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Wenn das Zahnfleisch Probleme macht

Es ist nicht immer Karies: Rund 90 Prozent der Deutschen haben Probleme mit dem Zahnfleisch. Eine Volkskrankheit mit Folgen, vor allem fürs Herz.
Wenn das Zahnfleisch Probleme macht
© iStockphoto/Thinkstock

Wenn von Zahnproblemen die Rede ist, denkt jeder sofort an Karies. Doch nicht immer sind es löchrige Zähne, die Beschwerden bereiten. Viel häufiger blutet das Zahnfleisch. Fast jeder Erwachsene beobachtet es ab und zu, die wenigsten nehmen es ernst. "Die meisten empfinden es als ganz normal, dass das Zahnfleisch an der einen oder anderen Stelle mal blutet", sagt Professor Dr. Jörg Eberhard von der Klinik für Zahnärztliche Prothetik der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Doch das Bluten kann ein Anzeichen für eine Gingivitis, eine Zahnfleischentzündung, sein. Und die ist gefährlicher als bislang angenommen.

Bereits leichte Entzündungen des Zahnfleisches erhöhen das Risiko für Arteriosklerose, Arterienverkalkung, so das überraschende Ergebnis einer Gemeinschaftsstudie der MHH-Kliniken für Zahnärztliche Prothetik und für Kardiologie und Angiologie. "Blutet das Zahnfleisch, werden Bakterien und deren Produkte ausgeschwemmt und gelangen in die Blutbahn", erklärt Privatdozent Dr. Karsten Grote. Im Rahmen der Studie konnten im Blut der Testpersonen mit Gingivitis erhöhte Werte eines Entzündungsmarkers gemessen werden, der auch bei Herzinfarkten eine Rolle spielt. "Selbst leichte Zahnfleischblutungen sollten deshalb nicht ignoriert werden", fordert Jörg Eberhard.

Parodontitis kann zum Zahnverlust führen

Zudem ist die Gingivitis eine Vorstufe der Parodontitis (oft fälschlich Parodontose genannt). Diese ebenfalls durch Bakterien verursachte Entzündung ist laut Erhebungen der Bundesärztekammer nach dem 45. Lebensjahr die häufigste Ursache für den Verlust von Zähnen. "Die Erkrankung führt nicht nur zu irreversiblen Schäden des Zahnhalteapparates, sie beeinträchtigt den ganzen Körper", sagt Dr. Nicole Pischon, Kommissarische Leiterin der Abteilung für Parodontologie und Synoptische Zahnmedizin an der Charité in Berlin. "Studien haben gezeigt, dass Patienten mit einer Parodontitis ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen haben."

Zunächst greift die Entzündung das Weich- und Hartgewebe rund um den Zahn an. Das betroffene Zahnfleisch neigt vermehrt zu Blutungen, es kann eitern, die Zähne lockern sich. "In Untersuchungen ließ sich nachweisen, dass die Zahnfleischentzündung sich auch im Blut widerspiegelt", so Parodontitis-Expertin Pischon. "Die Bakterien aus dem Mund können in die Gefäßzellen und in die Blutbahn eindringen und so beträchtliche Folgeschäden an entfernten Organen auslösen."

So kann eine unbehandelte Parodontitis zum Beispiel bei Patienten mit entzündlichem Rheuma Krankheitsschübe fördern. Bei Menschen mit Arteriosklerose erhöht sie das Risiko für einen Infarkt. Und Osteoporose-Patienten müssen mit einem zusätzlichen Knochenabbau im Kieferbereich rechnen, wenn sie Probleme mit dem Zahnfleisch ignorieren. Auch Diabetiker profitieren von einer intensiven Parodontitis-Behandlung. "Der Wert für den Langzeitblutzucker verbessert sich messbar", sagt Nicole Pischon. Umgekehrt ist ein schlecht eingestellter Diabetes ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Parodontitis.

"Diabetiker leiden sehr häufig unter dem metabolischen Syndrom, sind also übergewichtig, haben erhöhte Cholesterinwerte und Bluthochdruck", erklärt die Expertin. "In Zusammenhang damit ist die Parodontitis ein zusätzlicher Risikofaktor." Bei fortgeschrittenen Entzündungen dringen Bakterien sogar bis in die Atemwege vor. Für gesunde Menschen ist das selten ein Problem. Doch bei ohnehin geschwächten Patienten können die Krankheitserreger eine Lungenentzündung hervorrufen. Schwangere sollten ebenfalls auf ihre Mundhygiene achten: Untersuchungen der vergangenen Jahre deuten darauf hin, dass eine unbehandelte Parodontitis das Risiko für eine Frühgeburt um das 7,5-Fache erhöhen kann.

Parodontitis kann immer wieder aufflammen

Oberstes Ziel der Therapie ist es, die Bakterien zu beseitigen und die Entzündung zu stoppen. Ein erster Schritt ist die gründliche Reinigung der Zahn- und Wurzeloberflächen sowie der Zahnfleischtaschen. Nicole Pischon: "Das machen wir überwiegend mit speziellen Handgeräten." Haben sich bereits sehr tiefe Taschen im Zahnfleisch gebildet, ist die Entzündung deutlich fortgeschritten. Dann kann ein chirurgischer Eingriff nötig sein: Der Arzt löst vorsichtig den Zahnfleischrand, entfernt erkranktes Gewebe und reinigt die Oberflächen der Wurzeln. Nur in schweren Fällen verordnet er zusätzlich Antibiotika.

Wichtig ist außerdem eine regelmäßige Nachsorge. Hat sich einmal eine Parodontitis entwickelt, kann sie immer wieder aufflammen. Noch recht neu ist das Problem der Periimplantitis, das ist eine Entzündung, die sich rund um Implantate bildet. Sie verursacht einen Knochenverlust um die künstlichen Zahnwurzeln herum und wird von denselben Bakterien ausgelöst wie eine Parodontitis. Deshalb ist eine nicht behandelte Parodontitis auch eine Gefahr für ein Implantat.

Bei schlechter Zahnhygiene erhöht sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 70 Prozent.

Durch den Abbau des Kieferknochens kann es seine Verankerung verlieren und sich lockern. Tatsächlich ist die Periimplantitis die häufigste Ursache für einen späten Verlust von Implantaten. "Bei vielen Menschen ist der Knochenabbau durch Parodontitis weit fortgeschritten", sagt Nicole Pischon. "Das müsste nicht sein. Der Vorbeugung sollte größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wer durch individuelle und professionelle Reinigung Zahnbeläge gründlich entfernt, bietet Bakterien keinen Nährboden." Die Expertin rät deshalb dringend, stets auf eine gute Zahnhygiene zu achten.

Zähneputzen ist wichtig für die Gesundheit des ganzen Körpers und eine einfache Maßnahme, um einer koronaren Herzkrankheit vorzubeugen. Das hat eine mehrjährige Studie der Universität London mit 12.000 Frauen und Männer gezeigt. Bei den Teilnehmern mit schlechter Zahnhygiene war das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 70 Prozent erhöht. Zusätzlich zur eigenen intensiven Zahnhygiene sollte jeder ein- bis zweimal jährlich eine professionelle Zahnreinigung beim Zahnarzt vornehmen lassen, empfiehlt Nicole Pischon. Zwar müssen die Kosten von etwa 70 bis 180 Euro aus eigener Tasche bezahlt werden. Dafür werden aber nicht nur Zähne und Zahnfleisch optimal geschützt, sondern auch das Herz.

So beugen Sie gefährlichen Entzündungen vor

• Die Zähne zweimal täglich putzen. Besonders gründlich entfernen elektrische Zahnbürsten mit oszillierenden Bewegungen die Beläge. Zahncremes mit Fluorid stärken den Zahnschmelz.

• Einmal täglich sollten die Zahnzwischenräume mit Zahnseide oder Interdentalbürstchen von Belägen befreit werden. Wichtig: Das Hilfsmittel muss den individuellen Abständen zwischen den Zähnen angepasst sein. "Oft braucht man drei unterschiedliche Interdentalbürstchen, weil die Zahnzwischenräume nicht im ganzen Mund gleich sind", sagt Parodontitis-Expertin Nicole Pischon. Rutschen Bürstchen oder Zahnseide zu leicht durch die Zwischenräume, ist das Werkzeug wahrscheinlich falsch gewählt. Am besten lässt man sich vom Zahnarzt bei Auswahl und Handhabung beraten.

• Einmal täglich einen Zungenschaber benutzen oder die Zunge mit der Zahnbürste "abschrubben". Studien belegen, dass die Reinigung der Zunge nicht nur für einen frischen Atem sorgt, sondern auch die Bildung von Zahnbelägen um 35 Prozent senken kann.

• Mundspülungen mit einem antibakteriellen Mundwasser können zusätzlich dazu beitragen, Zahnfleischbluten vorzubeugen.

• Bei ersten Anzeichen einer Zahnfleischentzündung hat sich Salbeitee bewährt. Er enthält antibakterielle ätherische Öle. Fünf Gramm getrocknete Salbeiblätter (aus der Apotheke) mit 250 Milliliter kochendem Wasser übergießen und zehn Minuten ziehen lassen. Abseihen und lauwarm als Mundspülung verwenden.

Diese Warnzeichen sollten Sie ernst nehmen

Eine Gingivitis, aber auch eine beginnende Parodontitis, bereitet in den meisten Fällen zunächst keine Schmerzen. Diese Symptome können darauf hinweisen:

• Zahnfleischbluten nach dem Zähneputzen oder wenn man in einen harten Apfel beißt

• Zahnfleischbluten, das länger als eine Woche anhält

• geschwollenes und/oder gerötetes Zahnfleisch

• Zahnfleisch, das deutlich sichtbar zurückgeht

• empfindliche Zahnhälse, an denen beim Genuss kalter und/oder heißer Speisen ein Ziepen oder Stechen zu spüren ist

• unangenehmer Mundgeruch

• Sekret, das aus den Zahnfleischtaschen fließt

• gelockerte Zähne

Wer eines dieser Warnzeichen bemerkt, sollte einen Termin beim Zahnarzt machen. Neu ist ein Selbsttest, der anhand einer Probe des eigenen Speichels Aufschluss darüber gibt, ob bereits eine Parodontalerkrankung vorliegt (PerioSafe-Test, ca. 35 Euro, in Apotheken). Mehr Infos und Hilfe bei der Suche nach Spezialisten für Parodontologie und Dentalhygienikern über die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie.

Text: Sandra Schulte BRIGITTE WOMAN 09/2013

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