Anzeige

BookCrosser: Wenn Bücher auf Reisen gehen

Ausgerechnet im Internet entsteht eine neue Literatur-Szene: "BookCrosser" verstecken Bücher an öffentlichen Orten, um neue Leser zu finden.

Es ist mein erstes Mal. Ich bin schon ein wenig aufgeregt, als ich in den dämmrigen, menschenleeren Raum in hinteren Teil des Szene-Cafés gehe, bemüht, unauffällig zu sein. Ein kurzer Blick durch den Raum, dann: das Klavier. Ich ziehe ein Buch aus meiner Tasche und lege es auf das braune, abgewetzte Piano. Dann verlasse ich umgehend die Bar in der Gewissheit: Ich habe es getan. Ich habe mein erstes Buch ausgesetzt.

Was sich abenteuerlich anhört, ist eine einfache wie schöne Idee: "BookCrossing", eine weltweite Internet-Tauschbörse mit dem Ziel, Bücher um die Welt zu schicken. Der Ablauf ist denkbar leicht: Man registriert ein Buch auf der Website www.bookcrossing.com, bekommt eine einmalige Identifikationsnummer, die man im Buch vermerkt. Anschließend setzt man es "in die Wildnis" aus, legt es in Wartezimmern, Parks oder Flughäfen hin und teilt anschließend der BookCrossing-Gemeinde mit, wo sich das Buch befindet. Im Idealfall findet es ein BookCrosser, der sich meldet, sobald der Schmöker in seinem Besitz ist. So kann der Weg eines Buches genauestens verfolgt werden.

Die BookCrosser haben eine neue Literatur-Szene entwickelt.

Viele Bücher sind so schon weit gereist, wie "Bill Bryson's African Diary". Seine Reise begann in Kanada, führte es nach Österreich, Deutschland, Finnland und Portugal, anschließend in Länder wie Indien und Kuwait, gerade befindet es sich in Südafrika. Oder Nancy Pearls Roman "Book Lust", der nach Stationen in Deutschland, Frankreich und Neuseeland wieder in seinem Ursprungsland USA gelandet ist.

Seit ihrer Erfindung 2001 durch den Amerikaner Ron Hornbaker hat sich die BookCrossing-Idee zu einem globalen Phänomen entwickelt. Über 800 000 Mitglieder in 130 Ländern haben mehr als sechs Millionen Bücher bisher ausgesetzt. Ich wollte gern eine von ihnen sein.

Deshalb habe ich mich von Theodor Fontanes "Effi Briest", einem meiner Lieblingsbücher, getrennt. Ich war im Buchladen sofort angetan von dem eleganten dunkelroten Ledereinband mit der goldenen Aufschrift. Verliebt habe ich mich während des Lesens in Fontanes Herzenswärme und Güte, die er in dieser tragischen, gesellschaftskritischen Erzählung spüren lässt. Gerade deswegen hatte dieses Buch einen festen Platz in meinem wandfüllenden Bücherregal, dritte Reihe links in der "Klassiker-Ecke". Eigentlich sollte es da für immer verweilen – bis ich vor kurzem auf BookCrossing aufmerksam wurde.

Die Community verfolgt ein ganz anderes Prinzip, nämlich gute Bücher von ihren Besitzern zu "befreien" und sie in die Welt zu schicken, um so andere vom literarischen Stoff zu begeistern. Abseits des Versteckspiels hat sich in den Foren der Website eine neue Literatur-Szene entwickelt. Die reisenden Bücher sowie Neuerscheinungen werden diskutiert, Bücher getauscht und globale Freundschaften geknüpft. Die Lese-Leidenschaft verbindet eben.

Sogar in den Townships Südafrikas sollen schon BookCrossing-Exemplare gelandet sein- nur ein Beispiel dafür, wie diese Bewegung Literatur zu Menschen bringt, die sich keine Bücher leisten können. Mehr als 1000 registrierte Mitglieder gibt es in Südafrika, den größten Teil in der Provinz Westkap, in der sich auch Kapstadt befindet. Als ich mich zum letzten Mal einloggte, wurden 112 Bücher in den letzten 30 Tagen in die Wildnis entlassen, davon 49 in den vergangenen drei Tagen. Sogar offizielle BookCrossing-Zonen wurden eingerichtet. Das sind in der Regel Cafés oder Büchereien, die ein oder mehrere Regale zur Verfügung stellen, in denen die Bücher sicher gelagert und von anderen Buchliebhabern abgeholt werden können. Hierher kommen auch einige Township-Bewohner, um sich gezielt Bücher zu holen.

Bücher-Lesen wird durchs Internet noch reizvoller.

Es ist ein schöner Gedanke, dass das Internet, dem eigentlich nachgesagt wird, das gute alte Papier zu verdrängen, den Büchern zu einer ungeahnten Renaissance verhilft.

Es ist ein schöner Gedanke, dass das Internet, dem eigentlich nachgesagt wird, das gute alte Papier zu verdrängen, den Büchern zu einer ungeahnten Renaissance verhilft. Lesen wird scheinbar durch die Versteck- und Entdeckerspiele noch reizvoller: Zahlreiche Mitglieder der Online-Bibliothek kaufen zwei Exemplare von Büchern, die sie aussetzen möchten. Oder sie kaufen kistenweise Wälzer auf Flohmärkten, um sie zu verstecken. Und so wartet "Sourcery" von Terry Pratchett im australischen Postamt im Noarlunga Centre auf seinen neuen Besitzer. "Der Club der Gerechten" pendelt in der Regionalbahn zwischen Bad Münstereifel und Bonn hin und her. Der Freizeitführer "Die schönsten Spaßbäder Europas" liegt in der C&A-Damentoilette in der Hamburger Innenstadt – ein paar Meter weiter wurden 15 Bücher irgendwo auf der zugefrorenen Alster deponiert, die darauf warten, gefunden zu werden, bevor die Eisschicht schmilzt.

Ein paar Straßen weiter liegt "Effi Briest" auf einem alten Klavier, versteckt unter ein paar Flyern. Es gibt genug Gründe, bei den BookCrossern mitzumachen. Trotzdem fällt es mir schwer, mich von "Effi Briest" zu trennen. Ich habe mir bei der Auswahl des Verstecks größte Mühe gegeben, überlegt, wo die Chance am größten ist, einen netten Finder zu treffen, der auf www.bookcrossing.com eine kurze Nachricht schreibt, sobald er das Buch gefunden hat. Die Chance, dass das passiert, ist aber relativ gering: Nur jedes dritte Buch wird von einem BookCrosser oder jemandem, der es dann werden will, eingesammelt.

Welches Schicksal mein Roman ereilt hat, weiß ich nicht. Bis jetzt hat mich noch keine erlösende Nachricht erreicht. Jemand hat ihn aber mit Sicherheit schon mitgenommen. Hoffentlich einer, der meine "Effi" gut behandelt.

Hier können Sie verfolgen, ob sich der Finder des Buches "Effi Briest" gemeldet hat – und wenn ja, wo sich der Roman jetzt befindet

So werden Sie auch ein BookCrosser

Bücher jagen Um in die Wildnis entlassene Bücher zu jagen, müssen Sie einfach nur auf die "Hunt"-Übersicht von bookcrossing.com gucken, wo Bücher in Ihrer Nähe versteckt sind. Dann am besten möglichst schnell dort vorbei schauen, bevor jemand anderes das Buch entdeckt hat. Als Alternative können Sie auch auf der Internetseite der deutschen BookCrossing-Community nach offiziellen BookCrossing-Zonen (OBCZ) suchen. Das sind in der Regel Cafés, in denen Regale voller ausgesetzter Bücher stehen. Hier werden Sie mit Sicherheit fündig.

Bücher aussetzen Sie müssen das Buch zunächst registrieren. Dazu geben Sie einfach Autor und Titel ein, bewerten auf einer Skala, wie sehr Ihnen das Buch gefallen hat und verleihen ihm den Status "travelling". Anschließend erhalten Sie eine Identifikationsnummer, die Sie in Ihr Buch eintragen müssen. Die kann der Finder dann auf der Website eintragen und so mit Ihnen in Kontakt treten. Es gibt auch spezielle Etiketten, die Sie sich einfach herunterladen und ins Buch kleben können. Sie können Ihr Buch auch in eine offizielle Zone aussetzen oder gezielt per Post an einen anderen BookCrosser senden. Wichtig: Nachdem Sie das Buch versteckt haben, müssen Sie den anderen in der Community mitteilen, wann und wo Sie es ausgesetzt haben. Dazu müssen Sie selbst allerdings bei bookcrossing.com registriert sein. Die Registrierung ist denkbar einfach, kostenlos und anonym.

Bücher diskutieren Sobald Sie ein Buch angemeldet haben, wird eine Seite angelegt, auf der Sie seine Wanderschaft mitverfolgen und mit anderen BookCrossern über den Inhalt diskutieren können.

Text: Roxana Wellbrock Foto: Fotolia

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel