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Ist Frausein immer noch eine Krankheit?

Das Risiko, wegen Bagatellen zur Patientin gemacht zu werden, ist nirgends größer als in der Gynäkologie, warnt Dr. Barbara Ehret. Ihr Tipp: sich immer umfassend informieren.

BRIGITTE-woman.de: Frauen sind gesundheitsbewusster und leben länger als Männer. Warum reden uns viele Ärzte, allen voran die Gynäkologen, trotzdem ständig ein, dass wir kontrollbedürftig sind?

Barbara Ehret: Frauen gelten als das kranke Geschlecht, und das hat eine lange Tradition. Die Kirche hat uns über Jahrhunderte hinweg zu unreinen und kränklichen Geschöpfen erklärt. Und die Männer haben uns mit diesem Argument künstlich klein gehalten. Diese Altlast haben wir immer noch zu tragen.

BRIGITTE-woman.de: Wir halten uns unbewusst für schwach und anfällig . . .

Barbara Ehret: . . . und lassen uns dadurch leicht Angst einjagen. Die eigene Achtsamkeit auf den Körper spielt keine Rolle mehr. Dauernd soll alles kontrolliert werden. Brustkrebs ist ein Beispiel dafür. Die Brust ist kein sanftes, nährendes, sexuelles Organ, sondern ständig krankheitsbedroht. Eine Art Zeitbombe.

BRIGITTE-woman.de: Und die Gynäkologen nutzen diese Angst der Frauen aus?

Ich bin als Hexe beschimpft worden.

Barbara Ehret: Das Problem ist unser Vorsorgesystem. Die Früherkennung von Krankheiten ist bis zu einem gewissen Grad äußerst sinnvoll. Sie hat zum Beispiel dazu beigetragen, dass Gebärmutterhalskrebs zurückgegangen ist. Aber im Rahmen der Prävention, die 70 bis 80 Prozent ihrer Praxistätigkeit ausmacht, haben die Gynäkologen auch viele Möglichkeiten, Bagatellen wie Scheidenentzündungen, leichte Beschwerden in den Wechseljahren, kleine Myome oder Eierstockzysten zu Krankheiten hochzustilisieren. In dem Augenblick, in dem der Arzt sagt: "Sie haben eine Zyste am Eierstock – die müssen wir kontrollieren", wird eine gesunde Frau zu einer kontrollbedürftigen, wenn nicht sogar kranken gemacht. Dieses Spiel "Wie sichere ich mir meine Patientin?" finde ich sehr gefährlich!

BRIGITTE-woman.de: Der Grat zwischen Gesundheit und Krankheit ist ja in der Tat oft schmal. Wovon hängt es ab, auf welcher Seite ich mich wiederfinde?

Barbara Ehret: In der Medizin wird alles normiert, besonders die Frauen. Die Unterleibsorgane werden mit ausgefeilten Techniken vermessen, beurteilt und mit statistischen Mittelwerten – die sich meist an jungen Frauen orientieren – verglichen. Ist eine Gebärmutter dann nicht so groß wie ein Entenei, sondern so wie ein Gänseei, kann das ausreichen, um auf die Risiko-Seite zu geraten, auch ohne krankhafte Veränderungen oder Beschwerden. Es hängt allein vom Arzt ab, ob er eine Abweichung von der Norm als normale Entwicklung betrachtet oder als behandlungsbedürftige Diagnose.

BRIGITTE-woman.de: Sie haben lange gegen überflüssige Gebärmutter- Operationen gekämpft, sich dabei auch mit Ihrer Zunft angelegt. Hat sich inzwischen etwas verbessert?

Barbara Ehret: Die Gebärmutter wurde lange als "überflüssiges" Organ betrachtet. Noch in den 70er Jahren hieß es, Frauen ab 40 brauchten keine Gebärmutter mehr, am besten würde sie entfernt. Dagegen bin ich auf die Barrikaden gegangen und dafür als wild gewordene Furie und Hexe beschimpft worden. Inzwischen ist die Zahl der Gebärmutter-Entfernungen, der Hysterektomien, zurückgegangen. Angehende Gynäkologen müssen im Rahmen der Facharztausbildung zwar immer noch 20 Eingriffe nachweisen. Das ist aber im Vergleich zu früher nur noch die Hälfte. Und wir haben Leitlinien, die zum Beispiel bei Myomen, also gutartigen Geschwüren in der Gebärmutter, keine Entfernung des Organs mehr empfehlen. Aber es gibt immer noch kein Kontrollsystem, das die Einhaltung dieser Leitlinien überwacht. So sind aus meiner Sicht trotzdem noch zu viele Operationen überflüssig – bestimmt mehr als die Hälfte!

BRIGITTE-woman.de: Paart sich da eine unkritische Haltung der Patientinnen mit den Wirtschaftlichkeitserwägungen der Kliniken?

Frauen werden gezielt verunsichert.

Barbara Ehret: Als Indikation für die Entfernung der Gebärmutter gelten heute nur noch Krebs, eine starke Senkung und Blutungen, die nicht anders in den Griff zu bekommen sind. Alles andere ist auslegbar. Doch leider lassen sich viele Frauen manipulieren. Einige denken, sie hätten ohne Gebärmutter keine Wechseljahrsbeschwerden mehr. Das stimmt natürlich nicht! Aber die Frauengesundheitsbewegung ist stiller geworden, viele Selbsthilfegruppen wurden von der Pharmaindustrie instrumentalisiert, und das Vertrauen in die Machbarkeit der Medizin ist fast ungebrochen. So lassen sich Frauen oft, ohne groß zu überlegen, operieren. Vielleicht wird nicht gleich die ganze Gebärmutter entfernt, dafür per Bauchspiegelung ein "Myömchen", das ebenso hätte drinbleiben können. Und Bauchspiegelungen verursachen manchmal auch schwere Komplikationen.

BRIGITTE-woman.de: Also vor einem Eingriff grundsätzlich eine zweite Meinung einholen?

Barbara Ehret: Die zweite Meinung wird zwar von den Kassen bezahlt, aber es fehlen leider noch öffentliche Einrichtungen, wo man sie einholen kann. Nur an wenigen Orten gibt es ein Netzwerk von kritischen und engagierten Ärzten und Ärztinnen, die den Frauen Alternativen aufzeigen. Eine zweite Meinung in einer Klinik einzuholen ist ziemlich sinnlos. Das ist ja die Höhle des Löwen.

BRIGITTE-woman.de: Was können die Frauen denn sonst noch tun?

Barbara Ehret: Sie sollten sich nicht kritiklos in die Hände ihrer Ärzte begeben und sich umfassend informieren. Und vor allem sollten sie in Arztpraxen anders auftreten. Viele Frauen geben ihr Selbstbewusstsein am Empfangstresen ab. Dort bekommen sie Hochglanzbroschüren mit Leistungen, die sie selbst bezahlen müssen, in die Hand gedrückt. Und weil sie fürchten, schlecht behandelt zu werden, wenn sie ein Angebot des Arztes ablehnen, lassen sie sich etwas aufschwatzen. Die Frauen werden gezielt verunsichert. Das System dieser IGeL-Leistungen ist für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientin katastrophal.

BRIGITTE-woman.de: Die gynäkologischen Praxen sind zusammen mit den Zahnärzten die IGeL-Spitzenreiter. Haben die sonst keine Arbeit mehr?

Barbara Ehret: Die Frauenärzte haben ökonomische Einbußen, ärztliche Leistungen werden schlechter bezahlt. Außerdem nehmen viele Frauen keine Hormone mehr in den Wechseljahren. Die regelmäßigen Kontrollen, Behandlungen wegen Nebenwirkungen, das fällt jetzt alles weg. Die Praxen haben weniger zu tun. Da sind die IGeLLeistungen eine willkommene Subventionierung.

BRIGITTE-woman.de: Wäre es nicht sinnvoller, eine Frauenmedizin zu begründen, die sich um wirkliche Probleme kümmert, statt Krankheiten bei gesunden Frauen zu erfinden?

Frauen sind anders krank.

Barbara Ehret: Der kleine feine Unterschied zwischen Frauenkrankheit und Frauengesundheit ist leider noch nicht überall angekommen. Frauen sind anders krank als Männer, brauchen andere Medikamente und Therapien. In der modernen Medizin kommen sie in vielerlei Hinsicht noch zu kurz. Bei Herzinfarkten und Schlaganfällen werden sie zum Beispiel immer noch schlechter behandelt als Männer. Und sie werden schnell in die Psycho- Ecke gedrängt, als "hysterische Frau" abgestempelt. Statt einer vernünftigen Behandlung bekommen sie ein Beruhigungsmittel. Die Ärzteausbildung muss sich dringend ändern, Frauengesundheit sollte endlich in alle Fachbereiche Eingang finden.

BRIGITTE-woman.de: Die Gynäkologie müsste also eher in Richtung ganzheitlicher Medizin gehen?

Barbara Ehret: Laut Untersuchungen hängen zwei Drittel aller Frauenleiden mit den speziellen Lebensbelastungen zusammen, die sich auf Seele und Körper auswirken. Immer nur das Organsystem zu untersuchen reicht deshalb nicht aus. Doch Beratungsgespräche sind heute schon unterbezahlt. Irgendwann fallen sie ganz weg, weil technische Leistungen mehr einbringen. Das ist schlimm. Denn für Frauen wäre es wichtig, einen kompetenten Ansprechpartner zu haben, der sie durch alle Lebensphasen begleitet. Ich befürchte, dass zukünftig in den gynäkologischen Praxen die technischen Leistungen überwiegen werden und alles andere in der Privatpraxis mit Lifestyle-Charakter stattfindet. Das Marketing für eine breite Palette an medizinisch überflüssigen Selbstzahler- Leistungen gibt es bereits.

BRIGITTE-woman.de: Können wir Frauen diese Entwicklung noch aufhalten?

Barbara Ehret: Frauen müssen endlich lernen, "mit den Füßen" abzustimmen. Wir sollten nicht länger in Praxen gehen, in denen wir mit IGeL-Leistungen unter Druck gesetzt werden. Wir sollten genau hinsehen, wo wir gut aufgehoben sind. Ein Arzt, der nur Lifestyle-Hormone und Schönheitsoperationen im Kopf hat, kann kaum gute medizinische Leistungen erbringen. Die Atmosphäre einer Praxis spielt eine große Rolle, wie Arzt und Personal auf die wahren Bedürfnisse der Patientin eingehen. Und Frauen sollten schon dann, wenn sie gesund sind und nur zu Früherkennungs-Untersuchungen gehen, überlegen: Was passiert hier mit mir, wenn ich tatsächlich einmal richtig krank bin?

Zur Person: Dr. Barbara Ehret ist seit 35 Jahren als Gynäkologin tätig, war lange Chefärztin im Median Klinikum in Bad Salzuflen und Mitbegründerin des unabhängigen Arbeits- kreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF). Zusammen mit der Frankfurter Frauenärztin Dr. Mirjam Roepke-Buncsak hat sie jetzt das neue große BRIGITTE-Buch der Frauenheilkunde geschrieben. Mit enormem Fachwissen und kritischem Engagement informieren die beiden Autorinnen Frauen über alle Fragen zur weiblichen Gesundheit und Sexualität – ausführlich, verständlich, praxisnah und ganzheitlich orientiert.

Buchtipp: Barbara Ehret: Frauen, Körper, Gesundheit, Leben", Diana Verlag 2008, 384 S., 24,95 Euro

Interview: Monika Murphy-Witt<br/><br/>Bild: Peter Paul Rubens

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