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Dariadaria Wir müssen Zeit neu definieren

Dariadaria: Wir müssen Zeit neu definieren
© Jenn And The Camera / Privat
Was passiert, wenn eine Fashion-Bloggerin drei Nächte lang durchheult? Sie wird Greenfluencerin. Und eine Viertelmillion Menschen sehen ihr dabei zu.

Du bist für unser Interview und Fotoshooting von Wien nach Hamburg extra zwölf Stunden lang mit dem Nachtzug gefahren, obwohl du einfach anderthalb Stunden hättest fliegen können. Sehr tapfer…

Dariadaria: Kommt drauf an. Wenn ich fliege, muss ich zum Flughafen, der ist oft außerhalb, ich muss zwei Stunden früher da sein, durch die Security, wieder warten. Danach bin ich effektiv eine Stunde in der Luft, Koffer holen, warten, in die Stadt fahren. Im Nachtzug verliere ich dagegen nichts, schlafen muss ich ja eh. Und wie cool ist bitte so ein rollendes Bett – rausstarren auf den Sonnenuntergang oder die Wälder. Und tagsüber kann ich locker zehn Stunden arbeiten. Wir müssen Effizienz und Zeit neu definieren.

Aber ob ich mit dem Flieger fünf Stunden brauche oder mit dem Zug zwölf, macht ja einen Unterschied. Will man zum Beispiel im Urlaub nicht möglichst schnell da sein?

Auch hier: Wie definiere ich Urlaub? Er fängt doch schon an der Türschwelle an. Als ich zum Beispiel in Indien war, konnten wir eine Teilstrecke fliegen oder mit dem Nachtzug fahren: Ich werde mich mein Leben lang an diese Fahrt erinnern! Die Leute, die Gegend, die Atmosphäre – einmalig. Natürlich war es auch anstrengend, aber das darf es ja auch sein. Wenn man diese Erwartungshaltung loslässt, wie eine Reise sein soll, fällt es leichter umzudenken.

Die Menschen haben Sorge, dass ihnen mit der ganzen CO2 -Bepreisung ihr Freizeitvergnügen genommen wird.

Und genau da verzetteln wir uns: Die Familie, die ihre Verwandten besuchen will oder mal in den Urlaub fliegt, ist nicht das Problem. Die Unternehmensberater*innen, die viermal die Woche abheben, sind viel schlimmer. Oder Millionen von Geschäftsmeetings, die auch locker mit Skype möglich wären. Aber am Ende ist selbst das egal. Die Industrien sind einfach zu groß. Allein was der Bausektor für einen Fußabdruck hat! Warum geht da niemand hin und sagt: Wieso baut ihr nicht CO2-neutral? Wieso baut ihr nicht mit Fassadenbegrünung?

Du warst als Fashion-Bloggerin ja nun auch Teil des Problems. Was hat dich zum Umdenken gebracht?

2013 habe ich die Doku "Gift auf unserer Haut" gesehen. Da ging es um Ledergerbereien und Nähfabriken in Bangladesch. Um Menschen, die kniehoch in einem Sud aus Chemikalien stehen, die Krebs bekommen oder ihre Kinder Behinderungen, weil das ganze Dorf in dieser Fabrik arbeitet. Ich habe Nächte lang durchgeweint und entschieden, nie wieder einen Fuß in diese Läden zu setzen.

Viele sagen ja: Du hast leicht reden, du kannst dir Fairtrade halt leisten. Das ist nicht für jeden möglich …

Das stimmt! Genau deswegen mache ich das auch. Wer soll denn vorangehen, wenn nicht die, die es sich leisten können, und die Länder, die ja auch verantwortlich sind. Zehn Prozent der Weltbevölkerung sind für 90 Prozent der Emissionen verantwortlich. Da stecke ich mit drin. Wieso sollte ich nicht den ersten Schritt gehen? Wenn Privilegien wie Wohlstand und Bildung ungleich verteilt sind, darf auch Verantwortung ungleich sein. Ich leiste mir Bio und Fair Fashion. Niemand darf erwarten, dass die sozial Schwächeren das auch tun. Vielmehr muss die Politik dafür sorgen, dass sie sich weder abgehängt noch bedrängt fühlen. CO2 sollte man so besteuern, dass Einkommensschwache nicht belastet werden.

Junge Frau hält im Supermarkt skeptisch eine Ananas hoch

Weniger Klamotten, weniger fliegen, von allem weniger: Wie bekommt man es hin, den Verzicht positiv zu sehen?

Die Industrie will ja, dass wir Verzicht als etwas Schlimmes empfinden. Aber ganz ehrlich: Es ist ja nicht so, dass man jetzt nichts mehr darf. Ich shoppe auch hier und da neue Klamotten, habe mir neulich ein neues Fahrrad gekauft. Man darf konsumieren. Es ist mehr die Frage: Warum empfinden wir es geradezu als Beschneidung unserer Freiheit, nicht mehr 60 Klamotten pro Monat shoppen zu dürfen? Oder nicht mehr alle 365 Tage ein neues Handy zu bekommen? Manche Leute sagen: "Ich kann nicht ohne Käse leben." Natürlich kannst du ohne Käse existieren! Oder halt ein paarmal im Monat. Dann lebst du eben mit einem mega Sojajoghurt, kochst dir andere Sachen, die auch extrem lecker sind, kaufst Secondhand, tauschst oder reparierst. Das ist doch kein Verzicht. Ein wirklicher Verzicht wäre es, plötzlich seine Haare zu verlieren, keine Beine mehr zu haben oder seine Familie nie wiedersehen zu können. Aber ist es wirklich ein Verzicht, von Kuh- auf Hafermilch umzusteigen?

Am Ende heizen ja auch grüne Blogger den Konsum an.

Natürlich wäre es schön, eine antikapitalistische Antwort auf die Klimakrise zu haben. Andererseits könnten wir den Kapitalismus nutzen und ihn als Teil der Lösung sehen. Es ist ja prinzipiell nichts falsch daran, Geld zu verdienen, es kommt nur drauf an, wem dieses Geld dann dient. Es wäre rein rechnerisch easy möglich, in jedem Laden faire Klamotten anzubieten oder Bio-Lebensmittel. Es ist aktuell aber billiger, das nicht zu tun. Wir brauchen eine Wirtschaft, die sich am Gemeinwohl orientiert.

In deinem Buch "Starkes weiches Herz" schreibst du viel über weibliche Wut, Bodypositivity und deinen Weg zur Nachhaltigkeit. Lebten deine Eltern schon nachhaltig?

Meine Mutter war alleinerziehend und allein schon deshalb sparsam. Wir hatten kein Auto, waren campen, fuhren Zug. Ich denke, man bekommt als Kind ja gewisse Werte mit. Meiner Mutter war vor allem ein respektvoller Umgang extrem wichtig. Bei mir wurde daraus, so pathetisch das klingen mag, der Respekt für die Natur, die Arten, die Umwelt. Ich bin schon der größte Öko bei uns.

Findet deine Familie, dass du manchmal übertreibst?

Bestimmt (lacht). Sie fliegen ja auch oder essen eben Fleisch. Aber es bleibt auch etwas haften: Mein Bruder hat neulich für eine typische Flugstrecke zum Beispiel den Zug genommen. Manche Freunde verstecken auch mal ihre Einkäufe vor mir. Früher war ich viel dogmatischer, aber damit schubst man Leute nur weg. Ich kann es vorleben, dann muss jeder für sich entscheiden, ob er mitmacht.

Deine Follower lassen sich ja sehr von dir inspirieren. Sie schreiben dir private Nachrichten, wie sehr du ihr Leben verändert hast. Berührt dich das?

Unfassbar, ja! Neulich war ich zum Beispiel nachts bei einer Mahnwache für Schweine, die in dieser Nacht auch geschlachtet wurden, und habe dazu etwas gepostet. Dann schickte mir eine junge Frau einen Screenshot von WhatsApps zwischen ihr und ihrer Mutter. Die Mama schrieb ihr: "Okay, es reicht, ich esse kein Schweinefleisch mehr." Die Tochter: "Daria?" Die Mutter: "Ja." Es sind solche Momente. Dann weiß ich: Das ist mein Weg.

Darias große und kleine Fragen an das Leben, die Umwelt und an sich selbst:"Starkes weiches Herz" (244 S., 18 Euro, Ullstein). 

Wer hier spricht:

Madeleine Daria Alizadeh

Warum man sie kennen sollte:

Weil sie mal vor dem EU-Parlament spricht, mal vor der UN-Women, für die Grünen in Österreich kandidiert und uns dabei mit viel Selbstironie ihr grünes Leben vorlebt.

Umdenkmoment:

Eine Doku darüber, wie Klamotten unseren Planeten zugrunde richten. Seit 2013 kauft sie nur Fair Fashion oder Secondhand.

Green-Struggle:

Auf unverpackte Pflege umzustellen, fällt Daria schwer. Dafür setzt sie ausschließlich auf Naturkosmetik. 

In BE GREEN, dem neuen Nachhaltigkeitsmagazin von BRIGITTE, lest ihr das exklusive Interview mit Greenfluencerin DariaDaria, in dem sie fordert: "Wir müssen Zeit neu definieren!"
In BE GREEN, dem neuen Nachhaltigkeitsmagazin von BRIGITTE, lest ihr das exklusive Interview mit Greenfluencerin DariaDaria, in dem sie fordert: "Wir müssen Zeit neu definieren!"
© Brigitte
BRIGITTE BE GREEN 01/2019

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