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Schmerzen lindern: So klappt es auch ohne Chemie

Schmerzen lindern
© Shutterstock / Sokolova23
Schmerzen können uns das Leben zur Hölle machen. Doch ist der Griff zur Schmerztablette die richtige Wahl, um sie dauerhaft zu lindern? Wir klären auf über gefährliche Nebenwirkungen und Alternativen zur Chemie.
Text: Monika Murphy-Witt

Schmerz ist die Alarmglocke unseres Körpers

Sie schrillt bei jedem Gewebeschaden, vom winzigen Schnitt mit dem Kartoffelmesser bis zum Herzinfarkt. Sie meldet sich aber auch, wenn das fein austarierte Gleichgewicht unseres Organismus gestört ist. Schmerz ist dann ein sinnvolles Warnsignal. Ein Hilferuf, der nicht überhört werden sollte.

Vor allem plötzlich auftretende Schmerzen müssen abgeklärt werden: Es könnte etwas Ernstes dahinterstecken. In den meisten Fällen haben Schmerzen keine akut bedrohliche Ursache.

Beispiel Rückenschmerzen: Nur in vier bis sieben Prozent sind Bandscheibenvorfälle schuld. Die Mehrzahl der Betroffenen hat "unspezifische" Beschwerden, das heißt: Die Wirbelsäule ist nicht verändert, sondern das komplexe Zusammenspiel von Muskeln, Gelenken und Bändern ist gestört. Und dafür sind fast immer Bewegungsmangel, Fehlhaltungen, Übergewicht und Stress verantwortlich. 

Ähnlich sieht es bei Kopfschmerzen aus. Am häufigsten sind Beschwerden durch zu große Anspannung: Rund ein Drittel der Deutschen haben mindestens einmal im Monat Spannungskopfschmerzen, bei drei Prozent sind sie bereits chronisch.

Schmerz ist oft eine Folge unseres ungesunden Lebensstils

Selbst bei den 20 Millionen Menschen, die ständig oder immer wieder unter Schmerzen leiden, finden die Ärzte bei jedem vierten keine medizinische Ursache für dieses chronische Schmerzsyndrom.

Diese Beispiele zeigen: Schmerzen sind häufig Folge unseres ungesunden Lebensstils. Ein erstes Zeichen dafür, dass etwas grundsätzlich schiefläuft in unserem Alltag. Etwas, was die meisten von uns sich nicht gern eingestehen. Der Griff zur Tablette, um die Schmerzen zu lindern und schnell wieder fit zu sein, ist deshalb oft das Mittel der Wahl. Die Alarmglocke wird bewusst überhört, ausgeschaltet. Wie riskant das ist, machen wir uns oft nicht klar.

Schmerztabletten belasten zusätzlich

"Schmerztabletten sind in vielen Fällen eine überflüssige Belastung des Körpers", sagt Professor Kay Brune von der Universität Erlangen. Der renommierte Pharmakologe warnt vor allem davor, frei verkäufliche Mittel mit den klassischen Wirkstoffen Acetylsalicylsäure (ASS) und Paracetamol zu sorglos einzunehmen.

"Eine Tablette mit 500 Milligramm ASS lindert für zwei, drei Stunden die Schmerzen, verdünnt aber fünf Tage lang das Blut", so der Experte. Das könne zu Magenblutungen führen. Und während der Menstruation sei ASS, weil es die Neigung zu Blutungen erhöht, gar nicht geeignet, ergänzt Professor Ingrid Gerhard, Fachärztin für Gynäkologie, Naturheilkunde und Umweltmedizin in Heidelberg.

Bei Paracetamol werde die maximal erlaubte Höchstdosis von vier Gramm am Tag häufig unbewusst überschritten, sagt Brune, weil die Substanz zum Beispiel auch Inhaltsstoff von Grippemitteln und Erkältungs-Heißgetränken ist.

Gefährliche Nebenwirkungen

Da sich Nebenwirkungen nicht sofort unangenehm bemerkbar machen und Gegenmaßnahmen provozieren, könnten schwere Leberschäden die Folge sein. Frauen leiden laut Ingrid Gerhard verstärkt unter Nierenschäden. Auch das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall kann bei häufiger Einnahme steigen.

Und schließlich besteht die Gefahr der Gewöhnung: "Viele Menschen haben positive Erfahrungen mit Schmerzmitteln und nehmen sie deshalb bereits vorbeugend. Daraus entwickelt sich leicht ein Missbrauch", sagt Kay Brune.

Sein Fazit: Wenn im akuten Fall Schmerztabletten nötig sein sollten, dann so niedrig dosiert und so kurz wie möglich und immer zusammen mit viel Flüssigkeit. Jeder empfindet Schmerz anders und sollte ausprobieren, welche Dosis zur Linderung nötig ist. Häufig reicht es schon, einen Tag Medikamente zu nehmen, um eine Besserung zu erzielen. Auch eine Woche Selbstmedikation ist noch unproblematisch.

Aber darüber hinaus sollten Schmerzmittel nur unter ärztlicher Kontrolle verwendet werden. Brune selbst bevorzugt zudem neuere Wirkstoffe: "Bei einem leichten Hexenschuss nehme ich 400 Milligramm Ibuprofen oder 25 Milligramm Dic-lofenac. Nach einer Stunde geht es mir oft schon so gut, dass ich wandern gehen kann. Bewegung ist das Beste, nicht Ruhigstellung, wie man früher glaubte."

Auch pflanzliche Mittel können auf Dauer schaden

Auch pflanzliche Präparate sollten nicht dauerhaft eingenommen werden, obwohl sie nachweislich weniger gefährliche Nebenwirkungen als "synthetische" Schmerzmittel haben. Und bei entsprechend hoher Dosierung laut Studien Beschwerden mindestens ebenso gut lindern. "Der potenteste pflanzliche Schmerzhemmer ist Weidenrinden-Extrakt", sagt Professor Sigrun Chrubasik, Expertin für "Pflanzliche Drogen" an der Universität Freiburg im Breisgau und Expertin für Komplementärmedizin in Bad Ragaz. "Je höher die Dosis, desto stärker der Effekt - in der entsprechenden Dosis wirkt der Extrakt auch bei akuten Beschwerden wie Kopfschmerzen."

Darüber hinaus gibt es weitere pflanzliche Mittel, Phytopharmaka, zum Beispiel aus Teufelskralle und Hagebutte, die vor allem Rücken- und Arthroseschmerzen lindern (siehe Kästen). Hier dauert es in der Regel jedoch zwei bis drei Monate, bis sie ihre volle Wirkung im Körper entfalten. Sie sind deshalb eher zur Vorbeugung bei immer wiederkehrenden Schmerzen und zur Behandlung chronischer Beschwerden geeignet. "Tritt nach sechs bis acht, maximal zwölf Wochen keine Besserung ein, macht es wenig Sinn, die Therapie fortzusetzen. Dann sollte etwas anderes ausprobiert werden", sagt Sigrun Chrubasik.

Wichtig in jedem Fall: Auch bei frei verkäuflichen Mitteln sollte eine höhere Dosis als die, die auf der Packung empfohlen wird, nur in Absprache mit dem Arzt genommen werden. Und der sollte immer informiert werden, wenn synthetische und pflanzliche Präparate gleichzeitig verwendet werden; nur so lassen sich ungewollte Wechselwirkungen vermeiden. Zur äußerlichen Behandlung eignet sich alternativ ein Extrakt aus spanischem Pfeffer.

Grundsätzlich sind jedoch durch die Kombination mit Phytopharmaka vor allem bei chronischen Beschwerden weniger synthetische Schmerzmittel nötig, das Risiko von Nebenwirkungen sinkt. "Ich bin selbst chronische Schmerzpatientin", sagt Sigrun Chrubasik. "So ist mein wissenschaftliches Interesse an der Phytotherapie entstanden. Ich versuche immer erst, mit pflanzlichen Mitteln auszukommen. Meist reicht das. Nur bei sehr starken Beschwerden setze ich Chemie ein. Wenn man ständig synthetische Mittel nimmt, bezahlt man irgendwann dafür."

Welche Alternativen gibt es zu Medikamenten?

Fest steht: Schmerzmittel können durchaus sinnvoll sein. Sie machen therapeutische Maßnahmen wie Krankengymnastik in machen Fällen überhaupt erst möglich. Und sie verhindern, dass dauerhafte Schmerzreize im Gehirn Spuren hinterlassen, dass der Schmerz sich einprägt. Doch Medikamente allein können keine Schmerzen besiegen. Zum Beispiel lassen sich laut einer aktuellen amerikanischen Studie Nackenschmerzen besser durch Bewegungsübungen lindern als durch die Einnahme von Arzneimitteln.

Letztendlich überdecken Schmerzmittel aber immer nur das Problem. Sie lindern zeitweilig die Symptome, eine wirkliche Lösung, Heilung bringen sie nicht. "Den Schmerz als Warnsignal zu ignorieren ist gefährlich. Es begünstigt, dass die Beschwerden chronisch werden - und dann sind chronisch Medikamente nötig", sagt Dr. Hans-Jörg Ohlert. Der Chefarzt vom Sebastianeum und Kneippianum in Bad Wörishofen weiß aus Er- fahrung: "Viele Patienten haben großen Zeitdruck. Sie wollen eine Tablette oder Spritze, um den Störfall so schnell wie möglich zu beheben. Sich selbst nehmen sie nicht mehr wahr. Kaum jemand geht heute mit seinem Körper noch achtsam um."

Dabei wäre dies in vielen Fällen der erste Schritt zur Heilung. "Mithilfe von Meditationsübungen", sagt Ingrid Gerhard, "können Patientinnen ihren Schmerz vom Körper 'abspalten'. Sie spüren ihn dann zwar noch, empfinden ihn aber nicht mehr als dominierend. Und können sich eher mit ihm auseinandersetzen." Schmerzen könnten - so gesehen - eine Chance sein. Eine Chance, die Ursachen der Beschwerden nicht zu verdrängen, sondern sich ihnen zu stellen. Und einen ungesunden, "schmerzhaften" Lebensstil zu ändern.

Hilfestellung können dabei bewährte klassische Naturheilverfahren leisten, wie sie aus der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM) bekannt sind. Und wie sie zum Beispiel der Wörishofener Pfarrer Sebastian Kneipp in seiner ganzheitlichen Gesundheitslehre zusammengestellt hat: Wasseranwendungen (Hydrotherapie), Bewegung, Ernährung, Ordnungstherapie und Therapie mit Heilpflanzen.

"Auch wenn sich Schmerzen nur an einer Stelle des Körpers bemerkbar machen, sollte der ganze Mensch untersucht und behandelt werden", sagt Hans-Jörg Ohlert. "Alles, was ausgleicht, den Organismus stärkt und die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert, verringert die Schmerzen. Die fünf Säulen der Kneipptherapie sind ein geniales Konzept dafür."

Selbst aktiv gegen den Schmerz vorgehen

Ohlert empfiehlt deshalb Schmerzpatienten, selbst aktiv zu werden: mehr Obst, Gemüse, frische Kräuter, Seefisch (Lachs, Makrele, Hering) essen und wenig, höchstens zweimal pro Woche, mageres Fleisch und Wurst; sich regelmäßig mehr bewegen; für einen geregelten Tagesablauf sorgen und dabei, wenn möglich, den eigenen Biorhythmus beachten; Entspannungsphasen in den Alltag einbauen; Atemübungen, Meditations- oder Entspannungstechniken einsetzen, um das vegetative Nervensystem zu beruhigen; mit Wärme- und Kältereizen, die langsam gesteigert werden (Waschung, Fußbad, Güsse, Vollbad), die Anpassungsfähigkeit des Körpers trainieren.

"So wie Kinder lernen, regelmäßig ihre Zähne zu putzen, sollten Schmerzpatienten täglich ihre Wasseranwendungen machen", sagt Ohlert. "Wer diese Empfehlungen in seinen Alltag integriert und seinen Lebensstil entsprechend verändert, ist körperlich und psychisch weniger anfällig und gesünder." Dann werden auch die Schmerzen schwächer und seltener. Ist der Organismus wieder im Gleichgewicht, schweigt die Alarmglocke. Oder schrillt zumindest leiser.

Ein Artikel aus BRIGITTE WOMAN Heft 4/ 2012

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