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CO2-Ausgleich: So sinnvoll sind Ausgleichszahlungen wirklich!

CO2-Ausgleich: Frau mit Koffer am Flughafen
© KieferPix / Shutterstock
Lediglich Gewissensberuhigung oder echte Schadensbegrenzung: Was bringt es, seinen CO2-Verbrauch zu kompensieren?

Ich leide unter Smygflyga. Das ist zwar keine Krankheit, beschreibt aber mein Unwohlsein ziemlich gut: nämlich die Tatsache, dass ich in ein Flugzeug steige, obwohl ich Flugscham empfinde. Der Begriff ist schwedisch, genauso wie Greta, und obwohl es in Schweden schön ist und ich da sogar mit dem Zug hinkäme, also an sich nichts dagegen spricht, soll’s demnächst ein dreimonatiger Trip durch Amerika sein.

Schuldgefühle und die Kompensation von Emissionen

Meine Vorfreude wächst mit jedem Tag, genau wie mein Schuldgefühl. Rund 2,2 Tonnen CO2, das ist mein Anteil der Emissionen, den das Flugzeug, in dem ich bald sitzen werde, in die Luft ballert – nur der Hinflug nach San Francisco. 2,7 Tonnen CO2 dürfte ich, so wie jeder andere Mensch, im Jahr emittieren, damit wir das Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen. Ein Flug, und zack, mein CO2-Jahresbudget ist voll.

Und dann sehe ich die Zahl, die mein Gewissen bereinigen soll: 96 Euro. So viel würde es kosten, den Flug zu kompensieren, also die Menge CO2, die ich verursache, an anderer Stelle durch Klimaschutzprojekte wieder reinzuholen. Das können solche sein, die irgendwo auf der Welt Emissionen vermeiden – zum Beispiel durch die Umstellung fossiler Brennstoffe auf Solarenergie. Oder solche, die Treibhausgase aus der Atmosphäre binden, wie das bei Aufforstungsprojekten der Fall ist. Klingt ein bisschen nach Mittelalter, wo sich die Leute mit scheißteuren Ablassbriefen vom Fegefeuer freikauften. Nur ist unser Brandherd der Planet, auf dem wir leben – und das, woran ich glaube, die menschengemachte Klimakrise.

Aber genügt es wirklich, irgendwo auf der Welt ein paar Bäumchen zu pflanzen, um guten Gewissens in ein Flugzeug zu steigen? "Aufforstungen können, richtig durchgeführt, eine sinnvolle Maßnahme zur Kompensation von Emissionen sein", sagt Michael Köhl, Professor für Weltforstwirtschaft der Universität Hamburg. Immerhin können Bäume durch Fotosynthese den Kohlenstoff aus dem CO2 in ihrem Holz binden. "Allerdings wachsen Bäume nicht ewig. Irgendwann in der Zukunft sterben sie entweder ab, verrotten und setzen das vorher gebundene CO2 wieder in die Atmosphäre frei. Oder die Bäume werden gefällt und das Holz genutzt." Entscheidend ist also, dass die gepflanzten Bäume auch lange genug überleben und wachsen, um die Emissionen zu binden: "Sehr zurückhaltend geschätzt benötigt eine einzige Buche etwa 110 Jahre, um die Menge CO2 Ihres Flugs wieder aus der Atmosphäre zu entfernen."

Wälder erhalten und schützen

Echt jetzt? Das ist ganz schön lange. Aus genau diesem Grund werden für Kompensationsprojekte übrigens häufig schnell wachsende Baum­arten gewählt: in den Tropen und Subtropen Eukalyptus- oder Akazienplantagen, hierzulande Plantagen aus Pappel oder Weide. Was auf der einen Seite logisch klingt, es bringt ja Zeitersparnis, hinkt auf der anderen Seite: "Eukalyptus beispielsweise verbraucht durch sein schnelles Wachstum sehr viel Wasser und kann den Grundwasserspiegel absenken", so Köhl. "Schnell wachsende Baumarten produzieren zudem Holz, das oft nur als Brennholz und nicht etwa als Baustoff verwendet werden kann." Und bei einer Verbrennung entsteht noch mal was? Richtig: CO2.

"Die Nutzung dieser schnell wachsenden Hölzer leistet daher nur einen vergleichsweise geringen Beitrag zum Klimaschutz", so der Experte. Außerdem könne man die Monokulturen, die auf solchen Plantagen entstehen, nicht mit naturnahen Wirtschaftswäldern vergleichen: Die Diversität ist deutlich bescheidener, bedeutet, die Artenvielfalt nimmt nicht nur bei den Bäumen selbst, sondern auch bei den dort lebenden Tieren ab. Der Wald wird anfälliger für Schädlinge und Trockenheit. Und dann ist es mit der CO2-Speicherung auch wieder vorbei. Hmmm.

Was mich wieder aufmuntert: Ohne unsere Wälder lägen unsere nationalen Gesamtemissionen um 14 Prozent höher, so der Forstwissenschaftler, und bezieht sich auf das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Wälder zu erhalten und zu schützen, sollte deshalb ganz oben auf der To-do-Liste stehen. Nicht aber ihre Ausbeutung als Kompensationsindustrie, das ist mein erstes Learning. Denn so nett die Bäume uns auch darin unterstützen, unsere Atmosphäre buchstäblich vom CO2 reinzuwaschen – sie brauchen einfach ihre Zeit. Und die drängt, wie wir alle längst wissen und spüren.

Undurchschaubare Klimaneutralität

Das nimmt auch Anita Engels wahr, die ich an der Uni Hamburg besuche. Sie ist Professorin für Soziologie und sammelt gerade Daten zu Kompensationsprojekten in Entwicklungsländern. Was sie beobachtet: "Das Thema Umweltschutz hat eine andere Ernsthaftigkeit bekommen – nicht nur breite Gruppen in der Gesellschaft, sondern auch Wirtschaftsunternehmen fangen an, ihre Strategien zu überdenken."

Denn nicht nur wir Verbraucher*innen können Flüge, Auto- und Zugfahrten kompensieren – auch Firmen sorgen sich mittlerweile um ihre Ökobilanz. Von Manufakturen, die für ihre klimafreundliche Schokolade Bäume pflanzen lassen, bis hin zu Unternehmen, die ihre Bilanz durch Kompensationszahlungen aufhübschen und damit werben. Tendenziell kein schlechter Trend, könnte man meinen. Ulrich Petschow, Volkswirt am gemeinnützigen Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, gibt aber zu bedenken: "Der Anteil der Unternehmen, die mit nachhaltigem Wirtschaften einen grundsätzlichen Wandel einleiten, ist begrenzt." Sich die Klimaneutralität durch Kompensationen zu erkaufen, könne "nur ein erster Schritt sein. Die Geschäftsmodelle selbst müssen auf den Prüfstand". Was er damit meint: Es könne nicht sein, dass Firmen sich als grün betiteln, nur weil sie Ausgleichszahlungen im globalen Süden tätigen. Und zwar ohne sich dabei zu fragen, wie das eigene Unternehmen Emissionen einsparen kann: zum Beispiel in der Transportkette, in der Produktion, bei Dienstreisen.

Auch von der Soziologin Anita Engels gibt’s ein großes Aber. Denn viele Unternehmen wollen sich den Nachhaltigkeitsstempel so schnell wie möglich aufdrücken und unterstützen übereilt irgendwelche Kompensationsprojekte in Entwicklungsländern. Was dabei fehlt: Studien, Langzeitbeobachtungen und Richtlinien, auf deren Grundlage die Projekte (z. B. Aufforstungen, energieeffiziente Öfen, Bau von Solaranlagen) bewertet und ausgewählt werden. Hinzu kommt, dass viele Firmen nicht transparent machen müssen, wo ihre Gelder landen. Solange es keine festgesetzten Regularien gibt, bleibt die Klimaneutralität undurchschaubar und bekommt einen faden Beigeschmack – selbst wenn die Firma eigentlich alles richtig macht.

Je leichter mir ein Verhalten gemacht wird, desto wahrscheinlicher wird es

Puh, ganz schön viel Input, ich weiß. Und dann ist da noch die andere Seite der Medaille – oder, anders gesagt, der Weltkugel: "Je höher die Nachfrage bei uns nach Kompensationen ist, desto höher ist auch der Druck für westliche Investoren, ein entsprechendes Angebot in den Entwicklungsländern zu schaffen", sagt Engels. Am zügigsten gelinge das in Ländern, "wo eine korrupte Regierung schnell in der Lage ist, Projekte durchzusetzen". Die Leidtragenden seien oft die Menschen vor Ort: Ihr Land werde enteignet, Frauen würden oftmals benachteiligt, kulturelle Traditionen nicht mehr beachtet.

Es kommt also nicht nur darauf an, dass ich irgendwelche Projekte unterstütze, sondern auch, wie sie inhaltlich ausgerichtet sind – mein zweites Learning.

Eine Menge Argumente, die es abzuwägen gilt. Die Soziologin rät mir, die Aspekte, die mir bei den Projekten wichtig sind, bei den Kompensationsanbietern abzufragen – auch wenn das deutlich mehr Aufwand bedeutet, weil ich das Spendenhäkchen nicht bei der Airline setze, mit der ich fliege, sondern mich ausführlich auseinandersetzen muss.

Was ich gern tue, denn moralisch bin ich damit klar auf der richtigen Seite. Psychologisch allerdings wäre es einfacher, wenn Kompensationszahlungen bereits im Preis inbegriffen wären, ich mich als Kundin also nicht aktiv dafür entscheiden muss. "Je leichter mir ein Verhalten gemacht wird, desto wahrscheinlicher wird es", erklärt mir Dr. Laura Loy, Umweltpsychologin an der Uni Landau. Was aus ihrer Sicht allerdings gegen das Kompensieren spricht, ist der sogenannte Rebound-Effekt. "Weil wir unser Gewissen beruhigen, entscheiden wir uns möglicherweise öfter für einen Flug, als wir es ohne die Kompensationsmöglichkeit getan hätten." Und das verursacht unterm Strich noch mehr CO2. Was für ein Mindfuck!

Schamgefühl als Anstoß zur Kompensation

Zugegebenermaßen ist es in meinem Fall genau eine Sache, die mir den Anstoß zur Kompensation gibt: mein Schamgefühl. "Wir haben ein schlechtes Gewissen zu fliegen, weil wir an die Emissionen denken, die einen Schaden verursachen. Und weil wir denken, dass andere uns dafür verurteilen", erklärt Loy dieses unangenehme Gefühl. Aber ist Scham das richtige Motiv, um das Verhalten zu ändern? "Positive Emotionen motivieren uns eher zum Handeln", so Loy. Oder anders gesagt: "Wir brauchen eine schöne Vorstellung von einer nachhaltigen Zukunft, in der wir leben wollen. Wir müssen wissen, welche Hindernisse dieser Vision aktuell im Weg stehen. Und was wir tun können, um sie Wirklichkeit werden zu lassen. Besonders gut funktioniert das, wenn wir uns nicht als Einzelkämpfer*innen wahrnehmen, sondern als Teil einer Bewegung, die gemeinsam das Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft verfolgt." Und so komme ich zu Learning Nummer drei: Ich brauche eine Vision und Menschen, die diese mit mir teilen. Ergo: Die richtigen Parteien wählen, auf Demos mit anderen meine Stimme erheben, Petitionen unterstützen und teilen. Das ändert zwar nix an den 2,2 Tonnen CO2, die mein Flug in die Atmosphäre schießt, aber an meiner Einstellung: dass ich nicht aus Scham nicht mehr fliegen möchte, sondern mich beim nächsten Mal aus Überzeugung anders entscheide.

Einsichten, die mich zu meinem Fazit und vierten Learning bringen: Kompensationen ergeben nur dann Sinn, wenn ich mich sonst immer darum bemühe, das Beste zu geben – und die Zahlungen nur das letzte Mittel sind, Schadensbegrenzung zu betreiben.

Denn, und darin sind sich alle Expert*innen einig: Kompensieren ist immer noch besser, als nichts zu tun. Und am allerbesten ist es natürlich, vermeidbare Emissionen auch wirklich zu vermeiden.

Und wo kompensiere ich am besten?

1. ATMOSFAIR hat bei Stiftung Warentest in allen Kategorien, also Qualität der Kompensation, Transparenz und Kontrolle, sehr gut abgeschnitten. Eine Tonne CO2 kostet hier 23 Euro. atmosfair.de

2. KLIMA-KOLLEKTE liegt, was die Transparenz angeht, im guten Bereich. Dafür schneiden die Projekte sowie das Thema Kontrolle sehr gut ab. Preise pro Tonne CO2: 23 Euro. klima-kollekte.de

3. PRIMAKLIMA kommt in allen drei Kategorien sehr gut weg, steht jedoch im Bereich der Kompensationsqualität minimal schlechter da als Atmosfair. Aber Preise pro Tonne CO2: nur 15 Euro. primaklima.org

4. MYCLIMATE schneidet overall gut ab – sowohl bei Transparenz, Kontrolle und der Kompensationsqualität. Preise pro Tonne CO2: 22 Euro. myclimate.org

Quelle: Finanztest, 03/18

Wer hier schreibt:

Luisa Gand 

Aktuelle Challenge:

Aus Hefeflocken, Cashews und Flohsamenschalen Käse selbst machen. Und sich daran gewöhnen, dass er zwar auch gut, aber schon irgendwie anders schmeckt…

Green-Life-Hack:

Kleidertauschpartys mit Freund*innen schmeißen: ist wie Shoppen ohne Geld, macht richtig Spaß und schont Ressourcen. Yay!

@lu.natique

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