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"Intelligenz wächst mit den Jahren"

Der Psychologe Siegfried Lehrl beschäftigt sich mit der Erforschung von Intelligenz und Gedächtnis. Sein wichtigster Tipp zum Thema Gehirntraining: Fordern und fördern.

BRIGITTE-woman.de: Unser Leben unterscheidet sich stark von dem früherer Generationen. Gilt dies auch für unsere Intelligenz?

Siegfried Lehrl: Ein 60-Jähriger heute ist intelligenter als einer vor 50 Jahren. Es gibt keine Ernährungsprobleme mehr, und geistige Anregungen und Anforderungen sind größer. Seit dem Beginn der Intelligenz forschung ging es mit der ganzen Gesellschaft ständig bergauf, bis vor zehn Jahren. Nun beobachten wir zwei Trends: Die Jüngeren, vor allem die eh schon wenig leistungsfähigen, lassen stark nach, die Älteren dagegen legen in Sachen Intelligenz weiterhin zu.

BRIGITTE-woman.de: Altert Intelligenz?

Siegfried Lehrl: Ich würde eher sagen, Intelligenz entwickelt sich mit den Jahren. In bestimmten Bereichen kann sie mit dem Alter sogar noch wachsen.

BRIGITTE-woman.de: Also altert der Geist anders als der Körper?

Siegfried Lehrl: Ja, es ist kein langsames Dahinwelken. Und vor allem läuft es nicht bei jedem gleich ab. Ein Viertel der Menschen zwischen 60 und 70 Jahren sind geistig immer noch genauso fit wie Menschen mit 20 oder 25 Jahren.

BRIGITTE-woman.de: Wo sind ältere Menschen im Vorteil?

Siegfried Lehrl: In der zweiten Lebenshälfte handeln Menschen überlegter. Sie haben ihre Erfahrungen gemacht und können deswegen besser mit sich selbst umgehen. Sie wissen, was sie können und was nicht. Das ist ein großer Vorteil, weil sie sich auf ihre Stärken konzentrieren können.

BRIGITTE-woman.de: Wenn ich mit 60 eine neue Sprache lernen möchte, fällt mir das aber sicher schwerer als mit Anfang 20?

Siegfried Lehrl: Ja, allerdings vor allem, weil ältere Menschen die neue Sprache anders verstehen wollen als jüngere. Sie sind sehr genau, da sie auch an ihre eigene Sprache höhere Ansprüche stellen. Außerdem haben manche Menschen im Laufe der Jahre verlernt, richtig zu lernen. Denen fällt es dann natürlich schwerer.

BRIGITTE-woman.de: Es ist aber möglich?

Siegfried Lehrl: Sicher. Wenn man eine Sprache lernen will, dann ist das immer möglich – unabhängig vom Alter. Allerdings frage ich mich mit zunehmendem Alter vielleicht auch, ob es überhaupt sinnvoll ist, in einem Bereich noch einmal bei null anzufangen. In der gleichen Zeit, die mich dies kostet, kann ich anderswo mehr bewirken. Ich kenne ja inzwischen meine Talente und könnte sie, statt eine neue Sprache zu lernen, gezielt ausbauen.

BRIGITTE-woman.de: Was muss ich tun, um lange geistig fit zu bleiben?

Siegfried Lehrl: Lassen Sie wenig Routine im Alltag aufkommen: Gehen Sie unter Menschen, übernehmen Sie Verantwortung, entdecken Sie auf eigene Faust Neues. Wer ständig unterfordert ist, baut häufig schon mit Mitte 20 geistig ab. Auf Dauer sind Nikotinverzicht und eine ausgewogene Ernährung ebenfalls gut für unser Gehirn. In einer japanischen Studie waren Menschen umso leistungsfähiger, je vielfältiger sie sich ernährten. Außerdem gilt: Wer körperlich fit ist, denkt auch besser.

Erfolgreich älter werden: Wenn fluide Intelligenz, Beweglichkeit und Kraft abnehmen, stehen wir vor ganz neuen Herausforderungen im Alltag, denen wir uns stellen müssen. Um sie zu meistern, hat der Altersforscher Paul Baltes ein einfaches Rezept mit kompliziertem Namen entwickelt: die Theorie der selektiven Optimierung mit Kompensation. Illustriert wird dieses Prinzip oft mit dem Pianisten Arthur Rubinstein. Er beantwortete die Frage, wie man mit 80 Jahren noch so hervorragend Klavier spielen könne, folgendermaßen: Er spiele weniger Stücke (Selektion), übe diese dafür umso häufiger (Optimierung) und verlangsame manche Passagen, damit andere durch den Kontrast schneller erscheinen, als er sie eigentlich in seinem Alter noch spielen könne (Kompensation).

Dr. Siegfried Lehrl, Jahrgang 1943, ist akademischer Direktor am Universitätsklinikum Erlangen

Text: Antje KunstmannFoto: iStockphoto

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