Es ist nicht so, dass Ines Fährmann (Name geändert, Anm. d. Red.) nicht glücklich mit ihrem Leben wäre. Ein Samstagmorgen, die Sonne spiegelt sich in den Fenstern des Cafés. Draußen gehen Mütter mit ihren Kindern zu den Spielplätzen, die es hier an jeder Ecke gibt. Ines Fährmann, groß, schlank, gut aussehend, ist vergangenen Sommer in diese Stadt, in dieses Viertel gezogen. "Ich fühle mich superwohl hier", sagt sie. Sie hat eine Arbeit, die sie liebt. Freunde, die meisten ungebunden wie sie, mit denen sie die Wochenenden verbringt. Manchmal macht sie größere Reisen, zum Beispiel nach Südamerika.
Es ist nicht so, dass sie verzweifelt wäre. Verzweifelt darüber, kein Kind zu haben, obwohl sie schon 37 ist, ein Alter, in dem die weibliche Fruchtbarkeit rapide schwindet. Sie will sich nur nicht selbst unter Druck setzen. Und sie will sich keine Vorwürfe machen müssen, wenn es vielleicht in ein paar Jahren zu spät ist, um noch schwanger zu werden. Deswegen hat sie ihre Eizellen auf Eis legen lassen.
"Er wollte unbedingt Kinder, aber wir haben einfach nicht zusammengepasst."
Bei minus 196 Grad lagern sie in flüssigem Stickstoff in einem Kinderwunschzentrum. Vor sieben Jahren ist Ines Fährmann im Internet auf diese Möglichkeit aufmerksam geworden. Sie interessiert sich dafür, weil sie offen für alles Neue ist. Sie ist damals 30, die ersten Freundinnen sind schwanger. Sie dagegen hat sich gerade von ihrem Freund getrennt, drei Jahre waren sie zusammen. "Er wollte unbedingt Kinder, aber wir haben einfach nicht zusammengepasst." Spontan lässt sie sich in einer Kinderwunschklinik einen Termin geben. Sie würde sich gern absichern, sagt sie dem Arzt. "Aber er hat mich nicht ernst genommen. Er gab mir zu verstehen: Mach dich mal locker, Mädchen."
Dabei ist sie nur ihrer Zeit voraus. Erst jetzt, Jahre später, beginnt sich die Technik zu etablieren, die Frauen eine neue Freiheit verspricht: das Einfrieren von Eizellen ("Egg Freezing"). Damit lässt sich die Fruchtbarkeit bewahren, selbst wenn der Körper biologisch zu alt dafür ist.
Zahl und Qualität der Eizellen nehmen mit den Jahren stetig ab. Die Chance, dass eine 40-Jährige auf natürlichem Weg schwanger wird, liegt bei unter fünf Prozent. Durch Einfrieren lassen sich Eizellen jedoch erfolgreich konservieren. Bislang war diese Technik krebskranken jungen Frauen vorbehalten, die ihre Fruchtbarkeit durch Chemotherapie verlieren konnten.
Die Chance, dass eine 40-Jährige auf natürlichem Weg schwanger wird, liegt bei unter fünf Prozent.
Inzwischen steht sie auch Frauen offen, die sich aus anderen als medizinischen Gründen dafür interessieren. "Social Freezing" nennen die Mediziner das. Dabei werden die entnommenen Eizellen oft über Jahre hinweg eingefroren. Soll der Kinderwunsch erfüllt werden, werden sie aufgetaut, im Labor befruchtet und wieder in die Gebärmutter eingesetzt. So könnten selbst Frauen jenseits der Wechseljahre noch schwanger werden.
Kinder zu bekommen war für Ines Fährmann lange Zeit kein Thema. Sie studierte, arbeitete in Onlineagenturen, in denen kaum jemand eine eigene Familie hatte. Auch mit ihrem neuen Freund, den sie bald nach der letzten Trennung findet, spricht sie nie darüber, ein Kind zu bekommen, sie hat das Gefühl, dass es nicht zu ihrer Beziehung passt. Sie stürzt sich in den Beruf, arbeitet zehn bis zwölf Stunden am Tag, leitet bald ein Team von 20 Kollegen.
Als auch diese Beziehung in die Brüche geht, ist sie Mitte 30. Wieder hat sie den Plan im Kopf, den sie fünf Jahre zuvor gefasst hatte. Sie wendet sich an ein anderes Kinderwunschzentrum; Social Freezing ist dort schon bekannt, sie wäre die sechste Klientin gewesen. Doch das Zentrum erscheint ihr sehr kommerziell, der Arzt vor allem auf Geld aus, so lehnt sie am Ende ab.
Sie sortiert sich neu. Sie hätte jetzt Geschäftsführerin werden können, doch oft fragt sie sich, wenn sie bis spät in der Agentur sitzt: "Wozu das alles?" Sie entscheidet sich für einen Umzug, für eine neue Stelle, bei der sie etwas weniger arbeitet, ihr Team kleiner und ihr Leben entspannter ist. Sie möchte mehr Zeit für sich haben, auch für die Partnersuche. Manchmal hätte sie jetzt wahnsinnig gern ein Kind.
Wenn sie Mütter mit Babys sieht, stellt sie sich vor, wie es wäre, an deren Stelle zu sein.
Wenn sie Mütter mit Babys sieht, stellt sie sich vor, wie es wäre, an deren Stelle zu sein. Dann wieder ist der Wunsch schwächer, und sie beginnt zu zweifeln, ob ein Kind überhaupt in ihr Leben passt. In der neuen Stadt nimmt sie einen dritten Anlauf, es soll der letzte sein. Doch jetzt findet sie einen Arzt, der sie zu nichts drängt, bei dem sie sich gut aufgehoben fühlt.
Vergangenen Herbst begann sie mit dem ersten Zyklus. Neun Tage lang spritzt sie sich Hormone in den Bauch, so dass sich nicht nur wie sonst ein oder zwei Follikel in den Eierstöcken entwickeln, sondern viele. Die ersten Male kostet sie das Spritzen noch Überwindung, dann gewöhnt sie sich daran. Ein weiteres Präparat löst den Eisprung aus. In der Praxis bekommt sie am nächsten Morgen zum ersten Mal in ihrem Leben eine Vollnarkose, vorsichtig werden ihre reifen Eizellen abgesaugt. Sie ist nervös vorher, hat Sorge, dass ihre Blase verletzt werden könnte, auch wenn das selten passiert. Doch nach dem Eingriff spürt sie nur ein Ziehen im Unterleib, das bald verschwindet.
Nach der Narkose muss sie jemand abholen. Nach langem Überlegen bittet sie einen Mann, mit dem sie früher eine Affäre hatte; als Student hat er tagsüber Zeit. Sie erzählt ihm etwas von einem gynäkologischen Eingriff. Als er vor der Praxis steht, sieht er das Schild "Zentrum für Kinderwunsch und Endokrinologie". "Wenn du ein Kind willst", sagt er, "kann ich dir eins machen." Sie lacht, als ihr die Szene einfällt. Sie mochte ihm nicht die Wahrheit sagen. So wie sie außer einer Freundin niemand ihren Entschluss verrät. "Ich wollte keine Diskussion. Das alles klingt doch nach Torschlusspanik."
Der Arzt empfiehlt ihr, mindestens zehn bis 15 Eizellen einfrieren zu lassen, er spricht von Wahrscheinlichkeiten und davon, dass er nichts versprechen kann. Doch für Ines Fährmann ist die Technik einfach eine Option mehr, irgendwann schwanger zu werden. Nach dem ersten Mal werden sechs ihrer Eizellen eingefroren. Nach dem zweiten Mal, ein paar Monate später, sind es sieben. Ein drittes Mal will sie die Prozedur noch durchstehen, dann reicht es ihr. Sie fühlt sich aufgebläht und launisch, während sie die Hormone nimmt. Anfangs war alles spannend, inzwischen findet sie es anstrengend.
Als sie in den Tagen vor der Eizellentnahme einen beruflichen Termin hat, fährt sie Zug, obwohl ihre Kollegen fliegen. Zu spät ist ihr eingefallen, dass sie eine ärztliche Bescheinigung braucht, wenn sie die Spritzen mit ins Flugzeug nehmen will. Ein anderes Mal muss sie eine Präsentation vor Kunden unterbrechen, weil sie sich ihre Spritze immer zur gleichen Zeit setzen muss. Die Kollegen sehen sie verwundert an, wagen aber nicht, nachzufragen.
Die Kosten für die Behandlung übernimmt keine Krankenkasse. Die Medikamente, die ärztlichen Leistungen, die Anästhesie, das Einfrieren belaufen sich für Ines Fährmann pro Zyklus auf 3601,48 Euro. Dazu kommen halbjährlich 178 Euro für die Lagerung der Eizellen. Doch sie verdient gut und verzichtet dafür gern auf ein, zwei Reisen. Natürlich hat sie auch über andere Wege nachgedacht. Etwa, jetzt schwanger zu werden, mit einer Samenspende. Sie hat über Frauen gelesen, die sich bewusst entschieden haben, alleinerziehend zu sein. Doch was sie sich im Moment vor allem wünscht, ist eine feste Beziehung, vielleicht sogar mehr als ein Kind.
Sie ringt mit sich, ob sie sich selbst eine Grenze setzen soll, bis wann sie die Eizellen nutzen will. Bis 44, denkt sie, könnte sie ein Kind bekommen. Nur eins, denn für mehrere fühlt sie sich bereits zu alt. Doch wenn sie bis dahin keinen Partner findet - wird sie dann so weit gehen, ihre Eizellen aus dem Stickstoff nehmen und sie mit fremdem Samen befruchten zu lassen? Sie weiß es nicht. Social Freezing hat ihr mehr Zeit gegeben, Entscheidungen aber nur verschoben.
Manchmal fragt sie sich, ob sie ihr Geld hinausgeworfen hat. Die Vorstellung, dass tatsächlich ein Kind aus dem Gewebe entstehen könnte, erscheint ihr sehr abstrakt. Sie möchte einen Partner finden. Und versuchen, schwanger zu werden, so wie man es üblicherweise versucht. Doch was ist, wenn es nicht klappt, wenn sie jetzt schon zu alt dafür ist? Dann hat sie immer eine Szene vor Augen, einen Moment, über den sie sich freut: Sie stellt sich vor, wie sie dem Mann, mit dem sie ein Kind will, sagt, dass sie vorgesorgt hat.
Gut gekühlt - die Fakten zum Einfrieren von Eizellen
Unbefruchtete Eizellen sind sehr empfindlich; ihr Einfrieren galt lange als schwierig. Die Vitrifikation ("Verglasung") brachte den Durchbruch: Dabei werden Eizellen innerhalb von Sekunden in flüssigem Stickstoff schockgefroren. So bilden sich keine Eiskristalle wie bei der herkömmlichen Methode, dem "Slow Freezing".
Über 90 Prozent der Eizellen überstehen den Gefriervorgang, egal wie lange sie eingefroren waren. Ihre Qualität hängt vom Alter der Frau zum Zeitpunkt der Entnahme ab, aber auch von der Erfahrung des Labors mit Vitrifikation. Eine Studie zeigte, dass die Schwangerschaftsraten mit vitrifizierten und dann befruchteten Eizellen genauso hoch sein können wie nach dem Einsetzen von vorher nicht eingefrorenen Embryonen.
"Allerdings braucht es dazu ein hoch spezialisiertes Labor", sagt Professor Michael von Wolff. Der Gynäkologe ist Koordinator von FertiProtekt, einem Netzwerk von Kinderwunschmedizinern, die das Einfrieren von Eizellen anbieten. Das Register dieses Netzwerks von 2013 zeigt, dass Frauen zwischen 35 und 39 Jahren im Schnitt 11 bis 12 Eizellen haben einfrieren lassen. Die Zahl der Embryonen, die daraus entstehen und in die Gebärmutter transferiert werden können, wird auf 4,2 geschätzt. Etwa 35 Prozent der Frauen wird ein Kind zur Welt bringen, die anderen nicht - zum Beispiel, weil die Qualität ihrer Eizellen nicht gut genug ist oder sie den transferierten Embryo wieder verlieren. In der Gruppe der 40-bis 44-Jährigen liegt die geschätzte Chance, mithilfe von Social Freezing ein Kind zu bekommen, bei 15 Prozent.
Die medizinischen Nebenwirkungen seien überschaubar, sagt Professor Frank Nawroth, Reproduktionsmediziner in Hamburg. Das Risiko für eine Überstimulation während der Hormonbehandlung liegt bei einem Prozent, dasjenige für Verletzungen und Blutungen während der Entnahme der Eizellen bei 0,6 Prozent. Bislang wurde kein erhöhtes Gesundheitsrisiko für die Kinder festgestellt, die aus zuvor eingefrorenen Eizellen entstehen. Allerdings fehlen Langzeituntersuchungen.
Es gibt in Deutschland keine gesetzliche Altersgrenze, bis wann Frauen ihre Fertilitätsreserve nutzen dürfen. Viele Ärzte ziehen die Grenze, bis wann sie befruchtete Eizellen transferieren, bei 50 Jahren. Auch wenn eine Frau in höherem Alter mit jungen Eizellen gut schwanger werden kann, steigen die Risiken zum Beispiel für Bluthochdruck und Schwangerschaftsdiabetes stark.
2012 wurden 30 Frauen beraten und 22 von ihnen behandelt. 2013 wurden bereits 190 beraten und 134 behandelt. Diese Zahlen entstammen der Statistik der FertiProtekt-Zentren. Michael von Wolff schätzt, dass die Zahl aller durchgeführten Behandlungen in Deutschland dreimal so hoch ist.
... finden Sie unter www.fertiprotekt.de oder im Buch "Kinder machen" von Andreas Bernard (544 S., 24,99 Euro, Fischer).