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Bundestagswahl Mit dem Kreuz ein Zeichen setzen

Mag sein, dass der Wahlkampf zur Bundestagswahl langweilig ist - die Themen aber sind es nicht. Ingrid Kolb über das Frauenwahlrecht und die Pflicht, es zu nutzen.

Zwölfmal habe ich schon bei Bundestagswahlen meine Kreuzchen gemacht. Ich war dabei, als Willy Brandt Kanzler wurde, als die Grünen ins Parlament einzogen, als Helmut Kohl sechzehn Jahre lang einfach nicht wegzuwählen war, als Gerhard Schröder den Wechsel schaffte, und schließlich, als erstmals mit Angela Merkel eine Frau die Regierungsgeschäfte übernahm.

Mag dieser Wahlkampf 2009 so langweilig sein , dass die 62 Millionen Wählerinnen und Wähler vor lauter Gähnen Mundstarre kriegen, ich fand es immer aufregend, meine Stimme abzugeben. Es ist mir unbegreiflich, wie es sein kann, dass sich die Zahl der Nichtwähler in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat. Laut Umfragen ist derzeit ein Viertel noch unentschlossen, ob es wählen gehen soll. Geht es denn um nichts mehr in diesem Land? Nicht um Atomkraft, Afghanistan, Klima, Bildung?

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Vor allem Frauen sollten nicht vergessen: Es ist noch nicht einmal hundert Jahre her, dass sie in Deutschland überhaupt wählen dürfen. Nach dem Ersten Weltkrieg, als das Land dank männlichen Größenwahns in Trümmern lag, wurde ihnen dieses Recht zugestanden. Erstmals gingen bei den Reichstagswahlen am 19. Januar 1919 nicht mehr nur die Männer an die Wahlurnen.

130 Jahre zuvor hatte schon Olympe de Gouges während der Französischen Revolution proklamiert: „Wenn die Frau das Recht hat, aufs Schafott zu steigen, muss ihr auch die Rednertribüne offen stehen.“ Sie landete später unter der Guillotine, und die Französinnen bekamen das volle Wahlrecht erst 1945.

Mit besonders harten Bandagen wurde in England gekämpft. Dort lieferten sich Anfang des 20. Jahrhunderts die Suffragetten Straßenschlachten mit der Polizei, immer wieder wurden sie ins Gefängnis gesteckt und ruinierten durch Hungerstreiks ihre Gesundheit. Zur Märtyrerin wurde Emily Davison, die sich beim berühmten English Derby in Epsom vor das Pferd des Königs warf und dabei zu Tode kam.

Wer sich an der Bundestagswahl beteiligt, bestimmt die Politik mit

Allein der Mut all dieser Frauen, die das Wahlrecht für uns heute erstritten, würde mich daran hindern, es einfach zu missachten und zu vergeuden. Dazu kommt aber noch, dass es mir schlicht Vergnügen macht, sehr direkt mitzubestimmen, wer in unserem Land regiert. Nichtwähler unterstützen, ob sie wollen oder nicht, die stärkste Partei und helfen eventuell den Extremen über die Fünf-Prozent-Hürde. Natürlich erziele ich mit meiner Stimme nicht unbedingt mein Wunschergebnis. Und, ja doch, es ist in diesem Wahljahr besonders schwierig, sich zu entscheiden. Aber Nichtwählen ist keine Lösung. Nichtwählen ist dumm und noch langweiliger als der fadeste Wahlkampf.

In meinem Wahlkreis gibt es einen Direktkandidaten, den ich normalerweise auf Grund der Zugehörigkeit zu seiner Partei wählen würde. Er hat sich aber seine Aufstellung ertrickst, hat einen anderen recht unfair ausgebootet. Ich möchte solche Leute nicht im Bundestag haben. Jedesmal, wenn ich an seinem Plakat vorbei komme, zische ich ihm zu: „Du nicht!“

Wir haben die Kraft – zumindest alle vier Jahre einmal!

Zur Person: Ingrid Kolb war Ressort-Leiterin und Autorin beim STERN, bevor sie als Nachfolgerin von Wolf Schneider 1995 die Leitung der Henri-Nannen-Journalistenschule des Verlags Gruner+Jahr in Hamburg übernahm. Sie verließ die Schule Ende 2006 und ist seither als freie Journalistin und als Dozentin tätig.

Text: Ingrid Kolb Foto: privat

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