Anzeige

Schnittblumen Ein großer Emissions-Abdruck

Schnittblumen: Blumen
© Fusionstudio / Shutterstock
Sag mir, wo die Blumen sind … zumindest die guten! Bei Essen und Kleidung sind wir schon recht klima-sensibilisiert, dabei hat gerade der Schnittblumenmarkt einen gigantischen CO2-Abdruck. Immerhin: Rosen, Tulpen & Co. gibt es immer öfter auch in Fair.

Sonia Grimm pflückt ein bläuliches Eukalyptusblatt und zerreibt es zwischen den Fingern. "Duftet wirklich nach Blumen", sagt sie. Grimm zieht sich die Mütze tiefer ins Gesicht, es ist kalt in der Halle. "Sie wird nicht auf tropische Temperaturen hochgeheizt, sodass rund ums Jahr alle Sorten gedeihen, sondern mit geringer Heizenergie aus Holzhäckselabfall auf lediglich über null Grad gehalten, damit die Wasserleitungen nicht einfrieren", erklärt die gelernte Landschaftsarchitektin, Gärtnerin und Co-Chefin von Floralita, einem nachhaltigen Blumenunternehmen in Baden-Württemberg. Ihr Verzicht auf Klimatisierung sommers wie winters und ihr Angebot an ausschließlich saisonalen Schnittblumen sind Teil des Konzepts der sogenannten Slow-Flower-Bewegung, die auch bei uns immer mehr Anhänger findet.

Für mehr Bewusstsein

2013 wurde die Initiative von Pflanzenexpertin und US-Autorin Debra Prinzing aus Seattle gegründet. Ihre Idee: mit "home grown flowers" ein Bewusstsein für chemiefreie, saisonale Blumen zu schaffen. Inzwischen folgen der Philosophie in Nordamerika 750 Betriebe. Auch in Deutschland arbeiten bereits mehr als 130 Blumenfarmer-, Gärtner- und Florist:innen nach den Leitlinien, die die Blumenwelt besser machen sollen: Verzicht auf Pestizide, genmanipulierte Pflanzen, Steckschaum und Einmalplastik. Und, ganz entscheidend: Die Blumen sollen im Rhythmus der Natur angebaut und geerntet werden. "Es geht um organisches Wachstum, wie man es auch von regionalen Lebensmitteln kennt", sagt Grimm. "Heißt: Blumen werden nur in der Jahreszeit genutzt, in der sie auch bei uns wachsen."

Eigentlich kennen wir die Denkweise ja: regional kaufen, auf kurze Transportwege achten. Beim Gemüse sind wir da schon ganz gut, kaufen es möglichst auf dem Wochenmarkt, und auch Jeans beim fairen Label. Warum fragen wir uns bloß bei Rosen, Tulpen & Co. so selten, woher sie stammen?

Nur 20% der hiesigen Blumen sind lokal gezüchtet

"Oft wird einfach nicht darüber nachgedacht, dass im Winter bei uns keine Rosen wachsen", vermutet Corinna Hölzel, Pestizidexpertin beim BUND. "Der Lebensmittelhandel ist präsenter in unseren Köpfen – vielleicht, weil man täglich Nahrungsmittel kauft. Zu Blumen haben viele vergleichsweise seltener Kontakt."

Dabei ist der Markt gigantisch: 2020 betrug das Marktvolumen der Schnittblumenindustrie weltweit 29,2 Milliarden US-Dollar. Die größten Abnehmer sind die USA und die EU. Es ist ein lukratives und teils schwer durchschaubares Geschäft. Und was die allerwenigsten wissen: Nirgendwo in Europa werden so viele Blumen verkauft wie in Deutschland. Laut Zentralverband Gartenbau liegt der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch bei 39 Euro. Der Topseller: die Rose. Sie wächst aber eher selten vor Ort: "Die meisten unserer Rosen stammen aus Kenia", sagt Daniel Jákli vom Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Universität Mainz. "Riesige Blumenfarmen sind um den Naivasha-See angesiedelt. In der Hauptstadt Nairobi gibt es am Flughafen ein eigenes Terminal nur für diese Blumen." Sehr häufig liegt das Transportziel in den Niederlanden, dem Drehkreuz für den Import und Reexport.

Für Kund:innen? Ein undurchsichtiger Dschungel

Das Problem: Für Händler:innen – und erst recht Käufer:innen – ist nur schwer nachvollziehbar, woher die Blüten kommen, denn in Deutschland gibt es für Schnittblumen anders als bei Lebensmitteln keine gesetzliche Pflicht zur Herkunftszeichnung. Kein Wunder, dass man sich da als Verbraucher:in auch keine Gedanken macht. Zudem existieren wenige Label, die ein Mindestmaß an Umweltstandards und sozialen Arbeitsbedingungen garantieren. Fair Trade ist eines davon. Edith Gmeiner von TransFair, dem Verein, der das Siegel für deutsche Produkte vergibt, erklärt, welche Vorgaben die Farmen in Übersee garantieren müssen: "Die Beschäftigten bekommen feste Arbeitsverträge und Mindestlohn und können sich Gewerkschaften anschließen. Zudem sind viele Pestizide verboten, und das wird auch kontrolliert." 

Mittlerweile sei jede dritte Rose bei uns aus Fair-Trade-Anbau. Käufer:innen können über eine Nummer rückverfolgen, woher die Blumen stammen. Aber seien wir mal ehrlich: Wer macht das schon? Zumal zwei Drittel aller Rosen ja eben immer noch nicht fair angebaut werden. Betrachtet man alle hierzulande verkauften Schnittblumen, stammen gerade mal 20 Prozent aus heimischem Anbau. "Der Rest wird eben aus Lateinamerika und Ostafrika importiert", sagt Sonia Grimm, die mit Floralita den größten Slow-Flower-Betrieb in Deutschland führt. Die 32-Jährige ist Blumenfarmerin in vierter Generation. 2017 stellte sie das Familienunternehmen auf Bio um, bewirtschaftet seitdem mehrere Hektar Wiesen, Felder und acht Gewächshäuser.

Das Ergebnis: In ihrem Blumenladen sehen die Sträuße jeden Monat unterschiedlich aus. Im Winter zum Beispiel gibt’s Anemonen, Pistaziengrün und Amaryllis, aber keine frischen Rosen. "In unserem Klima wachsen sie dann nun mal nicht, also transportiert man sie 6000 Kilometer weit hierher. Das will ich nicht unterstützen", sagt sie.

Und wie sieht es mit Fleurop & Co. aus?

Nun gehört Floralita natürlich nicht zu den Big Playern. Mit 5000 Partnerflorist:innen ist Fleurop der größte Schnittblumenverkäufer in Deutschland. Auf der Website des Unternehmens erfährt man immerhin von drei Fair-Trade-Farmen in Kenia. Unklar bleibt, wie viele Fleurop-Blumen denn insgesamt fair sind und wie auf den nicht-zertifizierten Farmen gearbeitet wird. Wissenschaftler Jákli besuchte 2017 drei Fair-Trade-Blumenbetriebe in Kenia. Zu allen Nicht-Fair-Trade-Farmen hingegen wurde ihm der Zutritt verweigert. Sein Eindruck deckt sich mit dem, was man bei großen Unternehmen oft beobachten kann: "Große Firmen beschreiben gern in ihren Social-Responsibility-Zielen, wie sie sich in Afrika engagieren. Aber: Wenn man vor Ort ist, erfährt man oft, dass es die Projekte gar nicht gibt oder dass sie uralt sind." Auch auf mehrmalige Nachfrage war mit Fleurop selbst leider kein Interview möglich.

Ist es denn lokal besser?

Woran selbst all die Zertifikate wenig ändern: Der CO2-Fußabdruck der Blumen wird durch sie nicht unbedingt geringer. 2019 ergab eine Studie von MyClimate, dass beim Anbau und Flug von einem Kilo kenianischer Rosen vier Kilo CO2 entstehen. Dagegen die Bilanz von Rosen aus Holland: Sie ist mit 25 Kilo CO2 im Winter aufgrund der Züchtung in fossil beheizten Gewächshäusern deutlich höher! Lokal ist also nicht immer besser. Was uns aber noch mehr zu denken geben sollte: Vergleicht man diese Zahlen mit dem oft als Klimakiller wahrgenommenen Schweinefleisch, das laut Bundesumweltministerium pro Kilo 3,25 Kilogramm CO2 emittiert, dann sind Rosen per se nicht besonders nachhaltig. Der wichtigste Tipp also: "Fürs Klima im Winter am besten ganz auf Rosen verzichten", so Daniel Jákli.

Immerhin: Was die Arbeitsbedingungen auf den Farmen angeht, hat sich unter Fair Trade vieles verbessert, sagt der Ethnologe. Ein Einkommen von 60 US-Dollar pro Monat sei aber trotzdem zu wenig, um eine Familie zu ernähren. Auch berichten die Beschäftigten in Betrieben ohne Fair-Trade-Zertifizierungaufgrund der Pestizide über Probleme mit Augen oder Lungen, weil so viel gespritzt wird. In Deutschland verbietet kein Gesetz die Einfuhr dieser Chemieblüten! Dabei dünsten die Blumen oft selbst in der Vase noch Chemie ab. TransFair-Mitarbeiterin Gmeiner sieht hier auch uns in der Verantwortung: "Man muss auch sehen, dass die Pestizide aus einem bestimmten Grund eingesetzt werden – um die Erwartungshaltung von Verbraucher:innen zu erfüllen, die lautet: ,Ich will eine makellose Rose, da darf kein brauner Fleck von einem Tier dran sein.‘" Puh …

Deutschland hinkt hinterher

Immerhin gibt es auch gute Nachrichten: Das Bewusstsein ändert sich – wenn auch langsam. In Deutschland gibt es zwar noch keinen messbaren Effekt bei den Slow-Flower-Verkaufszahlen. In den USA schon: Laut US-Landwirtschaftsministerium hat der Anteil an heimischen Schnittblumen zwischen 2015 und 2018 um acht Prozent zugenommen. Es braucht Gesetze, die auch hier Firmen verpflichten, grüner zu produzieren. Als Kunde muss man sehen können, wo die Sträuße herkommen. "Die politische Ebene ist sehr wichtig", so Gmeiner, "man darf nicht alles auf den Schultern von Verbraucher:innen abladen."

Immerhin scheint sich der ästhetische Anspruch zu wandeln: weg vom gestutzten Sträußchen hin zu wilden Bouquets, deren Stängel auch krumm sein dürfen. Auf Instagram findet sich unter #Slowflowers eine halbe Million Beiträge – Tendenz steigend. Bleibt die Frage: Wie lange können sich Unternehmen wie Floralita halten, wenn der Wandel sich so langsam vollzieht? Es brauche viel Durchhaltevermögen – auch finanziell –, bis die Kund:innen sich daran gewöhnt haben, dass es nicht rund ums Jahr jede Blume im Sortiment gibt, so Sonia Grimm: "Als wir noch nicht auf Slow-Flowering umgestellt hatten, lag unser Umsatz bei mehreren Millionen Euro im Jahr – heute sind es etwa 800 000 Euro." Ihre Blumen sind bis zu 30 Prozent teurer als die konventionellen, immer mehr Menschen seien gewillt, dafür auch zu zahlen. Mittlerweile ist ihre Umstellung rentabel, sagt Grimm. Kosten mussten sie trotzdem reduzieren, ein privates Auto hat die Geschäftsfrau nicht mehr, Urlaub war seit Jahren auch nicht drin. Dann fügt sie hinzu: "Aber ich weiß auch, wofür ich das mache."

In BE GREEN, dem Nachhaltigkeitsmagazin von BRIGITTE, lest ihr Tipps, Tricks und spannende Geschichten rings um ein schönes grüneres Leben

Brigitte

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel