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"Er erkennt mit mir das Geheimnis des Augenblicks"

"Er erkennt mit mir das Geheimnis des Augenblicks"
© Hannes Magerstaedt / Getty Images
Für den Regisseur Bernd Schadewald hat die Schauspielerin Michaela May ein gutbürgerliches Leben aufgegeben - das bislang nahezu ohne Krisen verlaufen war.

Es gibt diese Wohnungen, die man betritt und denkt: "Hier könnte ich sofort einziehen!" Wo man sich am liebsten aufs Sofa lümmeln und nie wieder aufstehen möchte. Im Penthouse von Michaela May und Bernd Schadewald zum Beispiel. In Spuckweite zum Münchener Viktualienmarkt, vom Dachgarten sieht man bis zur Frauenkirche. Alles ist hell, neu, trotzdem gemütlich - der Kamin, die graue Sitzlandschaft, die moderne Küche. Obwohl es sich bei den Bewohnern um ein Paar durchaus reiferen Alters handelt, sie ist 59, er 60, wirkt die Wohnung wie gerade neu bezogen. Keine verstaubte Bücherwand mit Werken aus den Siebzigern und Achtzigern, keine Fotowände mit Urlaubsbildern, kein Krimskrams von diversen Flohmärkten. Hier leben zwei Menschen mit Geschmack, die sich möbelmäßig radikal gehäutet haben. "Stimmt", sagt Michaela May, "ich habe seinerzeit alles zurückgelassen, mein früherer Mann ist Traditionalist und hängt mehr an den alten Sachen als ich."

Aus den Tiefen der Wohnung ist Bernd Schadewald aufgetaucht, ein schlanker, attraktiver Mann mit grau meliertem, ziemlich vollem Haar, der auf Fotos oft streng und asketisch wirkt, in Wirklichkeit aber ist er sehr zugänglich und lebensfroh. Ein Frauentyp. "Machst du den Kaffee? Wer möchte Tee?", fragt er. "Wir haben auch noch Erdbeerkuchen da", sagt sie und lächelt ihn an. Ein liebevoller Ton, leichte Berührungen beim Vorbeigehen, eindeutig ein Paar mit hohem Wohlfühlfaktor.

"Was mögen Sie an ihm?", frage ich kurz darauf auf der Dachterrasse. Die Frage ist ein bisschen direkt, zumal am Anfang des Gesprächs, aber die beiden wirken so entspannt, dass man sich traut. Sie überlegt, lächelt: "Schöne Haut, Humor, Intelligenz, extreme Fantasie. Und wie er mit mir das Geheimnis des Augenblicks erkennt und genießt." Und was mag er an ihr? Er antwortet, ohne zu überlegen: "Sie ist sehr großzügig, nicht nur im Materiellen, sondern auch bei menschlichen Enttäuschungen, immer versucht sie, das Beste daraus zu machen." Kurzer Blickwechsel - war das jetzt richtig? Man spürt, es kommt noch darauf an, was der andere sagt. Alles ist noch wichtig. Inniger Blick. Zärtliches Lächeln. Eine Autorin, die sich ein bisschen überflüssig fühlt. Sie sind ein schönes Paar, diese üppige, braunblond gelockte, bodenständige Bayerin und der schmale, intellektuelle Lübecker, der bereits in Hamburg, Köln und Berlin gewohnt hat. Sie ist fröhlich, spontan, offen, das ist er auch, aber verhaltener.

"Die May ist gegangen", rauschte es im Blätterwald, als sich Michaela May 2004 nach 23 Ehejahren von ihrem Mann, dem Wirtschaftsanwalt Jack Schiffer, trennte. Sie hatte sich ein Jahr zuvor bei den Dreharbeiten vom "Polizeiruf 110" so heftig in den Regisseur Bernd Schadewald verliebt, dass sie alles für ihn aufgab - einen Mann, mit dem sie gemeinsam ihre Kinder großgezogen hatte, eine Ehe, in der sie gut versorgt war, die Rolle der gutbürgerlichen, erfolgreichen Schauspielerin, deren Leben bisher rund gelaufen war, keine Ecken und Krisen kannte.

Es hat mich so extrem überrollt, wie mich noch nie etwas überrollt hat.

"Es hat mich so extrem überrollt", sagt Michaela May, "wie mich noch nie etwas überrollt hat." Es war eine Auftragsarbeit, sagt Schadewald, nichts übertrieben Spannendes für einen, der sich als Regisseur und Drehbuchautor gern mit schwierigen, sozial relevanten Stoffen beschäftigt, der 1991 den Grimme-Preis Silber für den ZDF-Film "Der Hammermörder" bekommen und 1999 mit dem Zweiteiler "Ein großes Ding" über das Geiseldrama von Gladbeck für Aufsehen und Superquoten gesorgt hatte.

Ein Mann also, für den ein "Polizeiruf 110", in dem es um alte Kunst und neue Nazis ging, nichts Besonderes war. Die Schauspielerin Michaela May kannte er nicht persönlich. "Sie wurde mir vor die Nase gesetzt", schmunzelt er. Ich war vorgewarnt, sagt sie, Bernd gilt als schwieriger Regisseur, keiner, der auf Schmusekurs fährt. Sie beschloss, vorsichtig zu sein, wollte sich nicht einschüchtern lassen von ihm. Die erste Leseprobe im Produktionsbüro. Man fand sich sympathisch. Und langsam ein bisschen mehr. Aber beide waren verheiratet, sie gefühlt vielleicht ein bisschen mehr als er, keiner war auf der Suche. Und dann war da plötzlich sein Blick, der sie wie zufällig streifte, diskret, aber immer öfter. "Er stand so da, mit den Händen auf dem Rücken, und schaute mich an." Ja, es flirrte, gibt er zu. Sie spürten es beide, aber gaben dem Gefühl noch keine Worte. Sie stellte fest, dass er ihre Nähe suchte, bei Verspätungen an ihren Wohnwagen klopfte: "In zehn Minuten geht's weiter", das war eigentlich Aufgabe des Aufnahmeleiters, nicht seine. Schmetterlinge im Bauch. Und eine gute Zusammenarbeit. "Ich will einem Regisseur vertrauen. Wenn er sagt, lass das mal weg, mach das mal leiser, dann muss ich mich darauf verlassen können. Bei Bernd konnte ich das."

Gute Zusammenarbeit, das wissen beide, kann erotisch sein. Man schwingt zusammen, entwickelt, lässt sich fallen. Sehr vorsichtig, sagt er, seien sie beide mit dieser wachsenden Sympathie umgegangen. Durfte man es ernst nehmen, dieses Kribbeln, diese nicht mehr zu unterdrückende Sehnsucht? In ihrem Alter, beide gebunden, in ihrem Fall mit einem noch schulpflichtigen Kind? Sie sagt: "Liebe kann man nicht erklären, Liebe ist einfach." Als die Dreharbeiten beendet waren, wollte sie sich die Muster im Schneideraum ansehen und kam zu spät. "Wollen wir nicht wenigstens einen Wein zusammen trinken?", schlug sie vor. Ein folgenschwerer Wein, kurz darauf flog sie als Schirmherrin der Mukoviszidose-Gesellschaft nach Ghana, auf dem Rückflug mit Zwischenstopp in Amsterdam. Die erste gemeinsame Nacht. Danach beschlossen sie, es ihren Partnern zu sagen. Sie flog nach München, er nach Berlin.

Für ihn war es auch schwer, aber sie ging durch die Apokalypse. Durfte sie das? Ihre Familie zerstören, ihren Töchtern Alexandra und Lilian das Zuhause? "Du kannst dich mit 50 doch nicht noch mal verlieben, Mama", riefen sie empört, es würde lange dauern, bis der Kontakt zu ihnen wieder wie früher war. Es war Weihnachten, die jüngste Tochter lag mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus, der Freundeskreis war geschockt, alle Koordinaten ihres bisherigen Lebens stürzten ein - trotzdem zog sie von zu Hause aus, ins Hotel, zu ihm, machte einen radikalen Schnitt, der ihrem offenen, geraden Wesen zwar entsprach, sie aber trotzdem fast überforderte. Während Bernd Schadewald am liebsten mit kleinem Gepäck durchs Leben reiste, war sie in München stark verwurzelt, eine gefeierte Schauspielerin, beliebte Gastgeberin, solide verheiratete Gattin. Sie musste mehr aufgeben als er.

Man darf sich verlieben, auch wenn man verheiratet ist. Wer andere nicht verletzen will, verletzt sich selbst.

"Ich war hin- und hergerissen", sagt sie, "meine Eltern sind über 60 Jahre verheiratet. Hatte ich das Recht, meine Ehe nach 23 Jahren einfach hinzuschmeißen? Ich wollte nicht der Auslöser von so viel Schmerz sein." Nach ein paar Wochen hielt sie es nicht mehr aus. "Ich versuchte, mich wieder in meine Familie zurückzubeamen." Es ging ihr schlecht, sie aß nicht, schlief nicht, hatte Sehnsucht. Man kann nicht eine große gegen eine kleinere Liebe zurücktauschen, weiß sie jetzt. Heimliche, zögerliche Treffen, voller Schuldgefühl. Wie lange willst du denn noch warten?, drängte er, wir sind nicht mehr die Jüngsten. Dass inzwischen die Öffentlichkeit informiert war und genüsslich über ihre Trennung berichtete, machte die Sache nicht leichter. Bernd Schadewald gab nicht auf. "Ich hab gebaggert wie verrückt", gibt er zu, "obwohl ich diese Schwankungen sehr schwierig fand." Aber sie konnte nicht, sie war wie erstarrt. Dräng mich nicht, sagte sie, ich brauch Zeit. Vor allem jemanden, der ihr sagte: "Ja, spring!" Oder: "Nein, bleib, spring nicht!"

Denn sie, die ihren Töchtern immer geraten hatte, alles rauszulassen, alles auszuprobieren, schaffte den Absprung nicht. Sie ging zu einer Kartenlegerin, zu einem Medium, machte eine Gesprächstherapie. Dass er nicht aufgab, als es schwierig wurde, dass er ihr Zögern und ihr Schwanken so lange aushielt, das macht ihn zu dem Mann, den sie so liebt. Der, als ihr Leben im Chaos zu versinken drohte, Augenblicke für die Ewigkeit zauberte, magische Momente. Der sich seiner Gefühle nicht schämte, auch wenn er sich der ihren nicht sicher sein konnte. Der, auch als sie offiziell getrennt waren, für drei Stunden zu ihr nach Mallorca flog. Und als sie Theater spielte, dem Pförtner in der Tiefgarage ein Papp-Osterei für sie in die Hand drückte, mit einem roten Glasherzen drin. Der sie zu ihrem 52. Geburtstag mit verbundenen Augen zur Münchener Feldherrenhalle führte, wo eine A-cappella-Gruppe ihr Lieblingslied "Black Bird" sang. Der sich mit allen Fasern seines Wesens auf sie bezog, mit einer Intensität, die sie vorher nicht kannte. Dein ist mein ganzes Herz, egal, was kommt. Das ist möglich, auch jenseits der 50. "Man darf sich verlieben", sagte schließlich ihre Therapeutin den erlösenden Satz, "auch wenn man verheiratet ist. Wer andere nicht verletzen will, verletzt sich selbst."

Michaela May und Bernd Schadewald - endlich ein Paar. Sie blieben in München, ihr zuliebe, und zogen in eine möblierte Zweizimmerwohnung. Sie aus einer Villa in Nymphenburg. Gewöhnungsbedürftig? Sie schütteln beide die Köpfe. "Wir haben gar nichts gebraucht", sagt sie. "Wir fühlten uns wie zwei Studenten", sagt er, "es hatte etwas Verschwörerisches." Und Michaela May, die in früheren Interviews gern sagte, eine Ehe lebe schließlich dadurch, dass jeder sich sein eigenes Leben gönne, kann seine Nähe jetzt gar nicht nah genug sein. "Unserem Alter und der Tatsache geschuldet, dass wir uns erst spät kennen gelernt haben, wollen wir jetzt so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen", bestätigt Bernd Schadewald. Ein hart erkämpftes spätes Glück, von dem sie beide jeden Moment intensiv genießen wollen. Er begleitet sie zu Dreharbeiten um die Welt, sie entwickeln Fernsehstoffe, mit dem Boulevardstück "Toutou" waren sie gemeinsam auf Tournee.

Dass ihre Karriere heller strahlt als seine, gönnt er ihr von Herzen, obwohl es ihn manchmal schmerzt, dass er im deutschen Fernsehen nicht mehr so stattfindet wie früher. "Ich war beruflich nie so breit aufgestellt wie Michaela", sagt er, "ich hab noch eine Fernsehzeit ohne Quotendruck erlebt, aber dann wurde die Luft plötzlich dünn, ich war an zwei Projekten finanziell beteiligt, es gab unerwartete Steuernachzahlungen, ich musste Privatinsolvenz anmelden. Aber das regelt jetzt alles mein Anwalt." Nein, es ist kein Problem, dass die meisten Banküberweisungen im Moment ihre Unterschrift tragen. "Unser Leben ist spontan, frei, wunderbar unabhängig", sagt Michaela May, "wenn ich nicht drehe, mieten wir ein Haus im Süden." 2006 haben sie auf der griechischen Insel Symi geheiratet, 18 Gäste, alle in Weiß, ein langer gedeckter Tisch in einer Bucht. Auch Alexandra und Lilian, damals 22 und 18 Jahre alt, waren dabei. Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?, frage ich die beiden. "Vielleicht auf dem Land, das fände ich schön", sagt Michaela May, "aber der Bernd mag die Stadt lieber." Er sagt nichts, sein Gesicht alles. Völlig egal wo, sagt es, Hauptsache, zusammen. "Es gibt natürlich nicht jeden Abend eine A-cappella-Band", sagt sie. "Aber fast", sagt er.

Michaela May wurde 1952 in München geboren. Als Elfjährige stand sie schon in "Onkel Toms Hütte" und "Heidi" vor der Kamera. Nach dem Abi machte sie eine Ausbildung als Kindergärtnerin. Ab 1972 trat sie auch im Theater auf. Ihren Durchbruch erlebte Michaela May 1974 mit Helmut Dietls "Münchner G'schichten", später spielte sie in "Monaco Franze" und "Kir Royal". Es folgten Auftritte in Serien und Krimi-Reihen wie "Der Alte", "Derrick" und "Tatort". In fast 40 Jahren spielte sie in mehr als 200 Fernsehfilmen. Für ihre Rolle als Kommissarin in "Polizeiruf 110" erhielt sie den Deutschen Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis. Michaela May hat zwei erwachsene Töchter. Seit 1990 engagiert sie sich für Menschen mit der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose. Dafür wurde ihr in diesem Jahr der Bayerische Verdienstorden verliehen.

Bernd Schadewald wurde 1950 in Lübeck geboren. Seit seinem Studium an der Westfälischen Schauspielschule Bochum und einigen Jahren als Regieassistent arbeitet er als Drehbuchautor (unter anderem "Ein Fall für zwei", "Wilsberg") und Regisseur ("Tatort" oder "Polizeiruf 110") für das Fernsehen. Im Laufe der Jahre hat sich Bernd Schadewald immer mehr dem sozialkritischen Fernsehspiel verschrieben. Für die Fernsehfilme "Der Hammermörder" und "Schicksalsspiel" erhielt Bernd Schadewald den Adolf-Grimme-Preis und für seinen Film "Angst" den Regiepreis der Akademie der Künste. Trotzdem zog es ihn auch immer wieder ans Theater. So inszenierte er am Schauspiel Bonn den "Klassenfeind" und "Clockwork Orange". Zur Zeit schreibt er an einem neuen Fernsehspiel und bereitet seinen ersten Spielfilm vor.

Interview: Evelyn Holst Ein Artikel aus BRIGITTE WOMAN 11/11

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