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Krank durch EHEC: Das persönliche Tagebuch

Die 45-jährige Marion Schultze hat es erwischt - sie infizierte sich mit gefährlichen EHEC-Erreger und wurde krank. Glücklicherweise erlebte sie nur einen leichten Verlauf. Trotzdem stellte die Krankheit ihr Leben auf den Kopf. Das persönliche Tagebuch.

Krank durch EHEC: Marion Schultze* berichtet

Freitag, 18 Uhr: Ich bin seit Tagen so müde. Heute bin ich von der Arbeit nach Hause gekommen und sofort eingeschlafen. Zwei Stunden war ich weg. Das passiert mir sonst nie.

Samstag: Nachmittags schon wieder eingeschlafen. Danach meine Freundin L. besucht. Bin gleich über Nacht geblieben, war ein Glas Wein zu viel. Leider gingen heute Nacht Unterleibsschmerzen los, nun ja, das habe ich alle vier Wochen. L. hatte Aspirin im Haus. Habe im Laufe der Nacht vier davon geschluckt.

Sonntag, 11 Uhr: Heute morgen das deutliche Gefühl, dass ich demnächst Durchfall kriege. Irgendwie konnte ich es aber noch einhalten. Um Gottes Willen, Durchfall? Kann das Ehec sein? Ich werde nicht bei L. auf die Toilette gehen, ich will ihr keine Scherereien machen, ich werde ohne Frühstück nach Hause fahren.

12 Uhr: Geschafft, bin zuhause. Das war die schlimmste Autofahrt meines Lebens. Ständig diese Krämpfe. Kalter Schweiß. Wollte aber nicht anhalten.

18 Uhr: Eben, nach dem sechsten Toilettengang, habe ich Blut entdeckt. Bisher hab ich meine Panik ja noch runterdrücken können, habe gehofft, dass ich das Aspirin nicht vertragen hab. Aber jetzt versagen meine Nerven. Blut ist typisch für eine Ehec-Infektion, das kann man überall lesen. Soll ich ins Krankenhaus fahren? Ach was, da stehen die Leute jetzt Schlange. Ich geh morgen zum Arzt. Meine Zwillinge sind seit vorgestern bei meinem Exmann. Da müssen sie erstmal bleiben. Ich will sie nicht gefährden. Rufe jetzt M. an, der ist Arzt, und frag ihn, was ich tun soll. Leider wohnt er nicht hier.

19 Uhr: M. hat mich beruhigt. Er sagte, ich wäre bestimmt einfach nur wund vom vielen Durchfall. Daher das Blut. Bin jetzt wieder gelassener. Wieso sollte ich Ehec kriegen? Ich habe kein rohes Gemüse gegessen, auch keine Sprossen. Ich will kein Ehec haben, ich kann kein Ehec haben. Dennoch muss ich morgen zum Internisten. Der Chef hat erst vor drei Tagen ein Rundschreiben geschickt, wonach jeder, der Ehec-Symptome hat, zuhause bleiben muss, bis das geklärt ist.

*Name von der Redaktion geändert

Montag, 10 Uhr: Kein Durchfall heute morgen, auch kein Fieber oder Übelkeit. Eben beim Arzt gewesen. Er glaubt nicht, dass ich Ehec habe. Das mit dem Blut findet er nicht so dramatisch. Auch er meint, mir sei wahrscheinlich einfach ein Gefäß geplatzt. Eine Probe soll ich aber trotzdem abgeben, ausschließen kann man Ehec ja auch nicht. Das Ergebnis kann in zwei Tagen oder erst in einer Woche kommen. In einer Woche?! So lange muss er mich wohl krank schreiben, erklärt er. Er regt sich darüber auf, dass er das tun muss, sagt, er könne doch nicht jeden krank schreiben, der Durchfall hat. Man merkt deutlich, dass er diese Anweisung für ganz schön unsinnig hält. Und mich für ganz schön hysterisch. Ausgesprochen unangenehme Situation.

15 Uhr: Durchfall. Blut. Das sehe ich sogar ohne Brille. Aber meine Toilette ist schlecht beleuchtet. Vielleicht hab ich da was reininterpretiert... bestimmt. Der Arzt hat Recht: Ich bilde mir ganz schön viel Unsinn ein.

16 Uhr: Habe den Kinderarzt gefragt, ob ich bei Ehec-Verdacht die Kinder zu mir nehmen kann. Ja, wenn ich die Toiletten desinfiziere und meine Hände auch. Also wage ich es. Ich habe ja eh kein Ehec. Das mit dem Blut verdränge ich jetzt erstmal. Welches Blut? Wenn ich doch bloß nicht so entsetzlich kaputt wäre.

Dienstag, 8 Uhr: Wieso ist es so anstrengend, Kinder für die Schule fertig zu machen?

12 Uhr: Kein Durchfall mehr, aber mir ist plötzlich so warm. Fieber gemessen. 38 Grad. Angst kriecht hoch: habe ich DOCH Ehec? Ich bringe die Kinder nachher zurück zu ihrem Vater. Wenn ich zurück bin, rufe ich den Arzt an. Erst mal weg mit den Kleinen.

17 Uhr: 37, 4 Grad. Ich rufe doch nicht den Arzt an. Sonst gerate ich wieder unter Hysterieverdacht. Mittwoch, 15 Uhr: Habe heute dreimal in der Praxis nach meinem Laborbericht gefragt. Schließlich sagen sie, der komme erst in zwei Tagen, man werde mich sofort benachrichtigen.

Donnerstag, 20 Uhr: Kein Durchfall, kein Fieber. Gut. Bin aber völlig erschöpft, sehe bei jeder Anstrengung die halbe Milchstraße an Sternchen. Ich habe die Schlafkrankheit, kein Ehec.

Freitag, 11 Uhr: Ich habe Ehec.

Mein Arzt hat sich gemeldet. Ich muss mich erstmal hinsetzen, sehe schon wieder die Milchstraße. Aber er beruhigt mich, sagt, es sei noch nicht klar, welcher Stamm das ist, es könne auch ein harmloser Stamm sein. Als er auflegt, weine ich. Ich habe solche Angst, dass die Kinder sich doch angesteckt haben. Ihr Vater beruhigt mich, sagt, ihnen gehe es prima.

Überraschender Anruf am Wochenende.

18 Uhr: Bestimmt habe ich einen dieser harmlosen Ehec-Typen, die sie auf den spanischen Gurken gefunden haben. Die These hat eigentlich keinen Schönheitsfehler, außer den, dass ich keine Gurken gegessen habe.

Samstag, 11 Uhr: Eben ruft eine Dame vom Gesundheitsamt an. Ich bin überrascht, weil Wochenende ist. Wir müssen hier alle Überstunden machen, antwortet sie. Sie fragt meine Daten ab. Moment, sage ich, hab ich denn doch das gefährliche Ehec? Ja, in meiner Probe seien Blut und die aggressiven Shiga-Toxine nachgewiesen worden. Ich höre: „Schwieger“-Toxine. Interessanter Name für Giftstoffe, die an die Nieren gehen.

12 Uhr: Eine Stunde hat sie mit mir gesprochen. Wollte wissen, was ich in den letzten drei Wochen gegessen habe. Am meisten interessierte sie der Salat, den ich in einem Imbiss verzehrt habe, obwohl der aus gekochten Lebensmitteln bestand. Als ich schon denke, sie ist fertig, kommt der Hammer. Die Kinder dürften weder die Schule noch den Hort besuchen, teilt sie mir mit. Und zwar so lange, bis sie dreimal (!) negativ auf Ehec getestet worden seien. Auch ich werde jetzt ständig getestet. Man werde mir ein Päckchen mit allen Probenröhrchen schicken. Ich sage ihr, dass meine Kinder nur kurz bei mir waren und sich bester Gesundheit erfreuen. Das reicht nicht, erklärt sie, wir müssen ja irgendwo die Infektionskette unterbrechen. Dann darf ich ja wohl auch nicht zur Arbeit? frage ich. Sie will wissen, ob ich in einer öffentlichen Einrichtung tätig bin. Nicht? Dann dürfe ich auch arbeiten gehen, vorausgesetzt, ich sei symptomfrei und würde meine Hände und die Toiletten, die ich benutze, desinfizieren. Da meine Firma keine öffentliche Einrichtung sei, liege nämlich die Entscheidung, ob ich arbeiten dürfe, bei meinem Chef. Das verstehe jetzt, wer wolle: Ich, die ich infiziert bin, darf arbeiten gehen, meine Kinder, die es wahrscheinlich nicht sind, dürfen nicht in die Schule.

14 Uhr: Habe bisher noch keine Zeit gehabt, geschockt zu sein. Musste Betreuung für die Kinder organisieren. Ist ja immerhin möglich, dass mein Chef erlaubt, dass ich arbeite. Wohin dann mit den Kindern? Mein Exmann erklärt sich bereit, die Kinder auch nächste Woche zu betreuen. Erleichterung.

15 Uhr: Ein Freund nimmt mich mit in den Park. Wir legen uns aufs Gras, und ich rede und rede, so laut, dass ich meine Angst um meine Kleinen nicht hören kann. Mein Freund gratuliert mir zu meinem fitten Immunsystem, das um mich gekämpft habe. Ich sage, dass der Erreger ja häufig junge Frauen befalle, freue mich, dass wenigstens Bakterien mich noch für jung halten. Eigentlich möchte ich keine blöden Witze machen, aber Lachen löst die Anspannung. Hoffentlich haben die Kinder mein Immunsystem geerbt. Ihre Inkubationszeit ist bald vorbei. Wenn sie morgen immer noch symptomlos sind, die beiden, dann entspanne ich mich.

Sonntag, 10 Uhr: Die Kinder sind noch immer symptomlos. Ich entspanne mich. Trinke literweise Wasser, und wenn ich kein Wasser mehr reinkriege, trinke ich Schorle. Raus, ihr Schwiegertoxine! Morgen werde ich den Arzt bitten, meine Nieren zu testen.

Montag, 8 Uhr: Den Kinder geht es blendend. Aber heute ist der erste Tag, an dem sie nicht in die Schule dürfen. Das Gesundheitsamt hat Schule und Hort bereits informiert. Hoffentlich wird da nicht allzu viel geredet. Vorsichtshalber rufe ich die Elternvertreterin an und sage: Wenn Fragen kommen - ICH bin infiziert, nicht die Kinder. Dann rufe ich den Arzt an und bitte um einen Nierentest. Er will erst nicht, weil ich keine Schmerzen habe. Empfiehlt, ich solle das Gesundheitsamt anrufen. Ich rufe das Gesundheitsamt an. Die Dame dort delegiert die Entscheidung an den Arzt zurück. Ich rufe wieder den Arzt an – und darf endlich zur Blutabnahme antreten.

10 Uhr: Mein Arzt fragt mich (nicht sehr freundlich), wieso ich ihm vor einer Woche nicht gesagt hätte, dass ich Blut im Stuhl hatte. Ich erinnere ihn daran, dass ich genau das erzählt habe, wir uns aber darauf geeinigt hätten, dass das ein geplatztes Gefäß war. Jetzt erinnert er sich auch, aber milder stimmt ihn das nicht. Anscheinend ist alles meine Schuld. Nun ja, ich habe andere Sorgen. Ich gehe jetzt erst mal noch mehr Desinfektionsmittel kaufen. Im Büro brauche ich ja auch welches. Falls ich dorthin darf.

10.30 Uhr: Desinfektionsmittel restlos ausverkauft. Nächste Drogerie.

11 Uhr: Auch hier Desinfektionsmittel ausverkauft. Nächste Drogerie.

11.15 Uhr: Gut, dass es hier so viele Drogerien gibt.

13.20 Uhr: Schulschluss. Eine sehr nette Mutter ruft mich an und fragt besorgt, wie es meinen Kindern gehe? Ich bin völlig verblüfft. Wieso, frage ich, wisst ihr nicht, dass das eine Vorsichtsmaßnahme ist? Es habe einen Elternbrief gegeben, erzählt sie mir, da habe drin gestanden, dass zwei Kinder aus einer Familie mit Ehec infiziert seien. Da meine beiden Kinder nicht im Unterricht erschienen sind, war allen klar, wer das ist. SUPERGAU. Ich erkläre, wie es wirklich ist, sage, meinen Kindern gehe es bisher bestens und die Inkubationszeit sei bald vorbei. Dann ruft die nächste Mutter an. Ich erkläre wieder. Ich muss sämtliche Lehrerinnen und die Rektorin kontaktieren, sie müssen das morgen klar stellen. Ich will nicht, dass meine Kinder gemieden werden, wenn sie endlich wieder zurück in die Schule dürfen.

14 Uhr: Das Gesundheitsamt ruft an. Erneute Befragung. Diesmal gehen wir Schritt für Schritt eine Liste mit unzähligen Lebensmitteln durch. Habe ich Tomaten gegessen, Äpfel, Möhren, Gurken, Sprossen, Rindfleisch, Milch, Joghurt, Corn Flakes? Roh, erhitzt, gekocht? Welche Sorte? Welche Firma, falls sie abgepackt waren? Wann? Wie oft?

15.30 Uhr: Die Befragung ist beendet. Die Dame ist sehr nett.

Ich frage, wo denn das Paket mit den Röhrchen bleibe, ich wolle, dass meine Kinder so schnell wie möglich wieder in die Schule dürfen.

15.32 Uhr: Sie erkundigt sich.

15.34 Uhr: Sie ist fertig mit Erkundigen und sagt mir, das Amt sei überlastet, die Päckchen gingen womöglich erst Ende der Woche raus. Ich reagiere – nun ja - stark emotional, jammere, das dürfe nicht wahr sein, dann dauere es ja noch länger, bis die Kinder wieder in die Schule dürfen, womöglich zwei bis drei Wochen.

15.40 Uhr: Die nette Dame hält noch mal Rücksprache.

15.42 Uhr: Ausnahmsweise darf ich den Kinderarzt bitten, die Proben der Kinder vorzunehmen. Ausnahmsweise. Allerdings könne sie mir nicht versprechen, dass der da mitmache, die Kinderärzte seien wegen Ehec ebenfalls total überlastet.

15. 50 Uhr: Betteln am Telefon. Unser Kinderarzt ist nett und übernimmt den Aufwand mit den Proben. Habe meinen Exmann losgejagt, damit er die Röhrchen abholt. Er wird von jetzt ab regelmäßig dorhin fahren müssen, um die neuesten Proben abzugeben. Der Arme. Diese Krankheit stresst uns alle.

Alle Eltern sind beruhigt.

18.30 Uhr: Geschafft. Ich habe fast alle Lehrerinnen angerufen, sie waren froh und erleichtert, dass es meinen beiden gut geht. Manche waren den Tränen nahe gewesen, als sie die Nachricht von der Infektion bekamen. Sie haben schon viele Anfragen bekommen. Die Direktorin wird morgen einen weiteren Elternbrief schreiben. Ich bin inzwischen auch den Tränen nahe.

19 Uhr: Die letzte Lehrerin regt sich – zu Recht – darüber auf, dass es in der Schule nur kaltes Wasser zum Händewaschen gibt und oft nicht mal Seife. Eigentlich gehört da jetzt Sterilium für die Hände hin, sagt sie. Doch auf solche Ideen, Sterilium in ihren Öffentlichen Einrichtungen zu verteilen, kommen die Ämter wohl nicht.

19.30 Uhr: Die Elternvertreterin ist glücklicherweise eine Freundin von mir, und wenn sie es bisher nicht gewesen wäre, dann wäre sie es jetzt: Sie hat alle Eltern beruhigt. Persönlich. Auch bei ihr waren die Drähte heiß gelaufen, falls man bei schnurlosen Telefonen noch von Drähten sprechen kann. Morgen werde ich den Hort anrufen, das habe ich heute beim besten Willen nicht mehr geschafft.

Dienstag, 16 Uhr: Ich muss von Zuhause aus arbeiten. Bis meine Laborergebnisse da sind, auch ich werde jetzt dreimal getestet. Bisher habe ich vom Gesundheitsamt noch nicht mal Probenröhrchen für mich bekommen. Gut, sie sprachen ja auch von Ende der Woche.

Mittwoch, 18 Uhr: Ich werde von allen gefragt, wie es mir geht. Ich weiß es nicht. Ich kann meinen psychischen Stress und meinen körperlichen Stress nicht mehr unterscheiden. Die klassischen Ehec-Symptome sind aber weg, es sei denn Dauererschöpfung ist eines. Wenigstens sind meine Nieren okay, die Testergebnisse sind da.

Donnerstag, 16 Uhr: In deinem Klo riechts nach Birne, sagt meine Freundin, die - kurz - zu Besuch ist. Schön, dass Desinfektionsmittel nicht mehr so beißend stinken, sondern nach Früchten riechen. Die Kinder werden sich daran gewöhnen.

18 Uhr: Es gibt Menschen, die sich nicht trauen, mir nahe zu kommen. Sie weichen zurück, wenn ich ihnen begegne, ich darf dann über eine Distanz von drei bis vier Metern mit ihnen reden. Das muss man erstmal aushalten. Eine Mensch-zu-Mensch-Infektion kann nur über verunreinigte Hände oder ebenso verunreinigte Toiletten passieren – meine Hände sind desinfiziert, meine Toiletten auch. Aber wer weiß, vielleicht bin auch ich nicht von Gemüse angesteckt worden, sondern von einem anderen Menschen.

20 Uhr: Ich kann verstehen, dass die Leute Angst vor mir haben. Ich würde wahrscheinlich auch kein Risiko eingehen wollen, an ihrer Stelle. Denn wenn einen Ehec nicht zu Boden ringt, dann tun es anschließend die bürokratischen, menschlichen und psychischen Folgen von Ehec.

Freitag, 8 Uhr: War heute morgen bei meiner Hautärztin, die ich sehr gern mag, um ein Rezept abzuholen. Sie sagt ziemlich ernst, sie sei froh, dass ich noch lebe, froh, dass ich nicht mit Nierenversagen im Krankenhaus liege. Ich bin überrascht, aber dann merke ich, wie Recht sie hat. Ich habe die ganze Zeit für selbstverständlich hingenommen, dass ich das alles überstanden hab. Aber das ist nicht selbstverständlich, man kann es jeden Tag im Radio hören und im Fernsehen sehen. Ich habe verdammt viel Glück gehabt. Ich bin dankbar dafür.

Foto: dpa

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