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Margarethe von Trotta Welt ohne Trümmer

Wer zurückkehrt an einen Ort, der einmal wichtig war im Leben, begegnet sich selbst, seinen Wünschen und Hoffnungen von damals. Die Regisseurin Margarethe von Trotta fuhr nach Bad Godesberg, ans Ufer des Rheins. Hierher kam sie aus dem Nachkriegsberlin mit ihrer Mutter - und fand das Glück in einem Garten.

Sie steht da am Fenster und schaut einfach nur. Auf den Rhein, der eben noch ganz glatt war und nun wilder wird. Auf die Ausfl ugsdampfer, die stromaufwärts und -abwärts fahren. Und natürlich auf das Siebengebirge. Schräg gegenüber der Petersberg und da, ganz rechts, der Drachenfels. Sie schaut, als ob sie sicher - gehen will, dass alles noch an seinem Platz ist. "Ich muss immer erst nach dem Rhein gucken, wenn ich hierher komme", sagt sie, als sie sich irgendwann langsam wieder umdreht.

"Er macht mich ruhig." Margarethe von Trotta war sechs, als sie 1948 nach Bad Godesberg kam. Der Krieg war noch nicht lange vorbei, Berlin ein riesiges Ruinenfeld, Margarethe hatte dort zwischen zerbombten Häusern gespielt. Manchmal war eine Mine hochgegangen und hatte ein Kind verletzt. Ein anderes Kind. Sie und ihre Mutter mussten da weg, beschloss ihr Onkel - und holte sie zu sich, hierher, an den Rhein.

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"Von der totalen Ausgesetztheit, der totalen Gefahr - in die - se heile Welt", sagt Margarethe von Trotta. Das Postkar - ten- Panorama vor uns ist noch großfl ächiger geworden: Wir sit zen jetzt vor der riesigen Fensterfront des Kastaniengartens, der zum "Rheinhotel Dresen" gehört. Ein Ort wie aus der Zeit gefallen: rot-weiße Blechlaternen, die an Fliegenpilze erinnern, kleine knorrige Bäume vor einer muschelförmigen Kurkonzert-Bühne. Spielte jetzt eine Kapelle zum Tanztee auf, man wunderte sich nicht. "Wussten Sie, dass ich hier schon mal gedreht habe?", fragt Margarethe von Trotta. 2003, "Die andere Frau". Barbara Sukowa, eine ihrer Lieblingsschauspielerinnen, ließ sie damals durch diesen Biergarten tanzen. "Da haben wir hier aber ziemlich umgebaut, im Film muss man schon genau hinsehen, um den Ort wiederzuerkennen."

Ein anderes Mal kam sie mit dem Regisseur Volker Schlöndorff hierher, mit dem sie 20 Jahre lang verheiratet war. "Ich wollte ihm zeigen, wo ich die glücklichste Zeit meines Lebens verbracht habe", sagt sie. Aber das eigentliche Glück der kleinen Margarethe mit den blonden Zöpfen lag in einem anderen Garten, ein paar hundert Meter weiter den Rhein hinauf: im Park der Villa Deichmann. Die Deichmanns, wohlhabende Bankiers, mussten nach dem Krieg Flüchtlinge aufneh men. Und so fanden auch Margarethe und ihre Mutter hier Unterkunft. Dem sechsjährigen Mädchen muss die beige-braune Jugendstilvilla wie ein Märchenschloss erschienen sein, als sie hier ankam - Türmchen und Giebel, verspielte Balkone und drum herum viel Grün. Ein Zauberwald. Unwichtig, dass sie mit ihrer Mutter ein winziges Zimmer unterm Dach ohne fließendes Wasser teilen musste. Dass die andere, dem Rhein zugewandte Seite der Villa zerbombt und nur notdürftig gefl ickt war. Dass die Besitzer Flüchtlingskinder wenig schätzten und das auch kaum verbargen. Alles unwichtig. So etwas Schönes wie diesen Ort hatte Margarethe nie zuvor gesehen. Wir schauen von der Flussseite aus auf Villa und Park. Auf dem Rheinuferweg drängeln sich Rollerbladefahrer, Fahrradtouristen und Hundebesitzer. Sonntagsbetrieb. Margarethe von Trotta scheint den Trubel um sie herum kaum wahrzunehmen.

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So fokussiert ist sie auf das, was sich hinter der steinernen Mauer befindet, die das Anwesen von dieser Seite umgibt. Diese Ecke da, war die immer schon so abgestoßen? Dieser Strauch, der stand da damals aber noch nicht . . . "Schauen Sie mal, die riesige Trauerweide!" Wo? "Na, da! Die konnte ich von meinem Fenster aus sehen." Nachts kroch ihr Schatten manchmal hinein ins Fenster, schwebte über dem Bett, bäumte sich bedrohlich auf und ließ kleine Mädchen unruhig schlafen. Morgens war der Spuk vorbei. Margarethe kletterte wieder in den Weidenästen um die Wette, mit den vier Söhnen einer anderen Flüchtlingsfamilie, die ebenfalls in der Villa Deichmann einquartiert war. Bloß nicht langsamer sein als die Jungs, bloß nicht ungeschickter. Mindestens genauso mutig. "Damals habe ich gelernt, mich durchzusetzen", sagt sie heute rückblickend. Was für ein Mädchen war diese Margarethe eigentlich? "Neugierig, forsch, vorlaut." Hatte sie Träume? Tänzerin wollte sie werden oder Artistin, am allerliebsten Seiltänzerin. Ihr Vater allerdings hatte da ganz andere Pläne. Margarethe von Trotta zieht aus ihrem Kalender eine alte Schwarzweißkopie eines Fotos hervor, aufgenommen im Sommer 1951 genau hier, am Rheinufer. Ihre Mutter machte das Bild damals, mit einer billigen Fotobox, die sie sich vor den Bauch klemmte. Der Apparat hatte nur zwei Riegel - einen für Sonne und einen für Wolken. Das Bild zeigt Margarethe neben ihrem Vater, dem Maler Alfred Roloff. Mar garethe sah ihn damals sehr selten, wenige Wochen im Jahr. Er lebte mit einer anderen Frau zusammen. Das sollte sie allerdings erst viel später erfahren. Erst einmal wurde es Sommer, hier am Rhein, und er war wieder da. Spielte mit ihr, erzählte ihr Geschichten, fuhr mit ihr auf einem Rheindampfer. Aber er zeigte auch sein anderes, sein unerbittliches Gesicht. In seinem Zimmer in der Villa stellte er eine Glaskaraffe so auf einen Tisch, dass sich das Siebengebirge darin spiegelte, und befahl seiner Tochter, es abzuzeichnen. Margarethe ver suchte es - und scheiterte. Wieder und wieder. Das vernichtende väterliche Urteil: "Total unbegabt."

Starke Frauen faszinieren Margarethe von Trotta

Margarethe von Trotta: Dieses Foto trägt Margarethe von Trotta immer bei sich. Es zeigt sie neben ihrem Vater am Ufer des Rheins.
Dieses Foto trägt Margarethe von Trotta immer bei sich. Es zeigt sie neben ihrem Vater am Ufer des Rheins.
© interfoto

Wahrscheinlich sei sie nur deshalb Regisseurin geworden, sagt sie plötzlich, um ihm, dem Künstler-Vater, etwas zu beweisen, seine Erwartungen schließlich doch noch zu erfüllen: "Ich wollte ihm zeigen, dass ich mutig bin und sehr wohl etwas kann." Vielleicht tauchen auch darum in ihren Filmen immer wieder Frauen auf, die ihren Weg gegen alle männlichen Widerstände gehen. Starke Frauen, die sich durchs Leben schlagen, es gestalten, statt sich ihm zu ergeben, haben Margarethe von Trotta schon immer fasziniert. Zuletzt Hildegard von Bingen, deren Leben sie in "Vision" verfilmt hat, wieder mit Barbara Sukowa in der Hauptrolle.

Margarethe von Trotta schaut noch einmal auf das Foto in ihrer Hand. "In meiner Erinnerung ist mein Vater immer nur streng", sagt sie bedauernd. "Aber so, wie er mich da anschaut, muss er mich geliebt haben. Fast wie ein Paar sehen wir beide da aus. . . " Sie schiebt das Foto vorsichtig in eine Klarsichtfolie und steckt es erst dann wieder in ihren Kalender zurück. Ihre Mutter war ihr immer näher. Elisabeth von Trotta, die aus altem baltischem Adel stammte, zog sie allein groß. Das Geld war knapp, oft lag die Mutter nachts wach und betete, dass am nächsten Tag noch genug zu essen da sei. Nur an "Geist und Gefühl" mangelte es nie, sagt Margarethe von Trotta. Besitz bedeute ihr darum bis heute nicht viel. Menschen, Liebe, Literatur - das alles sei so viel wichtiger. In der Villa Deichmann spürte Margarethe von Trotta das ganz besonders. "So wie hier haben wir vorher und auch hinterher nie wieder zusammengelebt. Zusammen. Als Familie", sagt sie. Eine intensive, aber kurze Zeit: 1951 stirbt der Vater, kurz darauf auch der Onkel. Margarethe zieht mit ihrer Mutter nach Düsseldorf. Mit 17 wird sie nach Paris gehen und dort ihre Liebe zum Kino entdecken. Aber diese Geschichte wurde schon oft erzählt, darüber muss heute nicht viel gesagt werden, beschließt Margarethe von Trotta - und will jetzt endlich Regie führen in ihrem Erinnerungsfi lm: "Machen Sie noch ein Foto von mir vorm Siebengebirge", ruft sie dem Fotografen zu. "Nein, von hinten! Ich liebe Bilder, auf denen Menschen von hinten zu sehen sind." Der Fotograf runzelt erst die Stirn, richtet sein Objektiv dann aber neu aus. "Haben Sie auch wirklich das ganze Siebengebirge drauf?" Doch, er hat.

Wer sich nicht erinnern will, kann die Zukunft nicht denken.

Warum schaut sie in ihren Filmen eigentlich so gern zurück? "Wer sich nicht erinnern will, kann die Zukunft nicht denken", sagt Margarethe von Trotta. Es sei doch wichtig, sich seiner Geschichte bewusst zu sein. Aber nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck entstehe: "Leute, die immer nur von früher reden, tun mir leid." Sie lebe sehr gern und intensiv im Heute. Aber als Filmstoff taugt die Gegenwart wohl nicht? "Lange gab es da tatsächlich nichts, was mich gereizt hätte", sagt sie. "Alles ging so seinen gemächlichen Gang. Jetzt, wo Menschen sich plötzlich von Hochhäusern stürzen, weil sie in der Krise ihren Job verloren haben, erscheint mir die Zeit unglaublich reif, verfi lmt zu werden." Aber erst einmal muss Margarethe von Trotta jetzt weiter den Rhein entlangschlendern und erzählen, wie sie früher hier "Schifferaten" spielte. Ein bisschen schwärmen eben. "Eigentlich war wirklich alles perfekt damals", sagt sie. Ihre Augen sind ganz wach, als ob sie alles festhalten wollten, für die nächsten Tage, Wochen, Jahre.

Oft wurde Margarethe von Trotta vorgeworfen, ihre Filme seien zu pathetisch, zu sentimental. Sie musste Häme einstecken, wurde verletzt. Filmprojekte ließen sich nicht finanzieren oder wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Immer wieder habe es in ihrer Karriere Momente gegeben, in denen sie nicht gewusst habe, warum sie noch weitermache, sagt sie. Momente voller Vergeblichkeit: "Überwältigend, dieses Gefühl." Sie hat weitergekämpft, Durststrecken ausgehalten, Zugeständnisse gemacht, gewartet und gehofft. Einer totalen Depression sei sie Gott sei Dank nie verfallen, sagt sie: "Irgendwann ebbt die Welle ab, und dann ist es auch vorbei. Aufgeben passt nicht zu meinem Charakter."

Die Sonne steht jetzt tiefer über dem Rhein. Zeit, sich auf den Rückweg zu machen, oder? "Können wir nicht noch kurz mit der Fähre fahren? Von der anderen Rheinseite aus hat man wirklich eine ganz andere Perspektive." Also gehen wir an Bord, fahren rüber ans andere Ufer, nach Niederdollendorf - und gleich wieder zurück. Margarethe von Trotta steht oben an der Reling und schaut noch einmal auf die Villa Deichmann. Ihre Haare bewegen sich im Wind, ihr Gesicht entspannt sich bis weit hinter die Ohren. "Schön, oder?" Das kleine Mädchen und der große Fluss.

Kurzbiografie Margarethe von Trotta

Margarethe von Trotta wurde 1942 in Berlin geboren. Ihr Vater war der Maler Alfred Roloff. Margarethe von Trotta wuchs bei ihrer Mutter auf, der aus Moskau stammenden baltischen Aristokratin Elisabeth von Trotta. Nach dem Krieg zogen die beiden zunächst nach Bad Godesberg, dann nach Düsseldorf. Margarethe von Trotta besuchte die Höhere Handelsschule, studierte Kunst, später Germanistik und Romanistik in München und besuchte die Schauspielschule. Während eines Au-pair- Aufenthalts in Paris entdeckte sie ihre Liebe zum Film. Rund zehn Jahre lang war Margarethe von Trotta als Schauspielerin erfolgreich, sie arbeitete mit Rainer Werner Fassbinder und Volker Schlöndorff, mit dem sie von 1971 bis 1991 verheiratet war. Aus einer früheren Ehe stammt Sohn Felix. Mitte der 70er Jahre wechselte Margarethe von Trotta ins Regiefach. Zu ihren bekanntesten Arbeiten zählen "Die bleierne Zeit" (1981), "Rosa Luxemburg" (1986), "Das Versprechen" (1995) und "Rosenstraße" (2003). Zuletzt realisierte sie "Vision. Aus dem Leben der Hildegard von Bingen". Margarethe von Trotta lebt in Paris.

Text: Sina Teigelkötter Fotos: David Klammer

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