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Teresa Bücker Wie die 20-Stunden-Woche unser Klima retten kann

Uhr und Frau arbeitet am Laptop
© LIGHTFIELD STUDIOS / Adobe Stock
"Sorry, keine Zeit!" Was das mit der Klimakrise zu tun hat? Eine Menge, sagt Bestsellerautorin Teresa Bücker und verlangt eine 20-Stunden-Woche für alle. Kann das gehen?

Die Klimakrise stresst. Ja, ich weiß, wie das klingt: Wie kann man von Stress sprechen, wenn das menschliche Überleben auf dem Spiel steht. Und dennoch: Sie stresst und schafft Zeitdruck. Und das ist kein bisschen verwunderlich, denn Klimapolitik und Zeitpolitik sind zwei zusammenhängende Themen, nur denkt sie bisher kaum jemand zusammen. Mehr noch, kaum jemand weiß, was Zeitpolitik überhaupt bedeutet. Ein Thema, das sehr abstrakt klingt, dem wir aber sehr viel mehr Aufmerksamkeit schenken sollten, weil es unseren Alltag, unsere Leben, ja die Welt zum Guten ändern könnte.

Was meine ich konkret damit? Die Klimakrise erzeugt Zeitdruck, nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch für uns selbst.

Schnell noch in den Winterurlaub, bevor der Schnee auf den Pisten komplett verschwindet. Schnell noch die Korallen in Australien sehen, bevor sie gänzlich ausgestorben sind. Luxusprobleme, schon klar, aber die Gedanken tauchen auf.

Die Ungewissheit, wie die Zukunft wird, rückt Sehnsüchte ins Jetzt und erhöht den Druck, so viele Pläne wie möglich in wenig Zeit umzusetzen.

Sich für die Arbeit aufopfern, wenn die Welt eh untergeht?

Dass die Klimakrise stresst, merkt man auch daran, dass jüngere Menschen zunehmend weniger bereit sind, im Job Überstunden zu schieben oder gleich nur noch 30-Stunden-Stellen fordern. Sich für die Arbeit aufopfern, wenn die Welt eh untergeht? Nein, danke. Und dann noch der Wunsch, sich ja eigentlich engagieren zu wollen, die nächste Demo mitzuorganisieren, Müll zu sammeln oder einer Ökopartei beizutreten. Nur wann? Mehr als 30 Prozent der Deutschen geben an, ständig unter Zeitdruck zu stehen, durch Arbeitsverdichtung, lange Wege zum Betrieb oder Care-Arbeit.

Die Folge: In politischen Ämtern und sozialen Bewegungen sind gerade die Menschen unterrepräsentiert, die am schlimmsten von der Klimakrise betroffen sind – Menschen mit geringem Einkommen, Mütter jüngerer Kinder, Frauen, die Angehörige pflegen, oder Berufstätige, die sich mit mehreren Jobs über Wasser halten. Eltern, die sich um ihr schwerbehindertes Kind kümmern, können es ja nicht mehrere Stunden unbeaufsichtigt lassen, um sich an einer Autobahn festzukleben. Sich mit Aktivismus zu beschäftigen, würde einfach noch mehr Zeit fressen, sodass es fast schon naheliegend ist, dass sich viele von uns immer weniger für Klimathemen interessieren – um sich vor noch mehr Stress zu schützen. Denn bei wie vielen passt ernsthafter Aktivismus noch in den Alltag hinein?

Wir haben keine Zeit, uns auch noch ums Klima zu kümmern

Stattdessen passiert genau das Gegenteil. All der Alltagsstress verführt uns dazu, die Erde noch mehr zu verpesten: Essen to go, mal schnell die Geschenke via Amazon shoppen, doch kurz das Auto nehmen statt Bus und Bahn. Unser andauernder Zeitmangel – die Zeitarmut – befeuert die Klimakrise immer mehr und hält gleichzeitig die Menschen davon ab, sich dagegen aufzulehnen. Wie also dem begegnen?

Hier kommt die sogenannte Zeitgerechtigkeit ins Spiel und mit ihr ein großes, noch kaum diskutiertes Werkzeug im Kampf gegen die Klimakrise: Wie schaffen wir es, Millionen von Menschen mehr Zeit zu verschaffen, sich gesellschaftlich und damit auch klimapolitisch zu engagieren? Die Antwort darauf ist: gerechte Zeitpolitik. Damit meine ich alle politischen Maßnahmen, die unser aller Zeit jetzt schon beeinflussen. Und davon gibt es ganz schön viele: gesetzlich festgelegte Mindesturlaubsansprüche, die 40-Stunden-Woche als Norm, den gesetzlichen Zeitpunkt für unser Renteneintrittsalter oder die Volljährigkeit, ab der Menschen überhaupt wählen dürfen. Und obwohl all diese zeitpolitischen Maßnahmen seit vielen Jahrzehnten unser aller Leben bestimmen, ist Zeitpolitik bislang kein etabliertes Politikfeld, es gibt keine zeitpolitischen Ziele und auch kein zeit-politisches Ministerium. Das sollten wir ändern.

Fangen wir mit dem größten Zeitfresser an: Noch immer gilt der mehr als hundert Jahre alte (!) Acht-Stunden-Tag als Norm. Ein paar Überstunden hier und da, das Pendeln zur Arbeit, das den Arbeitstag verlängert – noch immer nehmen das viele Menschen ohne Widerspruch in Kauf. Wir haben uns daran gewöhnt und stellen selten infrage, ob es nicht anders sein könnte. Auch, weil die Vollzeitkultur momentan politisch unantastbar ist. Mehr noch: Immer mehr meist ältere, meist männliche Politiker verlangen nicht weniger, sondern mehr Erwerbsarbeit von uns, weil sie meinen, dass wir sonst unseren Wohlstand verlieren.

Nur: Wem dient ein Wohlstand, der versucht, immer mehr die Zeit von Beschäftigten einzunehmen und darüber Lebensqualität, Gesundheit, Fürsorge, Beziehungen und ökologisches Gleichgewicht frisst? Wenn Zeitmangel immer mehr Menschen betrifft und ihrer Gesundheit schadet? Zumal durch zu wenig Schlaf und chronischen Stress höhere Kosten im Gesundheitssystem entstehen, die ja auch gemeinschaftlich finanziert werden und schon jetzt den Wohlstand gefährden.

Die 15-Minuten-Stadt ist das Ziel

Ein weiterer Zeitfresser ist die Art und Weise, wie unsere Städte aktuell entstehen, für wen sie primär gebaut sind – für meist gut verdienende Männer in Autos – und wem unsere Städteplanung durch die umständliche Pendlerei und den seit Jahrzehnten vernachlässigten ÖPNV-Ausbau Zeit stiehlt – meist Müttern und Frauen, die andere pflegen. Und so schließt sich der Kreis, sind es doch wieder genau diese Gruppen, die sowieso schon durch chronischen Zeitmangel nicht in den Parlamenten dieser Welt anzutreffen sind. Wollen wir, dass sie sich politisch beteiligen, brauchen sie mehr Zeit. Hier könnte beispielsweise lokale Zeitpolitik helfen.

Was sehr abstrakt klingt, hat die Pariser Bürgermeisterin Anne Hilgado mit dem Stichwort "15-Minuten-Stadt“ anschaulich gemacht: durch kluge Stadtplanung den Menschen kürzere Wege zu ermöglichen, um alle wichtigen Orte in einem Viertel wie Supermarkt, Hausarztpraxis, Kita oder Rentenheim innerhalb von 15 Minuten zu erreichen. Solche Pilotprojekte erhöhen nicht nur die Lebensqualität, weil mehr Zeit für Hobbys, Engagement und Selbstbestimmung übrig bleibt – sie erlauben es uns auch, das Auto endlich stehen zu lassen. Politik muss verstehen: Bus vs. Auto, Bahn vs. Flugzeug – die grünere Variante muss nicht nur günstiger, sondern auch zeitsparender sein. Heißt: höhere Taktungen im ÖPNV, auch auf dem Land; oder kilometerlange auto- und ampelfreie Radschnellwege, die wie in den Niederlanden bei der Stadtplanung immer mehr Vorrang vor den Autostraßen bekommen. Mit dem Ergebnis, dass sich in eben diesen Niederlanden beispielsweise heute jede fünfte Person auf ein E-Bike setzt, im Autoland Deutschland gerade mal jede zehnte.

Es ist doch so: Politik kann nicht auf der einen Seite von uns allen verlangen, nachhaltiger zu leben, zu konsumieren und zu wirtschaften, aber uns gleichzeitig immer noch das Höher-Schneller-Weiter abverlangen. Heißt: Will man, dass wir Menschen uns achtsamer, langsamer und damit klimafreundlicher fortbewegen, brauchen wir für diese langsame Fortbewegung auch buchstäblich mehr Zeit. Würden etwa Schule und Job später starten – auch eine zeitpolitische Idee –, könnten Eltern und Kinder gemeinsam mit dem Fahrrad dorthin fahren. Mehr gesetzliche Urlaubstage, Drei-Tage-Wochenenden oder eine 20-Stunden-Woche – alles zeitpolitische Maßnahmen – könnten ein Anreiz werden, endlich mit dem Nachtzug in den Urlaub zu starten statt mit der Billigairline. Utopie? Unglaubwürdig? Keine Firma der Welt würde sich darauf einlassen? Doch! Es gibt Unternehmen, die das schon genau so tun.

Die Frauengenossenschaft Weiberwirtschaft etwa schenkt ihren Mitarbeitenden drei extra Urlaubstage, wenn sie in ihren Urlaub mit der Bahn reisen. Es ist alles gar nicht so utopisch!

Neue Urlaubsansprüche – Utopie oder doch realistisch?

Urlaubsanspruch ist auch so eine Sache: Wird er uns doch vom Acht-Stunden-Tag und der 40-Stunden-Woche diktiert. Was hier allerdings zeitpolitisch nicht mitbedacht wurde, sind etwa Eltern mit Schulkindern und die damit zusammenhängende zeitfressende Care-Arbeit, die Jahr für Jahr Eltern rotieren lässt, weil die festen Schulferientage nicht ansatzweise durch den Jahresurlaubsanspruch abgedeckt werden. Eine Zeitungerechtigkeit, die vor vielen Jahrzehnten von einem männlich dominierten System entschieden wurde, in dem die Frauen nicht berufstätig waren. Eine Zeitungerechtigkeit, die aber heute immer noch andauert!

Mehr Urlaubsanspruch würde also automatisch das Aufbrechen der 40-Stunden-Woche bedeuten. In Deutschland schwer umzusetzen, ist doch unser Urlaub durch das Bundesurlaubsgesetz geregelt. In den USA zum Beispiel aber nicht. Es lohnt sich ein Blick dorthin, wo aktuell aufgrund des demografischen Wandels, ähnlich wie bei uns, die Generation Z die Regeln auf dem Arbeitsmarkt diktiert. Mit dem Ergebnis, dass US-Start-ups und Tech-Giganten wie etwa Netflix mittlerweile mit so etwas wie "unlimited vacations“ locken. Also so viel bezahlter Urlaub wie man will. Natürlich darf es hier nicht zu Mogelpackungen kommen, in denen weiterhin 40 Stunden vorgesehen sind, die jetzt nur in vier statt in fünf Tage reingequetscht werden sollen. Aber die Vorstellung, dass man sich für eine Wahlkampfphase seiner Partei, für die man sich ehrenamtlich engagiert, einfach einen Monat frei nehmen kann, eröffnet ganz andere Möglichkeiten, über die wir politisch sprechen sollten. Auch, weil es die 30- oder sogar 20-Stunden-Woche gar nicht mehr so utopisch klingen lässt.

Mit Corona hielt immerhin schon ein weiteres Werkzeug auf dem Weg zu einer reduzierten Stunden-Woche Einzug in viele Betriebe: das Recht auf Homeoffice. Das seitdem nicht nur CO2 einspart, weil Arbeitswege wegfallen, sondern den Beschäftigten mehr freie Zeit gewährt, die sie künftig anders verwenden können. Nur hat die Zeitpolitik es hier versäumt, Homeoffice und die starre Acht-Stunden-Maxime voneinander zu entkoppeln: Denn wenn Studien belegen, dass Menschen an einem Acht-Stunden-Bürotag nur drei Stunden effizient arbeiten, muss man doch nach einem effizienten Drei-Stunden-Homeoffice-Tag den Laptop zuklappen dürfen. Und zwar ohne schlechtes Gewissen.

Warum die 20-Stunden-Woche machbar ist

Stress und Zeitdruck gefährden unseren Planeten ja auch deswegen, weil Zeitstress zu mehr CO2-intensivem Konsum führt – zu Frustshoppen etwa oder zu Kurzurlaub als Belohnung fürs Einhalten der stressigen Deadline. Eine Arbeitszeitverkürzung für alle zu fordern, bedroht also auch – und jetzt wird es etwas pathetisch – ein Stück weit den Kapitalismus und wird sicher auch deswegen politisch abgewehrt. Weil man Wohlstandsverlust fürchtet, gepaart mit der Frage: Wie soll denn das alles finanziert werden, wenn alle plötzlich weniger arbeiten? Und dann noch am besten bei gleichem Lohn?

Darauf antworte ich: Studien zeigen, dass in der EU die Kosten von ungesunder Arbeit und den damit einhergehenden steigenden Krankmeldungen schon jetzt das europäische Bruttoinlandsprodukt übersteigen. Das ist doch Wahnsinn!

Wir sollten in dieser Debatte viel öfter betonen, dass weniger zu arbeiten die öffentlichen Finanzen entlastet – und nicht belastet. Das Geld, das hier gespart wird, kann wiederum für Lohnausgleichszahlungen derjenigen genutzt werden, die ihre Stunden reduzieren, aber weiterhin einen vollen Lohn brauchen. Das haben wir beim Kurzarbeitergeld doch ähnlich gelöst. Zumal Menschen, die jetzt weniger arbeiten, es vielleicht später sogar über das Rentenalter hinaus tun wollen, eben weil sie vorher nicht zusammengeklappt sind. Auch das ist eine Entlastung der öffentlichen Kassen, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels.

Am Ende ist es ganz simpel: Banknoten und Aktien helfen nicht, wenn die Erde brennt und Ökosysteme kippen. Das verstehen zwar immer mehr Menschen, doch ihnen fehlt Orientierung, was sie zum Klimaschutz beitragen können. Ein Schlüssel dazu ist, ihnen Zeit zum Begreifen, für Austausch und Engagement zu geben. Und dafür, neue Ideen zu entwickeln, was Wohlstand und ein erfülltes Leben für uns in Zukunft bedeuten werden.

Brigitte

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