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Cécile Lecomte: Widerstand als menschliche Notwendigkeit

Cécile Lecomte: Widerstand als menschliche Notwendigkeit: Cécile Lecomte hängt im Baum
© Maxim Schulz
Den Satz hören Cécile Lecomte und Antje Grothus ständig: die eine, weil sie auf Bäumen protestiert, die andere, weil sie zwischen den Fronten steht und vermittelt. Was bringt mehr?

Es gibt einen Film über Cécile Lecomte, da sieht man sie weit oben in einem Baum hängen, ein Grinsen auf den Lippen, während ein Polizist versucht, sie von ihrem Kletterseil zu lösen. In einer anderen Szene spricht der Polizeidirektor von Lüneburg, er findet Lecomte "absolut nervig”. Cécile Lecomte ist 37. Sie war als Jugendliche französische Meisterin im Sportklettern, machte politisches Straßentheater, kam 2002 zum Wirtschaftsstudium nach Deutschland, erfuhr von den Atommülltransporten nach Gorleben und hatte ihre Berufung gefunden: den Protest. Sie wurde Hunderte Male festgenommen, weil sie Atommülltransporte behindert, indem sie sich in Bäume, an Brücken oder Strommasten hängt – Hals über Kopf mit gespreizten Armen und Beinen. Ihr Spitzname in der Aktivist*innenszene: Eichhörnchen.

Lecomte und Grothus protestieren

"Kommen Sie da runter!” ist ein Satz, den sie schon oft gehört hat – wie auch Antje Grothus, 55. Während der Besetzung des Hambacher Forsts riefen ihn die Polizist*innen den Baumhausbewohner*innen zu. Grothus selbst saß damals nicht in den Bäumen, ihre Form des Protests ist eine andere: Hartnäckig vermittelt sie seit sieben Jahren zwischen dem Energiekonzern RWE und den Menschen, die um ihre Heimat fürchten.

Cécile Lecomte: Widerstand als menschliche Notwendigkeit: Antje Grothus
Zur Rettung des Hambacher Forstes vermittelte Antje Grothus zwischen der RWE und den Menschen, die um ihre Heimat fürchteten.
© Maxim Schulz

Lecomte und Grothus kennen sich nur flüchtig von kurzen Begegnungen im Zusammenhang mit dem Hambacher Forst. Beide wollen, dass sich endlich etwas verbessert in der Welt. Doch während Grothus sich eher als unpolitischen Menschen bezeichnet, den die plötzlich veränderten Lebensumstände in die Protestsituation gebracht haben, empfindet Lecomte Widerstand gegen die Staatsgewalt als menschliche Notwendigkeit. Die eine ist in die Revolte hineingeraten, die andere lebt sie ununterbrochen. Die eine sucht den Kompromiss, die andere den rigorosen Umbau der Gesellschaft. In Zeiten wie diesen, in denen die Rebellion gegen die weltweite Umweltzerstörung wächst, stehen Lecomte und Grothus für die Frage: Welcher Weg führt langfristig eher ans Ziel?

Céline Lecomte – Ihr Bild war überall

"Die Menschen müssen nicht mit mir und meinem Handeln einverstanden sein", sagt Lecomte. "Auch Aktionen, die kritisiert werden, können erfolgreich sein, wenn dadurch eine Diskussion ausgelöst wird." Sie sitzt in einem Rollstuhl in einer alten Villa nahe der Lüneburger Innenstadt. Seit sich ihre chronischen Gelenkschmerzen verschlimmert haben, kann sie nicht mehr gut laufen. Mit acht Männern und Frauen lebt sie hier im Wohnprojekt "Unfug", einer Gemeinschaft, die sich als politisch links versteht und alternative Lebensformen ausprobieren will. An ihrem Rollstuhl ist ein Eichhörnchen aus Stoff befestigt, Eichhörnchen stehen überall in ihrem Zimmer, sie hat sich sogar eins auf T-Shirts drucken lassen: ein Eichhörnchen mit geballter Faust in einem Stern. Lecomte lebt für ihren Protest – aber auch von ihm: Als sogenannte "Bewegungsarbeiterin" erhält sie von der Bremer "Bewegungsstiftung" monatlich ein Grundeinkommen von 900 Euro, gespendet von rund 150 Stifter*innen, darunter Ärzt*innen, Künstler*innen, Ingenieur*innen. Viele von ihnen waren selbst in sozialen Bewegungen aktiv, wissen, wie sehr der Erfolg politischer Aktionen vom Geld abhängt.

Bei ihrer ersten Castorblockade 2004 in Frankreich saß Lecomte noch an den Gleisen. 2008 entdeckte sie, dass sie mit Klettern mehr Medienaufmerksamkeit bekommt: Mit einer Kletteraktion oberhalb der Bahnlinie versuchte sie damals, einen mit Atommüll beladenen Zug zu stoppen, in zwölf Metern Höhe sang sie Anti-Atom-Lieder und aß Schokoriegel. Erst nach sechs Stunden schaffte es die Polizei, sie runterzuholen, die BBC berichtete, ihr Bild war überall.

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Diagnose rheumatoide Arthritis

Schon ihre Mutter, eine Lehrerin, die ihre drei Kinder in den Vogesen allein großzog, ging regelmäßig auf Demos. Die kleine Cécile saß dann auf ihren Schultern. "Wenn einem etwas nicht gefällt, dann sagt man das, war die Grundeinstellung in unserer Familie”, sagt sie. Mit vier Jahren lernte sie klettern. "Ich fühlte mich oben schon immer wohler als am Boden." Nach ihrem Studium landete sie als Französischlehrerin zuerst in Bayern, dann in Lüneburg an einer Waldorf-Schule. In ihrer Freizeit blockierte sie Castor-Transporte, aber ihre Aktionen störten die Schulbehörde. Also suchte sie sich andere Jobs, arbeitete als Übersetzerin, hielt Vorträge über Atommüll, schrieb Artikel. "Bei der Polizei gelte ich als unbelehrbare Rädelsführerin", sagt sie und lacht. Ihr Vorstrafenregister ist lang: Hausfriedensbruch, Ordnungswidrigkeiten, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Bisher wurde sie nur zu Geldstrafen verurteilt – gegen die sie dann Einspruch erhob.

2004 hatte sie zum ersten Mal Gelenkschmerzen, Lähmungsgefühle, die Beschwerden wurden stärker, eine rheumatoide Arthritis wurde diagnostiziert. Seit 2018 sitzt sie vorrangig im Rollstuhl. Aber sie klettert noch: baute sich spezielle Griffe für ihre Hände, einen Flaschenzug für die Beine, nimmt vor ihren Aktionen Cortison, um die Entzündung zu dämmen. Schmerzen, Therapien, Krankenhausaufenthalte, totale Erschöpfung, das ist heute ihr Alltag. "Viele Menschen sehen mich als abgebrühte, starke Aktivistin”, sagt sie. "Aber es gibt Tage, da fühle ich mich schwach und würde einfach nur gern im Bett bleiben. Doch mich treibt die Überzeugung, einen Beitrag leisten zu müssen.”

Cécile Lecomte: Widerstand als menschliche Notwendigkeit: Céline Lecomte im Rollstuhl
"Bei der Polizei gelte ich als unbelehrbare Rädelsführerin", sagt Céline.
© Maxim Schulz

Antje Grothus kämpfte für den Erhalt des Hambi

Rund 500 Kilometer weiter südwestlich läuft Antje Grothus wieder durch den Wald. Es ist ein 12 000 Jahre alter und einst 5000 Hektar großer Wald, von dem heute nur noch gut ein Zehntel steht. Ein Dschungel voll hoher Bäume, Hainbuchen, Stieleichen, riesiger Farne, unter denen ca. 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle liegen. Eine Allianz aus Umweltverbänden, Bürgerbewegungen und Baumbesetzer*innen hatte zunächst für den Erhalt des Waldes gekämpft, im Herbst 2018 entstand schließlich eine Massenbewegung mit Zehntausenden Demonstrant*innen, die zur Abbruchkante des Tagebaus Hambachs zogen. Polizei, Kräne und Bagger rückten an, um die Besetzer*innen von den Bäumen zu holen. Nachrichtensendungen weltweit berichteten.

Der "Hambi”, wie ihn seine Verteidiger*innen nennen, war zum Symbol für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung geworden. Und mittendrin: Antje Grothus von der Bürgerintiative "Buirer für Buir”, die zum Gesicht des Widerstands wurde. Ihr Zuhause im Kerpener Stadtteil Buir ist ein kleines Klinkerhaus. Vor 25 Jahren zog Grothus mit ihrem ersten Mann hierher, bekam zwei Töchter, ließ sich scheiden, heiratete wieder, bekam eine dritte Tochter. Mit den Mädchen radelte sie oft durch den Hambacher Wald zum Schwimmbad. Und sah über die Jahre, wie der Wald immer kleiner wurde, die umliegenden Dörfer der Braunkohle weichen mussten. 2004 schließlich begann sie, mit anderen aus Buir gegen die Verlegung der A4 zu kämpfen, die dem näher rückenden Tagebau im Weg war und an den Ortsrand von Buir umziehen sollte. Den Kampf verloren sie, aber ein anderer Kampf begann: der für den Erhalt des Hambi.

Cécile Lecomte: Widerstand als menschliche Notwendigkeit: Antje Grothus
Antje Grothus wurde für ihren Einsatz so angefeindet, dass sie Polizeischutz brauchte.
© Maxim Schulz

Grothus – Eine Brücke zwischen Protestlern und der Polizei

2012 besetzten erstmals junge Menschen den Hambacher Forst. Grothus half beim Organisieren von Gottesdiensten und Gesprächen, zu denen immer wieder auch RWE eingeladen wurde. Sie wurde zur Ansprechpartnerin für die Presse, hielt Reden, begann, RWE kritisch zu sehen: "Wir fühlten uns nicht ernst genommen, belächelt.” Es gab Waldpicknicks und -spaziergänge, und plötzlich kamen auch die älteren Leute aus der Gegend, die seit Jahren den Wald nicht mehr betreten hatten, weil sie es zu schmerzhaft fanden, dass all das verschwinden soll, was ihre Kindheit ausgemacht hatte.

Grothus diskutierte mit den Aktivist*innen, auch wenn es nicht ihre Form des Protests war. Sie gewann das Vertrauen einiger Besetzer*innen, ließ sie ihre Wäsche bei sich waschen und mal duschen. "Jetzt badet sie schon mit den Aktivisten”, hieß es plötzlich auf RWE-nahen Facebookseiten. Der Ton verschärfte sich, während sie versuchte, eine Brücke zu sein zwischen den Protestlern und der Polizei. Im vergangenen Oktober standen eines Morgens plötzlich 80 Männer vor ihrem Haus, trugen Warnwesten, Trillerpfeifen, schwenkten Fahnen. Böller wurden gezündet, die Männer riefen: "Grothus raus.” Einer schlug mit der Hand gegen das Fenster, hinter dem sie stand. Seitdem hat sie Polizeischutz, eine Streife fährt regelmäßig an ihrem Haus vorbei, das mit einer Kamera ausgestattet wurde.

Lecomte und Grothus lassen sich nicht unterkriegen

Als die Regierung schließlich eine Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung einsetzte, die sogenannte Kohlekommission, wurde Grothus zur Mitarbeit eingeladen. Sie erlebte, wie sie in Diskussionen unterbrochen wurde, Argumente von ihr ignoriert wurden. Ende Januar unterschrieb sie trotzdem den Kompromiss. Der Kohleausstieg solle bis 2038 beendet sein, heißt es dort. Und es sei wünschenswert, wenn der Hambacher Forst erhalten bliebe. Reicht das? Im Juli ist der Bagger schon wieder bis auf 500 Meter an den Wald herangerückt, das Misstrauen ist groß. Lecomte und Grothus kämpfen weiter, wenn es sein muss: Die eine bringt das System durch zivilen Ungehorsam zum Innehalten, die andere nutzt das Atemholen, um ins Gespräch mit den Gegnern zu kommen. Beide Seiten braucht man.

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© Brigitte
BRIGITTE BE GREEN 01/2019

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