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Match über mehrere Runden

Eva Rolle ist hart im Nehmen - und im Austeilen auch. Johanna Lührs traf Deutschlands erste Boxmanagerin und heutige Barbesitzerin in Berlin.

Am Ende hat sie mich ziemlich geschafft. Niedergestreckt mit ihren Worten. Ich hatte von ihr durch Zufall gehört. Eva Rolle, die erste Boxmanagerin Deutschlands, eine Frau, die ins Profiboxen einstieg, als das noch eine Sache nur für harte Männer war. Eva "Rocky" Rolle, die den Boxweltmeister Graciano Rocchigiani aus dem Knast holte. Und dann plötzlich von der Bildfläche verschwand. Erst nach Afrika und dann ins Gefängnis, hieß es. Jetzt sollte sie eine Kneipe in Kreuzberg eröffnet haben.

Ich habe mir noch nie was sagen lassen

Die Bar und die Boxerin. Vor meinem inneren Auge sah ich eine Frau, die mit gebrochener Nase in einem Kellerloch hockte, die Ellbogen auf den Tresen gestützt, während sie immer und immer wieder von dem einen großen Kampf ihres Lebens erzählte.

Ich hatte mich getäuscht. Die Bar ist kein Loch, sondern ein helles Lokal. Schon von Weitem blinkt die Lichterkette am Eingang, die Wände sind in saftigem Rot gestrichen, die Spiegel golden gerahmt. Eher ein überdekoriertes amerikanisches Einkaufszentrum als eine Kreuzberger Kneipe.

Und dann kommt sie. Eva Rolle ist eine von diesen Frauen, die unmöglich unbemerkt bleiben. Die man spürt, wenn sie den Raum betreten, und das nicht, weil sie so gut aussehen, sondern, weil sie so eine physische Präsenz haben. Alles an ihr ist kraftstrotzend. Sie trägt einen schwarzen kurzen Rock und Highheels. Ihr Kurzhaarschnitt ist sportlich, an ihren Ohren stecken zwei große goldene Ohrringe. Sie begrüßt mich mit festem Händedruck, wenige Minuten später sitze ich auf einem schwarzen Ledersofa.

Der Stoff, den sie mir in den folgenden Stunden um die Ohren haut, hat es in sich. Eva Rolles Leben beginnt mit einer Lüge. Sie wächst in Berlin-Kreuzberg auf, bei ihren Großeltern, von denen sie bis zu ihrem zwölften Lebensjahr denkt, sie seien ihre Eltern. Bis eines Tages die Polizei vor der Tür steht und sie von ihrer wahren Herkunft erfährt. Die Mutter, die ein paar Straßen weiter wohnt und die sie bislang als Tante kennt, pocht plötzlich aus einer Laune heraus auf ihr Sorgerecht und will sie zurückhaben. Die Polizei sagt, sie könne sich entscheiden: zu ihrer Mutter oder ins Heim. Sie geht ins Heim - aber nicht lang. Nur ein paar Stunden hält sie es da aus, dann springt sie durch das Fenster aus dem ersten Stock. Und landet im Krankenhaus, in der geschlossenen Abteilung.

Eva Rolle sitzt aufrecht da, während sie erzählt, die Muskeln ihrer Beine sind angespannt, zum Sprung bereit. "Ich hab mir noch nie etwas sagen lassen", sagt sie. Sie sei eine Außenseiterin gewesen, und als solche habe sie gelernt, ihre Fäuste zu benutzen. "Aber das hatte noch nichts mit Boxen zu tun." Das Boxen entdeckt sie im Fernsehen. Ihr Großvater, ein Ofensetzer, groß wie ein Schrank, weckt die En- kelin, wenn er morgens um fünf die Boxkämpfe aus Amerika im Fernsehen anguckt. Sie sieht Muhammad Ali und Ken Norton kämpfen. "Das war ein Zweikampf mit fairen Regeln", sagt sie. Regeln, die es in ihrem Leben nicht gibt. Ihres geht Schlag auf Schlag weiter. Mit 17 heiratet sie. Sie bekommt zwei Söhne und macht ihre erste Kneipe auf. Nach ein paar Jahren zieht die Familie aufs Land. Sie eröffnet eine Eventagentur. Dann nach Frankfurt am Main. Sie gründet zwei Stadtmagazine. 1997 kehrt die Familie nach Berlin zurück. Sie eröffnet eine Boxhalle. "Ich habe immer gearbeitet und mich um die Kinder gekümmert, und mein Mann stand daneben und hat nichts gemacht." Zack. Das war das Aufwärmtraining. Jetzt geht es in den Ring. Denn so, wie sie um ihren eigenen Platz kämpft, so bedingungslos tut sie das auch für ihre Kinder. Die Boxhalle hat sie für ihren Sohn eröffnet, einen sauberen Ort ohne "dieses ganze rechte Gesöchs". Schon bald trainieren dort vier Profiboxer und der Box-Juniorenweltmeister Danny Thiele. Und sie gründet das Projekt "Doppeldeckung", mit dem sie Jugendliche von der Straße holt und zum Boxen bringt. Ihre Halle wird schnell eine beliebte Adresse: Gregor Gysi, Ben Becker, viele Berliner Boxfans kommen vorbei, um sich die Kämpfe anzusehen. Sie ist bekannt, sie hat es geschafft, sie ist zufrieden. Könnte man denken.

Falsch gedacht. Frau Rolle setzt einen Haken an: "Wenn die Kameras an waren, haben immer alle gesagt, toll, Frau Rolle!" So wie Graciano Rocchigiani, der ehemalige Boxweltmeister, der in Amerika verhaftet worden war und für den sie bei seiner Entlassung bürgte. Er wollte sie dafür bei ihren sozialen Projekten mit den Jugendlichen unterstützen. "Und was ist passiert? Gar nichts hat er gemacht, der Penner!" Treffer. Das war der erste Schlag. "Aber wart mal ab, es kommt noch besser." Sie dreht an einem ihrer Ohrringe. Jetzt kommen die Männergeschichten. Sie verliebt sich in den Boxer, den sie als Managerin betreut. Aber so richtig, bis über beide Ohren. Sie will die Scheidung von ihrem Mann, doch der willigt nicht ein. Und was macht Frau Rolle? Heuert eine Prostituierte an, die ihn verführen soll. Sie sieht heute noch sehr zufrieden aus, wenn sie von ihrem Einfall erzählt. "Ruf mich an, wenn ihr so weit seit, dann komm ich und ertapp euch inflagranti", habe sie der Prostituierten gesagt. So geschieht es. Einen Monat bezahlt sie die Dame noch weiter, damit sie sich um ihn kümmert. Dann ist die Scheidung durch.

Und ihr Boxerfreund bald weg. Allerdings erst, nachdem sie ihm zuvor bis in seine Heimat nach Afrika gefolgt ist, eine Strandbar mit ihm eröffnet hat und einen Boxstall aufgezogen. "Dat hat wat", habe sie da gedacht. Sie bleibt noch ein paar Jahre, um die Sache richtig zu Ende zu bringen, bis sie zurück nach Deutschland kommt.

Bei ihrer Ankunft liegen drei Haftbefehle gegen sie vor. Einer davon wegen Waffenbesitzes. "Dabei war das nur ein Maschinengewehr, das ich mir mal auf dem Flohmarkt gekauft hatte", sagt sie. Sie habe es über dem Bett hängen gehabt als Wanddekoration. Leider hingen drei volle Magazine daneben.

Frau Rolle hat sich in Rage geredet, sie feuert jetzt ununterbrochen: die ungerechten Anschuldigungen, die falschen Freunde, die Zeit im Gefängnis. Man möchte jetzt nicht gern ihr Feind sein. Der Aschenbecher ist voll von ausgedrückten Zigarettenstummeln. Die Geschichte ist am Ende, die Frau ist es auch, denkt man, und doch: Sie rappelt sich noch einmal auf.

Während der Bewährungszeit arbeitet sie für eine Reinigungsfirma und schafft es, einen Autohausinhaber von ihrer Idee zu überzeugen, eine Bar zu eröffnen. Sieben Monate nach ihrer Entlassung sitzt sie als Gastgeberin im "Marciano".

Punktsieg. Ich muss nach Hause. Ins Bett. Mich erholen, von diesem Match über mehrere Runden.

Text: Johanna Lührs

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