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Ober sticht unter

Er ist ihr Chef und ein junger dazu. So jung, dass sie seine Mutter sein könnte. Wie eine Frau damit umgeht, einen Vorgesetzten aus einer anderen Generation zu haben.

Mein Gott, sieht der jung aus, dachte ich, als ich vor seinem Schreibtisch stand. Und so verdammt sexy! Unwillkürlich drückte ich Kreuz durch, Busen raus und lächelte ihn an, meinen künftigen Chef. "Ich bin ... die Neue", sagte ich und kam mir im selbem Moment total lächerlich vor. Ich klang wie ein aufgeregter Teenager. Aufgeregt war ich zwar, aber kein Teenager. Schon lange nicht mehr. Unerfreulich präzise gesagt, ich war 48 Jahre alt, bei Kerzenschimmer ging ich für Mitte 30 durch, morgens, ungeschminkt, allerdings für Mitte 50. Aber da gefühltes und tatsächliches Alter selten übereinstimmen, versuchte ich, oft erfolgreich, diese Tatsache zu verdrängen. Ich fühlte mich jung, ich war eine Frau, die das Leben und die Männer liebte, und eigentlich hatten sie mich bis jetzt auch zurückgeliebt. Mein Berufsalltag war immer mit einer Prise Erotik gewürzt. Gewesen?

Ein junger Chef - und ein Flirt ist ausgeschlossen

"Guten Tag, Frau M." Der Mann, den ich in dieser Sekunde "Babychef" taufte, weil der etwas alberne Name die Situation zumindest mit einer Prise Humor würzte, stand auf und reichte mir die Hand. "Ich freue mich, Sie in unserem Team begrüßen zu dürfen." - "Ich mich auch", erwiderte ich. Was mir sofort auffiel, war sein prüfender Blick. Nicht ein Hauch von Flirt. Er sah mich an, wie ein Chef seine zukünftige Mitarbeiterin eben so ansieht. Ist sie gut genug? Blamiert sie meine Abteilung auch nicht? Als Frau schien ich für ihn unsichtbar. Diese Erkenntnis verunsicherte mich. Obwohl, warum eigentlich? Er sah wie Ende 20 aus. Theoretisch hätte er mein Sohn sein können. Aber ich fühlte mich nicht mütterlich. Ich fühlte mich schrecklich. So als würde mir auf einmal ein graues Haar am Kinn sprießen.

"Setzen Sie sich doch", Babychefs Stimme klang sachlich, "erzählen Sie mir, was Sie bisher gemacht haben." Eine heiße Stichflamme (Wut? Panik? Unsicherheit?) durchschoss mich. Ich war seit 25 Jahren Journalistin, dreimal preisgekrönt, und er kannte meine Arbeit nicht? Am liebsten hätte ich gesagt: "Sie haben Ihre Hausaufgaben wohl nicht gemacht", verkniff es mir jedoch.

Ich war alt, aber nicht dumm. Er war jung, aber mein Chef.

Ich war alt, ich war sauer, aber ich war nicht dumm. Und er war jung, blöd, aber mein Chef. Eingestellt hatte er mich zwar nicht, sondern sein Vorgänger, ein sehr attraktiver Mann Mitte 50, mit dem ich vor 15 Jahren nach meinem Bewerbungsgespräch ein Glas Wein getrunken und wie selbstverständlich ein wenig geflirtet hatte. Doch seine Abteilung war jetzt aufgelöst worden und ich "neu zugeordnet", wie es so nett heißt. "Darf ich rauchen?" fragte ich nervös. "Nein", sagte mein Chef, "in meinem Büro herrscht absolutes Rauchverbot. Danke für Ihr Verständnis."

So begann mein Arbeitsverhältnis mit einem Mann, der in den Windeln lag, als ich zum ersten Mal die Pille vergaß. Der HipHop auf seinem iPod hörte und nicht wusste, wie die Beatles hießen. Dem ich meinen ersten mentalen "Alterungsschub" verdankte.

Ich hatte mich immer jung gefühlt, wobei ich unbewusst vermutlich mein Gefühl von "Jungsein" immer wieder neu definiert hatte. Jung mit 30 waren durchfeierte Nächte und morgens immer noch wie eine Rose aussehen. Jung mit 40 um die Alster joggen ohne Atemnot. Jung mit 48 war Schwitzen, das noch kein Hot Flash war. Als Meisterin der Verdrängung hatte ich die Zeichen einfach ignoriert, die zaghaften Gefühle von Beklommenheit weggeschoben. Bis Ende 30 hatte ich mich quasi unsterblich gefühlt. Ich war gesund und sehr aktiv, meine Ehe ist zwar gescheitert, aber an Männern fehlte es mir nicht. Obwohl ich nie das Rote Meer geteilt hatte, wenn ich mich "anknipste", sobald ich einen Raum betrat, bekam ich noch immer jeden Mann, den ich ernsthaft wollte.

Mein gefühltes Alter lag etwa bei Mitte 30.

Klar, es gab Warnzeichen, an denen auch ich nicht vorbeikam. Erste Knitterfältchen, erste Pölsterchen, während der Rest der Welt immer jünger zu werden schien. Der dicke neue Ministerpräsident mit Halbglatze, der jünger war als ich! Musik, bei der ich mir die Ohren zuhielt. Klamotten, in denen ich wie eine halb geplatzte Bratwurst aussah. Meine wilden Jahre waren vorbei, mein Horizont nicht mehr grenzenlos. Mein gefühltes Alter mochte Mitte 30 sein, trotzdem wurde ich immer öfter zurückgesiezt. Einmal stand ich mit dem Rücken zur Verkäuferin und wühlte in einem Pullover-Haufen. "Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte sie, und als ich mich umdrehte, rief sie erschrocken: "Entschuldigung. Kann ich IHNEN helfen?"

Doch im Beruf hatte ich bis jetzt meine Ruhe. Bei einer Reporterin für Politik kam es zum Glück nicht auf Optik und Jugend an, sondern auf Erfahrung und Wissen. Ich war eine gute Journalistin, die zu viel rauchte, es mit Churchills "No sports, please" hielt und sich im Kollegenkreis sicher und geborgen fühlte. Vorbei. Ich hatte den Generationswechsel glatt verschlafen. Babychef hatte nicht nur nie geraucht, er war auch sonst ein absoluter Gesundheitsfreak, der jeden Morgen Power-Yoga machte und bis mittags nur Obst aß. "Tja, das ist die neue Führungsgeneration", sagte meine Kollegin Ute, auch ein Dinosaurier wie ich, "die gesunden, hoch gewachsenen Anzugträger sind jetzt mehr gefragt als die qualmenden Vollblutjournalisten, die jeden Abend einen Absacker brauchen."

Erfahrung kontra Jugend

Kein schönes Gefühl, wenn man sich plötzlich als Auslaufmodell fühlt. Wenn die Themen, die man vorschlägt, für die Zielgruppe nicht mehr interessant sind. Wenn man die Themen, die es sein sollen, selbst für todlangweilig hält. Wenn einem, und das ist das Schlimmste, jemand mit deutlich weniger Berufspraxis in der Arbeit herumpfuschen darf. Wie schnell mein in Jahren mühsam erarbeitetes Selbstbewusstsein wegschmolz, wenn Babychef mich anrief: "Haben Sie einen Moment Zeit, Frau M.?" Was drohte mir, Abmahnung, Kündigung? Dank meiner Erfahrung fühlte ich mich ihm zwar weit überlegen, doch konfrontiert mit seiner Jugend fühlte ich mich klein, schwach, hilflos wütend. Wieso erlaubte ich ihm solche Macht über mich? Weil ich ein eingestanztes Verfallsdatum auf meiner Stirn fühlte?

"Probier's doch mal mit Botox", scherzte eine Kollegin, deren Chef ebenfalls ein gutes Jahrzehnt jünger war, "und versuch, fair zu bleiben. Auch junge Leute haben manchmal Recht. Auch du machst noch manchmal Fehler." Gut gesagt, schwer befolgt. Weil es so viel leichter, weil "natürlicher" ist, vor jemandem Fehler zuzugeben und auf seinen Rat zu hören, der deutlich älter ist. Weil es sich als Schwäche und Unterlegenheit anfühlt, dies bei einem deutlich Jüngeren zu tun.

Ich litt wie ein Hund, als Babychef die lange Leine meiner bisherigen Freiheit immer enger anzog. Da ich ihn nicht als Autorität akzeptieren wollte, gebärdete er sich immer autoritärer. "Ich möchte, dass Sie die letzten beiden Absätze umschreiben", sagte er. "Ich finde sie gut so", erwiderte ich und hätte ihm gern, ganz pubertär, die Augen ausgekratzt. Oder seinen heiß geliebten iPod ins Klo gespült. "Aber ICH finde sie korrekturbedürftig, liebe Frau M.", lächelte er, scheinbar völlig ungerührt, "und damit TD. Sie wissen, was das heißt?" Tod und Doppelmord? "Sie werden es mir gleich sagen", sagte ich kühl, obwohl mir das Blut in den Ohren kochte. "Thema durch", jetzt grinste er, und wäre ich 20 Jahre jünger gewesen, hätte ich zurückgegrinst und ihn zum Anbeißen gefunden.

Wie selbstverständlich es für mich immer gewesen war, auch mit den Waffen einer Frau zu kämpfen, wurde mir in diesem Augenblick schmerzlich bewusst. Ich sagte nichts und dachte an die vielen arbeitslosen Journalisten, die sich um meinen Job geprügelt hätten. Aber ich hasste die hilflose, wütende Frau, zu der Babychef mich degradiert hatte. So wollte ich nicht bleiben, so ohnmächtig und aggressiv. Wo war mein Selbstbewusstsein, wo meine Power?

Du kannst die Situation nicht ändern, also leb' mit ihr.

Meine Freundin Elisabeth ist 55 und hat einen Chef im Alter ihrer Tochter. "Wenn er mir was sagt, dann denke ich immer: Putz dir mal die Nase, wo ist dein Taschentuch? Ein perverses Gefühl, seinen Kindern gehorchen zu müssen." Sie ist nicht die Einzige. Ein Machtwechsel hat stattgefunden, die heute Ab-50-Jährigen sind ersetzt worden durch die Ab-30-Jährigen. "Welcome to the club", tröstete mich meine ältere Schwester, die sich als Lehrerin mit 53 von ihrem 38-jährigen Schulleiter "Ich halte Ihre Lehrmethoden für reichlich veraltet" sagen lassen musste. "Ich habe eine Nacht vor Wut ins Kissen gebissen, obwohl er in der Sache vielleicht sogar ein bisschen Recht hatte." Sie gab mir einen Tipp: "Bei Ideen, die dir wichtig sind, immer in der Wir-Form reden. Dann fühlt sich dein Chef sofort geschmeichelt, und du kriegst, was du willst."

Nach drei harten Monaten, in denen ich zum Glück vor lauter Stress zwölf Pfund abspeckte und nachts von Giftmord (Insulin ist nach drei Stunden nicht mehr nachweisbar) oder Altersarmut albträumte, sagte ich mir: Schluss jetzt! Du kannst die Situation nicht ändern, also dann leb auch mit ihr. Du bist gern Journalistin - also kämpf drum, dass dir die Freude am Beruf erhalten bleibt.

Kommunizieren, um miteinander auszukommen

Ich nahm meinen Restmut zusammen und ging zu ihm. Ergriff die Initiative, wie ich es gewohnt war. "Wir hatten es nicht leicht miteinander", sagte ich, "was an uns beiden lag. Ich habe mehr Erfahrung als Sie, aber deswegen nicht immer Recht. Sie sind jünger und unverbrauchter als ich und vergreifen sich manchmal im Ton. Ich versuche mich zu bessern, und ich erwarte von Ihnen dasselbe. Und damit TD." Ich ging, ohne seine Antwort abzuwarten, und fühlte mich saugut.

Eine Woche später, in einer Konferenz, passierte der Super-GAU. Babychef saß neben mir. Ich schlug ein Thema vor - die "First Husbands" - und sagte gerade: "Als Erstes müssen WIR versuchen, ein Interview mit Angela Merkels Prof. Sauer zu bekommen ...", als mich mein allererster Hot Flash so heftig erwischte, dass ich in Sekundenschnelle im Wasser stand. Ich dachte nur: "Bitte, bitte, sterben ..." Da fühlte ich, wie mir jemand ein Taschentuch in die Hand drückte. "Tief durchatmen", flüsterte Babychef, "kenn ich alles von meiner Mutter. Geht gleich wieder weg." Wir sahen uns an. Und fingen beide an zu lachen. Ich wischte mir den Schweiß vom Gesicht. "Der Mann ist schwierig, aber WIR können ihn knacken", sagte ich.

Aufgezeichnet von Evelyn HolstFoto: iStockphoto

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