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Take What?

Früher waren Take That, Roxy Music oder die Smiths eine feste Größe in unserem Leben. Aber was bleibt von den zahllosen Popbands von heute? BRIGITTE WOMAN-Autorin Arezu Weitholz kann sich kaum noch die Namen der merken.

Es begann in den Neunzigern. Mit Take That. Im Jahr 1993 waren innerhalb eines Sommers lauter Boybands aufgetaucht, die so ähnlich daherkamen wie Take That. Aber sie waren eben nicht Take That. Sie hießen Backstreet Boys, Boyzone, Caught in the Act oder East 17. Alles bescheuerte Namen. Alle sahen aus wie die frisch geföhnte Gymnastikgruppe der Vereinten Nationen. In Frau gab es sie auch. Die hießen dann Spice Girls, Tic Tac Toe oder No Angels.

Damit fing es bei mir an. Plötzlich machte es mir keine Freude mehr, mir die Namen dieser Popbands zu merken. Wozu auch? Der Namen meinte nicht mehr das Besondere. Eher das Gegenteil. Er bezeichnete das Allgemeine. Wie beim Waschmittel, wo es egal ist, welche Marke auf der Packung steht, wenn doch überall das gleiche Pulver drin ist. Früher hörte ich ein Lied von The Smiths, und es brannte sich tief in mein Gehirn. Dabei nahm es Informationen mit, die gar nichts mit dem Lied zu tun hatten. Wie das Wetter an jenem Tag war (Nieselregen), in wen ich damals verliebt war (Kai), meine blaue Cordhose (an den Seiten abgenäht) ebenso wie die Frisur des Gitarristen Johnny Marr (mit einem langen Pony, der die Augen verbarg, genau wie bei mir).

Die Musik von Popbands klingt immer ähnlich

Der Hirnforscher Ernst Pöppel sagt, ohne emotionale Bewertung könne man sich gar nichts merken. Wer nichts fühlt, speichert auch keine Erinnerungen im Gehirn. Heißt das nun, ich merke mir nichts mehr, weil ich nichts mehr fühle? Oder empfinde ich nicht mehr so tief? Oder einfach nur anders? Eins weiß ich sicher: So wie damals war vieles danach nie wieder. Das Zum-ersten-Mal-verliebt- Sein. Die Angst vor dem ersten Kuss. Der erste Liebeskummer. Früher konnte ich die Lieder meiner Lieblingsbands auswendig mitsingen. Zu den anderen hatte ich wenigstens eine Meinung oder ein Gefühl, kannte Namen und Gesichter der Musiker.

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Manchmal musste ich heulen, manchmal bekam ich eine Gänsehaut oder einfach nur gute Laune. Wenn ich heute beim Autofahren im Radio Musik höre, passiert mit mir gar nichts. Erst dachte ich, das liegt an meinen Ohren. Stimmt aber nicht. Es liegt an der Musik. Die Töne werden am Computer so lange bearbeitet, bis sie möglichst ähnlich klingen. Ein Hit wie der andere. Die Musik soll eben keinen irritieren. Genauer gesagt: Keiner soll sie merken.

Boy George hat mal gesagt: "In den Achtzigern konnten wir vielleicht alle nicht singen, aber wir haben uns damals wenigstens selbst geschminkt." Heute ist es genau andersherum. Alle meinen, sie können singen. Keiner hat mehr ein Gesicht. Früher gab es genauso viele Schrottbands wie heute. Nur bekam man von ihnen dann auch nichts mit. Sie kamen aus der Versenkung sozusagen gar nicht heraus, und die guten haben sich durchgesetzt. Heute gibt es das Internet und Myspace.

Deswegen ist alles überall. Das Schnell-überall-sein-Können hat viele Ein-Lied-Künstler hervorgebracht. Die heißen so, weil sie nur ein hörbares Lied produziert haben und man den Rest vergessen kann. Für Leute, die Musik lieben, sind sie wie One- Night-Stands. Heute wird Musik im Internet gekauft, so wie sich ein Single an der Fleischtheke Aufschnitt besorgt. Ein bisschen hiervon, ein Zipfel davon. Man kauft Lieder, keine Alben. Klar ist es gut, wenn ein Urheber für seine Arbeit heutzutage über- haupt noch von irgendjemandem Geld bekommt, einerseits. Andererseits ist ein Lied bei iTunes zur Essenz der Kunstform Musik geworden. Es ist unsichtbar.

Es gibt kein Album, das man in der Hand hält. Keine Fotos der Künstler, die man anguckt, während man sie hört. Keine Ewigkeit, die man im Regal suchen muss, bis man die eine oder andere Scheibe endlich gefunden hat. Bloß ein paar Klicks, und dann schwingt die Luft. Das aber reicht dem Gehirn nicht. Es ist leichter, sich etwas zu merken, wenn man es anfassen und anschauen kann.

Von Anastacia bekomme ich Kopfschmerzen.

Je älter ich werde, desto zuverlässiger kann ich sagen, was ich mag und was nicht. So ist es auch mit der Musik. Verstehen Sie mich nicht falsch: Man ist nie alt genug, um vorher zu wissen, ob einen die neue Nummer von Timbaland nicht doch umhaut oder ein Lied von Dolly Parton einen zu Tränen rühren wird. Keiner kann ausrechnen, ob die neue Single von Radiohead klingt wie ein Erdbeben im Herz oder wie ein Sausen im Ohr. Musik ist ein Grundnahrungsmittel. Aber inzwischen weiß ich, was mir schmeckt und was nicht. Von Musicals bekomme ich Sodbrennen. Und von Anastacia Kopfschmerzen.

Deswegen muss ich zum Beispiel auch nicht wissen, wie diese eine Band heißt, die Hiphop mit Funk macht, mit der Frau mit den Zöpfen, die ein wenig klingen wie die Fugees, aber aussehen wie Arrested Development, die mal einen Grammy gewonnen haben und besser tanzen, als sie singen. Denn erstens kann ich die Black Eyed Peas ohne Namen erklären, und zweitens will ich sie gar nicht hören, wenn ich ehrlich bin.

Ein kluger Mensch hat mal gesagt, wenn man das Wort "können" durch das Wort "wollen" ersetzt, ist das Leben leichter. Ich habe das ausprobiert. Es funktioniert. Anstatt zu sagen: "Ich kann mir keine Bandnamen mehr merken", sage ich nun: "Ich will mir keine Bandnamen mehr merken." Und das ist die Wahrheit.

Text: Arezu Weitholz<br/><br/>Fotos: Getty Images

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