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Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann Leben mit der Erderwärmung

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann: Person mit gelben Regenschirm in der Sonne
© Juan Algar / Getty Images
Ist das 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch zu schaffen? Die Umweltmedizinerin Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann erforscht lieber schon mal, wie wir mit der Erderwärmung leben können – und kluge Anpassungsstrategien entwickeln.

Müssen wir uns an den Klimawandel gewöhnen, weil wir ihn nicht verhindern können?

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann: Wir werden ihn zwar nicht mehr stoppen, aber wir können ihn noch eindämmen. Wie dringend das ist, zeigen die Hitzeperioden, die immer häufiger werden. Schon jetzt sterben dadurch pro Jahr mehr als 6000 Menschen in Deutschland, und das ist vorsichtig geschätzt, weil es keine offiziellen Zahlen gibt. Auf dem Totenschein steht nämlich eher Herzinfarkt oder Hirnschlag. Wir müssen uns dringend vorbereiten und Anpassungsstrategien entwickeln.

Heißt was konkret?

Klimaresilienz nennen wir die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel. Vor allem unser Gesundheitssystem und unsere Gesundheit müssen sich darauf einstellen, da stehen wir noch ganz am Anfang. Wir wissen, dass Infektionen und Allergien durch den Klimawandel immer weiter zunehmen. Wir haben da einen exponentiellen Anstieg erlebt – weil sich Luftschadstoffe und Pollen verändern, die Allergien auslösen. Was zurzeit massiv zunimmt, sind Nahrungsmittelallergien, auch ein Effekt der Umweltfaktoren. Dagegen kann man etwas tun. Aber wir haben natürlich Grenzen, was unsere Anpassungsfähigkeit betrifft. Es gab da diesen Dachdecker, der bei sengender Hitze einen Tag draußen gearbeitet hat. Er wurde mit 42 Grad ins Krankenhaus eingeliefert, obwohl er vorher gesund war. Er konnte nicht gerettet werden. Wir können uns also nicht dieser massiven Hitze einfach so aussetzen, weil wir dann beängstigende gesundheitliche Probleme bekommen.

Puh! Aber sollten wir nicht lieber unser Geld und unsere Zeit in Klimaschutzmaßnahmen stecken – und nicht bloß in die Anpassung?

Der Klimawandel ist jetzt und hier real. Wir können also das eine nicht einfach lassen und müssen auch das andere tun. Wenn wir diese Anpassung nicht hinbekommen, wird es eng für uns Menschen, bevor wir das Klima gerettet haben.

Was müssen wir also tun?

Die Städte so entwickeln, dass die Menschen während einer Hitzeperiode nicht krank werden oder sterben. Etwa indem Hitzeschutzpläne erstellt, die Städte begrünt und der Verkehr aus ihnen rausgeholt wird. Das Problem ist ja nicht nur, dass es in den Städten etwa fünf bis zehn Grad heißer wird als woanders, sondern eben auch vermehrt neue Schadstoffe entstehen – durch UV-Strahlung und Hitze.

Gemeinden, Bundesregierung – an welcher Stelle muss was passieren, damit Klimaresilienz in Deutschland schneller vorankommt?

Ganz klar: an allen!

Gibt es Beispiele aus Ländern, die schon weiter sind, von denen wir lernen können?

Im Bereich des Gesundheitssystems ist Großbritannien sehr weit. Bis zum Jahr 2040 möchte das britische Gesundheitssystem, der National Health Service, klimaneutral arbeiten, bis 2045 sollen auch alle Zulieferer dem hohen Standard gerecht werden. Die Entschlossenheit der Umsetzung ist eine Inspiration für das, was wir im deutschen Gesundheitssystem verändern möchten und müssen.

Nach der Flut im Sommer 2021 wurden Förderprogramme für klimaresiliente Maßnahmen wie Begrünung oder die Entsiegelung befestigter Flächen aufgelegt. Das heißt: auf wasserundurchlässige Bodenbeläge verzichten, damit überschüssiges Wasser einfach versickern kann. Ist das genug?

Eine Bebauung, die vor Hochwasser schützt, ist wichtig. Noch dringender brauchen wir Frühwarnsysteme, eine personalisierte Prävention. Nehmen wir das Hochwasser 2021: Die Leute im Ahrtal hätten vor dem Hochwasser gewarnt werden müssen, nicht die Leute in München. So etwas muss spezifisch auf die Region angepasst sein. Die neue Regierung hat sich darauf geeinigt, dass Frühwarnsysteme und die Vorsorge in den Koalitionsvertrag geschrieben werden. Jetzt müssen wir in die Umsetzung kommen.

Wie müssen unsere Städte denn in der Zukunft konkret aussehen, damit wir dort noch gut leben können?

Städte brauchen Frischluftschneisen und mehr Grün, das sie abkühlt. Bäume spenden Schatten, durch die Verdunstung ihrer Blätter wirken sie wie eine natürliche Klimaanlage. Begrünte Dächer kühlen die Wohnungen darunter um bis zu vier Grad, mit Efeu oder Wein bepflanzte Fassaden haben für Innenhöfe fast den doppelten Effekt. Denn in den Städten wird’s richtig heiß. Beton und Asphalt speichern die Hitze des Tages wie ein Backofen und geben sie nachts nicht mehr ab. Wo wenig Durchzug und Grün vorhanden sind, wird es bereits heute zehn Grad heißer als in locker bebauten Quartieren. Mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft bilden wir Leute in unterschiedlichen Disziplinen aus, die die Städte der Zukunft bauen: mit Häuserbegrünung, guter Dämmung, Trinkbrunnen und neu erschlossenen Vierteln, die gut durch die Hitzeperioden tragen, die wir vermehrt haben werden. Hitzesommer wie 2003 oder 2018 werden die kühleren Jahre werden, wenn wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen.

Grünere Städte – das hört sich gut an …

Ja, und es gibt ganz klare Daten, dass dieses Grün auch gut für unsere mentale Gesundheit ist. Klimaresilienz unterstützt also auch unsere Psyche, die ebenfalls durch den Klimawandel belastet ist. Viele Ängste und Depressionen haben da ihren Grund.

Können auch wir selbst etwas tun, um klimaresilienter zu handeln?

Die effektivsten Maßnahmen sind bekannt und werden auch schon von vielen praktiziert. Etwa die planetare Lebensweise, also vegetarisch zu essen oder zumindest fleischarm, und das Fahrrad zu nehmen – das ist gut für mich, für meine Gesundheit, aber auch für den Planeten. Das mag dem Einzelnen bedeutungslos erscheinen, aber die Masse macht’s.

Wenn wir all das, über das Sie gesprochen haben, umsetzen wollen, hört sich das aber nach höheren Kosten an. Ist das so?

Wenn wir jetzt handeln, wird es langfristig günstiger. Eckart von Hirschhausen hat das gut auf den Punkt gebracht: "Das Teuerste, was wir jetzt tun können, ist nichts." Also: Jeder kann etwas tun. Gerade das Thema Ernährung ist ein riesiger Hebel für eine immense CO2-Einsparung. Wenn wir die ganze Welt vegetarisch ernähren würden, dann hätten wir sie schon fast gerettet.

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann

Die 52-Jährige erforscht die Folgen des Klimawandels auf Umwelt und Gesundheit. Seit 2015 leitet sie das Institut für Umweltmedizin am Helmholtz Zentrum München und ist seit 2020 stellvertretende Direktorin des Zentrums für Klimaresilienz an der Universität Augsburg. Ihr aktuelles Buch heißt "Überhitzt. Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit" (304 S., 20 Euro, Dudenverlag).

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Brigitte

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