schwestern. Glasklar erzählt, scharf beobachtet, nie gefühlig. "Große Kunst", jubelt ein Rezensent.

Doch Schreiben bedeutet immer beides: Macht und Ohnmacht. "Ich kann alles erschaffen - oder nichts", sagt Franziska Sperr. Riesige Freiheit oder großer Frust - diese Spannung muss man aushalten können. Manchmal, sagt sie, zittert sie vor Aufregung, wenn sie an ihrem Laptop im Arbeitszimmer sitzt. Niemand sei unerbittlicher als der innere Kritiker. Gerade schreibt sie am Manuskript für einen neuen Verlag, weil ihr alter pleiteging. Wieder muss sie von vorn anfangen, für eine Literatur werben, die nicht gefällig sein will, sondern einen zwingt, dort hinzusehen, wo scheinbar nichts passiert: in Einbauküchen, S-Bahnen oder Büros, wo ihre unscheinbaren Helden tapfer gegen verpasste Chancen kämpfen. Literatur, die einem die Augen öffnet. Sie weiß, das kann sie. An guten Tagen jedenfalls.

Geld oder Leben

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Hille Darjes 66, Schauspielerin

Mit 50.000 Euro kann man eine Menge machen. Ein Auto kaufen, zwei Jahre in den Urlaub fahren oder das Geld für schlechte Zeiten sparen. Doch Hille Darjes und ihr Mann Chris Alexander haben alles für eine Illusion ausgegeben, ihre ganzen Ersparnisse für so etwas Flüchtiges wie eine Theateraufführung. "Shakespeare in Trouble" heißt ihr Stück, das sie in Berlin als Gastspiel aufgeführt haben. Sie haben es geschrieben, geprobt und inszeniert, die gesamte Ausstattung transportiert, alle Gagen bezahlt - nur nicht ihre eigenen. Für den Regisseur und die Schauspielerin blieb nichts übrig.

"Ich finde uns mutig und interessant. Nur wenige lassen sich auf so ein Abenteuer ein", schreibt Hille Darjes in einem Brief. Stimmt. Aber warum eigentlich? "Weil ich in meinem Alter sonst keine Rollen mehr bekomme", sagt sie geradeheraus. Eine grauhaarige Frau mit neugierigen Augen und einem trotzigen Mund. Natürlich könnte sie mit ihren 66 Jahren auch aufhören, ihr Mann verdient als Opernregisseur genug für beide. Doch wie soll das gehen, wenn Leben und Arbeit so eng verzahnt sind? Geld spielte dabei schon immer eine Nebenrolle. Sie wohnt mit ihrem Mann und anderen Familien und Künstlern auf einem reetgedeckten Hof in Worpswede. Hier proben sie in einem Schuppen auch ihre Stücke. Seit über 20 Jahren macht sie freies Theater. Ihre letzte Festanstellung kündigte sie mit 41, um mit ihrem sechsjährigen Sohn zu ihrem Mann zu ziehen. Bist du verrückt? Du findest nie wieder ein Engagement, meinten Freunde damals. "War ja auch so", sagt sie trocken.

Also gründete sie mit ihrem Mann ihr eigenes Theater in Bremen, die bis heute erfolgreiche Shakespeare Company. Anfang der 90er löste sich die Gründungsgruppe auf. Fortan schrieb sich Hille Darjes ihre Rollen selbst. Über 500-mal trat sie mit ihrem Virginia-Woolf- Monolog "Ein Zimmer für sich allein" auf. Die Gagen stimmten, sie musste ja mit niemandem teilen. Doch ihr fehlte die Gemeinschaft mit anderen, sagt sie. Sie wollte noch einmal die alten Company- Kollegen zusammenbringen. Es sollte eine historische Komödie über die eigene Zunft werden. Über Ängste und Eitelkeiten einer Theatergruppe und das Zusammenstehen in unsicheren Zeiten. Als sie "Shakespeare in Trouble" dann aufführen konnten, wusste sie, wofür sie bezahlt hatte. "Die Vorstellungen waren wie ein wochenlanges Fest." Abends spielten sie, dann aßen und tranken sie zusammen. Und Hille Darjes war mittendrin.

"Schauspieler sind sonderbare Wesen", heißt es einmal in dem Stück. Warum eigentlich? "Weil sie das Spiel so ernst nehmen", sagt sie. Und wie geht es jetzt weiter mit ihrem 50.000-Euro-Spiel? "Ich schreibe wieder neue Theater in anderen Städten an", sagt sie. Es geht schließlich um ihr Leben.

Kunst oder Küche

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Julia Rein 43, Malerin

Zwischen Waschmaschine und Trockner stapeln sich die Gemälde eines halben Lebens. Kachelgroße Leinwände, darauf: Teller, Tassen, Toaster. Oder ein Wäscheständer mit Socken, bei Tag und bei Nacht. Julia Rein malt das, was sie unmittelbar umgibt. Es sind Bilder, die dem Alltag, diesem gnadenlosen Rhythmus aus Spülen, Kochen, Putzen, ein Schnippchen zu schlagen scheinen, indem sie die Dinge ihrem eigentlichen Zweck entheben. Auf anderen Bildern kontrastiert sie die häusliche Welt mit dem großen Weltgeschehen. Dann stellt sie Lara Croft, die Superheldin der 90er, vor eine Wäscheleine. Malt dramatische Fußballszenen, die sie in den Alben ihres Bruders gefunden hat, auf knallbunte Stoffreste aus dem Keller ihrer Mutter. Oder sie stickt die Köpfe von Nachrichtensprechern darauf.

Ich mache den Haushalt oder Kunst

Auf einem echten Frühstücksbrettchen aus ihrer Küche liegen drei gemalte Wurstscheiben aus Holz. Titel: "Brotlos". Sie meint damit auch sich selbst. Wenn sie Glück hat, verkauft sie zwei Bilder im Monat. Mehr als 400 Euro springen dabei selten raus. Sie führt ein bescheidenes Leben - kein Auto, kein Urlaub -, zu dem auch ein bisschen Unvernunft und Trotz gehören. Mit ihrem Mann, der ebenfalls Freiberufler ist, bekommt die 43-Jährige gerade ihr drittes Kind. Seit sie kurz vor dem Abitur die Schule abgebrochen hat, schlägt sie sich mit Jobs durch, als Aufsicht im Museum, Kartenabreißerin oder wie jetzt als Kassiererin in der Stuttgarter Staatsgalerie. Bevor sie eine Familie hatte, malte sie in ihrer Einzimmerwohnung. "Im Klo standen die fertigen Bilder. Neben dem Bett die Staffelei", erzählt sie. Alles stank nach billiger Acryl-Farbe, andere konnte sie sich oft nicht leisten. "Einmal hatte ich gar kein Geld mehr für Farben, da habe ich meine Bilder einfach gestickt." Ihr Alltag ist klar aufgeteilt. "Wenn ich nicht ins Museum muss, mache ich den Haushalt oder Kunst." Nur drei Schritte liegen zwischen ihrer Küche und ihrem Atelier. Die wenigen Stunden, die sie dort hat, muss sie gleich loslegen, sagt sie, ohne "lange rumzuspinnen". Und wenn sie mal nicht dazu kommt, der Kunst ihren Platz einzuräumen? "Dann nerve ich alle und bin unglücklich." Sie muss malen. Niemand zwingt sie dazu. Nur sie selbst. Im Leben müssten wir ständig äußeren Zwängen gehorchen, sagt sie. "Kunst ist ja etwas, was man nicht braucht, was völlig unnütz ist." Wenn jemand eins ihrer Bilder kauft, wundert sie sich erst immer ein bisschen. Und dann freut sie sich.

Alles oder nichts

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Gilla Cremer 52, Ein-Frau-Theater

Sie steht ganz allein auf der Bühne. Ist Vater, Mutter, Tochter, wie in dem Nachkriegsdrama "Vater hat Lager", oder Kind, Mädchen und alte Frau, wie in dem Hildegard-Knef-Stück "So oder so". Besonders berührt sie als alleinerziehende Mutter, die eine tödliche Entscheidung trifft, in "Meeresrand" von Véronique Olmi. Bis zu zweieinhalb Stunden Monolog, über 100 Seiten auswendig gelernter Text. Und wenn der Vorhang fällt, geht es immer noch weiter. Sie baut die Bühne ab, verstaut die mitgebrachten Requisiten in ihrem roten VW-Bus und bricht nach einer Nacht im Hotel wieder auf zu einem anderen Spielort.

"Theater Unikate" nennt Gilla Cremer ihr mobiles Ein-Frau- Unternehmen, mit dem sie seit über 20 Jahren unterwegs ist. Und in dem sie alles, aber wirklich alles allein macht: Stoffe recherchieren, Fördergelder eintreiben, Stücke schreiben, Spielorte finden, Flyer und Plakate drucken, um Zuschauer werben, von Bad Berleburg bis Bünde touren - etwas vergessen? Ach ja, spielen muss sie ja auch noch. Und zwar mit dem gleichen Furor vor 700 Leuten am Hamburger Thalia Theater wie vor ein paar Dutzend Zuschauern auf einer kleinen Provinzbühne, wo sie notfalls vor der Vorstellung auch die Eintrittskarten selbst zerreißt.

Geht es nicht etwas leichter? Gilla Cremer sitzt nach einem dieser 16-Stunden-Tage auf einem Barhocker, groß, blond, strahlend, und trinkt Bier aus der Flasche. "Die Solokarriere entstand aus einer Not", sagt sie. Alles fing damit an, dass sie als alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern nicht mehr in ihre freie Theatergruppe passte. Ein festes Engagement war nicht in Aussicht. Sie war nie auf einer klassischen Schauspielschule, ihr Werdegang ist eigenwillig: Tanzausbildung in New York, Maskenschnitzerei auf Bali, Studium der Theateranthropologie in Bonn. Hier begegnete ihr mal die Lehre des so genannten "armen Theaters". Die Bühne sollte, wie sie sagt, "von allem Schnickschnack befreit werden". Es ging darum, aus dem Nichts eine ganze Welt zu fantasieren - heute beherrscht sie diese Kunst perfekt.

Sie ist jetzt 52 Jahre alt. Ihr athletischer Körper erzählt nichts davon. Vielleicht hält sie dieses Onthe- road-Lebensgefühl jung. Und das, was sie als den "therapeutischen Effekt" ihrer Arbeit beschreibt. "Alles sein können, Diva, Mörder, Idiot, alles hemmungslos ausleben, Wut, Panik, Verzweiflung, ohne dass es Konsequenzen hat." Befreiend sei das. Und dann "dieser unglaubliche Luxus, alles selbst bestimmen zu können". Die Kehrseite: nie krank sein dürfen. Der finanzielle Druck. Es gab Zeiten, da war ihr Terminkalender monatelang leer. Alles oder nichts - zwischen diesen Polen bewegt sich ihr Leben.

2009 war ein gutes Jahr. 43 Vorstellungen aus dem Repertoire ihrer zehn Stücke. Es sind ernste, traurige, komische Geschichten über deutsche Verhältnisse, die unterhalten und zugleich aufrütteln wollen. Für Gilla Cremer sind sie ihr "Lebenskapital".

Text: Ariane Heimbach Fotos: Antonia Gern

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