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Bekenntnisse einer Emanze

Ingrid Kolb über Eva Herman, Hochzeiten im Mini-Kleid, besetzte Häuser und die Angst vor dem Feminismus-Verdacht.

Ich bin eine Emanze. Ich bin schuld, dass die Deutschen aussterben. Ich habe die Frauen ins Unglück getrieben. Ich habe sie wie einst der Satan den Messias auf einen Felsen gelockt und ihnen ein Trugbild von der Welt gezeigt. "Das alles kannst du haben", flüsterte ich, "Beruf, Karriere, Kinder, Familie, Partnerschaft..."

Und jetzt? Frauen sind "ausgelaugt, müde und haben wegen ihrer ständigen Überforderung nicht selten suizidale Fantasien". Sagt Eva Herman, eine sehr umtriebige Person, "Tagesschau"-Sprecherin, Talkshow-Moderatorin, Buchautorin, Musikproduzentin, Mutter eines kleinen Sohnes, viermal verheiratet. Soeben erschien ihr Buch "Das Eva-Prinzip", ein schon im Vorfeld umstrittenes "Plädoyer für eine neue Weiblichkeit", eine Anklage gegen die Emanzen, also auch gegen mich.

Emanzen wie mich erkennt man daran, dass sie gern berufstätig sind, Karriere nicht für etwas Widernatürliches halten, ihre Kinder - falls vorhanden - zeitweise fremden Leuten überlassen und natürlich am Doppelnamen. Als ich das erste Mal heiratete, durfte ich meinen Namen an den des Mannes anhängen. Da gab es für mich überhaupt kein Überlegen. Warum sollte ich plötzlich anders heißen?

So kam ich zu meinem ersten Doppelnamen, der fast so lang war wie das weiße Mini-Kleid, in dem ich heiratete. Den angeheirateten Teil des Namens benutzte ich fortan nur, wenn ich einen neuen Pass brauchte. Bei meiner zweiten Eheschließung konnte ich meinen Namen immerhin voranstellen. Erst nach dem neuen Namensrecht von 1994 könnte ich tun, was ich immer wollte: meinen Namenbehalten. Dafür entscheiden sich inzwischen 20 Prozent aller Paare. Zu spät für mich - ich heirate vermutlich kein drittes Mal. Inzwischen, wo nun alle Möglichkeiten offen stehen, nehmen wieder mehr Frauen als früher den Namen des Mannes an. Zum Beispiel Verona Pooth, die ehemalige Feldbusch. Sie findet es "einfach schön, wenn alle denselben Namen haben - damit zeigen wir der ganzen Welt, dass wir jetzt eine richtige Familie sind, ohne Wenn und Aber".

Abgesehen davon, dass hier die "richtige" Familie über das Türschild definiert wird, liegt Mutter Pooth voll im Trend. Familien sind schwer im Kommen. Sie gelten neuerdings als Hort des Überlebens. Mütter sollen das Vaterland retten. Schreibt etwa Frank Schirrmacher in seinem Buch "Minimum". Denn sie wärmen die kalte Welt mit all diesen wunderbaren menschlichen Eigenschaften, wie sie das Gebären so mit sich bringt - Mitgefühl, Opferbereitschaft, Selbstlosigkeit, Verzicht, Einfühlung.

Emanzen sind da eher störend. Hat nicht ihre Hohepriesterin Simone de Beauvoir vor der "Falle der Mutterschaft" gewarnt? Hat sie nicht Kindererziehung als "wahre Sklaverei" bezeichnet, bei der die Väter und die Gesellschaft die Frauen ziemlich allein ließen? Ich erinnere mich an Zeiten, in denen die Männer das auch zugaben. Wenn man sich in den siebziger Jahren auf einer Party als "Emanze" outete, war man schnell von Herren umringt. Nach prüfenden Blicken, ob das Kämpferische womöglich mit mangelnden Chancen auf dem erotischen Markt zu tun haben könnte, kamen die Fragen: "Wo sind denn Frauen benachteiligt? Sagen Sie doch mal? Darf ich Ihnen denn noch Feuer geben?" Ließ man sich dann, weil man noch rauchte, artig die Zigarette anzünden und referierte Statistiken über die Abwesenheit von Frauen in Führungspositionen, holte immer einer in der Runde zum entscheidenden Schlag aus. Aus ehrlicher Überzeugung kam das Argument: "Wissen Sie, die Frauen werden nie gleichberechtigt sein. Weil sie die Kinder kriegen. Das hat die Natur nun mal so eingerichtet. Das lässt sich nicht ändern. Wollen Sie das bestreiten?" Diese Männer hatten alle etwas von Frank Schirrmacher: beruflich erfolgreich, häuslich versorgt, entweder noch von der ersten Frau oder einer viel jüngeren Geliebten, karrierebewusst und neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen - solange nicht die eigene Bequemlichkeit in Gefahr war. Die interessantesten Gespräche ergaben sich übrigens immer zu vorgerückter Stunde, wenn die Ehefrauen dieser Männer ins Reden und Träumen kamen. Oft fiel dabei der Satz: "Ach, wenn die Kinder nicht wären..."

Das ist dreißig Jahre her. Und die Töchter dieser Ehefrauen, die damals dezent mit den Ketten klirrten, quälen sich immer noch damit ab, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Eine neue repräsentative BRIGITTE-Studie bestätigt, dass es der großen Mehrheit der Frauen - 83 Prozent! - mindestens so wichtig ist, Kinder großzuziehen, wie im Beruf zu stehen; 88 Prozent finden, dass der Beruf für die Frau genauso wichtig ist wie für den Mann; 53 Prozent sagen: Haushalt und Familie reichen für ein erfülltes Frauenleben nicht aus.

Sie wollen beides. Nicht, weil Emanzen ihnen das eingeredet haben, sondern weil sie ein Recht darauf haben. Sie beeilen sich mit der Karriere, damit sie schwanger werden können. Sie prüfen, ob der Partner als Vater taugen würde. Sie sind Weltmeister im Organisieren. Sie kommen notfalls auch allein klar. Und wenn was schiefläuft, suchen sie - typisch weiblich - die Schuld bei sich selbst. Sie sind moderne junge Frauen, die wissen, was sie wollen, aber ängstlich darauf bedacht, nicht in Feminismus-Verdacht zu geraten. Wenn sie doch einmal Zeit finden, sich mit Forderungen zu Wort zu melden, schicken sie voraus, dass sie mit der Frauenbewegung - Gottbewahre! - nichts zu schaffen haben. Schade, denn so fangen sie wieder bei null an. Erstes Ziel der Frauenbewegung war das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Frauen sollten sich nicht entscheiden müssen zwischen Kindern und Karriere. Frauen sollten Mutter werden können, ohne ständig dafür Nachteile zu erleiden. Und Frauen sollten kinderlos bleiben dürfen, ohne sich deshalb weniger wert zu fühlen. Mütter und Nicht-Mütter haben damals viel miteinander geredet. Sie haben sich von ihren Glücksmomenten und ihren Depressionen erzählt. Sie haben festgestellt, dass sie sich etwa genauso oft gegenseitig beneiden wie bedauern. Ich erinnere mich an eine kluge Psychologin, die damals gesagt hat: "Es gibt zwei Situationen im Leben einer Frau, in der sie alles tun wird, ihr Ziel zu erreichen: wenn sie ein Kind unbedingt haben will und wenn sie es nicht haben will."

Wir haben davon geträumt, dass die Töchter und deren Töchter den Speer da aufnehmen, wo wir ihn hingeworfen haben. Aber es scheint, als machten die Nachkommen einen extra Bogen darum herum. Manchmal frage ich mich, was sie eigentlich für eine Vorstellung von der Frauenbewegung haben, da ihnen nur das Wort "verbissen" dazu einfällt. Als ob da ein düsterer Zug geifernder, von ihren Männern misshandelter Frauen durch die Straßen gekrochen wäre.

Die Wahrheit ist: Wir haben viel Spaß gehabt. Wir haben uns die Lippen geschminkt, die Wimpern getuscht, Ärzte-Kongresse gesprengt, Misswahlen blockiert, Häuser besetzt. Wir warfen mit Tomaten, Kinderpuder, Schweineschwänzen. Ich trug Pumps, in denen ich heute keinen Schritt mehr laufen könnte. Wir waren stark, frech, überall. Ich liebte die Italienerinnen, die mit dem Slogan "Tremate, tremate, le streghe son tornate!" durch Rom zogen: "Zittert, zittert, die Hexen sind zurückgekehrt!"

Und heute? Die jungen Frauen sind so damit beschäftigt, ihr Leben zu meistern, dass eine wichtige Lehre aus der Geschichte, vor allem der Geschichte der Frauen, vergessen wurde: Um das Mögliche zu erreichen, muss das Unmögliche gefordert werden, und das Erreichte geht verloren, wenn es nicht ständig verteidigt und stets wieder neu behauptet wird. Dem Trendforscher Peter Wippermann ist aufgefallen, dass die Frauen auf den Anzeigenseiten in den Modemagazinen inzwischen hauptsächlich liegen - "naiv bis lasziv". Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen, aufklärerische Elemente, der Kampf für eine bessere Welt - all das sei in dieser "totalen Gartenlaubenkultur" definitiv weg.

Die junge Frauengeneration lässt sich viel gefallen. Sie wehrt sich nicht gegen eine Frauenfeindlichkeit, die als Schlagfertigkeit getarnt mit listigem Augenzwinkern daherkommt. "Almabtrieb", sagte der Moderator Jörg Pilawa grinsend, als bei der Bambi-Gala 2003 die deutsche Frauenfußballmannschaft nach ihrer Auszeichnung für die gewonnene Weltmeisterschaft die Bühne verließ. Ich hätte ihn am liebsten mit einer Kuhglocke traktiert, aber dann schrieb ich nicht einmal einen Protestbrief. Ich hatte plötzlich das Gefühl, nur ich rege mich darüber auf.

Oliver Pocher, Jungstar auf Pro Sieben, kündigte einen Beitrag, der "Das Loch" hieß, mit den Worten an: "Im Anschluss sehen Sie einen Dokumentarfilm über Jenny Elvers." Er fand sich toll als böser Bube. Der Film hatte nichts mit der Schauspielerin zu tun. Er bot nur die Gelegenheit, sie als "Loch" zu bezeichnen. Soll man das durchgehen lassen? Lohnt es denn zu protestieren gegen solche "Kleinigkeiten"? Kürzlich las ich in alten Briefen, 1981 schrieb mir eine Freundin: "Man muss ein Geschrei machen, wenn ein Greis Witze über seine Alte reißt - immer wachsam sein, nichts hinnehmen, denn die Summe dieser Kleinigkeiten wird uns eines Tages ersticken."

Was nützt uns eine Bundeskanzlerin, wenn im Geschlechterkampf wieder scharf geschossen wird und unter den Heckenschützen Frauen wie Eva Herman sind. Die uns mit Theorien behelligen, die Verwesungsgeruch ausströmen. Soll die "Tagesschau"- Sprecherin doch die eigenen Ratschläge befolgen und kürzer treten, wenn ihr alles zu viel wird. Und das plant sie wohl auch; zumindest hat sie eine Pause bei der "Tagesschau" angekündigt. Aber ich wette, wir werden sie noch mit 60 auf dem Bildschirm sehen.

Und ich als Emanze habe mit meinem hartnäckigen Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen - auch was ihre Bildschirmtauglichkeit betrifft - dazu beigetragen, dass sie das darf. Geschenkt. Wenn sie zum Dank wenigstens die Klappe halten würde.

Zur Person

Ingrid Kolb, Jahrgang 1941, arbeitete für Tageszeitungen, den "Spiegel" und den "Stern". Von 1995 bis 2006 leitete sie die Henri-Nannen-Journalistenschule. In den siebziger Jahren war sie in der Hamburger Frauenbewegung aktiv. Sie sagt: "Feminismus ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Antwort auf Statistiken."

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Text: Ingrid Kolb Foto: iStockphoto

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