Geliebte Spionin
Ian McEwan: "Honig"
Mathematik hat die hübsche, kluge Serena Frome nur studiert, weil ihre Mutter es wollte. Ihre wahre Leidenschaft gehört dem Lesen - nicht zuletzt, weil eine gute Story sie vom Denken abhält. Entsprechend lässig ist sie bei der Wahl ihrer Lektüre: "Das Tal der Puppen" etwa gefällt ihr ebenso gut "wie alles, was Jane Austen geschrieben hat". Trotzdem ist es ihre Lust an der Literatur, die sie zu Beginn der 70er Jahre und mitten im Kalten Krieg zur idealen Rekrutin für den britischen Geheimdienst MI5 macht. Der hat es sich zum Ziel gesetzt, Intellektuelle zu fördern, die im Sinne der Regierung publizieren. Und Serena soll den jungen Autor Tom Haley undercover auf dem erwünschten politischen Pfad halten. Serena lügt sich in Toms Leben - und rasselt in ein unlösbares Dilemma. Ian McEwans raffinierter Roman "Honig" ist so spannend wie ein Spionage-Thriller, kommt aber ohne finstere Katastrophen aus, mit denen der Autor seine Leser sonst gern mal in Atem hält. Ein hinreißendes Lesevergügen, prallvoll mit Überraschungen. (Ü: Werner Schmitz, 448 S., 22,90 Euro, Diogenes)Christine Hohwieler