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Mein Leben als Geist

Jennie Erdal war die Stimme eines reichen Verlegers. Als sein Ghostwriter schrieb sie Reden, Romane und Liebesschwüre. Davon handelt ihr erstes eigenes Buch.

Ghostwriting ist schon ein bisschen wie Prostitution, schreibt Jennie Erdal: "In beiden Fällen treibt man sich in ziemlich zwielichtigen Gefilden herum, die Entlohnung wird im Voraus verhandelt und richtet sich nach den vereinbarten Diensten, und alle Beteiligten, egal ob als Kunde oder Dienstleister, müssen mit negativen Reaktionen rechnen." Es ließe sich noch eine weitere Parallele finden: Man rutscht manchmal in den Beruf einfach so rein, obwohl man ihn gar nicht ausüben wollte.

Ncht besser als eine gewöhnliche Nutte.

"Es fing ganz harmlos an: Mal eine Rede für ihn schreiben, mal einen Geschäftsbrief", sagt Jen-nie Erdal, eine freundliche, gebildete Frau von 56 Jahren, Mutter von drei erwachsenen Kindern, die in der altehrwürdigen schottischen Universitätsstadt St. Andrews lebt, zusammen mit ihrem zweiten Ehemann David in einem großen Haus mit Garten, in dem das Enkelkind jetzt gerade fröhlich herumtollt. Es fällt sehr schwer zu glauben, dass dieser Frau auch von einer ihrer ehemaligen Uni-Professorinnen bescheinigt wurde, dass sie in puncto Gelderwerb "nicht besser als eine gewöhnliche Nutte" sei. Und dabei kannte die noch nicht mal die ganze Geschichte.

Die Arbeit als Ghostwriter begann mit Liebesbriefen

"Das war zuerst ein ganz normaler Job", sagt Jennie Erdal. "Er wurde erst ungewöhnlich, als es solche Ausmaße annahm." Jennie Erdal hat fast 20 Jahre lang für einen Mann gearbeitet, einen Londoner Verleger mit palästinensischen Wurzeln namens Naim Attallah, der im England der 80er Jahre nicht unbekannt war: einerseits als Geschäftsmann, hauptsächlich aber als Gastgeber ausschweifender Partys sowie als Exzentriker, der ein Tigerfell namens "Kaiser" über seinem Schreibtisch hängen hatte, einen pinkfarbenen mit einem grünen Socken kombinierte und öfter mal phallusförmige Schlüsselanhänger an junge schöne Frauen verschenkte, die er extra zu diesem Zweck hatte anfertigen lassen.

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Offiziell war Jennie Erdal von 1981 bis Ende 2000 in seinem Verlag, Quartet Books, als Lektorin angestellt. Inoffiziell dagegen schrieb sie jedes Schriftstück, bei dem "Naim Attallah" als Autor angegeben war: Zeitungskolumnen über Schauspielerinnen oder Unterwäsche, Reiseberichte aus Ländern, wo sie nie war, Kommentare zur Situation im Nahen Osten, Beileidsbekundungen, Karten an den eigenen Sohn, zwei von Kritikern recht gut besprochene Romane sowie zahlreiche Liebesbriefe (die wenigsten davon an seine Frau), die sie am Computer tippte und die Attallah dann mit der Hand abschrieb.

"Er war selbst immer sehr gerührt von den Liebesbriefen", sagt Jennie Erdal und erinnert sich, wie er manche laut vorlas, mit zitternder Stimme und eine Träne wegdrückend. Von den Romanen mochte er dagegen den zweiten, ein Werk namens "Tara & Claire", nicht so besonders. "Er fand, ich habe seine einzige Vorgabe nicht gut genug umgesetzt." Die bestand darin, eine Sexszene hineinzuschreiben, in der zwei Cousinen aufgrund ihrer besonders telepathischen Verbindung gleichzeitig einen Orgasmus haben, obwohl sie räumlich weit voneinander entfernt sind. "Das war eine unfassbar dämliche Idee", sagt Jennie Erdal. In ihrer Not machte sie eine Art Pubertätsfantasie daraus. Naim Attallah war davon sehr enttäuscht, Jennie dagegen froh, dass die Kritiker das Buch nicht in der Luft verrissen.

Vier Jahre nachdem sie gekündigt hatte, hat sie ein Buch über ihr Leben als Ghostwriterin geschrieben. Eigentlich, sagt sie, habe sie ursprünglich nicht vorgehabt, als erstes Werk unter ihrem eigenen Namen eine Autobiografie zu schreiben. Noch weniger wollte sie schmutzige Wäsche waschen und ihren ehemaligen Arbeitgeber bloßstellen. Daher erwähnt sie seinen Namen in dem Buch kein einziges Mal – er heißt dort "Tiger". "Ich wusste nur, dass ich schreiben wollte, aber nicht, über was. Ich habe verschiedene Romanideen angefangen, aber ich war nicht zufrieden. Ein Freund hat mir dann schließlich gesagt: Es gibt nur eine Geschichte, die du erzählen musst."

Es gibt nur eine Geschichte, die du erzählen musst.

Jennie Erdal beschreibt, wie sie als Mutter dreier kleiner Kinder überglücklich ist, als sie den Job als Lektorin für russischsprachige Literatur bekommt, sogar mit der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. "Ich hatte schließlich gedacht, ich würde in meinem Leben nie mehr etwas anderes lesen können als Gute-Nacht-Geschichten." Eine Zeitlang arbeitet sie auch tatsächlich als Lektorin. Bis ihr Chef sich in den Kopf setzt, einen Band mit Interviews berühmter Frauen herauszugeben.

Attallah führt stundenlange Interviews mit 289 Frauen, darunter Kathleen Turner, Doris Lessing und Soraya Kashoggi. Jennie Erdal bereitet dafür die Fragen vor, stellt hinterher die Antworten zusammen und schreibt eine 80-seitige Einleitung. Ihre Mitarbeit wird in dem 1200-Seiten-Wälzer mit keinem Wort erwähnt, das Buch aber ein großer Erfolg. Von da an ist sie seine feste Ghostwriterin für alles, ob beruflich oder privat – "ohne dass der Begriff ‚Ghostwriting' auch nur einmal ausgesprochen wurde", sagt Jennie Erdal. "Irgendwann meinte er dann, wir müssten uns weiterentwickeln und es mit einem Roman versuchen."

Attallah gab die grobe Handlung vor (verheirateter Mann hat leidenschaftliche Affäre mit anderer Frau) und Jennie sechs Wochen Zeit. Der Roman, meint sie im Nachhinein, sei ihr nicht gut gelungen: Die Charaktere klischeehaft, die Geschichte schwach, eine reine Auftragsarbeit ohne echten Impuls. "Aber es ist, denke ich, teilweise ganz gut geschrieben." Die Kritiken waren jedenfalls überwiegend positiv. "Da war ich sehr erleichtert für Naim", sagt sie. "Und er war auch glücklich und rief mir damals schon von Weitem zu: Sie sagen, wir können schreiben!"

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Jennie Erdal kann zweifellos schreiben, auch ihre eigene Geschichte, "Die Ghostwriterin", bekam in England sehr gute Kritiken. Sie schreibt nicht selbstmitleidig oder anklagend über ihren Job, sondern in weiten Strecken sehr lustig und selbstironisch. Und wenn sie von ihren gemeinsamen Arbeitsurlauben mit ihrem Boss in seinem Ferienhaus berichtet, wozu auch das Sonnen am Pool gehörte, auf seinen Wunsch stets nackt (die Beziehung blieb dennoch immer platonisch), spürt man trotz allem eine gewisse Sympathie für ihren alten Arbeitgeber. Den schildert sie zwar einerseits als Kontrollfreak, vereinnahmend, sexbesessen und unintellektuell, aber auch als großzügig, warmherzig und über alle Maßen begeisterungsfähig. "Und ich war ihm sehr dankbar, dass er mir in einer sehr schwierigen Zeit einen Rettungsanker zugeworfen hat. Das bin ich ihm auch immer noch."

1985 war ihre Ehe in die Brüche gegangen. Plötzlich war sie alleinerziehende Mutter von drei Kindern und brauchte das Geld, was Attallah ihr zahlte, mehr als nötig. Dass er sich mit ihrer Kreativität schmückte und sie auf den Partys anlässlich des Erscheinens ihrer eigenen Bücher von anderen Gästen gefragt wurde, ob sie die denn gelesen habe (was sie meistens verneinte) – nein, all das habe sie nicht gestört, sagt sie. "Ich war vorher schon Übersetzerin und Lektorin, in diesen Berufen arbeitet man immer im Hintergrund. Da wollte ich auch immer sein. "

Es war ihm egal, was da stand. Hauptsache sein Name war richtig geschrieben.

Es gab jedoch auch schwierige Aufgaben. Liebesbriefe habe sie sehr widerwillig geschrieben: "Ich kannte die meisten Leute überhaupt nicht, und Naims einzige Anweisung war oft nur, ob der Brief ‚liebevoll' oder ‚sehr liebevoll' sein sollte." Und irgendwann sollte sie für eine Zeitung einen Kommentar zu Abtreibung schreiben, natürlich aus seiner Weltsicht heraus. Die war – "er war schließlich guter Katholik" – strikt und in jedem Fall dagegen. Sie beschloss, dennoch einen recht ausgewogenen Kommentar zu schreiben. Letztendlich spielte es auch keine Rolle, da Attallah nie erfuhr, was "er" zur Abtreibung geschrieben hatte: Die Zeitung hatte ihn in der Autorenzeile falsch geschrieben, was ihn so aufregte, dass er noch vor dem Lesen die Seiten zerknüllt durchs Flugzeug schleuderte. "Da habe ich endgültig gemerkt: Es war ihm egal, was da in seinem Namen stand. Hauptsache, der Name war richtig geschrieben. Mein Job war es, ihm Meinungen zu geben, die er nicht hatte, und Gefühle auszudrücken, die er nicht fühlte."

Der Grund für ihre Kündigung nach 19 Jahren war letztendlich die absolute Vereinnahmung durch ihren Boss, der täglich bis zu 40-mal bei ihr zu Hause anrief, was vor allem Jennies zweiter Ehemann David nicht mehr länger mitmachen wollte. Als Naim Attallah dann auch noch einen weiteren Roman von ihr wollte – diesmal das universelle Buch über Gott –, hatte sie endgültig genug.

Von der Ghostwriterin zu den eigenen Büchern

Naim Attallah war über Jennie Erdals Enthüllungsbuch außer sich vor Wut. Bis heute spricht er nicht mit ihr. Stattdessen brachte er nach dessen Erscheinen selbst in kürzester Zeit vier weitere Bücher in seinem Namen heraus – alles mehr oder weniger verkappte Memoiren, in denen Jennie Erdal nicht vorkommt – um zu zeigen, dass er auch ohne seine Ghostwriterin schreiben kann. Die zweifelt vorsichtig an, dass die Bücher gänzlich ohne fremde Hilfe entstanden sind, schweigt sich aber sonst höflich darüber aus. "Wir haben zwar fast 20 Jahre miteinander verbracht, aber ei¬gentlich sind wir uns fremd geblieben. Ich war einfach nur die Frau, die einen Teil seines Lebens am Laufen hielt. Genauso wie die Frau, die seine Ohren reinigt und ihm die Nägel schneidet." Sie empfinde dennoch einen "Rest Zuneigung" zu ihm – auch, weil er sie letztendlich gezwungen habe, das zu machen, was sie eigentlich immer wollte und sich vorher nie zugetraut hat: Bücher zu schreiben. Unter ihrem eigenen Namen.

Text: Sonia Niemann<br/><br/>Fotos: Florian von Ploetz

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