Riesin angesichts des Leids
Dina Nayeri: "Ein Teelöffel Land und Meer"
1979. Es ist das Jahr, in dem Pink Floyd einen ihrer größten Hits landen. Saba Hafezi liebt den Song, in dem es um rebellische Kinder und Lehrer und Ziegelsteine geht, ein Song, der so illegal ist, dass hundert Mullahs sich in die Hose machen würden, wenn sie nur eine einzige Zeile daraus hörten. Sie spult die Kassette immer wieder auf Anfang, heimlich, in einem Versteck. Denn 1979, dem Jahr der islamischen Revolution in Persien, gerät Sabas heile Welt aus den Fugen. Der Schah geht, die Ayatollas kommen. Alles Schöne, begreift die Elfjährige, alles, was Spaß macht, ist von nun an verboten: Musik, hübsche Kleidung, übermäßige Freude. Was sie jedoch nicht begreift: Wo sind ihre Zwillingsschwester Mahtab und wo ihre schöne, kämpferische Mama, die sie beschworen hatte, sie solle "angesicht des Leids ein Riese sein"? Je lauter der rückgratlose Vater auf diese Fragen schweigt, desto sicherer ist sich Saba: Die beiden warten auf sie, in Amerika, getrennt von ihr durch viele Teelöffel Sand und Meer. Die in den USA lebende Autorin Dina Nayeri erzählt in ihrem Debütroman vom schmerzhaften Erwachsenwerden eines Mädchens in dunkler Zeit. Aber wie sie das erzählt! Gleich einer modernen Scheherazade verwebt die gebürtige Perserin Politisches und Poetisches, Stimmen und Rhythmen, uraltes Wissen und coole Teenie-Sprüche, Trauriges und Humorvolles zu großer Literatur - als ginge es ums Überleben. Geht es auch, für Saba Hafezi nach zwei gescheiterten Ehen. Den Weg in die Freiheit ebnen ihr mutige Frauen, die, versteckt unter einem Tschador, die eigentlichen Heldinnen des heutigen Iran sind. (Ü: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, 522 S., 22 Euro, mare)Karin Weber-Duve