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Klimaangst Was du gegen Eco Anxiety tun kannst

Klimaangst: Person im gelben Regenmantel und gelben Gummistiefeln im Regen
© Juergen Faelchle / Shutterstock
Dieser Text könnte wehtun, denn er beschreibt ein Gefühl, das viele nicht einordnen können, aber sehr stark empfinden: Eco Anxiety – die diffuse Angst vor dem, was passiert, wenn wir das Ruder nicht mehr rumreißen können.

Ich saß mit meinem Kind auf dem Spielplatz, als ein Junge durch das Tor rannte und mit 20 bunten Tütchen im Arm über den Sandkasten rief: "EEEIIIS!" Alle Kinder stürmten zu ihm, nahmen sich die Wassereispäckchen und saugten sie leer. Sie ließen die Hüllen in den Sand fallen, Kinder eben, der Wind tat sein Übriges – und ich blieb vor diesem Bild ein bisschen müde, ein bisschen wütend und ein bisschen verzweifelt zurück. Schon jagte ein Gedanke den nächsten: Die Eistüten sind eh nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Was ist mit den surrenden Autos um den Spielplatz herum, den Fliegern in den Wolken, den vielen vollen ­Plastiktonnen am Straßenrand?

Eine Mischung aus Ohnmacht und einer alles erdrückenden Dringlichkeit breitete sich in mir aus, eine Art Weltschmerz, und die verzweifelte Einsicht, dass ich die Lage eh nicht ändern kann.

Waking-Up-Syndrom Klimaangst

Pathetisch? Könnte man meinen. Nur kocht das Gefühl gerade überall hoch, es überfällt Menschen, ja, ganze Gesellschaftsschichten über Tausende Kilometer und Ländergrenzen hinweg. Und die Umweltpsychologie hat einen Namen dafür: Eco Anxiety – Klimaangst. Die Furcht vor dem, was passiert, wenn wir das Ruder nicht herumreißen, wenn wir den "point of no return" erreichen, von dem niemand weiß, was dann zu Hölle überhaupt passieren wird. Überschwemmungen oder Wasserknappheit? Hitzetode, Ernteausfälle, Klimakriege? Moment, waren wir nicht eben noch bei Wassereis?

Jep, es sind Kleinigkeiten, die Klimaangst triggern, die Auswirkungen aber können gewaltig sein: Die US-Umweltpsychologin Susan Clayton fand heraus, dass Eco Anxiety zu Schlafstörungen, Panikattacken, Zwängen oder gar Depressionen führen kann. Die Furcht ist sehr real, befällt oft Frauen und junge Menschen unter 35 Jahren. Man könnte auch sagen: Klimaangst fühlen die, die noch viel Leben vor sich haben. "Für mich kam der Wendepunkt vor drei Jahren", erzählt der Mental- Health-Aktivist Jan Lenarz, der das Thema aktuell in die Öffentlichkeit rückt. "Ich las den Artikel einer Klimaforscherin, die ihre Hoffnung aufgegeben hatte. Ihr Argument waren die Methanvorkommen in der Arktis, die jederzeit freigelegt werden könnten – dann gäbe es kein Zurück mehr. So etwas zu lesen, lähmt einen wirklich gewaltig."

US-Therapeut*innen sehen Eco Anxiety als die vierte von fünf Stufen des sogenannten Waking-up-Syndroms. Erst leugnet man das Problem, dann ahnt man, dass da was dran sein könnte, realisiert es immer mehr und wacht schließlich auf. Es ist dieses Aufwachen, das oft mit Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit oder Schuld einhergeht. Bestenfalls mündet die Furcht in der fünften Stufe: den Fokus zu drehen und für ein besseres Klima zu kämpfen. Nur, wie kommt man dahin?

Konsum von Klima-Nachrichten reduzieren

"Ich beginne, den Text zu tippen, und schon überkommt mich dieses Gefühl, dass ich es auch sein lassen könnte, weil man ja am Ende eh nichts bewegen kann." Es sind Sätze wie diese, die Jan Lenarz auf seinem Insta-Kanal @klimaangst immer wieder erreichen. Gedanken wie "Ich glaube nicht mehr an irgendein ,Gutes‘ im Menschen" oder "Wenn ich an die Zukunft meiner Kinder denke, bricht mir das Herz".

Warum die Phase des "Aufwachens" mit so vielen negativen Emotionen einhergeht, damit beschäftigt er sich in seinem Buch "Klima-Angst", das im Mai erscheinen wird: "Es gibt das Modell der Pyramide von Maslow", erklärt er. "Sie skizziert die menschlichen Bedürfnisse, die erfüllt werden müssen, damit wir glücklich sind. Nahrung und Sicherheit sind die Grundbedürfnisse für unser Überleben. Weiter oben stehen Wünsche nach einem festen sozialen Gefüge, nach Anerkennung und Selbstverwirklichung. Nur: Werden Nahrung, Wasser oder ein sicheres Zuhause durch die Klimakatastrophe bedroht, geraten auch unsere sozialen Umfelder, Ziele, Pläne, unsere komplette Existenz ins Wanken." Wenn die Panik den Kopf lahmlegt, der Alltag keinen Sinn mehr ergibt, Freude, Genuss keinen Platz mehr haben und gefühlt eh alles den Bach runtergeht – wie kommt man aus diesem mentalen Abfuck wieder heraus?

Gedanklich in der Gegenwart zu bleiben, hilft. Sich zu engagieren, viele kleine Schritte zu gehen und motivierende Menschen um sich zu haben. Jan Lenarz setzt dazu auf Achtsamkeit. "Für mich war die Konsequenz, den Konsum von Klima-­Nachrichten stark zu reduzieren. Das heißt nicht, dass ich die Augen vor den Problemen verschließe. Ich kenne sie sehr gut, ich muss nicht jeden Tag neue belastende Infos einholen." Er liest nur noch nüchterne Wissensseiten, statt sich von den reißerischen Emotionsbildern in Sondersendungen mitreißen zu lassen. Und er empfiehlt das Buch "Factfulness" von Hans Rosling – der schwedische Wissenschaftler liefert ermutigen­de Fakten rund um den Zustand der Welt. Das häufig zitierte Argument, Kinder zu bekommen sei die größte Öko­sünde überhaupt, wird im Buch zum Beispiel kritisch hinterfragt: Wenn die CO²-­Emissionen unserer Kinder auf unser Konto gehen, dann müssten unsere Emissionen doch auf das Konto unserer Eltern gehen. Das ergebe kaum Sinn.

Gedanken in die richtige Richtung steuern

"Die Menschheit war von Natur aus dafür bestimmt, den Planeten so vor die Wand zu fahren", sagt Lenarz. Dass es so kommen musste – diese Einsicht entlastet ihn irgendwie. "Und: Forschung und Technik schlafen ja auch nicht." Ob wir aus der Nummer heil herauskommen, will ich von Lenarz wissen. "Ich bin da eher pessimistisch", antwortet er, "aber nicht hoffnungslos. Wichtig ist, dass wir auf einer kranken Erde mental gesund bleiben." 

Indem man Gedanken in die richtige Richtung steuert zum Beispiel: Wenn ich die Massen mit ihren vollgestopften Billigwarentüten durch Berlin schlendern sehe, Wut und Weltschmerz gleichermaßen an mir zerren, zwinge ich mich, umzuswitchen. Dann denke ich an die nächste Klima-Demo. An das ­Plakatemalen mit meinem Sohn und an das, was sich allein durch Greta Thunberg im vergangenen Jahr verändert hat. Je mehr ­Menschen ich gleichgesinnt kämpfen sehe, Kinder Hand in Hand mit ihren Großeltern, desto größer wird meine eigene ­Hoffnung. Und das Gefühl, mit dieser Last nicht allein zu sein, während ich mich an das Zitat der buddhistischen Ökologin Joanna Macy klammere: "Hinter der Angst steckt die Liebe zur Welt, und in ihr wiederum steckt die Kraft, die wir brauchen, um Veränderungen zu bewirken."

"Du hast die Welt nicht so gemacht"

Solche Sätze helfen, wenn der Weltschmerz um sich greift. Eco-Anxiety-Experte Jan Lenarz versucht auf dem Insta-Kanal @klimaangst, den Menschen die Panik zu nehmen. Seine Antworten auf die häufigsten FAQs:

Schuld – wie lege ich etwas davon ab?

Zunächst: Du hast diese Welt nicht so gemacht, wie sie jetzt ist. Du trägst allein für dein Konsumverhalten die Verantwortung, für nichts anderes. Engagiere dich daneben, so gut du kannst, auch wenn das, etwa als Elternteil, nur zeitlich begrenzt sein kann. Es ist nicht allein deine Aufgabe, den Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Die ganze Gesellschaft ist in der Pflicht, ihre schwächsten Mitglieder und Familien zu schützen. Gerade als Elternteil darfst du vehemente Forderungen stellen. Vernetze dich, denn zusammen ist alles leichter.

Trauer – was, wenn man nur noch down ist?

Wer konstant unter der Klima­krise leidet, kann und sollte sich therapeutische Unterstützung suchen. Klimaangst selbst ist zwar noch keine anerkannte Krankheit, Depressionen aber schon. In der Therapie ist es erst mal egal, warum man so traurig ist, dass es einen handlungsunfähig macht. Nutze die Chance, dir helfen zu lassen!

Panik – welcher Weg führt da raus?

Viele Menschen mit Klimaangst fühlen sich von der Komplexität des Themas erschlagen und haben einen diffusen Brei von Horrorszenarien im Kopf. Das ist kontraproduktiv und lähmt. Schreibe lieber die Themen auf, die dir Angst machen: Polareisschmelze? Insektensterben? Ressourcenkrieg? Recherchiere dazu. Löse dich von Allgemeinplätzen und werde konkret – definiere deine Angstthemen. Wenn du den Überblick hast, wird eine Panik unwahrscheinlicher. Klarheit hilft gegen dieses diffuse Gefühl der Überwältigung eines nicht greifbaren Feindes. Frage dich: Wie relevant sind die Gefahren heute in deinem Alltag? Musst du schon um dein Leben rennen? Oder denkst du, dass es noch Möglichkeiten gibt, für eine bessere Welt zu kämpfen? Ich sage: ja!

Angst – und wie komme ich ins Handeln?

Entferne dich von destruktiven Gedanken wie "Alles ist verloren" und "Die da oben machen eh, was sie wollen". Setze dir stattdessen Wünsche und Ziele wie: "Ich möchte, dass wir die aktuelle Präsenz des Themas nutzen, um noch mehr Menschen zu überzeugen. Ich will selbst aktiv werden oder die unterstützen, die schon aktiv sind." Das sind realistische Maßnahmen, die das Gefühl einer Ohnmacht abwenden können. Vor fünf Jahren hätte die Debatte, die wir gerade führen, gar nicht stattgefunden. Es bewegt sich etwas – langsam, aber stetig. Und jeder kann dazu beitragen, diese Bewegung zu verstärken.

Wer hier schreibt:

Anne Dittmann

Umdenkmoment:

Als sie ihren CO²-Ausstoß berechnet hatte und erfuhr, dass ihr Lebensstil 1,7 Erden braucht. Da wurde ihr klar: Verzicht reicht nicht, die Klimakrise ist ein politisches Problem.

GREEN Struggle:

Aktuell lernt sie nicht an allen Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Man kann die Welt nur retten, wenn man selbst mental gesund bleibt.

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