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Mein Vater - der Koch der Königin

Liane Dirks traute ihrem Vater lange nichts Gutes zu. Als sie erfuhr, dass er einmal sogar die Queen bewirtet hat, war sie überrascht - und machte ihn zur Hauptfigur ihres neuen Romans "Der Koch der Königin".

"Ich glaube, dass ich meinem Vater in einigen Dingen ähnlich bin", sagt Liane Dirks. Es ist bestimmt nicht leicht, das zu sagen, denn als Kind hat Liane Dirks unter ihrem Vater gelitten. Wir sitzen im hellen Schreib- und Lesezimmer ihres kleinen Hauses im Süden Kölns und trinken köstlich duftenden indischen Tee. "Auch ich habe ein riskantes Leben gelebt, voller Brüche", erklärt sie. Ihr Entschluss, Schriftstellerin zu werden, sei zum Beispiel alles andere als eine Vernunftentscheidung gewesen. "Aber ich habe wirklich von einem auf den anderen Tag gewusst, ich muss hier weg." Fristlos hat sie damals ihren Job beim Arbeitsamt gekündigt, die Koffer gepackt, die Stadt und ihren Mann verlassen. "Ich bin nach Paris gegangen, habe mich in das billigste Hotel überhaupt eingemietet und da vor mich hin gelebt, monatelang, mit Baguette und Kaffee, und Gedichte geschrieben." Ein feines Lachen über die Teetasse hinweg. "Die waren alle scheußlich!"

Was Liane Dirks auftischt, ist absurd, kurios - und köstlich

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Das ist viele Jahre und inzwischen sechs Romane her. In drei von ihnen hat sie sich mit ihrem Vater auseinandergesetzt. Günther Dirks war ein Quartalssäufer, ein grausamer Gewaltmensch, der alles zerstörte, was er sich aufgebaut hatte, der fliehen musste, sich schließlich fing und neu begann. Immer wieder. Als Elfjährige hat Liane Dirks ihren Vater das letzte Mal gesehen. In ihrem Roman "Vier Arten meinen Vater zu beerdigen" hat sie versucht, endgültig mit ihm abzuschließen. Damals war sie Mitte vierzig. "Ich denke, ich musste ihn für mich erst beerdigen, damit er einmal neu auferstehen kann", sagt sie. Danach konnte sie ihn sich als Figur literarisch neu erfinden, spielerisch, geheimnisvoll. In ihrem neuen Roman "Der Koch der Königin" ist der Vater zwar ein Trinker geblieben, aber ein Sonderling geworden, ein Suchender. Ein genialer Koch und ein guter Geschichtenerzähler.

Auf dem Tisch vor uns liegen ein paar Fotos. Sie zeigen einen Küchenchef in vollem Ornat, mit ellenlanger Kochmütze auf dem Kopf und einer schweren Ordenskette um den Hals. "Es liegt ja ganz viel in diesem Gesicht", sagt Liane Dirks, "etwas Weiches, Witz, Stolz und doch auch eine gewisse Schüchternheit." Ihr Vater hieß Andreas mit zweitem Namen. Im Buch hat sie ihm den Namen Anders gegeben. Den deutschen Koch hat es in ein ärmeres Viertel einer südostasiatischen Großstadt verschlagen. Jeden Mittag, jeden Abend ist das kleine Lokal, in dem er kocht, bis auf den letzten Platz gefüllt. Sein großer Traum ist es, seinen Gästen einmal das beste Essen der Welt zu kochen und so einen Moment des puren, reinen Glücks zu erleben. Aber als das greifbar nah scheint, werden die Pläne des Meisterkochs durchkreuzt: Er muss bei einem Staatsbankett einspringen, das der Diktator für den denkbar höchsten Besuch gibt, für die englische Königin.

Was für ein Filou.

Dass ihr Vater tatsächlich einmal für die Queen gekocht hat, erfuhr Liane Dirks per Zufall. Nach einer Lesung aus den "Vier Arten meinen Vater zu beerdigen" im Hamburger Literaturhaus stand auf einmal ein älteres Pärchen vor der Autorin und stellte sich als Großonkel und Großtante vor. Liane Dirks hatte nichts von ihnen gewusst. Man verabredete sich, man traf sich zum Erzählen, vier Tage lang. "Für mich war das ein Prozess der Heilung und für die beiden wahrscheinlich auch", erinnert sie sich. Endlich erfuhr sie, wie ihr Vater wirklich gestorben war, in Spanien, einsam und verarmt. Und sie hörte von seinen Glanzzeiten: als er die Küchen der drei Sheraton-Hotels in Singapur unter sich hatte, als er einmal, 1974, bei einem Staatsbankett Suharto bekochte und ein anderes Mal eben die englische Königin, auf einem Kreuzfahrtschiff. "Was für ein Filou", dachte Liane Dirks, als die beiden das erzählten, "einer, der alle, die ihm nah sind, ins Elend stürzt, und dann das!" Es schwingt Empörung in ihrer Stimme mit, wenn sie davon erzählt. Und, überraschend, auch eine Portion Sympathie.

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Für den Roman "Der Koch der Königin" hat sie dem Vater ein neues Leben gegeben, hat mit den Versatzstücken seiner Biografie und der problematischen gemeinsamen Beziehung gespielt. "Das ist sehr erlösend, befreiend", erklärt die Autorin, "und es macht Spaß." Liane Dirks nimmt einen Schluck Tee. Sie nimmt sich Zeit für das Gespräch, ihre Gedanken, hört sich zu. Es liegt so viel in ihrem Gesicht: Lebenslust vor allem und ein leiser Schmerz, eine seltsame Mischung aus Präsenz und Distanz und eine gehörige Portion Kraft und Gewissheit. "Der Kern jedes kreativen Tuns ist für mich Offenheit", sagt sie. "Wenn ich mich öffne, dann erst entsteht etwas. Und dann geht es darum, möglichst locker zu bleiben, möglichst offen zu bleiben und zu gucken, was hier erzählt werden will. Und so, denke ich wirklich, entsteht eine neue Wahrheit."

Ein Trunkenbold ist der Vater in "Der Koch der Königin" geblieben, ein Ehebrecher, Gewalttäter und Lügner. Aber manche Gäste des kleinen Lokals, die nur seine Kochkunst, nicht seinen Charakter kennen, halten ihn für einen Heiligen. Für den Nachtisch seines Wunderessens macht er sich auf die Suche nach "Draupadis Tränen", einer legendären Beerensorte: "Kaum ist die dünne Haut der Beeren am Gaumen zerdrückt, durchströmt einen das reine Wohlbefinden", stellt Anders fest, als er sie probiert, "und zwar nicht nur im Mund, es durchzieht den ganzen Körper. Es geht von Kopf bis Fuß, man ist glücklich, einzig und allein, weil man auf eine Beere beißt." Obwohl er weiß, dass die Königin von England die exotischen Früchte nicht anrühren wird, kann er nicht von ihnen lassen. Schließlich tarnt er sie als "Draupadis Dream - eine Fantasie von Schokolade, Eis und Weinbeergelee". Gibt es diese Beeren wirklich? Die Autorin lacht: "Das verrate ich doch nicht!"

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Als sie im Roman aufgetischt werden, hat der Meisterkoch längst wieder einmal zur Whiskyflasche gegriffen. "Das sind alles Schweine, für die wir hier kochen", hat er gelallt. Und die Wachen hat er angebrüllt: "Er ist ein Mörder!" Und dennoch nimmt die Geschichte ein gutes Ende. "Der Koch der Königin" ist aber mehr als ein turbulenter Roman über einen kuriosen Staatsbesuch, mehr als die köstliche Geschichte eines absurden Auftrags, eines Absturzes und einer wundersamen Rettung. Er ist ein feines, anregendes Nachdenken über den Zusammenhang von Kochen, Erzählen und Erkenntnis. "Wenn ein Roman richtig gelungen ist", sagt die Autorin, "dann können wir nicht formulieren, was wir begriffen haben. Das ist so ähnlich wie bei einem sehr guten Essen. Da schmeckt man zwar die einzelnen Zutaten noch heraus, erlebt aber dennoch den Zauber eines neuen, einzigartigen Geschmacks. Und wenn es wirklich gut gelungen ist, dann kann man den nicht beschreiben, höchstens umschreiben oder eben: davon erzählen."

Text: Fridtjof Küchemann Fotos: Mareike Föcking

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